Rückkehr
„Luzifer. Luzifer! Du musst zurück! Es wird Zeit.“ Zwei kalte Hände packten meine Schultern und schüttelten mich leicht. Ich wollte nicht. Ich wollte niemals zu diesen selbstgefälligen Engeln zurück und zusehen, wie sie wieder und wieder die Menschheit zerstörten, sei es mit dieser Sintflut oder durch Krankheiten und Apokalypsen.
„Luzifer! Du musst zurück oder du begehst wieder Ungehorsam! Steh auf!“ Uriel versuchte mich auf die Beine zu ziehen. Verzweifelt wehrte ich mich gegen ihn. Ich würde nicht zurückgehen! Meine Fingernägel glitten ohne Spuren
von seiner Haut ab und selbst meine Zähne hinterließen keinen Schaden.
„Luzifer, ich bin ein Erzengel. Hör auf dich zu wehren, du kannst mir nichts tun!“
Schluchzend blieb ich in seinen Armen liegen und flüsterte : „Ich will aber nicht zurück. Schick mich bitte nicht zurück!“
Bittend schaute ich zu ihm auf und flehte ihn an. Seine Kiefermuskeln spannten sich an und es sah aus, als würde er mit sich selbst ringen.
„Es tut mir leid“, murmelte er schließlich und wandte den Blick ab. Schwankend kam ich auf die Füße und schaute ihn an. Tränen brannten hinter meinen Augen.
„Du bist genau wie die anderen. Du tust
auch nichts dagegen. Sieh nach draußen und sag mir, dass das gerecht ist. Sieh dir all die Toten an und sag mir dann ins Gesicht, dass es richtig ist.“
Ich trat einen Schritt nach vorne und schaute ihm genau in die Augen. Ich sah etwas wie Angst aufblitzen.
Damals hatte nie jemand wirkliche Angst vor mir gehabt. Was war ich denn schon? Ein Engel in der Ausbildung, dazu verdammt, die Gefühle der Menschen zu spüren.
„Du hast eine gefährliche Gabe, Luzifer. Du könntest dich an deinem eigenen Feuer verbrennen.“
Ich wollte Uriel anschreien, ihn schlagen oder sonst etwas tun, damit dieses
Gefühl der Ohnmacht von mir wich, aber er ließ mir keine Chance. Ohne einen Blick zurück oder ein aufbauendes Wort breitete er die Flügel aus und flog durch das Loch in der Kathedralendecke nach draußen.
Es regnete noch immer und ich schüttelte den Kopf.
„Du tötest alle Menschen, aber derjenige, der sich vor dir im Staub wälzt, lässt du am Leben“ flüsterte ich der Wolkendecke zu und setzte meinen Fuß auf den Weg, der mich später in die Tiefen der Hölle schleudern würde.
Das Paradies ist nicht so, wie es beschrieben wird. Keine Wolken, keine
goldenen Tore, kein Frieden. Ein überirdischer Glanz umgab die Dinge zwar, aber mehr gab es hier auch nicht.
Nicht einmal Gott persönlich war hier. Er war irgendwo, für uns unsichtbar, nicht zu erreichen und doch durch Petrus vertreten.
Ich nahm den langen Weg zurück zu den Schlafräumen der angehenden Engel, der mich nicht an Petrus Haus vorbeiführte.
Ich hasste die Engel, ich hasste mein Dasein und ich hasste diesen Ort. Die Wunden an meinem Rücken brannten und ich wich jedem aus, der mir entgegenkam. Heute konnte ich ihr Geflüster nicht anhören. Zu viel war geschehen. Sollten sie doch alle willenlos
bleiben, ich würde es nicht.
Meine Rechnung ging nicht auf, den Sakariel sah mich und war nicht der Meinung, dass man mich besser mied oder in Ruhe ließ.
Er folgte mir die Treppe zu meinem Zimmer hoch und packte mich an der Schulter. Fauchend riss ich mich los und starrte ihn an.
„Luzifer, dir muss doch klar gewesen sein, dass du falsch gehandelt hast.“
„Und dir muss klar gewesen sein, dass ich wenigstens gehofft habe, dass du mir hilfst!“, schrie ich ihm ins Gesicht und schlug die Tür zu.
Die schwere Eichenplatte zitterte und ich holte tief Luft. Er hätte wenigstens nach
mir sehen können, als ich am Boden lag.
Kopfschüttelnd wandte ich mich von der Tür ab und blickte mich in meinem Zimmer um. Ich versuchte meine Wut, gemischt mit Trauer in den Griff zu kriegen. Ein schwarzes Tuch verdeckte den Spiegel. Ich hasste mein Aussehen und wollte nicht jedes Mal einen Blick auf mich selbst erhaschen, wenn ich mich umdrehte.
Aber jetzt wollte ich sehen, was die Peitsche angerichtet hatte. Sanft segelte der Stoff zu Boden und für einen kurzen Moment musterte ich mich selbst.
Ich war weder blond, noch hatte ich blaue Augen oder war besonders groß. Meine Haare waren schwarz, meine
Augen blutrot und im Gegensatz zu den anderen Engeln war ich klein. Sie überragten mich alle, fürchteten mich aber trotzdem.
Ich war anders, selbst was meine Fähigkeiten betraf. Sicher, viele Engel waren Emphaten, aber keinem war die Fähigkeit gegeben, über das Feuer zu herrschen.
Kleine Flammen leckten an meiner Haut, als die Wut über jegliche Ungerechtigkeit wieder aufkam. Achtlos wischte ich über sie hinweg und sie verschwanden.
Sehr langsam wandte ich dem Spiegel den Rücken zu und betrachtete den Schaden.
Ein schachbrettartiges Muster überzog
die Haut und ich glaubte, Knochen unter den Fleischresten glitzern zu sehen.
Gegen eine Welle der Übelkeit ankämpfend verdeckte ich den Spiegel wieder und warf mich auf mein Bett.
Was hatte ich getan, dass ich so etwas verdiente?