wie fern der Himmel hinter lila wolken
Teil 2
©roxanneworks 2014 / 04
Paris den 31ten May 1778
Eine Mietkutsche fuhr langsam über das holprige Kopfsteinpflaster und hielt vor
dem mächtigen Portal des luxuriösen Stadtpalastes in der Rue des Rosiers No. 14.
Wie fast jeden Abend um diese Zeit, weilte der Comte de Marville in seinem Arbeitszimmer, das sich im unteren Geschoss des großen Hauses befand.
An einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Zedernholz sitzend, sondierte er die Korrespondenz des Tages. Vor ihm lagen eine große Anzahl Briefe und diverse Einladungen zu privaten Bällen
und Veranstaltungen aller Art. Nachdenklich betrachtete er einen der Briefe und legte ihn dann ungeöffnet zur Seite. Ein prüfender Blick auf seine goldene Taschenuhr sagte ihm, dass sich der erwartete Besuch jeden Moment einfinden würde.
Es klopfte an der Tür und Francis, sein Bouteiller, betrat nach Aufforderung den Raum. Er wartete, bis sein Herr ihn ansah und meldete dann mit sonorer Stimme:
" Monsieur Armonde bittet darum, von euch empfangen zu werden."
Mit einer einfachen winkenden Geste gab der Comte seinem Bediensteten zu verstehen, dass er den Gast erwartete.
Der Diener verließ daraufhin unauffällig das Arbeitszimmer und fast im selben Augenblick betrat ein hochgewachsener Herr in einem orientalisch anmutenden Gewand den Raum. Mit verhaltenem Schritt ging dieser um den Schreibtisch herum und begrüßte den Comte de Marville mit einer herzlichen Umarmung. Er trug noch immer seinen schwarzen Umhang und eine sonderbare turbanähnliche Kopfbedeckung, dessen schwarzes Tuch auch den unteren Teil seines Gesichts verdeckte.
" Sei gegrüßt, mein lieber Freund. Was kannst du mir Neues aus den sündigen Salons der Pariser Gesellschaft berichten, " fragte er gut gelaunt, legte
seinen Umhang ab und warf ihn achtlos über einen der Stühle, die um einen kleinen Tisch in seiner Nähe arrangiert waren.
Der Hausherr füllte derweil zwei Gläser mit uraltem Brandy und reichte eines der Kristallschwenker seinem Gast.
" Worauf trinken wir?"
" Auf das Unvorhersehbare im Leben."
" Also dann - auf die Liebe und die großen Abenteuer, Louis!"
Beide Männer prosteten sich kurz zu, nahmen in den ausladenden dunkelroten Ledersesseln vor dem Kamin platz und schwiegen für einige Sekunden. Sie genossen es, eine anregend kontroverse Unterhaltung zu führen, gleichwohl war
es auch stets ein besonderer Moment, gemeinsam zu schweigen.
" Es ist heute wieder ein Brief für dich angekommen. Willst du ihn lesen?"
" Nein. Es ist mir unmöglich, aber das weißt du genau."
" Ja, ich weiß. Soll ich ihn für dich lesen?"
" Wie immer bitte ich dich nicht gerne um diesen Gefallen. Aber ja, lies ihn für mich und berichte mir, was sie schreibt."
Es dauerte eine unerträglich lange Zeit, bis er die Zeilen gelesen hatte und sich die Blicke der beiden Männer trafen. Der eine Mann schaute fragend, der Andere beunruhigt.
" Es ist soweit," bemerkte der Comte in
die Stille hinein. "Der Moment, den du so sehr gefürchtet hast, ist nun da, mein Bester."
" Das kann nicht sein! Was schreibt sie? Was ist passiert?"
" Nun, sie teilt dir hier mit, dass sie nicht länger warten kann. Sie kommt, um dich zu suchen, Philip!"
" Das kann sie nicht tun! Louis, ich kann ihr nicht unter die Augen treten."
" Sie hat es schon getan, mein Freund. Vor drei Tagen hat sie die Postkutsche bestiegen und wird, wenn nichts mehr passiert, am 9ten Junius hier eintreffen."
Philip lief wie ein Tiger in dem Zimmer auf und ab, dabei zog er das rechte Bein
ein wenig nach.
" Hast du wieder Schmerzen? Ich bemerke es an deinem Gang..."
" Manchmal habe ich kaum noch Gefühl in dem verfluchten Bein. Aber das ist Nebensache. Was kann ich nur tun. Ich kann sie nicht noch mehr verletzen. Sie darf niemals erfahren, dass ich noch lebe, Louis...niemals!"
" Beruhige dich, wir werden schon eine Lösung finden. Sie liebt dich, Philip. Warum sonst hätte sie alles hinter sich gelassen? Überlege es dir gut, ob du nicht doch wieder unter den Lebenden weilen willst, mein Freund."
" Nein, diesen Mann, den sie vor vielen Jahren ehelichte, gibt es nicht
mehr."
" Du bist nicht bei Sinnen, aber ich glaube, mir ist da gerade eine Idee gekommen. Uns bleibt nicht viel Zeit, also höre mir jetzt gut zu und lege bitte endlich diese lächerliche Kopfbedeckung ab...."
Ende Teil 2