Petrus Bitte
Hatte ich nicht gesagt, dass die Sache mit den Flügeln im Chaos endet? So war es auch, denn meine Flügel waren weiß und nicht golden wie die der Anderen. Es trieb mich weiter von ihnen weg und ich hätte Gott am Liebsten ins Gesicht gespuckt.
Aber so etwas viel wohl auch unter Gotteslästerung, also tat ich so, als würden die Flügel mir nicht auffallen und lebte so weiter, wie bisher. Nur ohne Unterricht. Denn brauchten wir nun nicht mehr.
Mit gesenktem Kopf wanderte ich durch das Paradies und bemerkte in meinem
Elend nicht, dass ich auf Petrus Residenz zusteuerte.
„Wie ich sehe, ist deine Ausbildung beendet, junger Freund.“
Ich zuckte zusammen und hob den Blick. Sicherlich war ich nicht sein Freund. Aber das sagte ich ihm nicht, sondern spannte nur meinen Kiefer an.
„Hallo Petrus.“ Ich sagte es weder unfreundlich noch überschwänglich. Nur neutral, als würde ich einen Fremden grüßen.
„Ich würde gerne mit dir reden.“
Ich schluckte Worte, die mir eine zweite Auspeitschung einbringen würde hinunter und nickte nur zur Zustimmung.
Seine Residenz war nicht gerade
eindrucksvoll. Einfach gehalten, aus Holz gefertigt und weiß angestrichen.
Sie sollte wahrscheinlich Bescheidenheit ausdrücken, aber ich fiel auf die Lüge nicht herein.
Ich lehnte jegliches Trinken ab und ließ mich auf einen der Holzstühle nieder.
Petrus nahm mir gegenüber Platz und ich musterte ihn misstrauisch.
„Du bist jetzt erwachsen, weißt du das, Luzifer?“
Ich nickte und zog die Augenbrauen zusammen. Dumm oder beschränkt war ich nicht und mir war klar, dass ich jetzt für mich selbst zuständig war.
„Daher musst auch du einen Teil für unsere Gesellschaft
leisten.“
„Menschen umbringen?“, fragte ich leise und warf ihm einen Blick zu. Deutlich sah ich, wie er zusammenzuckte.
„Nein, nein, dass nicht. Hör mir gut zu, mein Junge.“
Mein Magen zog sich zusammen und ein ungutes Gefühl beschlich mich.
„Das Gute kann nie ohne das Böse existieren. Deshalb haben wir einen Ort geschaffen, denn die Menschen Hölle nennen. Dorthin sollen alle, die Unrecht getan haben und dem Bösen verfielen. Doch es bedarf einen Herrn, der über sie herrscht.“
Ich ahnte, um was er mich bitten würde, war aber trotzdem überrascht, als er es
wirklich tat.
„Luzifer, würdest du freiwillig in die Hölle hinabsteigen und über das Böse wachen?“
Dumm wie ich mich damals anstellte, fiel ich seinen trügerischen Worten zum Opfer.
„Wenn es der Gesellschaft dienlich ist, würde ich zu diesem Ort gehen.“
Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Petrus Gesicht aus und er griff nach meiner Hand. Rechtzeitig zog ich sie zurück, bevor er mich berühren konnte.
„Du bist ein Emphat?“ Er klang aufrichtig überrascht und ich funkelte ihn an.
„Nach fünf Jahren fällt dir das
auf?“
Petrus ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken und betrachtete mich mit einem seltsamen Blick. Ohne ein Wort erhob ich mich und ging zur Tür.
„Es ist alles geklärt. Ich werde gehen.“ Hätte ich mich noch umgedreht, hätte ich das verschlagene Grinsen in seinem Gesicht gesehen. Aber ich tat es nicht und ging einfach nach draußen.
Dabei stieß ich fast mit Azazel zusammen, der sich an den Wegrand gekauert hatte.
„Azazel?“
Er hob den Kopf und schaute mich beinah schuldbewusst an.
„Entschuldige Luzifer. Ich wollte
wirklich nicht lauschen, aber ich sah dich mit ihm hier drin verschwinden, und nun, nach deiner Auspeitschung habe ich mich gefragt, was du mit ihm zu tun hast.“
Meine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Damals war er noch unsicher gewesen und entschuldigte sich für unnötige Dinge.
„Ist schon gut. Ich an deiner Stelle hätte das Gleiche getan. Aber steh auf, ich mag es nicht, wenn Leute vor mir knien.“
Er nickte und sprang auf die Füße. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu unseren
Schlafhäusern.
„Du traust dich wirklich, in die Hölle hinabzusteigen?“
Lächelnd nickte ich.
„Ja. Ich komme hier weg und muss mir ihr Geflüster nicht mehr anhören. Aber ich habe ein ungutes Gefühl. Etwas scheint mir komisch, ich kann nur nicht sagen was.“
Azazel seufzte tief und blickte nach oben.
„Ich wünschte, ich könnte dich begleiten.“
„Später“, erwiderte ich und ein eiskalter Schauer rann mir den Rücken hinab
Aber es sollte noch genau drei Wochen
dauern, bevor ich die Intrigen der Mächtigen durchschauen sollte und meiner wahren Bestimmung zugeführt wurde.