Zeit des Aufbruchs
Dreizehn Jahre. Was war das schon? Ein Wassertropfen im Meer vielleicht. Und doch reichte diese Zeit, um eine Heerschar von Dämonen aufzustellen. Wesen ohne Seele, mit nichts als Blutgier und Mordlust im Kopf. Sie würden ihren besten Freund umbringen, nur um noch einmal zu morden.
Und doch unterstanden sie meinem Befehl und würden es nie wagen, mir nicht zu gehorchen.
Es war seltsam, aber verlieh mir ein Gefühl der Macht.
Gedankenversunken und mit blickleeren Augen saß ich auf meinen Thron aus
schwarzem Basalt.
„Herr?“ Der Dämon riss mich aus meinen Gedanken und verbeugte sich ungeschickt vor mir.
„Ja?“ In meiner Stimme lag eine eigentümliche Kälte und auch etwas von Herablassung schwang in ihr mit.
„Azazel ist zurückgekehrt und verlangt, Euch zu sehen.“
Ich hatte Azazel in den letzten Jahren kaum gesehen. Nur für kurze Besuche und ein paar Worte. Das er aber nach mir verlangte, hinterließ einen leichten Stich in meinem Stolz.
„Dann hol ihn herein!“ Ungeduldig wedelte ich mit der Hand und richtete mich
auf.
Ich hatte nie vorgehabt, jemals in dieser Höhle zu hocken wie ein wildes Tier. Als Herr der Finsternis und der Verdammten konnte ich mir wohl ein Stückchen Luxus leisten.
Mit Magie und der Hilfe einiger Dämonen hatte ich ein Schloss errichtet, dass weit über die trostlose Gegend emporragte und meiner Stellung nun gerecht wurde.
Azazel trat durch die große Eichentür und neigte leicht den Kopf, als er vor mir stand. Das Einzige, was noch an seinen Fall erinnerte, war die Narbe über seinem linken Auge und die dunkelroten Flügel.
Ein belustigtes Funkeln lag in seinen
Augen, als er mich ansah und flüsterte: „Und so sitzt der Herr der Hölle auf seinem Thron und ich erschaffe seine Monster und Diener.“
Ich bleckte die Zähne, aber eher aus Spaß als aus Wut. Es tat gut, wieder mal mit jemandem zu streiten, sei es auch nur im Spaß. Trotzdem erhob ich mich und ging auf ihn zu.
„Rein logisch betrachtet bin ich überfüllt mein Freund.“
Lachend legte er mir die Hand auf die Schulter.
„Nach unserem Krieg hast du wieder Platz, Junge.“
Verwirrt schaute ich ihn an.
„Krieg?“
„Was?! Wer hat denn vor dreizehn Jahren in einer stolzen Rede erzählt, ich solle keine Pause machen, ehe die dreizehn Jahre um sind? Damit wir dann mit unserer Armee ins Paradies einfallen?“, fragte Azazel und schüttelte gespielt entsetzt den Kopf. Blinzelnd überlegte ich und nickte dann.
„Du hast recht. Hatte ich fast vergessen. Aber ich war nicht untätig, falls du das glauben solltest. Ich habe Waffen schmieden lassen. In Höllenfeuer, wohlgemerkt.“
Ob er wollte oder nicht, ich sah so etwas wie Bewunderung in seinen Augen
aufblitzen.
„Ich würde sie gerne sehen“, sagte er dann und leckte sich über die Lippen.
Grinsend nickte ich und zog ihn hinter mir her in den Keller. Die Waffenkammer lag weit hinten, fast am Ende des langen, dunklen Ganges. Mit einer theatralischen Geste öffnete ich die Tür und trat ein.
Glitzernde Waffen hingen oder lehnten an den Wänden. Schwerter, Pfeile, Bögen, Morgensterne, Peitschen mit Widerhaken. Grausame Instrumente, mit denen man mordet und die nur den grässlichsten Geschöpfen zuteil wurden.
„Suche dir etwas aus Azazel.“
„Du willst heute noch los?“ Sein überraschter Blick traf mich und ich
nickte.
„Wir warten seit dreizehn Jahren darauf, dass es losgeht. Langsam möchte ich wirklich los.“
Stumm schüttelte er den Kopf.
„Du bist verrückt. Einfach nur verrückt.“
Ich grinste und vollführte einen leichten Knicks. Dann ging ich zu den Waffen und zog ein langes Schwert hervor. Die Klinge glänzte dunkelrot im fahlen Licht und wog schwer in meiner Hand. Ganz leicht strich ich mit den Fingern über die scharf geschliffenen Seiten und zuckte zusammen. Ein feiner Schnitt zog sich über meine Fingerkuppen und Blut in der gleichen Farbe wie das Schwert trat
hervor.
Schnell leckte ich es ab und wandte mich Azazel zu, ein stolzes Funkeln in meinen Augen.
„Das ist meins. Mortem, der Tod.“
Azazel verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.
„Ein passender Name für ihn.“
Es war Tradition, Schwertern Namen zu geben, von denen man hoffte, dass sie sie erfüllen würden.
Vorsichtig und beinahe liebevoll schob ich das Schwert in seine Scheide und schnallte es mir um die Hüften.
„Du nimmst am Besten den Bogen.“ Ich deutete in eine Ecke und lief ungeduldig zur Tür. Mein Moment der Rache rückte
näher und je schneller er kam, desto besser würde es mir gehen. Übertrieben langsam warf Azazel sich den Köcher über die Schulter und hob den Bogen auf.
„Schwing die Hufe!“, brach es ungestüm aus mir heraus und ich packte mit eisernem Griff sein Handgelenk, um ihn mit mir zu ziehen.
Im Thronsaal wartete eine kleine Auswahl meiner treuesten Diener und blickte mir ohne jegliche Verwirrung über meine Bewaffnung entgegen.
„Meine treuen Männer. Viele von euch werden nicht zurückkehren, dessen bin ich mir sicher. Wenn ihr jetzt sterbt, seid ihr im ewigen Nichts verloren und
nicht einmal ich kann euch von dort wiederholen. Doch seid gewiss: euer Tod wird nicht umsonst sein. Ihr werdet für etwas sterben, dass man Gerechtigkeit nennt. Ihr werdet den Menschen und den Engeln das Fürchten lehren. Lasst keinen am leben.“
Die Augen meiner Männer leuchteten, und ich war mir sicher, dass wir diesen Kampf gewinnen würden.
„Ihr wisst, wie ihr zum Himmelstor kommt. Also geht, und sucht eure Freunde. Trommelt alle zusammen. Wir sehen uns vor den Toren zum Himmel.“
Die Hufe des Dämonenpferdes trafen dumpf auf den felsigen Untergrund und
hinterließen Brandflecken. Sie waren meine eigene Züchtung. Pferde, versorgt mit Höllenfeuer.
Azazel ritt dicht hinter mir und hatte den Blick starr geradeaus gewandt.
Ich spürte seine Anspannung und mir erging es ebenso. Unserer Zeit war gekommen und keiner wusste, was die Zukunft bringen würde.
Ich spürte ein leichtes Prickeln in der Luft und drehte mich zu meinem Begleiter um.
„Wir sind gleich da. Spürst du es?“
Er nickte nur. Eine leichte Blässe lag auf seinem Gesicht und ich lächelte ihn beruhigend an, bevor ich mich wieder nach vorne
drehte.
Der Berg war als Sinai bekannt und reichte über einen verborgenen Pfad hinauf bis zum Tor des Himmels.
Vor uns sah ich vereinzelte Dämonen und parierte mein Pferd durch. Schnaubend warf es den Kopf nach oben und ich legte ihm die Hand auf den Hals.
„Ist gut, mein Junge. Gedulde dich, dann bist du wieder frei.“
Schnaubend senkte der Hengst seinen Kopf und ich blickte die wenigen Dämonen an.
„Was tut ihr hier? Wo sind die anderen?“
„Herr, viele stehen schon vor dem Tor und ein paar wenige sind noch hinter euch. Ein paar Dämonen wollen noch die
zurückgebliebenen holen.“
Wütend knirschte ich mit den Zähnen und warf einen Blick zurück.
„Lasst die Nachzügler dort, wo sie sind. Sie werden später zu uns stoßen.“
Jegliche Reaktion ignorierend rammte ich meinem Pferd die Fersen in die Flanken und sprengte im vollen Galopp den Berg hinauf.
Golden schimmerte das Licht vor der Brücke zum Paradies. Meine Höllenarmee zögerte, ohne mich die Brücke zu überqueren.
„Worauf wartet ihr noch?! Greift an!“, schrie ich und schlug mit der Reitpeitsche nach dem nächstbesten Dämonen. Er stieß ein schmerzhaftes
Heulen aus und taumelte nach vorne.
Obwohl es mir nichts nützte, wenn ein paar meiner Männer verletzt in den Kampf zogen, trieb ich mein Pferd wieder an und ritt durch die Menge. Wer nicht schnell genug zurückwich, bekam die Hufe des Dämonenpferdes zu spüren.
Dicht vor dem Tor hielt ich und drehte mich im Sattel um.
Azazel stand noch dort, wo ich den Dämonen geschlagen hatte und blickte mir hinterher.
Grinsend ließ ich meinen Blick über die versammelte Menge gleiten und nickte ein paar mal.
„Dann lasst uns losgehen.“
Ich fasste die Zügel so kurz, dass mein
Hengst den Kopf zurückwarf und zog Mortem aus seiner Scheide.
Ein wilder Kampfschrei entrang sich meiner Kehle und ich stürmte allen voran durch das Tor zum Paradies.