Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs steht.
Bildquelle : Jochen Pippir / pixelio.de
Er fand Jiy drei Straßen weiter an einem überdachten Brunnen. Ein kleines , blaugefärbtes, Holzdach schirmte den Wasserschacht ab, so dass der Bereich davor und dahinter in Schatten lag. Die Brunnenmauer erhob sich auf einem niedrigen Podest, zu dem eine kurze Treppe hinaufführte. Nur eine einzelne Gasse verband den mit Häusern umgebenen Platz mit den restlichen Straßen von Vara. Offenbar verirrten sich nicht viele Leute hierher, denn auch wenn der Lärm der Stadt bis hierher drang, sehen ließ sich niemand.
Auch die Fenster der umliegenden Gebäude schienen verlassen. Der Ort schien untypisch für Vara, das sonst so sauber und perfekt wirkte. Unkraut wucherte zwischen den Steinen des Pflasters und hatte die Steine teilweise aus ihrem Bett geschoben. Staub hatte die weißen Fassaden der Häuser gelblich verfärbt. Einige der Fenster der umliegenden Häuser waren leer, oder es glitzerten nur noch vereinzelte Glasscherben im Sonnenlicht. Jiy saß auf den Stufen, die zum Brunnen führten und sah kaum auf, als er sich näherte. Sie hatte ein versilbertes Messer in der Hand, welches das Sonnenlicht einfing.
Geschickt ließ sie den Dolch ,,Warum folgst du mir eigentlich ?“ , fragte die Gejarn , als er ein paar Schritte entfernt stehenblieb. ,,Weil ich mir sorgen um dich gemacht habe Jiy. Ich… mag dich wirklich.“, gestand er. Das musste einfach raus. ,,Und deshalb kann ich dich nicht so sehen…“ ,,Sicher. Oder du bist nur weiter auf deiner seltsamen suche nach Vergebung?“ Jiy Stimme klang bitter und der beißende Spott darin traf Kellvian einen Moment mehr, als er es zugeben wollte. Was war passiert, dass aus seiner trotz aller Widrigkeiten Lebenslustigen Gefährtin so schnell eine
Zynikerin gemacht hatte. Nach einer Weile des Schweigens fügte sie schließlich hinzu: ,,Entschuldige. Das war gemein.“ ,,Nein… ich glaube du hast recht. Auch eine Art, versuche ich wohl wirklich ständig Wiedergutmachung zu leisten. Aber hier geht es nicht um mich oder?“ Er ließ sich neben ihr auf den Stufen des Brunnens nieder. Jiy nickte. ,,Es ist… schön hier.“ , bemerkte sie. Es war zumindest ruhig, das stimmte. Und auch wenn die Gegend Verfallen wirkte, hatte das seinen eigenen Reiz. Es war ein Kontrast zu der Ordnung Varas und des einen schnell in den Bann schlagenden Rhythmus der
Stadt. ,,Hast du gefunden, was du gesucht hast ?“ , wollte Kellvian wissen. ,,Und ich wünschte, ich hätte es nicht.“ ,,Ich werde dich nicht Fragen. Du weißt, es gibt Dinge, die ich für mich behalte… und du hast alles Recht, das gleiche zu tun, schätze ich.“ ,,Wenn ich es dir erzähle, sagst du mir dann, wer du eigentlich bist ?“ Er schüttelte den Kopf. ,,Ich fürchte, das kann ich einfach nicht.“ Feigling! Das war wieder die kleine Quälende Stimme. Die Stimme, die ihn aufforderte, einmal für sich einzustehen. Er konnte es doch ganz offenbar für andere, warum nicht für sich selbst? Kell verbannte die
Gedanken. Er konnte zuhören. Aber Jiy schwieg eine Weile einfach nur. Die Sonne begann bereits langsam ihren Weg zurück Richtung Horizont und verwandelte die Glassplitter in den umliegenden Fenster in glühende Rubine. Dann begann die Gejarn doch wieder zu spreche. ,,Sie haben sie gebrochen Kellvian. Ich habe einen einzigen Überlebenden gefunden und der war… nur noch eine Hülle. Ich habe getan, was ich tun musste.“ , sagte sie Und dann erzählte sie doch alles. Angefangen von ihrer Ankunft, bis zu dem Moment, wo sie den zerstörten Gejarn getötet hatte.,,Es war Gnade Kellvian. Wie immer du auch darüber denken
magst.“ ,,Niemand würde dich dafür verurteilen. Aber es tut mir…“ ,,Leid. Du sagst das wieder und wieder. Aber dich trifft daran keine Schuld.“ Sie hatte die Arme um die Füße geschlungen und musterte ihn eindringlich. ,,Nein.“ , gab Kellvian ihr recht. ,,Und genau so wenig du. Was hättest du ändern können? Selbst wenn… selbst wenn du schneller gewesen wärst, selbst wenn du irgendwie diese eine Person hättest retten können… wenn du früher nachgedacht hättest… Was hätte das verändert?“ ,,Ich weiß es nicht. Vielleicht etwas. Für eine Seele sicherlich. Oder glaubst du
nicht, das man die Dinge im kleinen ändern kann?“ ,,Das habe ich nicht gesagt. Das zu denken wäre dumm. Bestenfalls. Aber du solltest dir nicht die Schuld geben.“ ,,Schuld, Kellvian ? Es ist weniger die Schuld, fürchte ich. Ich habe einer Angst ins Auge gesehen, die ich bisher nicht kannte. Diese Gejarn waren… innerlich tot. Ich könnte wie sie enden.“ ,,Davor hätte ich selber Angst.“ , gestand Kellvian. Mehr sogar. ,,Die eigen Persönlichkeit… ausgelöscht. Nein, ich kann mir nicht einmal vorstellen, was das bedeuten muss.“ ,,Ich habe es gesehen. Ich dachte vor wenigen Stunden, meine größte Angst wäre…
nein, du lachst, wenn ich dir das sage.“ ,,Es kann kaum so schlimm sein. Also… ich habe Angst vor der Dunkelheit.“ ,,Wirklich ?“ ,,Es ist nicht so schlimm… oder nicht mehr, aber ich hatte als Kind wohl ziemlich lebhafte Alpträume. Stimmen und verzerrte Bilder. Die Welt… schmolz glaube ich. Tyrus hat mir einmal gesagt, Träume seine nur die Art, wie unser Verstand die Realität interpretiert, wenn wir ihm seine Schranken nehmen. So wie ein Magier des alten Volkes sie vielleicht gesehen haben dürfte. Nun ich bin größtenteils darüber hinweg aber manchmal… Manchmal ist die Angst noch da. Ich fürchte mich also vor den
Schatten in den Ecken meiner Schlafkammer und du?“ Sie grinste. ,,Du hast Angst vor ein paar Schatten ?“ Die Gejarn verpasste ihm einen leichten Knuff in die Seite. ,,Aber du stellst dich allein einem Trupp Gardisten. Du bist echt seltsam Kell.“ ,,Hey, jetzt du.“ ,,Ich hatte immer Angst vor.. Götter, du wirst lachen.“ ,,Ich verspreche ich tus nicht.“ ,,Wenn hau ich dich.“ ,,Das ist ein Wort.“ ,,Also gut. Ich fürchte mich vor Mäusen.“ Kellvian konnte nicht anders. Er schmunzelte. Obwohl er es versprochen
hatte, er konnte nur mühsam ein lautes Lachen zurückhalten und auch der leichte Schlag den er sich dadurch einhandelte änderte wenig daran. ,,Entschuldigung. Es ist nur… Du bist ein Gejarn. Und noch wichtiger, mehr oder weniger eine große Katze.“ ,,Ich weiß. Eine dumme Angst.“ ,,Nein. Gar nicht. Zumindest nicht mehr wie Angst vor der Dunkelheit.“ ,,Doch und das weiß ich auch.“ Sie wurde wieder ernst. ,,Nur… jetzt ist meine größte Angst so zu enden wie… sie.“ ,,Wenn das passiert verspreche ich dir, mich darum zu kümmern“ Jetzt war es an Jiy zu lachen, aber es
klang unecht. ,,Das könntest du nicht.“ ,,Ich fürchte es. Und selbst wenn ich es könnte… Ich kann nie wieder eine Waffe gegen jemanden erheben, der keine Bedrohung für mein Leben darstellt. Darauf habe ich einen Eid geleistet.“ ,,Wem ?“ ,,Mir selbst.“ Erstand auf. ,,Also… was meinst du, gehen wir zurück oder brauchst du noch etwas Zeit?“ ,,Sicher. Ich will mir auch so schnell wie möglich das Blut aus der Kleidung waschen. Und aus dem Fell, das ist schrecklich.“ Kellvian half ihr auf. ,,Das glaub ich dir sofort.“ , sagte er, während sie sich auf den Weg zurück durch die Straßen
machten. ,,Du könntest mir später damit helfen.“ Kellvian blieb stehen. Was sollte er jetzt erwidern. ,,Ähm… Jiy, du fragst.. ähm..“ ,,Hey, ich brauch nur eine helfende Hand, komm mir jetzt bloß nicht auf dumme Gedanken.“ ,,Nein… kein Problem.“ Worauf ließ er sich eigentlich jetzt wieder ein und wie kam er da wieder raus? Zyle stand mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck an die niedrige Mauer gelehnt, welche die Treppe hinauf zur Universität begrenzte. Es war vielleicht eine Stunde vergangen, seit Kellvian
verschwunden war, ihm kam es aber länger vor. Was machte er noch hier… Er sollte losziehen und einen Weg suchen, an diesen Patrizier heranzukommen. Stattdessen diente er als Ziel von Melchiors Spott. Der Seher stand ein paar Schritte entfernt und unterhielt sich mit einem in auffälligen Rottönen gekleideten Boten. Offenbar hatte der Mann eine Nachricht oder etwas Ähnliches von Markus Cynric. Aber da Kell nun mal nicht hier war, würde er sich genau wie sie gedulden müssen… Zyles Hand lag auf dem Schwertgriff. Das Gewicht der Waffe hatte etwas Beruhigendes. Aber es reichte nicht aus, die Stimmen zum Schweigen zu bringen,
die zur Eile drängten. Er hatte Zweifel und deshalb wollte er es nur noch hinter sich bringen. Wenn der Patrizier erst einmal tot wäre, wären alle Zweifel endlich sinnlos. ,,Wie ich schon sagte.“ , erklärte Melchior soeben dem Boten. ,,Kellvian ist nicht hier und… Ich glaube ihr habt Glück.“ Auf der anderen Seite des Platzes tauchte die Gestalt des Menschen auf, gefolgt von Jiy, die wieder wie eh und jeh wirke. Oder zumindest fast. Eine Spur der Niedergeschlagenheit schien immer noch in ihren Zügen zu liegen. Aber was kümmerte ihn das, erinnerte Zyle sich. Kellvian war ein Schlüssel und Jiy eben
die lästige Begleiterscheinung desselbigen. Und trotzdem… er mochte beide genug um sich ein wenig Schuldig zu fühlen. Wenn er könnte, wäre er verschwunden, bevor sie oder sonst jemand bemerkten, was er getan hatte. Der Bote ging auf Kell zu und verbeugte sich kurz. Irgendwie mutete das seltsam an. Kellvian schien nicht der Typ zu sein, vor dem man sich verbeugte. ,,Herr.“ ,,Was gibt es denn ?“ , wollte er wissen. ,,Patrizier Cynric lässt ausrichten, das er euch gerne Sprechen würde. Ich kann euch zu ihm bringen. Natürlich nur, wenn es genehm ist Herr.“ Kellvian lachte leise. ,,Natürlich. Immer
ganz der höfliche Politiker, wie Markus ? Wenn ihr einen Moment hier wartet.“ Der Mann nickte und verbeugte sich tatsächlich erneut. Götter, entweder Markus hatte dem Mann verraten wer er war oder der Bote war einfach so. Kellvian ging an dem Boten vorbei zurück zu den anderen. ,,Das wird hoffentlich nicht lange dauern.“ , meinte er. ,,Jiy… Wir haben uns bereits um ein Gasthaus gekümmert. Zyle weiß wo es ist. Und… ich muss dir wohl Melchior vorstellen…“ Die Gejarn musterte den Mann nur misstrauisch. Eben war er ihr kaum aufgefallen, aber jetzt… Sie war ihm
schon einmal begegnet. Am Morgen vor ihrer Abreise aus dem Dorf. Seltsam, wie sich Wege wieder zu kreuzen schienen. Aber diese ganze Stadt hatte etwas Merkwürdiges für sie. Dass sie bei so vielen Menschen, die sich hier in ihren Häusern zusammenpferchten auch einem über den Weg liefen, den sie kannten schien eigentlich wenig verwunderlich. ,,Wir kennen uns bereits.“ , erwiderte der Seher gelassen. ,,Wirklich ?“ , fragte Zyle. Er traute dem Kerl nur so weit, wie er ihn sehen konnte. So harmlos er auch wirkte, dass er alles andere als Ungefährlich war, das hatte er schon Bewiesen. ,,Auch wenn ich nicht weiß, was ihr hier
tut, ja.“ , antwortete Jiy. ,,Wie dem auch sei. Ich will Markus nicht warten lassen.“ Gleichzeitig wollte er sie auch nicht unbedingt alleine hier lassen. Bis auf Melchior kannte sich niemand der anderen in Vara aus. Und dem Seher traute er alles zu, auch wenn Kell nicht glaubte, dass der Mann ihnen Schaden wollte. ,,Ich hab ein Auge auf den Kerl.“ , flüsterte Zyle und er nickte ihm dankbar zu. Jiy folgte den anderen durch die Straßen Varas. Langsam gewöhnte sie sich daran, auf allen Seiten von Mauern und Gebäuden umschlossen zu sein. Es war
ungewöhnlich. Und doch hatte sie mehr als genug Gedanken, die sie davon ablenken konnten. Was Danja über Kellvian gesagt hatte … Sie musste ihn ja gemeint haben. Die Magisterin hatte doch selber zugegeben, dass sie sich nicht sicher war. Es hatte nichts zu bedeuten. Wenn sie den Menschen darauf ansprechen würde, könnten sie sicher beide darüber lachen, dass ihn jemand derart Verwechseln konnte. Und doch hatte sie vorhin etwas davon abgehalten, zu Fragen. Hör auf mit der Schwarzmalerei, sagte sie sich selbst, als Zyle durch die Tür eines kleinen Gasthauses mit Glasfront trat. Der Mann aus Laos schien alles
hier recht nüchtern zu betrachten, vielleicht sogar Gefühlskalt. Jiy wünschte sich manchmal, das sie das auch könnte. Es war das richtige gewesen, den Gejarn zu töten. Gnade. Das änderte aber wenig daran, wie sie sich deshalb fühlte. Das man einem Lebewesen so etwas antun konnte schürte ihre Wut auf das Kaiserreich von Canton nur erneut. Und Kellvians Worte änderten daran nur wenig, auch wenn zumindest die hilflose Angst sich etwas von ihr gehoben hatte. Angst… und Trauer. Was hatte Kell an sich, dass er so mit ein paar Worten alles besser machen konnte. Und was wollte der Patrizier von ihm?
Jiy glaubte nicht, das sie sich Sorgen um Kellvian machen müsste. Die beiden kannten sich doch offenbar, auch wenn er nicht erzählt hatte, wie er den Herrn von Vara kennengelernt hatte. Eine rothaarige Frau sah von einem Stapel Notizbücher auf, als sie eintraten. ,,Schon wieder da ? Die Zimmer sind hinten.“ , sagte die Wirtin nur kurz angebunden und deutete auf eine Reihe von Türen hinter ihr im Raum. ,,Wir warten noch auf jemanden.“ , erwiderte Melchior, während die anderen an einem Tisch platznahmen. Der Seher machte trotz seiner ungewöhnlichen Erscheinung und die
Tierknochenanhängern offenbar keinen Eindruck auf die Frau. ,,Wenn ihr euch wieder prügeln wollt, erledigt das vor der Tür, Herr.“ , bemerkte sie lediglich. ,,Und seht zu, das ihr mir dabei nicht das Haus abfackelt.“ Die Wirtin hatte wohl mitbekommen, dass der Seher mindestens ein Artefakt bei sich trug. Oder vielleicht dachte sie auch, der Mann sei wirklich ein Magier. ,,Keine Sorge, das war nur ein Missverständnis.“ , gab Melchior zurück, bevor er sich zu Jiy und Zyle setzte. ,,Wenn es möglich wäre, ein paar Getränke zu bekommen…“ Geschickt schnippte er eine Silbermünze über den Tisch hinweg in Richtung Tresen, wo sie
auf der Kante stehend landete.
Die Wirtin zuckte mit den Schultern, bevor sie das Silber einsteckte und wenige Augenblicke später mit einem Steingutkrug und mehreren Metallkelchen zurückkam.
Das wäre vielleicht gar nicht so verkehrt, dachte Zyle. Es würde zumindest ein wenig seine Zweifel wegspülen.
Kapitel 38 Ein Versprechen