Höllenfeuer und Dämonen
Es verging nicht mal ein halber Tag, bevor meine Wunden sich schlossen und mein Geist ruhig wurde, trotzdem kam es mir wie die Ewigkeit vor.
Mein Blick klärte sich und ich sah die rauen Felswände meiner neuen Heimat. Ich hörte die Stille und wusste endgültig: ich war gefallen, ich war alleine und auf mich gestellt.
Eisige Kälte umgab mich und strich über meine Haut hinweg. Das alles war Verrat gewesen, Betrug und ein geplantes Spiel. Aber wer den Wolf herausforderte, musste auch mit den Zähnen rechnen. Langsam kam ich auf die Beine und sah
mich um. Fels war das einzige was ich sah. Kalter, dunkler Fels.
Zitternd legte ich die Hände auf den Boden. Ich hatte schon oft Feuer heraufbeschworen und jetzt würde ich es zu meinem Eigentum machen.
Es brauchte nicht einmal mehr übermäßige Konzentration und Flammen erhoben sich brüllend bis zur Decke. Doch die Kälte wich nicht.
Von nun an war sie mein Begleiter, genau wie das Feuer und die Finsternis.
Es war klar, ich würde mich rächen. Es war so sicher wie der Tod.
Aber alleine glich es Selbstmord. Ich brauchte Hilfe.
Bevor ich noch lange überlegen konnte,
ertönte ein lauter Schrei über mir und kleine Steine fielen zu Boden, als die schwere Felsdecke sich auftat und ein dunkelrotes Bündel zu Boden fiel.
Blut spritzte über meine Füße und ich sprang zurück. Meine Nackenhaare standen zu Berge und mein Herz schlug gegen meine frisch verheilten Rippen.
Trotzdem ging ich auf das Bündel zu und beugte mich über es. Es war kein Tier, wie ich angenommen hatte, sondern etwas beinahe menschliches.
Zögernd hob ich das Ding hoch und drehte es herum. Blut blieb an meinen Händen kleben und ich wischte es beinahe achtlos an meiner Hose ab.
Ich nahm das zerschlagene Gesicht näher
unter Augenschein und zuckte erschrocken zurück.
Es war Azazel!
„He!“ Ich stieß ihn an. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen und ich fiel neben ihm auf die Knie. Heilen, dass war eines der wenigen Dinge, die ich nie gelernt hatte. Verzweifelt schüttelte ich ihn, aber ohne Erfolg. Seine Augen blieben geschlossen und sein Kopf rollte wie der einer Stoffpuppe auf seinem Hals herum.
„Wach auf!“ Von Verzweiflung getrieben schlug ich ihm ins Gesicht. Er zuckte nur und ich biss mir auf die Unterlippe. Azazel war das Einzige, was ich noch hatte.
Wenn er starb, wäre ich wirklich alleine.
„Verdammt“ Wach endlich auf! Wenn du stirbst, bin ich doch komplett alleine! Tu denen da oben doch nicht den Gefallen zu sterben!“
Mein Verhalten grenzte an dem eines Kindes, dass war mir bewusst, aber damals war ich in Menschenjahren gerechnet nicht älter als neunzehn Jahre und mein komplettes Leben war zerstört.
Azazel stöhnte wieder leicht und seine Augen flatterten. Das Weiße darin war mit Blut getränkt.
„Azazel“, flüsterte ich nun leise und versuchte ihn auf die Beine zu ziehen. Schlaff wie eine Puppe, der man die
Fäden durchgeschnitten hatte, hing er in meinen Armen.
Ein Zittern lief über seine Haut und ich schüttelte ihn wieder, diesmal erheblich sanfter.
Seine Hand krallte sich in meine Schulter und Erleichterung durchflutete mich.
„Komm schon alter Junge. Das schaffst du doch.“
Das Blaue in seinen Augen kam wieder zum Vorschein und sein Blick klärte sich. Er würde nicht sterben und ich musste nicht alleine hier unten sein.
„Wie sehe ich aus?“, fragte Azazel mit heiserer Stimme und ich konnte nicht anders als zu lachen.
„Scheiße. Du siehst wirklich scheiße
aus.“
Er schenkte mir ein schwaches Lächeln.
„Das gefällt mir gar nicht. Mein erster Tag in der Hölle und der ewigen Verdammnis und ich sehe scheiße aus.“
Kopfschüttelnd sah ich ihn an.
„Ist die Hölle wirklich nur so klein?“, fragte er schließlich in die Stille hinein und ging auf die zuckende Flammenwand zu.
„Nein. Ich glaube, dass das alles hier nur ein Teil ist. Ein wirklich kleiner Teil, wenn hier die Seelen der Verdammten und Bösen rein sollen.“
Er grunzte nur zur Antwort und ließ den Blick durch die Höhle wandern.
„Da ist ein Ausgang“, brummte er
schließlich und deutete nach vorne.
Ich folgte seinem Blick und sah ebenfalls den Riss im Felsen, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Für einen Moment standen wir noch wie angewurzelt da und schwankten zwischen dem Verlangen, nach draußen zu gehen und dem Wissen, dass uns etwas grauenvolles erwarten würde, sollten wir wirklich die Höhle verlassen.
Schließlich gab ich mir einen innerlichen Ruck und trat nach vorne. Azazel folgte mir in einem gewissen Abstand.
Nur zögerlich drückte ich mich durch den Spalt und stolperte in eine Welt aus Asche.
Wenn es hier früher mal Erde gegeben
hatte, so war sie jetzt verbrannt. Schwarz breitete sich der Boden unter unseren Füße bis zum Horizont aus.
Ich legte den Kopf in den Nacken, um den Himmel sehen zu können. Auch er war schwarz, und ich sah weder eine Sonne, noch Wolken.
Meine Kehle schien zugeschnürt zu sein und ich versuchte krampfhaft, zu schlucken.
Es wollte mir nicht gelingen und ich blickte zu Azazel hinüber.
Sein Blick streifte die toten Bäume, folgte den ausgetrockneten Flüssen und blieb schließlich an mir hängen.
Er setzte an, etwas zu sagen, schloss den Mund aber wieder und räusperte
sich. Dann stieß er hervor: „Das ist doch nicht ihr Ernst! Sie bringen uns in dieses tote Land!“
Ich nickte und wandte den Blick einem der toten Bäume zu.
„Ja, sie bringen uns hierhin und lassen alles sterben. Es ist, als wollen sie, dass wir ebenfalls sterben.“
„Das wünschen sie sich aber auch nur!“ Azazel knurrte und stampfte mit dem Fuß auf.
„Du bringst mich auf eine Idee!“ Mein malträtierter Geist hatte soeben eine brillante Idee hervorgebracht.
„Azazel, ich werde mich dreizehn Jahre lang zurückziehen und mich benehmen. Das wird sie in Sicherheit wiegen. Und
du, mein treuer Freund, wirst in diesen Jahren deiner Fantasie freien Lauf lassen und Wesen erschaffen, die durch und durch böse sind. Blutlust, Mordlust, mehr Tier als Mensch, es ist egal. Aber sie müssen böse sein. Und mir gehorchen. Erschaffe so viele, wie du kannst. Nimm keine Pause und ruhe nicht eher, bis die dreizehn Jahre um sind.
Und ich werde die Seelen der Verstorbenen ebenfalls wandeln. Ich mache sie zu meinen Dienern, zu Dämonen.
Und wenn unsere Zeit da ist, werden wir mit unserer Höllenarme im Paradies einfallen. Wenn sie geglaubt haben, dass
hiermit alles zu Ende ist, haben sie sich getäuscht.
Das hier ist nicht das Ende. Es ist erst der Anfang.“