©roxanneworks 2012
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Die Kurzgeschichte ist erschienen im
© net-Verlag, Cobbel Printed in Hungary ISBN 978-3-942229-81-4
Copyright-Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin 07.05.2012
Ich fuhr vom Norden in die Stadt, durch das afrikanische Viertel, den Champs Elysees hinunter, bis zur Place de la Concorde. Mit Todesverachtung durchquerte ich den achtspurigen Kreisverkehr, bewunderte nebenbei das Riesenrad, das in der Mitte aufgebaut war, und lenkte das Auto weiter über verschiedene große Boulevards bis zur Pont Neuf. Dort stellte ich das Auto ab und ging hinunter an die Seine. Der Fluss lag träge und dunkel da. Einige Ausflugsboote fuhren noch mit vielen bunten Lampions beleuchtet unter den unzähligen Brücken von Paris hindurch und zeigten den Touristen eine Seite der Stadt, die an Schönheit kaum zu überbieten war. Auf einer der zahlreichen Bänke nahm ich
Platz und ließ diese berauschende Szenerie auf mich wirken. Es wurde langsam kühl, die Sonne ging gerade unter, und die Türme von Notre Dame glänzten in der Abendsonne. Hier, wo Paris geboren wurde, war die große Faszination dieser Stadt am deutlichsten zu spüren. Mit ein wenig Fantasie konnte man sich heute noch den Glöckner vorstellen, wie er auf der Empore der Kathedrale kauerte, um Schaustellern zuzuschauen, die auf dem Platz vor der Kirche sangen und spielten. Mit geschlossenen Augen genoss ich die letzten warmen Strahlen auf meinem Gesicht und hörte den leisen Er-zählungen des Flusses zu. Die Bilder meiner Erinnerungen kamen ganz von allein zurück und entführten mich in eine vergangene, glückliche Zeit...
*** Tom hatte sich auf der Bank ausgestreckt, lag mit seinem Kopf in meinem Schoß und döste. Gedankenverloren strichen meine Finger durch sein braunes Haar, das sich hinter seinen Ohren in kleinen Locken kringelte. Wir waren wirklich zusammen hier. Ich konnte es immer noch nicht fassen, aber es gab keinen Zweifel daran, und ein breites Lächeln eroberte mein Gesicht. Am Morgen waren wir losgefahren, ganz spontan war diese Entscheidung am gestrigen Abend während unseres Telefongespräches gefallen. Paris ist immer eine Reise wert, hatte er gesagt. Wir wollten unserem Gefühl folgen und erfahren, wohin es uns führen würde. Seit wir uns vor ein paar Tagen zufällig
in einem Lokal entdeckt hatten, war dieser Augenblick, denn mehr war es nicht, in unserem Gedächtnis eingebrannt. Ich hatte beim Verlassen des Lokals meine Telefon-nummer auf einen Bierdeckel gekritzelt und neben seinen Teller geschoben.
Nicht, ohne ihm dabei mein schönstes Sonntagnachmittagsausgehlächeln zu schenken und möglichst verführerisch den Raum zu verlassen. Es hatte Wirkung gezeigt, denn zwei Tage später rief er mich an, und nun befanden wir uns zusammen in der Stadt der Liebe, um herauszufinden, ob es vielleicht mehr als ein kleiner Funken dieses großen Gefühls war, der uns zueinander trieb. Tom bewegte sich, griff nach meiner Hand, die immer noch mit seinen
Haaren spielte, und hielt sie sanft fest. Er schenkte mir ein unglaublich verführerisches Lächeln, zog meine Hand an seine Lippen und küsste jeden einzelnen meiner zittrig werdenden Finger mit liebevoller Hingabe. Dies war einer der Augenblicke, die ich nie wieder vergessen würde. Wir suchten uns ein kleines Lokal ganz in der Nähe, mit einem atemberaubenden Blick auf die alten Mauern der Stadt, die von der untergehenden Sonne in eine wundervolle goldene Farbe getaucht wurden. Wir tranken Wein, waren längst schon dazu übergegangen, uns bei den Händen zu halten, und spürten beide die Magie in jeder Berührung. Nach unendlich vielen liebevollen Blicken küsste er mich, unglaublich zärtlich, und es berührte mich tief.
Auf eine seltsam vertraute Weise hatte jeder Kuss etwas Unausgesprochenes und ein Versprechen auf mehr... *** Ich schlenderte zum Auto zurück. Meine Anwesenheit hier war eine Reise in die Vergangenheit und in meine verlorene Gegenwart. Ich musste mich finden ... irgendwo. Dieses positive Lebensgefühl, das die Menschen in sich trugen und zu dieser Stadt gehörte, übertrug sich auch auf mich. Es war spät geworden, und ich fühlte mich auf eine ganz seltsame Weise berührt. Seit sehr langer Zeit hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, in Gedanken bei Tom zu sein, ohne die bohrenden Fragen nach dem Warum, die sich kontinuierlich in mein Bewusstsein fraßen
und mich in einer zermürbenden Weise auflösten. Heute war ich unseren Weg noch einmal gegangen, und es machte mich auf eine unerklärliche Weise zufrieden. Ganz langsam stellte sich eine innere Ruhe ein, und als ich endlich im Bett lag, glücklich lächelnd und völlig ruhig, waren es die Augen von Tom, die ich als Letztes sah. Die Sonne schien warm durch das kleine Zimmerfenster. Es war das gleiche Hotelbett wie damals, und die Bilder kamen nun ungefragt zurück... *** Es war schon spät, und eigentlich sollten wir müde sein, doch Tom noch ich dachten nicht an Schlaf. Wir fuhren durch die erleuchtete Stadt, die den Eindruck machte, genau wie wir nicht müde werden zu wollen. Als wir das
Hotel erreichten, war es nach Mitternacht, und der Portier gab uns die Schlüssel für unsere Zimmer, die im zweiten Stock des in die Jahre gekommenen Hotels lagen. Es war ein wunderschöner Tag gewesen. Wir waren uns nahe gekommen, doch nun hieß es, wenn auch nur für kurze Zeit, nur einen Traum lang, Abschied zu nehmen und sich auf das zu freuen, was noch vor uns lag. Tom nahm mich in seine Arme, hielt mich ganz sanft und warm. Es war der Kuss, den wir tauschten, der uns beiden versprach, dieser Weg zueinander hatte erst begonnen.
Es war kurz nach neun an diesem neuen Morgen. War er schon wach? Ungeduldig sprang ich unter die Dusche, zog mich an und packte in Windeseile meine Reise-
utensilien zusammen. Mich verlangte danach, endlich an die Tür der Person zu klopfen, die mir auch in meinem Traum mit seinem warmen Blick die Ruhe geraubt hatte. Gemeinsam stiegen wir die Treppe mit den ausgetretenen Stufen hinunter bis in die Halle. Der Speiseraum lag im hinteren Teil des Hauses, und alles hier wirkte sehr nostalgisch! Dafür wurden wir mit einem hervorragenden, typisch französischen Frühstück mit Croissant und Milchkaffee entschädigt. Nach der Devise: Der Weg ist das Ziel, fuhren wir los, vorbei an Wiesen und Wäldern, dem Meer entgegen. Tom hatte den Sitz ganz zurückgeschoben, die Rückenlehne in eine halbhohe Position gebracht und
machte es sich jetzt neben mir gemütlich. Er wirkte total entspannt, ganz im Gegenteil zu mir. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals so unentspannt gewesen zu sein. Am Nachmittag kamen wir dann gut gelaunt in Bretignolles sur Mer an. Die Luft roch nach Salz und Meer, die Möwen kreischten, und es blies ein kräftiger Wind. Das Haus, das wir uns in dem kleinen Touristenbüro mieteten, lag direkt oberhalb der Klippen und gab einen herrlichen Blick auf den Atlantik frei. Wir standen nun beide auf der Terrasse und schauten auf das Meer hinaus. Die Sonne stand schon niedrig über dem Horizont und färbte den Himmel in wunderschöne Rottöne ein. Tom hatte die Hände tief in den Hosen-taschen seiner Jeans vergraben, und sein
sehnsüchtiger Blick ging hinaus in die Ferne. Ich betrachtete sein Profil, seine Augen, die er etwas zusammenkniff, seine gerade Nase und seine Lippen, um die sich ein leichtes Lächeln kräuselte. »Fernweh?«, fragte ich ihn. Er nahm mich in seine Arme, küsste meine Stirn und murmelte ganz leise:» Mmh, habe ich immer, wenn ich am Meer bin.« Ich konnte gar nicht anders, als ihm mein Herz zu öffnen. Alles an diesem Mann wirkte wie eine Droge, die mich sanft stimulierte und auf magische Weise zu ihm zog. Jede Bewegung, jedes Wort und jeder Gedanke war wie nach Hause kommen. Es gab kein richtig oder falsch, nichts blieb ungesagt, nichts blieb ungehört...
*** Eine warme Welle floss durch meinen Körper. Ich glaubte, ihn spüren zu können, atmete seinen Geruch, und jede Faser meines Körpers sehnte sich nach seinen Händen. Was würde ich darum geben, ihn noch einmal spüren zu können, nur noch einmal seine Lippen zu berühren! Sein Mund hatte mich unzählige Male geküsst, und es war jedes Mal ein unbeschreibliches Erlebnis gewesen. Wir verloren uns in diesen Küssen.
Die Welt verschwand einfach, wurde seltsam unscharf, und überwältigende Gefühle durchströmten uns in einem zauberhaften Taumel aus Glück.
Das schwierigste Stück meines Weges lag noch vor mir, aber wenn ich jetzt nicht
weitergehen würde, wenn ich hier Halt machen würde, käme ich niemals über das hinweg, was damals geschehen war. Bei dem Gedanken wurde mir das Herz schwer... *** Wir aßen in einem kleinen Restaurant direkt an den Klippen zu Abend, und gingen noch hinunter an den Strand. Ich liebte es, am Wasser spazieren zu gehen, den Wind auf der Haut zu spüren und der unbändige Kraft der Gezeiten zu lauschen, die in immer gleicher Melodie des Meeres zu uns klang.
Der Mond versteckte sich hinter einer Wolkenwand und lugte nur ab und an hervor. In diesen Momenten glitzerten die Sterne auf der Wasseroberfläche wie Abermillionen von Diamanten. Es begann zu regnen.
Die Tropfen fingen sich in meinen Wimpern, hingen wie Perlen in meinem Haar und einige von ihnen verloren den Halt, liefen mir sanft über Stirn und Wangen, um sich dann für immer aufzulösen. Tom schaute in meine Augen und folgte mit seinem Finger zärtlich den kleinen Rinnsalen, bis er schließlich an meinen Lippen verweilte. Mit seinem Daumen zeichnete er hauchzart die Konturen nach. »Das ist ein wundervoller Mund, meine Süße. Ich glaube, du hast nicht die geringste Ahnung, wie sehr mich diese roten Lippen verführen«, flüsterte er und küsste mich mit einer Hingabe, dass mir die Knie weich wurden. »Wir sollten zum Haus zurückgehen und Feuer im Kamin anzünden«, meinte Tom und
zog mich ganz dicht an seine Seite. Klitschnass kamen wir am Haus an und schüttelten uns lachend vor der Tür wie junge Hunde. Nach einem Duschbad fühlte ich mich wieder wohlig warm und freute mich auf das anheimelnde Knacken des Holzes im
Kamin. Wir saßen auf dem Fußboden, lehnten an der Sitzfläche des alten Sofas, schauten verzückt in die Flammen und genossen den Cabernet. Ich hörte Tom zu, was er mir aus seinem Leben zu erzählen hatte. Es war aufregend zu erfahren, wer er war. Wenn er über sein Musikerdasein redete, leuchten seine Augen, und etwas in ihm strahlte eine Kraft aus, die nur entstehen kann, wenn man etwas wirklich liebt. Mir wurde in diesem Moment klar, dass es eben
diese Fähigkeit zur Leidenschaft war, die ich in allem spürte, was er tat. Es erstaunte mich gar nicht, wie ähnlich wir uns waren und wie sehr sich die Intensität des Gefühlerlebens glich. Ich konnte nicht anders, als sein Gesicht in meine Hände zu nehmen und ihm ganz zärtlich seine Wangen zu streicheln. Verträumt zeichnete ich die Kurven seines Mundes nach. Langsam und zurückhaltend begannen meine Lippen, mit seinen zu spielen, sie zu locken, bis er meinen Kuss rückhaltlos erwiderte. Wir wussten beide intuitiv, dass es für alles im Leben den richtigen Moment gab, und dieser eine Moment war noch nicht gekommen. Die Nacht war schon weit fortgeschritten, als ich erwachte. Mir war kalt, ich fühlte mich allein.
Ohne nachzudenken stand ich auf und ging in das Zimmer nebenan. Sein Atem war langsam und regelmäßig. Ich horchte in die Stille hinein und betrachtete den Mann, der dort so friedlich lag, nicht ahnend, dass eine frierende Frau vor seinem Bett stand. Etwas sagte mir, dass es falsch war, zurück in mein Zimmer zu gehen und nicht das zu tun, was das Herz verlangte. Und mein Herz wollte zu ihm. Ich hob die Decke ein wenig an und schlüpfte ins warme Bett. Ohne ein Wort zu sagen streckte Tom seinen Arm nach mir aus und zog mich zu sich herunter. Mein Kopf lag an seiner Schulter, und seine starken Arme umschlossen mich fest. An diesem Platz, oberhalb seines Herzens, fühlte ich mich wohl – hier war ich zu Hause.
Meine Hand wanderte noch unsicher bis zu seinem Bauch und blieb dort bewegungslos liegen. Schläfrig hörte ich seinem Herzschlag zu. Nichts an dieser Situation fühlte sich fremd an, nichts war falsch, und ich hatte das Gefühl, endlich angekommen zu sein... *** Hier stand ich – mein Herz schlug mir bis zum Hals – und schaute mit tränennassem Gesicht in die Ferne, ohne jedoch etwas Konkretes wahrzunehmen. Wie lebendig die Erinnerungen doch waren! Und ich hatte gehofft, dass es anders wäre! Würde ich jemals begreifen, warum dieser eine Mensch, der mir so viel bedeutete, sterben musste? Vielleicht war es egoistisch, ihn für immer an meiner Seite haben zu wollen. Vielleicht hatte
alles einen höheren Sinn, der sich mir nur niemals offenbarte, egal, wie lange ich darüber nachdachte. Nie wieder! , schrie es in mir. Nie wieder würde er bei mir sein! Der Druck in meiner Brust schwoll noch an, kroch mir den Hals herauf, und ich glaubte, ohnmächtig werden zu müssen. Eine Weile später hatte ich mich wieder etwas beruhigt. Die Sonne würde spätestens in einer halben Stunde hinter dem Meer versunken sein. Ich legte mich auf das Bett, rollte meinen Körper eng in eine Wolldecke ein und blickte zum Fenster hinaus auf den roten Feuerball und wartete. Wie immer, wenn mich nichts mehr abzulenken vermochte, kamen die Bilder aus der Vergangenheit zurück und füllten die Zeit, bis der Schlaf mich erlöste...
*** Der Morgen danach. Ich hörte sein Herz dicht neben mir schlagen, fühlte die Wärme seiner Haut und wollte mich nicht bewegen. Es war ein sehr friedlicher Moment für mich, noch den Träumen nachhängend und den neuen Tag erwartend. Die Zeit verschwamm in den Minuten zwischen Schlafen und Wachen. »Guten Morgen, hast du gut geschlafen? « fragte er noch ein wenig schläfrig, lächelte verschmitzt und rieb sich die Augen. »Komm her zu mir, mein Engel! Das morgendliche Kuschelritual sollten wir nun auch zelebrieren – wo du schon mal da bist«. Er lachte, zog meinen Kopf zu sich heran und küsste mich mit einer berauschenden Mischung aus Zärtlichkeit und Verlangen. Viele Küsse und
Kuscheleinheiten später rüsteten wir uns mit einem ausgiebigen Frühstück für den Tag. Ein ausgedehnter Strandspaziergang stand auf dem Programm, und später wollte Tom noch in den kleinen Laden am Hafen, um sich ein Surfbrett und das nötige Equipment auszuleihen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, morgen in der Brandung vor den Klippen die Wellen zu bezwingen. Der Wind wehte kräftig und trug den Duft des Ozeans in seinem Atem. Jeder Kuss schmeckte nach Salz, jeder Blick und jede Berührung sprach von dem unbändigen Verlangen, endlich den einen Schritt weiterzugehen und uns die Erfüllung zu schenken, nach der wir uns so sehr sehnten. Es lag ein Versprechen in jeder Geste, in jedem Wort, das wir uns nicht
sagten. Das heiße Wasser der Dusche war herrlich. Ich hatte gerade meine Haare mit Shampoo eingeschäumt, als der Vorhang zur Seite geschoben wurde, und Tom sich zu mir unter den Wasserstrahl drängelte, als wäre es das Normalste von der Welt. Er nahm sanft meine schaumbedeckten Hände, die wie erstarrt ihre Arbeit eingestellt hatten, aus meinen Haaren und begann, die Kopfhaut zu massieren. Sein warmer Blick und dieses Lächeln sprachen Bände. Hände glitten meinen Nacken hinunter, kneteten sanft die Rundungen der Schultern, und hangelten sich in kreisenden Bewegungen langsam die Wirbelsäule entlang. Leicht berührten sich unsere Körper. Meine Brustwarzen kitzelten zart seine Haut, und allein diese hauchzarte
Berührung verursachte prickelnde Schauer, die mich bis ins Mark erschütterten.
Als seine Finger anfingen, meinen Po liebevoll zu verwöhnen, gab es für uns keine Zurückhaltung mehr. Haut drängte sich an Haut, Hände suchten und fanden all die hungrigen Orte, die sich willig unseren Liebkosungen ergaben. Wir ertranken in endlosen feuchten Küssen, die drei Tage lang andauerten... *** Ich schlug fast panisch die Augen auf. Da war wieder dieser Geruch nach seinem Aftershave! Konnte man in die eigene Gedankenwelt so tief eintauchen, dass Gerüche wahrhaftig wurden? Ich zog mir die Decke enger um den Körper, kreuzte meine
Arme vor der Brust und versuchte vergeblich die Gänsehaut loszuwerden, die sich wie von Geisterhand auf meinem Körper ausbreitete. Von diesen seltsamen Momenten hatte es viele gegeben in dem vergangenen Jahr. Anfangs machte es mir Angst, und ich dachte ernsthaft darüber nach, ob die Möglichkeit bestand, ganz allmählich den Verstand zu verlieren.
Der Mond stand schon hell am Himmel und erzeugte seltsame Schattengemälde an den Wänden des Zimmers. Ich musste mich aufraffen, um noch etwas essen, denn mir war schon richtig schlecht vor Hunger. Gedankenverloren steckte ich ein belegtes Baguette in den Mund, trank Bier aus der Flasche und dachte daran, wie viele zauber-
hafte Stunden wir hier verbracht hatten. Ein breites Lächeln machte sich in meinem Gesicht breit und ein Hauch von Schamröte... *** Die Welt um uns herum existierte nicht mehr. Nach zärtlichem, schaumüberzogenen Vorspiel verließen wir das Bad, um uns Richtung Schlafzimmer vorzutasten. Es war ein nicht enden wollender Weg, nur unterbrochen von sinnlichen Küssen und Spaziergängen auf Ebenen, Tälern und Hügeln unserer heißen Haut. Stück für Stück kamen wir unserem Ziel näher – in jeder nur erdenklichen Weise. Wir hätten uns auch zu jeder anderen Zeit, an jedem anderen Ort in jedem Leben gefunden. In unseren Seelen waren wir eins: ein Fühlen, ein Wollen, eine
Angst. Wie in einem Ozean, der nach oben hin kein Ende hatte, oder wie beim Fallen ins Bodenlose. Wir kannten beide diese Gefühle, hatten sie durchlebt, die Intensität gespürt und uns geängstigt. Das sollte von nun an vorbei sein. Wir hatten uns gefunden. Wir waren wie die Jupiterringe. Eng umschlungen lagen wir im Bett und schauten durch das Fenster in den Sternenhimmel.
»Ich habe gewusst, dass es so sein würde«, flüsterte Tom dicht an meinem Ohr. Meine Härchen im Nacken reagierten prompt. »Ich auch «, sagte ich leise und küsste ihm zärtlich das Fleckchen Haut, unter dem sein Herz schlug. »Süße, ich habe mich noch niemals zuvor so glücklich gefühlt. Ich weiß, das muss kitschig
klingen, aber es ist genau so, wie ich sage. Es ist Nirwana mit dir.« Ich schaute in seine Augen und sah, dass er jedes Wort gefühlt hatte, es ging mir nicht anders. »Ich liebe dich«, flüsterte er an meinem Nacken. Es war das Letzte, was ich hörte, bevor ich einschlief... *** Mein Herz hämmerte wie verrückt in meiner Brust. Meine Gedanken sonnten sich in den berauschenden Bildern, und ich vergaß für kurze Zeit, dass es der Anfang unseres Endes war. Wenn es etwas gab, für das ich in meinem Leben dankbar sein konnte, dann dafür, dass er mir begegnet war. Wie viele Menschen durften wohl eine solche Liebe kennenlernen? In dieser Nacht schlief ich
sehr unruhig, und als ich erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Die linke Seite des Bettes war unbenutzt, und dennoch hatte ich das seltsame Gefühl, dass etwas Merkwürdiges vor sich ging. Vielleicht lag es an den Erinnerungen, und doch verspürte ich auch jetzt wieder das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich verließ das Haus und joggte die Küstenstraße entlang, quer über den Strand bis hinunter ans Meer. Hier blieb ich stehen und versuchte keuchend, Luft in meine schmerzenden Lungen zu pumpen. Es mussten die Eindrücke sein, die mir einen Streich spielten, indem das Unterbewusstsein mir Dinge suggerierte, die einfach nicht real sein konnten. Langsam beruhigte ich mich, und das Luftholen fiel mir leichter. Mein Blick
suchte den Horizont ab und sah weit draußen auf dem Ozean eine tiefhängende, dichte Wolkenfront, die sicher bald Regen ans Festland bringen würde. Es waren noch einige Surfer auf dem Wasser, die mit der Flut und dem Wind um die Wette kämpften... *** Kaffeeduft kroch mir in die Nase, und schon spürte ich dieses unbeschreiblich schöne Gefühl auf meinen Lippen, das sich mit nichts vergleichen ließ. Tom küsste mich wach, und in dem Strudel der Gefühle wurden wir fortgerissen in eine andere Welt, weit außerhalb der Realität, in deren Kosmos nur wir existierten. Der Kaffee war lange kalt geworden, als wir uns entschlossen, das Bett zu verlassen und
uns kopfüber in den Tag zu stürzen. So vergingen unsere Tage, an denen wir liebten und uns entdeckten - in jedem Licht. Die Zeit dazwischen füllten Geschichten aus unserem Leben, und auch in den Stunden der Zweisamkeit war Nähe und Vertrautheit in jedem gesprochenen Wort und in jedem Schweigen spürbar. Wir hatten etwas gefunden, das viele Menschen suchen, aber nur wenigen zuteil wurde. Eine Liebe, die scheinbar keine Grenzen zu haben schien. Jeden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, ging Tom zum Meer hinunter, um mit den Wellen zu tanzen. Später dann lag er dicht gekuschelt neben mir, und wir folgten der Sehnsucht unserer Körper. Das Erwachen an diesem Morgen war anders als gewohnt. Die
Wärme, die ich für gewöhnlich an meinem Rücken spürte, fehlte, und ich schaute irritiert auf meine Armbanduhr. Es war schon nach neun, und draußen stürmte es. Regen trommelte gegen die Fensterscheiben, und ich zog mir fröstelnd die Bettdecke bis zur Nase hoch. Wo war er nur? Normalerweise müsste Tom schon längst zurück sein. Irgendwie hielt ich es im Bett nicht mehr aus und wartete in die Küche auf ihn. Aber Tom kam nicht. Es war jetzt halb elf, und ich machte mir inzwischen große Sorgen. Ich zog mich an und ging hinunter an den Strand. Nichts. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Der Strand war wahrscheinlich wegen des miesen Wetters so menschenleer. Die gesamte Länge dieses Strandabschnittes
hatte ich schon abgesucht und mir blieb nur noch oberhalb der Klippen nachzuschauen. Irgendeinen An-haltspunkt musste ich doch finden. Und dann sah ich seine Sachen: Auf einem Klippenvorsprung lagen sein Rucksack, seine Jacke, seine Schuhe und ein Handtuch. Er hatte alles mit Steinen beschwert, damit der Wind es nicht ins Meer wehte. Plötzlich ergriff mich Panik. Mir wurde schlagartig bewusst, was das bedeutete! Tränen strömten über mein Gesicht, und ich sackte auf meine Knie, weil meine Beine mich nicht mehr tragen wollten. Ich wusste nicht, wie lange ich kniend auf den Klippen verbracht hatte, doch irgendwann drang eine Stimme in mein Bewusstsein. Langsam drehte ich meinen Kopf und erkannte einen
Mann, der geradewegs auf mich zukam. Der Wind peitschte den Regen in mein Gesicht, und ich konnte kaum verstehen, was er mir sagte. Wild gestikulierend schrie ich den Mann fortwährend an: »Er ist noch da draußen! Er ist noch auf dem Meer! « Tränen strömten mir in salzigen Sturzbächen über die Wangen und vermischten sich mit den Regentropfen auf meinem Gesicht. Der Mann verstand endlich, was ich ihm zu sagen versuchte, und forderte sofort die Polizei und die Wasserwacht an. Seine Augen suchten wie gebannt die Wasseroberfläche ab, fanden aber keinen Anhaltspunkt – nichts! Als die Rettungskräfte eintrafen, ging alles ganz schnell. Ich wurde in das Krankenhaus der benachbarten Stadt gebracht, wo man
mich sofort mit Medikamenten ruhig stellte. Den Rest des Tages und auch die Hälfe des nächsten Vormittags erlebte ich in einem Dämmerzustand. Erst als Polizisten in meinem Krankenzimmer auftauchten, wurde mir wieder bewusst, was passiert war. Auch an diesem Tag konnten sie keine Antworten bekommen, denn mein Geist verweigerte sich, der Realität ins Auge zu sehen. Im Beisein der Beamten kam der nächste Nervenzusammenbruch und erst Tage später war mein Zustand medizinisch so stabil, dass ich alle Fragen beantworten konnte. Die Beamten teilten mir mit, dass Tom weiterhin vermisst wurde. Die Suche im Wasser war nach zweiundsiebzig Stunden eingestellt worden, und auch die Fahndung an Land
verlief seit mehreren Tagen ohne Erfolg. Keiner sprach es aus, doch es schwang in jedem Satz mit. Sie hatten bis jetzt noch nicht den Verdacht ausgesprochen, dass Tom tot sein könnte. Also tat ich es. Ja, sie gingen davon aus, dass er beim Surfen ertrunken war. Die schlechten Wetterverhältnisse und die Strömung ... Ich wollte nichts mehr hören, ich wollte nur noch allein sein! Allein ... dieses Wort bekam plötzlich eine ganz neue Bedeutung für mich... *** Ich wischte mir die Tränen ab. Inzwischen hatte die Wolkenfront das Festland erreicht, und der Himmel weinte – ebenso wie ich. Damals fuhr ich nach mehr als zwei Wochen Krankenhausaufenthalt nach Deutschland
zurück. Ohne ihn. Mein Leben hatte sich über Nacht verdunkelt. Ich lebte in einer nicht enden wollenden finsteren Zeit, in der es kein Morgen gab. Monate hatte ich gebraucht, um zu begreifen, dass Tom nie wieder zu mir zurückkommen würde. Das Schicksal ist ein mieser Verräter! Ich dachte an unserer letzten gemeinsamen Nacht. Merkwürdig, aber heute kamen mir seine Worte tatsächlich wie ein Abschied vor. »Was auch immer passiert, meine Süße, du darfst niemals vergessen, wie sehr ich dich liebe. Ich habe schon mein ganzes Leben lang auf dich gewartet, das musst du mir einfach glauben. Dieses Glück, das ich mit dir empfinde, macht mir manchmal Angst. Es gibt Momente, da erwische ich mich dabei, wie
ich darüber nachdenke, ob ein Mensch so viel Glück überhaupt verdient hat«, hatte er gesagt. Zurück im Haus setzte ich mich in die Küche und schrieb einen Brief. Ich wollte Tom eine Nachricht hinterlassen und ihm Lebewohl sagen.
Meine einzige Liebe, die Zeit vergeht so unendlich langsam. Zäh fließen die Tage dahin, und alles Schöne ging mit Dir verloren. Du fehlst mir so sehr – mehr, als ich es Dir jemals sagen kann. Überall suche ich Dich, fühle Dich, kann Dich noch riechen und wünschte mir so sehr, Du wärest noch hier bei mir. Manchmal kann ich nicht mehr atmen, so sehr schmerzt mein
Herz. Und immer, immer wieder schreit es tief in mir: Warum? Ich sehe deine Augen, höre dein Lachen, und manchmal spüre ich dich so stark, dass es mir fast Angst macht. In diesen Momenten habe ich das Gefühl, dass alles nur ein böser Traum ist und du gleich wieder vor mir stehst, mich in deine Arme nimmst und mir die Tränen von der Wange wischst. Ich brauche dich so sehr, so sehr ... Ich weiß, ich werde lernen müssen, ohne dich zu leben, bis zu dem Tag, an dem wir uns wiedersehen. Die meisten Menschen suchen ein Leben lang nach der Erfüllung, die ich in dir gefunden habe. Ich bin dankbar für diese Zeit mit dir und dafür, dass ich deine Liebe erfahren durfte. Mein Herz bewahrt unsere Gefühle, und ich nehme
dich mit in meinen Tag und in meine Nacht, für immer! Du, meine einzige Liebe. Der Regen hatte aufgehört, und letzte matte Sonnenstrahlen, die der untergehende, rote Ball auf die Meeresoberfläche legte, ließen das Wasser im Wellenspiel funkeln. Noch einmal schaute ich lange auf die endlose Weite des Horizontes, wartete auf ein Zeichen, vielleicht auf einen Fingerzeig des Himmels, der mir sagte, dass es richtig war, was ich tat. Ich bekam keine Antwort. Alles, was ich fühlte, war eine große Traurigkeit, die mich einhüllte – mir den felsigen Boden unter den Füßen entzog. Der Wind frischte auf, spielte mit meinem Haar, und für Bruchteile von Sekunden glaubte ich das kehlige
Lachen von Tom zu hören.
Ich warf die Flaschenpost an ihn mit Schwung weit ins Meer.
»Ruhe sanft, du meine einzige Liebe! «, flüsterte ich, und etwas in mir spürte, dass ihn meine Botschaft erreichen würde.
Tintenklecks ein feines Stück leidenschaftlicher Liebe in Worte gefasst wie ein Brilliant in einen goldenen fein geschmiedeten Ring, der die Trägerin schmückt und als Erinnerung an die Tochter und die Enkeling weitergereicht, ein heiliges Erbe, ein Versprechen, dass es wahre Liebe gibt lg der Tintenklecks |
AngiePfeiffer Ach, so schade, dass ich diesen Text schon bewertet habe ... So bekommst Du ein Favo auf dem Papier, sozusagen. Auch bei mehrmaligem Lesen toll meint Sunshine |
roxanneworks Liebste, nimm mich zu Dir, halte mich, laß Dich nicht beirren, die Tage werfen mich hin und her, bringe Dir zu Bewußtsein, daß du niemals reine Freude von mir haben wirst, reines Leid dagegen soviel man nur wünschen kann, und trotzdem - schick mich nicht fort. Mich verbindet nicht nur Liebe mit Dir, Liebe wäre wenig, Liebe fängt an, Liebe kommt, vergeht und kommt wieder, aber diese Notwendigkeit, mit der ich ganz und gar in Dein Wesen eingehakt bin, die bleibt. Bleibe auch, Liebste, bleibe! Franz Kafka (3, 151), Brief an Felice Bauer, 19. Januar 1913 Liebe Grüße und herzlichen Dank roxanne |
roxanneworks Nun, da lebten wohl zwei Seelen in seiner Brust...;-)) LG roxanne |
roxanneworks Diese eine Liebe zu erleben, wenn auch nur kurz, kann ein ganzes Leben füllen und unendlich kostbar machen.... Ganz liebe Grüße und HERZlichen Dank für alles roxanne |