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Geschlagene vier Wochen lag ich todsterbenskrank (aus meiner Sicht jedenfalls) im Bett und litt unter den Nachfolgen des Götterbesuchs. Zum einen war da der Bluterguss von meinem unfreiwilligen Bauchplatscher, zum anderen hatte ich Schüttelfrost.
Tja, in der Hölle wäre mir das nicht passiert.
Das einzig Gute war, dass Schattenschwinge mich bemutterte wie eine Henne ihr verkrüppeltes Küken.
Nach diesen unendlich langen, stinklangweiligen vier Wochen durfte ich dann endlich wieder aus dem Bett und
laufen. Am liebsten hätte ich mich jetzt in eine Katze verwandelt und wäre schnurgerade aus diesem Irrenhaus geflohen.
Aber draußen wartete bestimmt nur das nächste Irrenhaus. Oder der Tierfänger und man weiß ja, was mit streunenden männlichen Katzen passierte, und ehrlich, darauf ist wirklich keiner scharf.
Obwohl, gäbe es vielleicht einen Weg, meinen Bruder da hinzubringen?
Ich wollte ja nicht so sein. Schließlich bin ich ja sozial und das reinste Unschuldslämmchen.
>>Du klimperst mit den Wimpern.<<
Peinlich berrührt zuckte ich zusammen
und warf Schattenschwinge einen Blick zu.
>>Sorry. Hab gerade daran gedacht, was für ein Unschuldslamm ich doch bin.<<
Sie kicherte und schüttelte den Kopf.
>>Warum haben deine Eltern dich eigentlich Schattenschwinge genannt?<<, fragte ich und lehnte mich zurück. So zerstreut wie ich war, vergaß ich das ich ja am Bettrand saß und keine Kissen im Rücken hatte. Prompt kippte ich nach hinten um. Um wenigstens den Anschein zu wahren, blieb ich liegen.
>>Warum haben deine Eltern dich Shadow genannt?<<, stellte sie die Gegenfrage und setzte sich neben mich.
>>Weil mein Vater wollte, dass ich wie
die Schatten werde. Kennst du die Geschichte?<<
Sie kaute auf ihrer Unterlippe.
>>Könnte sein, aber ich glaube eher nicht.<<
Schwerfällig rollte ich mich auf den Bauch und blickte sie an.
>>Es gab früher angeblich Wesen, die wie selbstständige Schatten waren. Sie brauchten keinen Körper, der sie warf. Sie waren da und brachten alles um. Dämonen, Werwesen, Elfen, Menschen. Alles. Man konnte sie nicht besiegen, da sie körperlos waren. Warum sie aber uns angreifen konnten, wusste keiner.
Jedenfalls haben sie schrecklich gewütet und als alles verloren schien, tauchte ein
Mann auf, der angeblich der Sohn des Totengottes Anubis war. Er besiegte die Schatten, aber er löschte sie nicht aus.
Bei dem Kampf erlitt er schwere Verletzungen, an denen er auch verstarb.<<, endete ich etwas stockend.
Schattenschwinge blickte etwas geistesabwesend, was eigentlich immer bei mir der Fall war, und kaute weiter auf der Unterlippe. War das irgendwie Trend in diesem Land?
>>Ich hoffe mal, dass die Geschichte nur eine Geschichte ist<<, murmelte sie schließlich und zog die Schultern hoch.
>>Also, warum heißt du, wie du heißt?<< Wow, was für eine atemberaubende
Logik.
>>Ich weiß nicht. Ich glaube, meine Haare waren früher mal schwarz oder so.<<
Seit wann wurde schwarz zu kupferrot? Okay, ich sollte vielleicht den Mund halten. Seit wann wurde nämlich ein Dämon zu einer Werkatze?
Ein kalter Windhauch schien durchs Zimmer zu fegen und ich fröstelte. Ich blickte zum Fenster, aber das Ding war ja zu und die Heizung an.
Jetzt kaute ich auch auf der Unterlippe und runzelte die Stirn, obwohl das bei zu häufigem Vorkommen zu Falten führen kann.
Dann kam mein Hirn auch endlich mal in
Schwung und ich kapierte, was eigentlich los war.
Wie von der Tarantel in den Arsch gebissen sprang ich vom Bett runter und zerrte Schattenschwinge mit mir.
>>Huh, was ist denn los?<<
>>Ich habe so die Ahnung, dass mein Bruder auf dem Vormarsch ist und wir schleunigst verschwinden sollen.<<
>>Ich lasse doch meine Großmutter nicht alleine!<<, rief Schattenschwinge entsetzt und rammte die Füße in den Boden.
>>Die Alte kann sich schon wehren, schließlich hat sie einen Besen!<<, erwiderte ich bissig und warf mir Schattenschwinge wie einen
Kartoffelsack über die Schulter. Sie stieß ein ziemlich komisches Hicksen aus und ich kletterte auf die Fensterbank hinaus.
>>Du willst mich umbringen!<<
Ich war schon öfters aus dem Fenster gesprungen, aber niemals mit Balast. Schattenschwinges Gemurmel, dass ich einfach nur verrückt sei und das sie sich selbst verflucht, weil sie mich mitgenommen hat ignorierend, sprang ich in den Garten hinunter. Fast sackte ich zusammen, als wir auf dem Boden aufkamen, aber ich hatte ja eine verdächtige Ähnlichkeit mit Superman, also blieb ich standhaft.
>>Wo zum Teufel willst du hin?!<<, fauchte Schattenschwinge, als ich sie
auf den Boden stellte und angrinste.
>>Hier in der Nähe gibt es einen, nun ja, besonderen Wanderzirkus. Ich kenne den Leiter.<<
>>Du willst mich in einen Flohzirkus mitnehmen?!<< Sie war weitgehend entsetzt, als sie neben mir durch die Dunkelheit stolperte.
>>Wanderzirkus<<, korrigierte ich und hob die Nase in den wind. Als ich noch ein Dämon war, konnte ich den Zirkus aus einer Meile Entfernung riechen, aber so wie ich jetzt war, war Pustekuchen.
>>Wir müssen als Katzen laufen<<, stellte ich fest und ließ mich auf alle Viere fallen. Zeitgleich wurde ich die süße kleine Katze und
schnupperte.
Jap, Jackpot! Ich roch den vertrauten Duft von... Zirkus? Werwesen? Mist? Keine Ahnung.
>>Du bist verrückt<<, sagte Schattenschwinge wieder, ließ sich aber auf meinen Plan ein.
Ihr ebenfalls rotes Fell war leicht gesträubt, aber ich glaube eher vor aufregung als vor Aggression.
Nebeneinander liefen wir durch den Wald und langsam begann ich mich auf den Zirkus zu freuen. Ob Schattenschwinge das auch so empfand wagte ich zu bezweifeln. Fast rannte ich an meinem Ziel vorbei.
Helle Lichter blendeten mich fast und ich
grinste, als ich mich wieder in meine menschliche Gestalt zurückfließen ließ.
Schattenschinge umklammerte meinen Arm und folgte mir langsam.
Ein hochgewachsener, magerer Mann mit einem unglaublichen schwarzen Wuschelkopf wandte uns den Rücken zu.
Lautlos und mit einem fiesem Grinsen im Gesicht schlich ich hinter ihn und brüllte: >>Buh!<<
Der Mann quietschte, ließ sein Klemmbrett fallen und sprang mindestens einen Meter in die Höhe.
>>Shadow! Du Arschloch! Kannst du das vielleicht einmal in deinem Leben sein lassen?!<<
Er drückte sich die Hand auf die Brust
und blickte mich an.
>>Komm schon Aicid. Macht doch Spaß!<<, rief ich und umarmte meinen Cousin dritten oder vierten Grades. Für einen Moment blieb er noch vollkommen erstarrt, aber dann stieß er ein zittriges Lachen aus und eriwderte die Umarmung.
>>Schattenschwinge, dass ist Aicid, mein Cousin. Aicid, das ist eine Freundin von mir<<, stellte ich die beiden vor und trat einen Schritt zurück.
>>Hübsch<<, meinte mein Cousin und schüttelte wie wild Schattenschwinges Hand.
>>Willkommen in meinem übernatürlichen Wanderzirkus! Was
macht ihr eigentlich hier?<<, wandte er sich dann an mich und runzelte die Stirn.
>>Das gibt Falten. Hmm, die Kurzform ist, ich bin eine Werkatze und kein Dämon mehr, mein Bruder will mich umbringen und jagt mich, sie hat mir das Leben gerettet und oh, ich bin der Dämonenjäger der Götter<<
Nach der Ansprache war ich ein bisschen ausser Atem und blickte Aicid an.
Ich konnte beinahe die Rädchen in seinem Kopf rattern hören.
Dann nickte er dreimal, drehte sich um und ging davon.
Schattenschwinge starrte ihm hinterher und war heillos verwirrt.
>>was sollte das denn?<<
>>Das heißt, wir sind willkommen.<<