Kurzgeschichte
LIEBE, HASS UND BERNSTEIN

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"LIEBE, HASS UND BERNSTEIN"
Veröffentlicht am 05. April 2014, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: peshkova - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
LIEBE, HASS UND BERNSTEIN

LIEBE, HASS UND BERNSTEIN

LIEBE, HASS  UND  BERNSTEIN

Mit der Liebe ist das so eine Sache, mal trifft sie dich unverhofft, gleich einem Keulenschlag vor die Birne haut sie dich fast um, mal schleicht sie sich ganz zart von hinten heran, um dich dann umso intensiver zu erfassen. Meist sind wir Menschen involviert, doch auch Tiere oder Länder lassen sich ganz und gar ins Herz schließen.

Seit der 5. Klasse gehörte meine Liebe, im Gegensatz sicher zu vielen anderen Mitbürgern, der russischen Sprache. Es fiel mir leicht, die Vokabeln zu lernen, die verschnörkelten kyrillischen Buchstaben hatten so etwas

Andersartiges. Eben etwas, was an die große weite Welt erinnerte. Als dann noch die ersten Briefe mit den fremdländischen Briefmarken einflatterten, die ich sorgfältig ablöste und im Album verwahrte und ich damit meine Oma, die nie unsere Kleinstadt verlassen hatte, in grenzenlose Bewunderung versetzte, war mir klar, irgendwann musst du mal die Weltreise bis nach Russland unternehmen.

Gegenwärtig läuft allerorts die Diskussion über, bisweilen auch mit einem gewissen Wladimir Wladimirowitsch P. Den muss man nicht lieben, aber ihm zuhören wäre

allenthalben angesagt, vor allem, wenn man so gut russisch spricht wie eine gewisse Angela M. Und aufgrund gleicher bzw. nicht vorhandener körperlicher Größe, bei mir wäre dies schon ein Problem, hätten die zwei ja kein Problem, Augenhöhe zu wahren.

Eine große Anzahl von Russen, auf alle Fälle aber die Sankt Petersburger, scheinen ihren Kreml-Chef auch nicht gerade himmelwärts zu heben, wie mir Irina, unsere Dolmetscherin und Kunsthistorikerin in eben dieser Stadt, erklärte. Dafür begegnen sie den Deutschen mit Wohlwollen, ausgerechnet die ehemaligen Leningrader.

„Als Anfang der 90er Jahre wieder Lebensmittel knapp wurden in Sankt Petersburg schickten die Deutschen Pakete. Das vergessen wir nicht.“, sagte Irina. Sie begleitete regelmäßig Besuchergruppen, nicht selten auch Kriegsveteranen. Immer öfter fanden Treffen zwischen deutschen und russischen Soldaten in Sankt Petersburg statt. Die alten Männer saßen sich beim Tee gegenüber. Ein Russe erzählte von seiner Erkrankung, er benötigte dringend eine Operation. Sie war lebenswichtig, kostete umgerechnet 2000 Euro. Er konnte sie sich nicht leisten. Es gibt kein staatliches Gesundheitswesen mehr im heutigen Russland. Ein weißhaariger

Mann winkte Irina zu sich heran. „Sag ihm, ich übernehme die Kosten für ihn, das bin ich ihm schuldig.“  Als Irina die Geschichte sicher zum wiederholten Male erzählt, glitzern ihre Augen feucht.

Russland und die Deutschen eine Geschichte von Böse und Gut seit Jahrhunderten.

Die guten Jahre überwiegen. Man besinnt sich zunehmend wieder auf Traditionen, auf den Glanz von Katharina, der Großen. Jener Zerbst-anhalthinischen Prinzessin, deren einzigartiger Palast in Puschkin, 25 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt, in der Farben hellblau weiß gold in unglaublicher

Pracht erstrahlt.

Womit ich wieder bei der Liebe wäre. Nein, es war zunächst nicht die Liebe, die sie Peter den III. heiraten ließ und damit Russland und Deutschland verband. Doch bald schon schloss sie das Riesenreich in ihr Herz und ihre Antrittsrede in akzentfreiem Russisch

überzeugte jeden noch Zweifelnden, dass sie eine der „Ihren“ war.

Manch einer entwickelt auch zu Schmuckstücken solch fanatische Liebe, dass er über Leichen geht. Dererlei Gelüste sind mir fremd, allerdings fand seit meinem Kuraufenthalt  als Kind an der Ostsee der Bernstein und die ihn umgebenden Mythen und Erzählungen mein höchstes Interesse. Tränen des Meeres; der zu Kriegsende über Peenemünde, dem Bauplatz der V2 abgeworfene weiße Phosphor, der heute wie Bernstein aussieht, sich aber an der Luft selbst entzündet; riesige Urwälder in erdgeschichtlicher Frühzeit all das

regte meine Fantasie über alle Maßen an. Den Punkt aufs i setzte unsere Zeichenlehrerin mit ihren Erzählungen über das verschollenen Bernsteinzimmer. Seitdem verfolgte ich jede Veröffentlichung, jede noch so kleine Notiz darüber mit akribischer Genauigkeit.

Ab Ende der 70er Jahre beinhaltete meine Wunschliste der noch zu erreichenden Lebensziele den Besuch des nach gebauten Bernsteinzimmers. 25 Jahre arbeiteten die Künstler an der Wiederherstellung dieses genialen Werkes. Nach wiedergefundenen Schwarz-weiß- Fotografien erstellten sie

das verschollene Kunstwerk ein zweites Mal. Eine deutsche Millionenspende half, es zu vollenden.

Irina, die Kunstdozentin, schien der Einmaligkeit kaum mehr Bedeutung beizumessen wie all den anderen  bereits rekonstruierten Räumen des

Katharinenpalastes, als sie 2012 mit uns durch die Säle eilte.

Ich allerdings hielt inne, ehrfurchtsvoll mich verbeugend vor der Kunst der Meister.

Durchsichtiger, hellbrauner, dunkelbrauner, beiger und gelber Bernstein waren Stück für Stück zusammengefügt zu glatten Platten, zu Ornamenten, nur unterbrochen von Spiegelpilastern und in tiefem Orange herausgearbeiteten Stuckornamenten. Selbst die Truhen waren ringsum mit Bernstein verkleidet. Echtes Gold in Stuckbordüren und Leuchtern unterstützte den Glanz des Steines und seine Eleganz.

Zum 300. Gründungstag von Sankt Petersburg wurde das wiedererrichtete Kleinod 2003 übergeben, in Gegenwart eines Deutschen. Deutsch russische Geschichte.

Geschichten einer Verbindung, gewoben aus Berechnung und Liebe, Hass und Versöhnung, Dankbarkeit und Verständnis, Blut und Untergang und Wiedergeburt.

Die kleine anhaltinische Prinzessin regierte einst ein Riesenreich, auch weil sie ihm mit all ihrem aufklärerischem Gedankengut ihr Herz schenkte. Das Zeitalter der Aufklärung sollte hierzulande doch längst begonnen haben.

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Hörbuch

Über den Autor

Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

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erato 
Ich werde wohl eine Reise machen müssen......... :-)))
Sehr informativ und ansprechend.
Kompliment
GghG Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
roxanneworks 
Es wurde eigentlich schon alles gesagt, liebe Christine...
ein bemerkenswertes Buch, das sich zu lesen lohnt!
Hab Dank dafür...
und liebe Grüße
roxanne
Vor langer Zeit - Antworten
Feedre Ich mochte die russische Literatur auch schon immer
mag auch die Menschen..hab drei gute Freunde
aus Russland..die möchte ich nie missen...tolle Geschichte von dir..Danke!
LgF
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Schön, dass du sie gelesen hast. Ich glaube, ich sollte zu Russland noch mehr von meinen Freunden und Erlebnissen schreiben. Jetzt, wo das gesamte Land nur auf einen Mann reduziert wird, der nicht ins Bild vor allem der Amerikaner, die alles vorgeben, passt (und wir machen natürlich alles mit, weils der Bruder so sieht, ohne nachzudenken - es kommt mir vor wie vor 25 Jahren, bloß entgegengesetzte Richtung). Wer denkt schon an die 167 Mio Menschen, den meisten geht es nicht so gut. Dir einen schönen Tag, Christine
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Ostrowski, Aitmatow die russischen Literaten habe ich auch gern gelesen. Ich erinnere mich noch als ich ein kleines Kind war, da war ein russischer General bei uns zu Besuch, der brachte mir immer Schokolade mit. Das kannte ich ja gar nicht, weil es das noch nicht gab bei uns. Ich frage mich nur, wann hört dieses Hassgepredige mal auf, was man den Menschen in die Köüfe setzt. Deine gut geschriebene Geschichte hat mich wieder einmal stark beeindruckt.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Danke Bärbel, das meine ich auch. Es ist unerträglich, was vor allem die Medien zur Zeit den Leuten zumuten. Als ob wir alle total verblödet sind. Wenn ich mir allerdings die Kommentare im Internet dazu durchlese, dann machen die wenigsten das noch mit, gerade auch in Bezug auf Russland. Ich habe vor kurzem einen ganz interessanten Artikel von Augstein in Spiegel Online gelesen (ganz positiver A.) Er schrieb, Frau M. wurde gefragt, wie sie sich das denn nun vorstelle, da ihr Volk, der größte Teil, nicht mit den Russland - Ansichten der Regierung konfirm ist. Wie soll es weiter gehen? Antwort: Die haben doch von Politik keine Ahnung, also sollen sie uns mal lieber machen lassen. Hä? So was abgehobenes kommt mir irgendwie bekannt vor. So, dir erst mal einen schönen Sonntag, liebe Grüße Christine
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Das ist wohl wahr. Der Mensch hat es einfach verlernt zu denken und auf die Zwischentöne zu hören. Man kann nicht alles glauben, was einem da an Halbwahrheiten aufgetischt wird. Tja und wer an der Macht klebt, der läßt halt auch solche Sprüche, wie unsere Muddi, los.
Ihnen geht einfach jeder Sinn für Realitäten ab und sie kochen nur noch ihr eigenes Süppchen.
Die wird ihnen hoffentlich mal irgendwann versalzen.
Die auch noch einen schönen Sonntag.
Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW Eine eindrucksvolle, interessante und auch lehrreiche Geschichte hast Du da geschrieben. Danke. Ich bin leider nie aus Bayern heraus- gekommen, dazu fehlte immer das Geld. Habe mich aber wohl für andere Länder und deren Kultur interessiert. Schade, dass sich die wenigsten Menschen darüber Gedanken machen.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Liebe Gertraud, danke für deinen Kommentar. Ich glaube, wenn ich die Kommentare über die Meldungen Russland - Ukraine gegenwärtig lese, dass sich doch immer mehr Menschen Gedanken machen. Das ist gut so. Die alten Feindbilder neu aufgelegt, das nehmen die Menschen den Politikern und Medien nicht ab, so habe ich es heraus gelesen. Ja, es war schon immer mein Traum, die Welt zu bereisen. Und soweit es ging, habe ich ihn mir erfüllt, nicht erst im Rentenalter. Auch die Entscheidung war richtig. Heute können wir, mein Mann und ich, das nicht mehr. Bis Bayern kommen wir aber bestimmt mal, sieht momentan so aus, als wechseln wir unseren "künftigen" Hamburger Schwiegersohn gegen einen Münchner. Das Leben hält eben immer Überraschungen bereit. Dann melde ich mich, vielleicht kommen wir dann mal bei dir vorbei. Ganz liebe Grüße Christine
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW Ja, die Rusen, das war (und ist noch??) unser Feindbild. Schon als Kind hörte ich: "Macht die Fenster und Türen zu, die Russen kommen!". Sogar als mein Mann bei der Bundeswehr war hieß es: "Was machen sie, wenn ihnen im Wald ein Russe begegnet?". Durch die ganzen Medienberichte, die man um die Ohren gehauen bekommt, weiß man gar nicht mehr was man denken soll. Aber das ist das Los der Menschheit, dass sie nicht in Frieden leben kann - schade, sehr schade.
Übrigens, vielleicht meldest Du Dich, wenn Du einmal in München bist, würde mich freuen.
Herzlichen Dank für die Coins.
Liebe Grüße aus Bayern und ein schönes Wochenende
Gertraud
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