~4~
Ich saß immer noch wie vom Schlag getroffen vor Jacks Zimmer und schlürfte einen Kaffee. Mir war eiskalt, daran konnte der Kaffee leider auch nichts ändern. Neben mir öffnete sich die Zimmertür und Lukes setze sich neben mich und hielt mir eine Tüte Gummibärchen hin. Ich griff danach und schmiss mir eine Hand voll in den Mund. Aber ich schmeckte nichts.
„Alek wird morgen entlassen. Sagen die Ärzte zumindest. Esseiden sein Zustand verschlimmert sich wieder. Echt krass. Er hat kaum noch einen Kratzer.“
„Schön für ihn.“ fuhr ich Lukes gereizt
an. Der hob überrascht eine Augenbraue.
„Ich weiß das du ihn nicht leiden kannst, aber du könntest dich wenigstens für uns freuen. Aleks war immer für uns da.“ Mit diesen Worten ließ er mich sitzen und ging zurück ins Zimmer. Ich ließ den Kopf gegen die Wand hinter mir sinken und schloss kurz die Augen. Ich fuhr zusammen, als mich jemand an der Schulter antippte. Vor mir stand eine Schwester.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte sie vorsichtig. Offensichtlich war sie sehr schüchtern.
Ich nickte. „Ja, es nimmt mich nur sehr
mit.“
„Das glaube ich , aber leider ist die Besuchszeit in fünf Minuten um und ich muss Sie bitten zu gehen.“ Ich holte tief Luft und rappelte mich auf. Es viel mir unendlich schwer. Es fühlte sich an als würde eine riesige Hand mich zu Boden drücken wollen, wollen das ich aufgebe. Jeder Schritt kam mir vor als würden Tonnenweise Gewichte an meinen Füßen hängen und als ich das Gebäude hinter mir ließ und auf mein Motorrad zusteuerte, wurde mir bewusst, das wenn ich jetzt auf dieses Ding aufsteigen würde, würde ich als nächstes hier liegen. Also stopfte ich meine Tasche in das kleine Fach und
holte meine Jack heraus. Ich schob mein Motorrad vor mir her und kassierte überall her komische Blicke. Es störte mich nicht. Ich war es gewöhnt immer von allen angesehen zu werden, auch wenn es mir heute anders vorkam. Ich nahm den Umweg durch die Stadt. Ich wollte noch beim Zeitschriftenladen meiner besten Freundin vorbei. Als ich ankam dämmerte es schon und der Regen, der kurz vorher eingesetzt hatte, hatte meine Klamotten komplett durchnässt und meine Haare klebten an meinen Gesicht. Ich schloss das Motorrad ab und wollte die Tür öffnen, da fiel mir das Schild `Geschlossen´ ins Augen. Aber in der Küche brannte Licht
also klopfte ich an die Tür. Mehrfach, bis endlich eine Gestalt auf mich zu kam und die Tür aufriss.
„Oh mein Gott, Melodie! Komm rein du Verrückte!“ Lucy packte meinen Arm und zog mich in den Raum. Er war klein und mit unmengen von Regalen mit Zeitschriften ausgestattet. Aus der kleinen Küche kam Kaffeegeruch und man hörte Wasser plätschern. Ich zog die Jacke aus und legte sie über einen Stuhl. Dann drehte ich mich zu Lucy um und sie warf sich in meine Arme.
„Ich hab das von Jack gehört. Es tut mir so leid. So, so leid. Du musst.“
Ich unterbrach sie, sonst würde sie bis Weihnachten weiter reden.
„Du kannst ja nichts dafür. Aleks hat hunderpro nicht auf die Straße geachtet, weil er wieder am Rauchen war und Jacks muss dafür bezahlen. Wenn er mit unter die Augen kommt und was falsches sagt bring ich ihn um.“ Das würde ich wirklich tun. Ohne mit der Wimper zu zucken.
„Eigentlich schade das er so ein Arsch ist. Er ist der heißeste der Brüder.“
„Wenn du meinst.“ zischte ich.
„Also nicht für ungut, aber Jack ist mit seinen Nerdgehabe nicht grade ein Blickfang. Und wenn du was anderes Behauptest machst du dich lächerlich.“
„Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt
wie sehr ich es liebe, wenn du so ehrlich bist? Manche Sachen sollte man nicht so laut heraus brüllen. Oder hast du heute schon mal in den Spiegel geschaut?“ fragte ich sarkastisch. Natürlich war das nicht so gemeint. Lucy sah super aus, mit ihren glatten, fast weißen Haaren, bis zur Taille und ihren eisblauen Augen. Früher hatte ich sie immer Eiskönigen genannt. Das war aber schon ewig her.
~5~
Von der Autofahrt hatte ich nicht mehr viel mitbekommen. Ich hatte mich noch ein bisschen mit Lucy unterhalten, dann hatten wir mein Motorrad zu dritt auf den Transporter gehoben und Lucys Mum hatte mich nach Hause gefahren. Mittlerweile waren meine Sachen wieder Trocken und klebten an meinen ganzen Körper. Ich ging, nachdem ich das Motorrad in der Garage geparkt hatte, durch den Hintereingang rein, um zu verhindern, das ich Mum begegnete. Es war schon nach zehn und ich sollte immer um neun zu Hause sein. Doch
leider ging mein Plan nicht ganz so auf, wie ich wollte. Mum saß immer noch in der Küche und las ein Buch. Als ich reinkam, legte sie ihre Brille auf den Tisch und sah mich eine weile an.
„Kannst du mich bitte morgen bestrafen? Ich bin Müde und muss morgen in die Schule.“
„Ich habe nicht vor dich zu bestrafen. Wie geht’s Jack?“ fragte sie leise, als dachte sie ich würde zusammenbrechen, wenn sie seinen Namen sagte.
„Er ist schlimm verletzt. Aber Aleks, dieser verdammte..“ Mum hob die Hand und ich verstummte.
„Geh schlafen. Aleks hat keine Schuld. Ein Autounfall kann jeder haben.“ Sie
setzte ihre Brille wieder auf und somit war die Unterhaltung beendet. Ich schlurfte in mein Zimmer und schob die Schuhe von den Füßen und schmiss mich mit Klamotten auf das Bett.
„Melodie?“ Die Stimme von Mr.Tenar holte mich wieder in die Realität.
„Ja?“
„Melodie, ich weiß das es schwer für dich ist, aber deine Noten sind eh nicht die besten, also sollten sie nicht noch weiter darunter leiden müssen, das..“ Er wurde unterbrochen.
„Mr. Tenar. Melodies bester Freund, mein Bruder, liegt im Krankenhaus und es ist noch ungewiss ob er durch kommt. Sie sollten lieber froh sein, das
sie überhaupt da ist, statt sie mit Vorwürfen zu löchern.“
Ich runzelte die Stirn und drehte den Kopf zu der Stimme hin. Ebenso wie alle anderen der Klassen.
Aleks sagte im Unterricht nie etwas, außer mal einen dummen Kommentar. Und erst recht setzte er sich für niemanden, außer sich selber ein.
„Nun, Aleks. Dann können Sie uns doch sicher Aufklären. Die Frage war, wann die Französische Revolution war.“ Ich schauderte. Ich konnte mir kaum vorstellen, das es jemanden gab, der weniger gut in Geschichte war als ich. Oder Aleks. Darum überraschte er mich, als er sagte. „Von 1789 bis 1799.“ Es
war Still in der Klasse. Man hätte eine Nadel fallen hören können, während alle, einschließlich ich und Mr. Tenar, Aleks ungläubig ansahen. Mr.Tenar fing sich als erstes und schüttelte sich.
„Nun, das stimmt Aleks. Das wäre dann deine erste richtige Antwort in diesem Schuljahr.“
Aleks grinste ihn gehässig an.
„Tja, bin wohl doch nicht ganz so dumm, was?“ Und da war er wieder. Der alte Aleks. Ich wand den Blick ab, obwohl ich seinen Blick auf mir spürte. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mit aller Macht ihn auszublenden. Aber ich sah aus den Augenwinkeln, das er mich immer noch
anstarrte, also drehte ich den Kopf und sah ihn fragend an. Er erwiderte meinen blick erwartungsvoll.
„Was willst du, verdammt?“ zischte ich leise.
„Wie wäre es mit einem, danke das du mich verteidigt hast, Aleks?“ entgegnete er ironisch. Ich legte den Kopf schief. Es kam mir nicht mal in den Sinn, mich zu bedanken. Ich wollte den Kopf abwenden, aber es ging nicht. Seine sonst, Moosgrünen Augen, wie die aller anderen in der Familie, waren Gold.
Vielleicht hatte er durch den Unfall etwas am Kopf abbekommen und deshalb hatten sie sich verfärbt. Ja, so musste es gewesen sein. Ich schaute
erleichtert zu Tafel, als er den Blick abwand, aber auf den Unterricht konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Der Unfall hatte Aleks verändert. Und ich wusste nicht, ob ich das mochte oder nicht.