AbschIed nehmen
Die orangenen Lichter der Straßenlaternen leuchten die Nacht aus. Sie flattern wie Glühwürmchen, und ich muss blinzeln, einmal, zweimal, bis sie endlich wieder stillstehen. Meine Wimpern sind schwer, ich senke die Lider und die Tränen lösen sich und tropfen geräuschlos vor mir auf den Beton. Ein kühler Windhauch weht mir um die Schultern und ich stelle mir vor, dass du das bist, der mir da die Hand auflegt. Ich taste nach dir, doch das einzige was ich zu fühlen bekomme, ist Luft. Meine Finger verfangen sich darin und so gehe ich ein paar Meter,
händchenhaltend mit dem Nichts. Dann lasse ich los und vergrabe die Hände in den Taschen meiner Hose. Das Gras unter mir kitzelt meine nackten Fußsohlen, ich gehe auf dem Grünstreifen, obwohl ich doch lieber auf der Straße laufen würde, liegen würde, sterben würde.
Ich hebe kurz den Kopf und sehe das schmiedeeiserne Tor vor mir. Es baut sich in der Dunkelheit auf, wie eine undurchdringliche Wand und doch laufe ich darauf zu, als wäre sie nicht vorhanden. Kurz davor bleibe ich stehen, ich spüre die kalte Aura die das Metall ausstößt auf meiner Haut. Ich nehme all meine Kraft und das letzte bisschen Mut, das noch in mir ist zusammen, dann trete
ich mit dem Fuß gegen die harten Speere, die das Tor bilden. Es wackelt bedenklich und nach dem dritten Tritt bricht es mit einem Krach aus den Scharnieren. Ich zögere kurz, doch dann stelle ich mich auf die Zehenspitzen und tripple durch das hohe Gras, über die gefallene Mauer.
Ein Tropfen landet auf meinem Arm, aber diesmal ist es keine Träne von mir. Der Regen nieselt auf mich nieder, streichelt mich mit sanften Fingern und legt meine Haare nass am Kopf an. Doch ich achte nicht auf ihn, ignoriere ihn, wie ich so durchs Grün laufe, auf einem mit spitzen Steinen bestreuten Feldweg. Neben mir bauen sich ebenfalls Steine
auf, viel größere als unter mir. Manchmal bleibt mein Blick an einem von ihnen hängen und dann muss ich wieder an dich denken.
Für immer, hattest du gesagt. Immer und immer wieder, für immer. Du sagtest, wir würden alles zusammen machen, wir würden zusammen lieben, leben und sterben. Zusammen sterben. Bei dieser Erinnerung muss ich schlucken, doch ich bezwinge die Tränen, halte sie zurück.
Endlich bin ich angekommen, an der Stelle, die ich jetzt zum ersten Mal sehe und die vielleicht garnicht sehen will. Ich weiß es nicht. Als die Stelle entstand, war ich zu schwach gewesen, dabei zu sein, doch heute, heute bin ich
hier, nur für mich, nur für dich.
Wir werden zusammen sterben.
Das war, als wir noch dachten, du hättest es geschafft. Bevor wir wusste, dass er doch wieder kommen würde. Stärker, fieser... tödlicher. Der Krebs.
Ich falle auf die Knie und jetzt weine ich doch wieder, warm und voller Trauer. Ich liebe dich immer noch, doch ich kann es dir nicht mehr zeigen, nur mehr auf diese Art. Und ich weiß nicht, ob du es siehst. Das ist das Schlimmste daran.
Der einzige, mit dem ich darüber reden wollte, warst du, doch ausgerechnet das ging nicht. Jeder tat so, als verstünde er mich, doch niemand versteht mich wirklich. Vielleicht fühlen sie ähnlich,
aber nicht genauso.
Ich muss Abschied nehmen, und das fiel mir schon immer schwer.
Langsam stehe ich wieder auf, stehe einfach nur da und der Regen tröstet mich und meine Hand bewegt sich wie von ganz allein nach vorn und streichelt den Stein. Den Stein, auf dem dein Name steht...