Beschreibung
Schon aus Gründen des feministischen Sprachdiktates, dem sich kein männlicher Autor norddeutscher Herkunft folgenlos entziehen könnte, hier nun die andere Seite des Himmels. Fairerweise wird auch diesem Ich breitester Raum eingeräumt, frei nach dem Motto :"Walk a Mile in my Shoes... ."
Ich empfehle, den Text in der Reihenfolge zu lesen. Viel Spaß !
Titelbild :Chinesisches Pu Geld aus Bronze (Sing Mang Periode der Han Dynastie)
Photo: Roger McLassus
Lizenz : GNU Free Documentation License
Vorspiel zwei: Ein armes reiches Mädchen
Sie werden das sicher kennen.Es gibt Tage, die fangen übel an und steigern sich mit jeder Stunde.
Der letzte Dienstag war so ein Tag. Der Abend zuvor war zu lang, die Nachtruhe also zu kurz und der Morgen entsprechend hektisch gewesen. Erst auf dem Weg zur Uni fiel mir siedendheiß die anstehende Klausur wieder ein und nach vier Stunden Arbeit über die mathematischen Grundlagen thermodynamischer Prozesse in selbstregulierenden Hochdruckregelkreisen war ich eigentlich völlig am Ende.
Warum hatte ich mir auch unbedingt dieses Studium aussuchen müssen, anstatt Germanistik und Lehramt zu wählen ? Nicht nur die leicht belustigten Blicke der Kommilitonen, die sich immer noch sehr schwer vorstellen können, warum eine Frau, die keine Gesundheitsschuhe trägt, nicht total verpickelt oder übermäßig fett ist, unbedingt Kraftwerkstechnik studieren muss. Es war anfangs auch verdammt hart, den ganzen Stoff zu verarbeiten, von begreifen gar nicht erst zu reden. Aber was ich mir in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich auch durch und so langsam wurde auch meiner Umwelt klar, dass ich diese Sache erfolgreich abschließen werde.
Tja meine Umwelt. In den zehn Jahren seit Papas Tod hat sich da vieles geändert, wenn auch weniger zum Guten. Mama hat mit zunehmendem Alter immer jüngere Kerle angeschleppt, die dann auch immer schneller auf und davon waren und ich habe dann eigentlich immer bei den Eltern meines Vaters gelebt. Opa ist ja eigentlich ganz in Ordnung, wenn man von seinen seltsamen Ansichten und seinen noch viel seltsameren Gewohnheiten absieht, aber Oma könnte selbst Mutter Theresa zu gotteslästerlichen Flüchen verleiten. Ständig hat sie die absurdesten Aufträge zu vergeben, deren Erledigung natürlich überaus wichtig ist und die unbedingt sofort zu erfüllen sind. So auch letzten Dienstag. Kaum war ich nach der Klausur und einem unglaublich langweiligen Seminar bei einem noch langweiligeren Prof nach Hause gekommen, klingelt das Handy und da ich nur sehr wenigen Leuten diese Nummer gegeben habe, war sofort klar, das kann nur Oma sein.
Diesmal war es mal wieder ihre Brille, die wahrscheinlich von jugendlichen Einbrechern gezielt entwendet oder von bösartigen Außerirdischen vorsätzlich verlegt worden war. Ich müsse sofort kommen und da Widerspruch in derlei Angelegenheiten keine denkbare Alternative ist, fuhr ich sofort los, obwohl ich eigentlich gar keine Zeit hatte, denn es war schon nach Sieben und ich war um Acht mit Sarah verabredet, die sich bereits mehrfach beschwert hatte, wie sehr ihre einzig wahre Freundin sie doch vernachlässige. Also musste es schnell gehen bei Oma. Wenn ich den Wagen, den Opa mir zum Abi geschenkt hat, auch eigentlich noch nie gemocht habe, weil er ganz einfach viel zu protzig ist, manchmal ist er doch nützlich, weil er einfach nie abgeschleppt wird, egal wo ich parke und die Tickets zahlt Opa jedes mal ohne Murren.
Also raus aus dem Auto, im Laufschritt rein zu Oma, ein zielsicherer Griff hinter die Mikrowelle in der Küche, die Brille vorgezaubert, Oma ein Küsschen gegeben und dann von einem Treffen mit einem Bankierssohn erzählt, für das ich mich noch zurecht machen müsse. Bevor Oma dieses Glück mit Worten fassen konnte, war ich schon wieder draußen und saß im Auto.
An der nächsten Ampel wollte ich kurz mit Sarah sprechen, greife nach meinem Handy und fasse ins Leere. Das konnte doch nicht sein, fünf Minuten zuvor hatte ich es noch benutzt, es musste doch da sein. Während ich so suchte, ging natürlich ein wütendes Hupkonzert hinter mir los, und bevor ich begriffen hatte, dass die Ampel auf grün stand, wurde es auch schon wieder gelb. Also fuhr ich mit Vollgas über die Kreuzung und hätte fast noch einen Unfall gebaut, oh Mann, es gibt Tage, die sollten verboten werden. Ich hielt bei der nächsten Tankstelle an und schaute genau nach. Das Telefon war weder im Handschuhfach, nicht in der Handtasche, nicht auf dem Boden, es war einfach weg! Hatte ich es bei Oma vergessen ? Nein, ich war mir sicher, es war hier im Auto gewesen. Das konnte einfach nicht sein. Ich brauche das Ding ja eigentlich nicht, damit mich jemand anruft und eigentlich telefoniere ich eher ungern, aber erstens war es ein Geschenk von Mama, die ausnahmsweise mal an meinen Geburtstag gedacht hatte und außerdem waren sämtliche Termine, alle Telefonnummern und vor allem die Notizen aus den letzten acht Vorlesungen darin gespeichert. Ich hatte mir zwar immer vorgenommen, die Daten auf meinen PC zu kopieren. Aber Sie wissen ja wie das ist mit den guten Vorsätzen. Da saß ich nun und war völlig fertig!
So fuhr ich dann erst einmal zu Sarah und klagte ihr mein Leid. Eines muss man ihr lassen, sie ist zwar manchmal eine echte Nervensäge, aber wenn es Dir richtig mies geht, dann ist Sarah ein Geschenk des Himmels. Geduldig hörte sie mir zu und langsam ging es mir besser. Dann kam Sarah auf die Idee, das Handy einfach anzurufen, nur mal so testen. Gesagt getan, ich wählte meine Nummer und es ging tatsächlich jemand ran ! An mein Handy ! Glaubt man sowas ? Ich war so sauer und wenn Sarah nicht gewesen wäre, ich wäre bestimmt total ausgerastet. So bekam ich diesen Drecksdieb tatsächlich dazu, dass er sich mit mir verabredete, damit ich mein Handy wieder bekam.Frauen sind eben doch die besseren Diplomaten.
Sarah wollte mich zwar nicht allein fahren lassen, aber was ich mir selber eingebrockt habe, löffele ich grundsätzlich auch selber aus, so lerne ich am besten. Da stand ich nun, wortwörtlich wie bestellt und nicht abgeholt, am Rathaus und wartete auf den Kerl, der mein Handy geklaut hatte. Es wird Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen erzähle, dass niemand kam. Ich bin halt immer noch viel zu naiv.
Am absoluten Nullpunkt angekommen, so dachte ich zumindest, fuhr ich wieder zu Sarah. Die hatte sich sowas schon gedacht, aber lieber nichts gesagt, sie kennt mich halt schon lange. Und wie ich so bei ihr in der Küche sitze, da fasse ich in meine Tasche und schaue in meine Geldbörse, warum weiß ich selber nicht und bekomme den Schreck meines Lebens. Alles weg ! Bargeld, Kreditkarten, Bankkarte. Nur der Führerschein und das Kleingeld waren noch drin. Da konnte ich nicht mehr, ich fing an zu heulen wie seit Jahren nicht. Gleichzeitig bekam ich eine Sauwut auf die Uni, auf Oma und ihre chaotischen Aufträge, auf Opa und seine protzigen Großzügigkeiten, auf Mama natürlich und auf Papa, weil der mich einfach allein gelassen hat. Aber ganz besonders begann ich dieses arrogante Arschloch zu hassen, der mich beklaut hat. So war das am letzten Dienstag.
Am nächsten Tag hatte ich reichlich zu tun, die Karten mussten gesperrt werden und ich brauchte Ersatz. Natürlich hatte der Dreckskerl mich gründlich beklaut, insgesamt waren es über viertausend, fast alles, was ich in den letzten Monaten gespart hatte. Nicht dass ich hätte hungern müssen, aber schmerzhaft war der Verlust schon. Sarah und ich hatten kurz darüber gesprochen, das Schwein anzuzeigen, aber das wollte ich mir nun wirklich nicht antun.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie die Polizei mitleidig den Kopf über das dumme Mädel schütteln würde, das sein Auto mitsamt Zündschlüssel und Handtasche auf offener Straße stehen lässt und zu allem Überfluss sämtliche Geheimzahlen zusammen mit den Karten aufbewahrt. Wenigstens das wollte ich mir ersparen.
Fast genau so unangenehm war die Vorstellung, dem Oberstreber schön tun zu müssen, damit er mir seine Vorlesungsnotizen überlies, aber hier half mal wieder die gute Sarah, die ihn in Windeseile um den kleinen Finger wickelte. Als wir aus dem Wohnheim kamen, sagte sie in ihrer ultratrockenen Art nur: "Karohemd und Samenstau - ich studiere Kraftwerksbau." Wir gackerten wie die Schulmädchen und waren wieder richtig gut gelaunt. Insgesamt waren wir den ganzen Tag unterwegs und wie wir auf dem Heimweg kurz zum tanken anhalten, was finde ich da innen an der Tankklappe ? Den Datenchip aus meinem Handy, mit einem Streifen rotem Klebeband aufgeklebt. Ist das zu fassen ? Nicht dass mir dieser Chip zu irgendwas genützt hätte, die Daten waren überwiegend im Handy gespeichert, aber diese Frechheit!
Ich glaube, das war der Moment als ich mich entschied, mir dieses Schwein vorzuknöpfen, ihn damit ganz einfach nicht durchkommen zu lassen.