Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand
eines Bürgerkriegs steht.
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Jiy hatte die Beine an den Körper gezogen und sah in das zu wenigen roten Glutpunkten zerfallene Feuer. Sie stocherte mit einem Ast in den ersterbenden Flammen, so das feine Rauchwolken von der Asche aufstiegen sich in der kalten Morgenluft auflösten. Zyle lehnte einige Schritte entfernt an einem Baum. Das Schwert hatte er neben seinen Fuß an den Stamm gelehnt. ,, Könnt ihr damit aufhören ?“ , fragte er, als wieder ein paar Funken aufsprangen, nur um sofort wieder zu verlöschen. ,, Warum ?“ Sie waren zurück in dem
kleinen Lager, das die Gruppe vor Jiys Rückkehr aufgeschlagen hatte. Einige Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und der morgendliche Wald hatte etwas Friedliches. Lediglich das Gezwitscher einiger Vögel durchbrach die fast vollkommene Stille. Der Gejarn seufzte entnervt. ,, Es macht mich lediglich nervös. Wie habt ihr uns überhaupt wiedergefunden?“ Sie hatte alles erklärt. Von ihrer Rückkehr zu den Clans des Herzlandes… bis zum Auftrag Fenisins. Den Auftrag, den sie niemals hätte ausführen dürfen. Die Erkenntnis war viel zu spät gekommen… Was hatte sie getan? Hatte sie wirklich geglaubt,
Kellvians Tod würde irgendetwas besser machen. Und dann gestand dieser unglaubliche, immer für eine Überraschung gute Narr ihr seine Gefühle. Wenn sie das bloß auf den Blutverlust schieben könnte, dachte Jiy. Mühsam schluckte sie die Tränen herunter. Es würde alles leichter machen. Sie wischte sich mit einem Ärmel ihrer Kleidung übers Gesicht. Getrocknetes Blut verklebte den Stoff mit ihrem Fell. Kellvians Blut… Das Blut eines Kaisers. Und am allerwichtigsten… das Blut von jemanden, den sie nie hätte verletzen dürfen. War das irgendein Witz, dass sie immer erst alles verlieren musste um es wirklich als das zu erkennen, was es war…
Ihr Bick wanderte durch das provisorische Lager zum Zelt des Sehers. Melchior hatte sich in den letzten Stunden nicht einmal sehen lassen. Jiy konnte es ihm nicht verübeln. Und ob sie dem Mann oder Zyle noch einmal in die Augen sehen würde können… ,, Es war nicht zu schwer euch zu Folgen. Auch wenn der Regen eure Duftspur fast weggewischt hätte…“ ,, Ihr könnt unserem Geruch folgen ? Ich habe schon Probleme, verschiedene Tiere auseinanderzuhalten…“ ,, Kellvians… vor allem.“ Zyle schüttelte den Kopf. ,, Ich verstehe weder euch noch Kellvian. Und ich bin mir ziemlich sicher, ich muss das auch
nicht. Menschen und Gejarn…“ ,,Wisst ihr, darüber zu sprechen ist das letzte was ich grade vorhabe.“ , erwiderte Jiy und hoffte, das das Gespräch damit endlich beendet wäre.,, Es gibt nicht viele Menschen in Laos, deshalb frage ich. Kommt so was öfter vor?“ ,, Nein… nicht so häufig. Eigentlich fast nie. Und dann musste mir der einzige Mensch über den weg laufen, den ich…“ Jiy hielt inne. ,,Es ist auch nicht mehr wichtig oder ? Ich hatte ein Versprechen gegeben… nie leichtfertig zu töten. Ich glaube ich verstehe erst jetzt warum. Ich… Verflucht, wenn ich einen Moment nachgedacht hätte… wenn ich ihm
zugehört hätte, einen Moment nur…“ ,, Geschehen ist geschehen.“ , meinte Zyle. ,, Ob ich das gut heiße ist die andere Frage, Aber ich respektiere Kellvian. Ich will ehrlich sein, das ist der Hauptgrund aus dem euer Kopf noch auf euren Schultern sitzt.“ Die Gejarn ließ lediglich den Kopf hängen. Sie hatte wirklich geglaubt Kellvian einfach töten zu können… Einen Augenblick lang. Lang genug um tatsächlich zuzuschlagen. Und das hatte gereicht. Das konnte einfach nicht sein und doch hatte es wenig Sinn, sich etwas anderes einzureden. Ein kurzer Moment nur… aber er hatte mehr zerstört, als sie sich jetzt schon eingestehen konnte.
Jiy warf den Ast in die Glut des Feuers, wo er sofort in Flammen aufging. Die Luft war empfindlich kalt geworden, aber sie spürte davon kaum etwas. ,,Und die anderen Gründe?“ , fragte sie, nur um die einsetzende Stille zu durchbrechen. Sie wollte mit niemanden reden. Aber hier sitzen, allein mit ihren Gedanken, das schien die schlimmere Alternative… ,,Ich habe vielleicht auch ein wenig Respekt vor euch. Und vor dem alten Seher. Ich verstehe zwar nicht wieso er nichts getan hat, aber ob ich mit sowas leben könnte… Er wusste die ganze Zeit was geschehen konnte, da bin ich mir sicher. Und doch… Hat er gehofft, ihr
würdet es nicht tun?“ ,, Wenn, dann wünschte ich, er hätte damit recht gehabt. “ Schweigen senkte sich erneut über das kleine Lager, während die letzte Glut des Feuers langsam erkaltete und verlosch. Blauer, klarer Himmel schimmerte zwischen den Blättern hindurch. Jiy stand auf, als sich die Kälte langsam doch bemerkbar machte. Wenn sie wenigstens irgendetwas zu tun hätte. Irgendetwas nur… Aber sie konnte nirgendwo hin. Sie wollte es auch nicht. Und was hatten sie und der andere Gejarn schon zu tun, als darauf zu warten, das Melchior zurückkam. Der Seher hatte sich nicht einmal die Mühe
gemacht, ein Wort mit ihr zu wechseln. Und seitheute Morgen hatten sie ihn nicht mehr gesehen. Jiy konnte das gut nachvollziehen. Sie hatte in der festen Absicht gekommen jemanden zu töten. Und jetzt blieb sie… allein durch Verzweiflung. Endlich jedoch wurde die Zeltplane vor der Unterkunft des Sehers beiseite geschlagen. Dunkle Ringe und müde Augen blickten ihnen aus dem Gesicht des Sehers entgegen und ließen ihn um Jahre gealtert wirken. Ohne ein Wort und ohne sie auch nur durch einen Blick zur Kenntnis zu nehmen, ließ sich der Mensch am kalten Feuer nieder. Zyle war der erste, der es wagte zu
sprechen. ,, Wie sieht es aus ? Ich meine… was machen wir jetzt?“ ,, Was glaubt ihr den ?“ , wollte Melchior wissen. ,, Nichts.“ ,, Es ist also… Er ist…“ ,,. Ich gebe euch keine Schuld Jiy. Wir sind alle nur Werkzeuge. Und wir sollten nicht versuchen mehr zu sein. Ich glaube gestern hat mich jemand daran erinnert.“ ,, Ich bin kein verdammtes Zahnrad, das nur hin und her schwing Seher, egal was ihr sagt.“ , erwiderte Zyle. ,, Das dachte ich auch mal… und vielleicht besteht nach wie vor diese Chance. “ Melchior sah endlich auf. ,, Kellvian lebt.“ Jiy glaubte zuerst sich verhört zu haben.
Das war unmöglich. Aber gleichzeitig machte ihr Herz einen kleinen Satz. ,, Was ? Dann… Ich muss nach ihm sehen. “ Melchior hielt sie mit einer Hand sanft zurück. ,,Aber grade noch so. Er hat so viel Blut verloren, das ich nicht mal weiß, was ihn grade eigentlich noch am Leben hält. Und ob er sich noch erholt… Wir bräuchten eigentlich einen Heiler aber die nächste Stadt ist mindestens drei Tagesreisen von hier. Und Kellvian zu bewegen steht momentan außer Frage.“ ,, Melchior bitte. Ich habe keine Ruhe bis ich… es nicht selbst gesehen habe.“ Er lebte. So unmöglich das klang, aber wenn die Chance
bestand… Der Seher schwieg eine Weile. Schließlich nickte er. ,, Geht. Ich glaube nicht, dass es viel schlimmer kommen kann.“ Er sah der Gejarn nach, die dankbar ebenfalls nickte und in Richtung der Zelte verschwand. Zyle , der bisher geschwiegen hatte, sah den Seher verwirrt an. ,, Melchior… er war tot, als wir ihn hergebracht haben. Da bin ich mir… fast sicher.“ ,, Glaubt ihr das weiß ich nicht ? Was ich gesagt habe stimmt. Ich habe nicht die geringste Ahnung warum er überhaupt noch atmet.“ ,, Hängt das damit zusammen… was er ist ? Ein Seelenträger
?“ ,, Möglich. Oder er ist einfach nur ein verdammt sturer Kerl. So oder so… Ich mache mir keine großen Hoffnungen. Wir müssen einfach abwarten. “ Als Jiy in das kleine Zelt trat , wusste sie nicht, was sie erwartet hatte. Jedenfalls nicht, was sie Vorfand. Der Geruch von Blut in der Luft war kaum zu ignorieren, genau so wenig, wie die Reglose Gestalt, die auf einer Bahre an der Rückwand lag. Ein rot verfärbter Verband zog sich über die gesamte linke Seite von Kellvians Körper. Die Haut des Mannes war viel zu bleich. Einen Augenblick lang fürchtete sie schon,
Melchior hätte sich geirrt… oder sich einen bösartigen Scherz erlaubt. Vielleicht seine Art der Rache. Wäre da nicht der Umstand, dass sich die Brust des vermeintlich Toten ganz unmerklich hob und senkte. ,, Kellvian ?“ Sie kniete sich vor der Liege auf den Boden. Jiy wusste, das es wenig Sinn hatte, überhaupt etwas zu sagen. Kellvian konnte sie unmöglich hören. Aber… es war besser als schweigen. Wenn er starb… Sofort schüttelte die Gejarn den Kopf, als wollte sie den Gedanken selbst wie eine lästige Fliege vertreiben. Das durfte sie nicht einmal denken. Zitternd strich sie Kellvian eine Haarsträhne aus dem
Gesicht. Die Haut, die sie berührte, erschien ihr Eiskalt. Der grüne Kristallsplitter, den er nach wie vor um den Hals trug glomm schwach im Halbdunkel. Ein langsames aufleuchten, das dem schwächer werdenden Herzschlag des Menschen zu folgen schien. Melchiors blauer Umhang lag zusammengefaltet am Fußende der Bahre. Sie griff danach und breitete den Mantel so gut es eben ging über Kellvian. Es gab ihr zumindest das Gefühl, irgendetwas zu tun. Wenn sie die Gabe des Menschen hätte wäre das alles kein Problem. Für einen Zauberer waren solche Verletzungen doch bestenfalls
Unannehmlichkeiten… Aber darauf konnte sie nicht hoffen. Es war grade ihr Volk, dem diese Gabe seit jeher versagt blieb. Das war nicht gerecht. Es war auch nicht gerecht, das Kellvian sterben sollte. Aber was war bitte jemals fair oder gerecht? Und doch, das er ausgerechnet jetzt sterben sollte… nachdem sie erkannt hatte… Wenn das ein Abschied war, dann musste sie das noch loswerden. Und sie musste einfach glauben, das Kell sie hören könnte. ,, Ahnen schaut mich an. Was mach ich hier?“ Jiy setzte sich mit dem Rücken zur Bahre. Warum Kellvian ? Warum
hatte ausgerechnet sie über das Lager eines ausgerissenen… Kaisers stolpern müssen? Nein das war verkehrt. Sie wäre nicht nur gestorben, wenn sie nicht dieses Glück gehabt hätte… Und selbst, wenn sie die Chance hätte, dachte Jiy. Sie würde nichts ändern. Die paar Wochen, die sie mit Kellvian durch die Herzlande gereist war… die Zeit in Vara... Sie würde das nicht vermissen wollen. Das waren schöne Zeiten gewesen, egal wie es nun aussah. Wenn sie ihm zugehört hätte, wenn Kellvian früher etwas gesagt hätte… Götter, sie verstand es jetzt endlich. Wieso er solche Angst gehabt hatte ihr die Wahrheit zu sagen… Und dass diese
Furcht unbegründet gewesen war, machte nichts besser. ,, Ich weiß es jetzt. Du verfluchter Narr du… Du hattest Angst. Angst was ich sagen könnte. Wie ich reagieren würde… Und verdammt, ich habe genau das getan, was du gefürchtet hast, nicht? Und mehr. Wegen mir werden sich die Clans und das Kaiserreich noch gegenseitig zerreißen…“ ,, Wir sind beide ziemlich dumm gewesen, oder ?“ Jiy sah auf. Hatte Kellvian grade wirklich gesprochen? Die Augen des Menschen waren nach wie vor geschlossen… Also hatte sie sich geirrt. Und möglicherweise würde Kell die Augen auch nie wieder öffnen. Wegen
ihr… ,, Ich würde das nie sagen wenn du wach wärst. Ich weiß ja nicht einmal wieso… Du warst doch nur ein seltsamer Mensch, der nicht wusste wohin. Was ist auf dem Weg passiert?“ Jiy kannte die Antwort. Als sie sich schließlich dazu überwand zu sprechen, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. ,,Ich habe angefangen dich zu mögen. Und jetzt… Ich liebe dich. Was auch immer passiert, daran kann ich nichts mehr ändern. Und was würde ich geben um dir das ins Gesicht sagen zu können…“ Die Gejarn stand auf. So gerne sie bleiben würde, es brachte nichts. Besser,
wenn Melchior sich weiter um Kell kümmerte. Jiy konnte dem Seher jetzt nur vertrauen… Der Rest des Tages zog sich schleppend dahin. Niemand schien wirklich dazu aufgelegt, irgendetwas zu tun. Mehr aus Gewohnheit verarbeitete Melchior die wenigen Vorräte, die sie noch hatten zu Suppe. In den wenigen Stunden, die er nicht damit beschäftigt war, Kellvians Verbände zu wechseln war der Seher nach wie vor wortkarg und schweigsam. Und auch Zyle war nicht wirklich besser gelaunt. Selbst, wenn er sich Mühe gab, das zu verbergen, dachte Jiy. Der Gejarn versuchte offenbar, möglichst Gleichgültig zu wirken, was ihm aber
immer nur dann gelang, wenn er glaubte, sie wären in Hör oder Sichtweite. Seine gemurmelten Flüche entgingen jedoch weder Jiy noch Melchior.