Der 50.Geburtstag
Nur noch wenige Tage bis zu meinem Geburtstag. Eigentlich halte ich nicht viel davon Geburtstage zu feiern. Für mich sind Geburtstage Tage wie jeder andere. Das geht soweit, dass ich sogar auf meiner Arbeitsstelle dafür gesorgt habe, dass niemand merkt wann ich Geburtstag habe.
So gut es eben ging habe ich alle Spuren vernichtet. Auf dem großen Kalender im Büro, auf dem normalerweise alle Geburtstage verzeichnet sind, ist an meinem Tag nur ein dicker schwarzer
Strich, der es absolut unleserlich macht, was da ursprünglich stand.
Und doch ist es diesmal ein bisschen anders. Eigentlich sehe ich es auch dieses Mal nur als eine Zahl die sich ändert. Ich habe bis heute nicht verstanden wieso man Menschen gratuliert, weil sie älter geworden sind. Das hat für mich so ein bisschen das Geschmäckle von „Bin ich froh dass du älter geworden bist, dann stirbst ja bald“ Und doch, nun ist es der 50. Geburtstag der sich nähert. Und jeder hält runde Geburtstag für etwas Besonderes, auch wenn ich nicht verstehen kann wieso.
Vor meinen Freundinnen konnte ich es nicht verbergen. Da half es nicht einmal nicht mehr ans Telefon zu gehen, denn so kam die Idee zu einer Party eben per E-Mail. Heutzutage ist es kaum mehr möglich sich zu verstecken, irgendwie erreicht man jeden, so man es denn will.
„Nun gut“, dachte ich, dann mache ich eben eine Party, aber nur mit den Menschen, die ich wirklich sehr gerne mag, und es sollte auch keine Riesenparty geben. Denn auch mit Partys im Allgemeinen stand und stehe ich auf Kriegsfuß. Für mich gibt es nichts Schöneres als alleine zuhause zu sein.
Mir würde es tierisch auf die Nerven
gehen, wenn ich nach Hause kommen würde, und dort würde irgendjemand auf mich warten. Nein, ich bin lieber alleine zuhause, spiele auf meinem Keyboard, bespasse meine zahlreichen Handpuppen, oder schreibe Bücher.
Ich hatte nur noch wenige Tage Zeit bis zu meinem 50.Geburtstag, und jetzt sollte ich da auch noch eine Party feiern...? Egal, da musste ich durch, denn meine Freundinnen vor den Kopf stoßen wollte ich auch nicht. Doch eines war klar, Männer wollte ich auf dieser Party keine sehen.
Am Computer entwarf ich ein paar
Eintrittskarten und wies auch darauf hin, dass jeder zwar eine Person mitbringen durfte, aber keinesfalls einen Mann. Seit der letzten Partnerschaft hatte ich von Männern endgültig die Nase voll. Andreas war irgendwie nie wirklich so gewesen wie ich mir einen Mann vorgestellt hatte. Es war schwer zu erklären, aber manchmal hatte ich das Gefühl mit einer Frau zusammen zu leben. Und die normalen Dinge, bei denen man denkt sie würde jeder Mann machen: Bier trinken, Fußball. Heimwerken, das waren alles Dinge mit denen man Andreas jagen konnte. Niemals wollte er ein Fussballspiel sehen, und um sämtliches Werkzeug machte er einen
riesengroßen Bogen.
Ich beschloss die Party direkt an meinem Geburtstag steigen zu lassen, zu meinem Glück war das ein Samstag. Da hatten die meisten meiner Freundinnen ohnehin frei. Und die, die da nicht frei hatten mussten eben versuchen ihre Dienste zu tauschen.
Bald schon entschloss ich mich, dass die Party auch unter einem Motto stehen sollte:
Ich entschied mich für das Thema Märchen. Das heißt es war alles erlaubt was in Märchen eine Rolle spielte solange es weiblich war. Beispielsweise
Rapunzel, die Hexe aus Hänsel und Gretel, oder die Prinzessin aus Prinzessin auf der Erbse. Wie ich so darüber nachdachte stellte ich fest dass es doch einiges an weibliche Märchenfiguren gab
Drei Tage waren wirklich nicht viel zur Vorbereitung, andererseits wollte und durfte ich meine Freundinnen auch nicht enttäuschen. Meine Freundinnen waren immer für mich da, egal wie schlecht es mir selber auch gerade ging, mit dieser Party konnte ich zumindest ein kleines bisschen Danke sagen.
Ich entwarf die Einladungskarten,
dekorierte die Wohnung etwas märchenhaft, und ging einkaufen. Verhungern sollten meine Gäste schließlich auch nicht.
Nachdem ich alle Vorbereitungen erledigt hatte, setzte ich mich an meinen Computer und spielte eines meiner geliebten Simulationsspiele. Hierbei konnte ich ein wenig vor den vielen kleinen Wehwehchen flüchten, die sich so ab dem 40.Lebensjahr so langsam angefangen hatten breit zu machen.
Als es dann endlich Samstag war kamen meine Freundinnen, eine nach der anderen, und alle waren von meiner
Dekoration und dem reich gedeckten Tisch begeistert. Wir spielten ein paar lustige Spiele die uns an unsere Kindheit vor einigen Jahren erinnern sollten. Und wie immer wenn Susanne bei mir war nahm sie auch eine der Handpuppen und machte eine kleine Spontanaufführung. Die gesammelte Mannschaft lachte so laut, dass Nachbarn sich über den Lärm beschwerten. Doch als wir erklärten dass wir meinen 50.Geburtstag feiern, da zeigten auch sie Verständnis und ließen uns feiern.
Die meisten meiner Freundinnen hatten auch jemanden mitgebracht, und die meisten der mitgebrachten Personen
kannte ich. Teils war ich mit diesen auch schon zusammen Eis essen gewesen oder im Kino. Ich mochte und mag es zwar nicht wirklich unter Menschen zu gehen, weswegen ich normalerweise einen großen Bogen um irgendwelche Veranstaltungen mache, aber es gab auch Ausnahmen. Ganz besonders lustig fand ich eine Comedy-Show, die vor einigen Jahren hier im Dorf aufgetreten war.
Bei den mitgebrachten Partygästen war eine Frau dabei an die ich mich überhaupt nicht erinnern konnte. Sie war eine sehr hübsche Frau, sie hatte lange blonde Haare, trug einen kurzen schwarzen Rock und ein weißes T-Shirt.
Ich fand diese Frau irgendwie sehr attraktiv, obgleich sie doch auch maskuline Züge hatte. Oder fand ich sie etwa genau deswegen attraktiv? Ich wusste es nicht und musste darüber nachdenken.
Ich versuchte mich auf der Party mit jedem meiner Gäste zu beschäftigen, doch von dieser Frau konnte ich nicht wirklich den Blick lassen. Das ging soweit dass ich schon daran dachte ob ich vielleicht lesbisch sein könnte. Doch daran wollte ich nicht denken. Das wäre für mich schrecklich gewesen. Sicher, heutzutage war das homosexuell sein kein wirkliches Problem mehr. Aber ich,
für mich, hatte das immer ausgeschlossen.
Mir blieb nur eines, ich musste irgendwie mit dieser tollen Frau ins Gespräch kommen, um mehr über sie herauszufinden.
Doch wie sollte ich das, in diesem Trubel konnte ich kaum einen klaren Gedanken fassen. Doch ich hatte eine Idee, daher schloss ich mich auf der Toilette ein und überlegte mir wie ich mit dieser Frau ins Gespräch kommen konnte. Niemals zuvor hatte ich eine solch attraktive Frau gesehen, und auch jetzt, eingesperrt auf dem Klo, ging mir
ihr Gesicht nicht mehr aus dem Kopf. Das seltsame war dass es mir irgendwie auch ein bisschen bekannt vorkam, ich dieses aber überhaupt nicht zuordnen konnte.
Wie ich so auf der Toilette saß hörte ich plötzlich stimmen, 2 meiner Gäste unterhielten sich,
doch ich konnte nur einige Fetzen verstehen mit denen ich nicht wirklich etwas anfangen konnte.
Ich verstand nur „Frankfurt...Operation...12 Stunden...Frau...endlich...“
Jetzt war die Neugier stärker als alles
andere, und ich tat so als wäre ich auf dem Klo gewesen, zog die Spülung und riss die Türe auf, und da stand sie, diese überaus attraktive Frau mit den leicht maskulinen Zügen mit Susanne. Susanne lächelte, sie hatte diese Person ja zu meiner Party mitgebracht, also musste sie doch wissen wer diese Person ist.
Ich überlegte mir wie ich Susanne unauffällig fragen konnte, doch mit dem nächsten Satz klärte sich alles auf. Susanne sagte: „Schau mal Tina, das war mal Dein Ex-Freund Andreas“
Ich glaube man sah meine vielen Fragezeichen aus meinem Kopf aufsteigen und fast wäre ich
wahrscheinlich auch in Ohnmacht gefallen. Mir wurde extrem schwindlig, und ich musste mich erst einmal setzen. Mit Mühe schwankte ich in den Partyraum und setzte mich auf eines der Sofas, auf welchem zum Glück gerade niemand saß.
Es dauerte nicht lange, und Susanne kam mit Andreas zusammen zu mir.
Ich hätte Andreas wirklich für eine Frau gehalten, und Andreas erzählte mir dann auch
dass er sich schon immer als Frau gefühlt hatte, und nun mit Mitte 40 endlich den Schritt gegangen ist die geschlechtsangleichende Operation
durchführen zu lassen. Geschlechtsangleichend? Ich dachte bis dahin immer dass es Geschlechtsumwandlung heißen würde, doch Andreas der sich jetzt
Sabine nannte erklärte mir dass Geschlechtsangleichtung korrekt ist.
Jetzt wusste ich wieso ich diese Frau so attraktiv fand, es war mein Ex-Freund gewesen.
Auch die maskulinen Züge erklärten sich jetzt. Und doch, wenn man es nicht wusste, sah man Sabine nicht an, dass sie einmal Andreas war.
Ich merkte sehr schnell, dass ich von
Transsexualität keine Ahnung hatte. Denn selbst das Wort Transsexuell ist eigentlich falsch, zumindest im Fall von Sabine, denn sie selbst empfand sich als ganze Frau. Nach der Operation sowieso. Und da das nichts mit sexuell zu tun hat war ihr das Wort transident weitaus lieber.
Sie erklärte mir auch den Unterschied zwischen Transvestit, Transident, Transsexuell und all den vielen anderen Begriffen.
Und so wurde der Geburtstag, den ich eigentlich nie hatte feiern wollen, zu meinem interessantesten und lehrreichsten Geburtstag meines ganzen
Lebens...
© Susanne Weinsanto März 2014