6 Jahre Haft wegen Vergewaltigung und Missbrauch Ein Fehlurteil Wie in Deutschland Recht gesprochen wird Von Rolf W.
Am 23. August 2005 verurteilte die 1. große Jugendkammer des Landgerichts- Mönchengladbach unter dem Vorsitzenden Richter Lothar B. den 36 jährigen Walter Anton W. Nach 18 Verhandlungstagen wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch, begangen an seiner Stieftochter Nicole H., und wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren. Außerdem wird der Nebenklägerin Nicole H. ein
Schmerzensgeld von 5.000,- Euro zugesprochen. Das Urteil ist zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts noch nicht rechtskräftig, da Revision eingelegt wurde. Hierüber ist noch nicht entschieden.
Ich beziehe Stellung: Ich halte das Urteil für falsch und den Verurteilten für unschuldig.
Eine schlampig und desinteressiert ermittelnde Staatsanwaltschaft, eine der Anklage verpflichtete Glaubwürdigkeitsgutachterin und ein nur scheinbar souveräner Vorsitzender Richter, der zum Schluss den Fall nur noch zu Ende bringen wollte - bei dieser Konstellation hatte der Beschuldigte
keine reelle Chance. Die Anfang Dezember 2005 bekannt gegebene schriftliche Urteilsbegründung enthält zudem eine Reihe von Fehlern in der Sachverhaltswiedergabe sowie Tatsachenbehauptungen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren und daher auch nicht überprüft wurden.
Soweit nicht ausdrücklich anders erwähnt beruht die nachfolgende Darstellung auf meiner eigenen Kenntnis der Personen und Örtlichkeiten und als Zuschauer der Hauptverhandlung. Nicht mit anhören konnte ich lediglich die beiden Aussagen der Hauptbelastungszeugin Nicole H.. Nach deren erster Aussage war meine Aussage
die zweite im Ablauf der Hauptverhandlung, sodass es mir möglich war, alle anderen Aussagen mit der erwähnten einen Einschränkung anzuhören.
Als die Hauptverhandlung (HV) am 10. Januar 2005 eröffnet wurde, waren fast auf den Tag genau 2 Jahre vergangen, seit die Ermittlungsakte mit dem Geschäftszeichen xxx Js 54/03 angelegt worden war. Eine HV ist auch immer eine Bühne, auf der sich ein Drama abspielt, selbst wenn die Hauptdarsteller kaum etwas sagen wie in einem der späten Stücke von Samuel Beckett. Ich stelle sie Ihnen vor.
Walter Anton W.
Der Täter (oder das Opfer)
Walter W. (nachstehend WW oder Walter) wurde am 16.Mai 1968 als erstes Kind des Maurers Anton W. und seiner aus Belgien stammenden Ehefrau Marthe v. A. geboren. Das Paar hatte ein Jahr zuvor geheiratet. Es folgte 1970 die Tochter Martina und 1972 der Sohn Stephan. Marthe hatte zudem den unehelichen Sohn Rudolf mit in die Ehe gebracht. Eine ganz normale junge Familie.
Am 25. des Monats war das Geld knapp, und man hätte gerne ein oder sogar zwei zusätzliche Kinderzimmer gehabt.
Es sollte jedoch anders kommen.
Im März 1973 spielte die 2 Jahre und 9
Monate alte Martina mit anderen Kindern vor dem Haus. Plötzlich geriet sie auf die Straße, ein PKW erfasste sie, schleuderte sie durch die Luft. Sie war sofort tot. Walter sah vom Wohnzimmer aus zu.
Anton W. konnte den Tod seiner Tochter nicht verwinden. Er begann zu trinken, war tagelang nicht zu
Hause, bekam Schwierigkeiten bei seiner Firma. Er versoff das Geld, die Ehe kriselte. Im Januar 1975 legte
er sich volltrunken auf die Bahnschienen der viel befahrenen Strecke Mönchengladbach - Neuss. Es konnte nie mit Sicherheit geklärt werden, ob es eine Handlung im Suff oder ein
Selbstmordversuch war. Walter war alt genug, um die verheerende Wirkung des Alkohols auf seinen Vater zu erkennen. Nie sollte ihm so etwas passieren. In der Verhandlung beantwortete er die Frage nach dem Alkoholgenuss: "Wenn ich Auto fahre nie, und auch sonst höchstens mal am Wochenende vorm Fernseher gemeinsam mit meiner Frau eine Flasche Bier". Das Gericht bewertet diese Angabe mit "Der Angeklagte trinkt gelegentlich in Maßen Alkohol..". Schlampig formuliert oder Absicht? Behalten wir die Trinkgewohnheiten im Auge.
Weiter in der Vita. Marthe war noch keine 24 Jahre alt, als sie Witwe wurde.
Sie musste 3 Jungen
großziehen. Sie versuchte es. Jeder der Jungen hatte ein Haustier, Walter z.B. (wie heute) einen Hund.
Marthe arbeitete in einer Restaurantküche. Zu ihrem Verständnis von Erziehung gehörten auch Strafen. Der Ledergürtel wurde oft benutzt. Im Laufe der Jahre "drohte" einige Male ein neuer Papa. Die Jungen wollten den jeweiligen Bewerber aber nicht; die Mutter hat dann erst 2004 einen alten Bekannten geheiratet.
Nach der Hauptschule übte Walter verschiedene Berufe aus, zum Teil nur sehr kurze Zeit. 3 Tätigkeiten sollen erwähnt werden. Zunächst arbeitete er
etwa 2 Jahre als "Volontär" bei der Baufirma "S. Bau GmbH". Es entstanden persönliche Kontakte zur Geschäftsführerin Karola S. und ihrem Vater Erwin S., die auch locker bestehen blieben, nachdem die Firma wegen Missmanagements Konkurs anmelden musste. Beide waren Zeuge im Prozess.
Nach Ableistung des Wehrdienstes arbeitete WW bei verschiedenen Wachfirmen, zuletzt und am längsten
in einem Depot der US-Armee in Herongen. Zu den Aufgaben gehörten Kontrollgänge mit speziell ausgebildeten Wachhunden. Er konnte auch an deren Ausbildung teilnehmen und erreichte, dass sein eigener Hund eine solche
mitmachen und dann eingesetzt werden konnte. Als Junggeselle übernahm er gerne die unbeliebten Nachtschichten am Wochenende. Hier lernte er auch Jörg Wa. kennen, der in gleicher Position
im Depot beschäftigt war. Zunächst waren die beiden enger befreundet. Nachdem Wa. aber seinen Hund an einem heißen Sommertag im verschlossenen Auto gelassen hatte und das Tier an Hitzschlag gestorben war, kühlte das Verhältnis stark ab. Als die Amerikaner das Depot in Herongen schlossen, waren beide arbeitslos und verloren sich aus den Augen.
Die letzte längere Tätigkeit war 1997/98 der Einsatz als Verkäufer beim
Warenhaus Real in Mönchengladbach. die er sich selbst gesucht hatte, befristet auf 3 Monate. Sie wurde noch zweimal um jeweils 3 Monate verlängert; dann hätte er nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Festanstellung bekommen müssen, wozu Real aber nicht bereit war. Danach übernahm er Aushilfsjobs, vor allem bei der Glasreinigungsfirma seines Bekannten Udo K.
Im Sommer 1991 lernte er seine spätere Ehefrau Ingeborg H. kennen. Etwa ein Jahr später zogen sie zusammen. Die gemeinsame Tochter Natalie wurde am 15.3.1995 geboren. Im August 1997 heirateten die beiden. Zu dieser Zeit trafen sie bei einem Stadtbummel zufällig
Jörg Wa., der sofort von Ingeborg H. (bei der Eheschließung hatte jeder seinen Namen behalten) angetan war und danach regelmäßig zu Besuch kam, vorzugsweise wenn Walter nicht zu Hause war. Dieser Jörg Wa. sollte im Strafverfahren eine entscheidende, wenn auch sehr dubiose Rolle spielen.
Ingeborg H.
Die Ehefrau und Mutter
Ingeborg H.( im folgenden IH oder Inge) wurde am 4.9.1964 als Tochter von Heinrich H. und seiner Ehefrau geboren. Sie hat noch eine ältere Schwester. Die Mutter starb früh und die Tante Christel H. wurde die Ersatzmutter der Mädchen. H. wohnten nämlich zusammen. In dem 7
Parteien Mietshaus Mönchengladbach- Rheydt, einem Altbau, gab es 3 Wohnungen H.: Heinrich H. und seine beiden Geschwister Christel und Kurt. Nach ihrer Scheidung zog Ingeborg zunächst zu ihrem Vater. Später mietete sie in dem Haus eine eigene Wohnung, als eine frei wurde. Von da an also 4 mal H. im Haus.
Man kann die Erziehung durch Tante Christel nur als Katastrophe bezeichnen. Das Credo: Wir sind arme einfache Arbeiter, die zusehen müssen, wie sie durchs Leben kommen, am besten durch Anpassung an alle Autoritäten, die uns über den Weg laufen, war schon in den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts
antiquiert. Jedenfalls war Tante Christel in der Formung der Persönlichkeit Ingeborgs sehr erfolgreich. Im Sommer 1987 lernte Inge Mathias Pietsch kennen. 2 Meter groß, fast 100 Kilo schwer, ein Mann mit einem selbstsicheren Auftreten, ein Traummann. Der sich für sie, die zwar freundliche, aber etwas langweilige Blondine interessierte! Sie heirateten am 16.11.1987. Inge wurde mit Nicole schwanger. Am
1.6.1988 trennte sich das Ehepaar P. Nicole wurde am 31.7.1988 geboren. Die Scheidung wurde am 27.11.1990 ausgesprochen. Die Namen Ingeborg und Nicole P. wurden auf Inges Antrag in H. geändert.
Soweit die Fakten. Warum die kurze Ehe? Mathias P. , der Strahlemann, entpuppte sich als Macho der besonders schlimmen Art. Er nahm sich sein "eheliches Recht" wann er wollte, und er wollte oft. Er wurde handgreiflich. Sie zeigte ihn an. Hochschwanger trennte sie sich von ihm und zog zu ihrem Vater. Mathias P. erlangte ein Jahr später überregionale Berühmtheit. Nicht nur die Lokalzeitungen, auch Wochenillustrierte berichteten. P. tötete ein junges Mädchen, eine Zufallsbekanntschaft, und ließ die Leiche dann in seiner Wohnung einfach liegen. Später gab er an, sich an nichts erinnern zu können. Psychiatrische Untersuchungen
führten zur Diagnose Borderline-Syndrom, einer Persönlichkeitsstörung. So wurde er nicht wegen Mordes verurteilt sondern in eine psychiatrische Anstalt in Bayern eingewiesen. Von ihm überliefert ist der Spruch: "Lieber in der Klapse als im Knast."
Bei der Geburt Nicoles kam es zu Komplikationen. Sie war eine Frühgeburt und hat nach Angaben der Heilpädagogin Marianne K., die Mutter und Kind jahrelang betreute, nur 960 Gramm gewogen. Es
hat auch Störungen in der Sauerstoffversorgung des Gehirns gegeben, was sich auf die Motorik einzelner Körperteile auswirkte. In den
Folgejahren entwickelte sich Nicole jedoch sehr gut und, meinte K. in ihrer Zeugenaussage vom 9.1.2003, heute könne von einer geistigen Behinderung keine Rede mehr sein. Nach der Heirat mit Walter W. wohnten die Eheleute mit Nicole und Natalie noch bis Anfang 2000 auf der Gasstraße, dann zogen sie nach Jüchen.
Ingeborg H. ist für mich eine, vielleicht sogar d i e Schlüsselperson des gesamten Falles. Das mag überraschen, wenn man weiß, dass sie in der Hauptverhandlung auf Anraten von WWs Anwalt von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte. Die Gründe des Anwalts für diesen Rat sind für IH nicht
schmeichelhaft, wenn auch nachvollziehbar. Ich werde beim Bericht über ihre polizeiliche Aussage und ihre Richterliche Befragung noch darauf eingehen.
Warum ist IH aus meiner Sicht so wichtig? Ganz einfach: Wenn Nicoles Beschuldigungen zutreffen, m u s s die Mutter etwas gemerkt haben. Es geht nicht anders. Diese schlichte, aber doch so bedeutsame Kerntatsache ist offenbar der Staatsanwaltschaft und der "Gegenseite" sehr viel früher und sehr viel eindringlicher bewusst geworden als der Verteidigung. Nur so ist zu verstehen, wie mit IH umgegangen wurde, warum schließlich auch Nicole
unter Beeinflussung durch Dritte (man könnte Namen nennen) ihre Mutter praktisch der Mittäterschaft beschuldigte.
Nicole H.
Das Opfer (oder die Täterin)
Nicoles Start ins Leben war nicht der beste. Ihr Mutter nutzte mit Hilfe von Frau K. alle staatlichen und privaten Fördermaßnahmen, um die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Nicole holte auf, zunächst rasant, dann langsamer, so dass, als die Geschichte Anfang 2003 ins Rollen kam, "kaum noch" etwas von einer Behinderung geistiger oder körperlicher Art zu bemerken war. Dieses "kaum noch" ist zwar ein leicht
vergiftetes Lob, in Nicoles Fall aber wohl zutreffend.
Nicoles Welt heißt H. . Sie verbringt viel Zeit bei ihrer Tante Christel, spielt mit deren Tiere. Onkel Kurt versorgt sie mit Bier- und Schnapsnachschub vom nahe gelegenen Büdchen. Sie darf das Flaschenpfandgeld behalten und hat so immer etwas Taschengeld. Von Opa Heinrich H. bekommt sie regelmäßig die "Bravo". In der Schule läuft es einigermaßen. Die Zeugnisse weisen zwar kein "gut" oder "sehr gut" aus, aber auch kein "mangelhaft". Nicole mag die Schule nicht, das Mitkommen im Unterricht fällt ihr oft schwer, und sie muss sich sehr anstrengen für all die
"befriedigend" und "ausreichend". Solange sie bei ihrer Mutter lebt, bleibt sie in Grund- und Hauptschule kein einziges Mal sitzen. Nicole ist zufrieden.
Das ändert sich zunächst nur wenig, als WW bei ihrer Mutter einzieht. Trotzdem registriert Nicole, dass
sie nicht mehr die alleinige Gunst und Aufmerksamkeit der Mutter besitzt. Sie beschuldigt Walter W. , sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben (WWs Version), bzw. sie unten angepackt zu haben (Nicoles Version gegenüber der Gutachterin D.). Polizei und Jugendamt werden eingeschaltet. Nicole erklärt, erschreckt über die heftige Reaktion der Behörden, das
stimme alles nicht, sie habe ihn nur ärgern wollen (WWs Version) , bzw. da das Anpacken keine Spuren hinterlassen hat, habe man ihr nicht
geglaubt (Nicoles Version). Jedenfalls: Die Sache wird nicht weiter verfolgt, weil man von seiner Unschuld überzeugt war (WW), weil Lehrerin, Polizei und Jugendamt gemeinsam die Sache unter den Teppich
kehrten (Nicole). In der Hauptverhandlung ist dieser Vorfall, obwohl aus dem D.-Gutachten bekannt, nicht zur Sprache gekommen. Aktenunterlagen oder Zeugenaussagen für die Richtigkeit der einen oder anderen Version gibt es nicht (mehr).
Die Eheleute W. und H. einigten sich, dass Walter möglichst nicht mehr alleine mit Nicole bleiben sollte. Wann immer die Mutter das Haus verließ nahm sie deshalb Nicole mit.
Natürlich kommt der Gedanke hoch, nach 6 oder 7 Jahren hat er oder sie es jetzt wieder versucht. Ob er oder sie, dafür gibt es allerdings keine Anhaltspunkte. Trotzdem ist die Geschichte, sehr viel später und an ganz
anderer Stelle platziert, ein kleines Mosaiksteinchen zum Beweis von Walters Unschuld.
Der Umzug nach Jüchenwar eine große Umstellung für Nicole. Sie konnte nun nicht mehr die Nachmittage bei Tante
Christel oder Opa Heinrich verbringen. Während die kleine Schwester Natalie im der Wohnung gegenüber liegenden Reiterhof Schnitzler schnell Anschluss fand und sich im Stall nützlich machte, fand Nicole kaum neue Freunde. Der Enkel der Nachbarin Feik war der einzige in ihrem Alter, aber er zeigte ihr die kalte Schulter. Ihre größte Freude war die Beschäftigung mit dem Internet. Erlaubt war ihr aber nur eine Stunde am Tag; zudem waren viele Seiten für sie gesperrt. Sie empfand diese Beschränkung als sehr ungerecht, zumal der Stiefvater sehr viel länger am Computer saß.
Ende September 2002 fuhr Nicole zur
Kur nach Bühl am Alpsee. Der Aufenthalt wurde zweimal verlängert und dauerte insgesamt 10 Wochen. Als sie zurück kam hatte sie sich verändert. Angehörige und Freunde, die sie danach erlebten, schildern sie als frech und aufsässig und nicht mehr bereit, sich in die Familie einzufügen. Sie selbst sagt ein Jahr später der Gutachterin D., in der Kur sei sie selbstsicherer geworden. Heiligabend 2002 erlebten Opa Heinrich und ich (eingeladen zur Bescherung) eine Nicole, die wie jedes Kind freudig - erregt ihre Geschenke auspackt. "Danke, danke", Küsschen auf die Wange (auch an Walter !!). Alles schien in bester Ordnung.
Ein Trugschluss. Es blieben nur noch ein
paar Tage Galgenfrist.
2003/2004
Zwei Jahre bis zum Prozess
Am 28. Dezember 2002 brachte WW Nicole zu ihrer Patentante Susanne S. (SS). Nicole sollte bis
Silvester bleiben, blieb dann aber bis 6.Januar 2003. Am 2.1 rief SS die Heilpädagogin K. an, die am 3.1.2003 mit Nicole sprach. Soweit ist die Sache klar nachzuvollziehen. Was dagegen in den 6 Tagen vom 28.12. bis 2.1. bei S.s geschah, ist schon etwas nebulöser. Die Aussage der Susanne S. in der HV war eine Farce. Sie betrat bereits heulend den Gerichtssaal und verließ ihn auch heulend. Sie konnte sich praktisch an
nichts erinnern, hatte alles verdrängt. Wollte der Vorsitzende behutsam nach Einzelheiten fragen, wurde das Heulen stärker. Selten ist Zeugengeld so nutzlos gezahlt worden.
Aber wir haben die polizeiliche Aussage vom 9.1.2003. Sie offenbart Seltsames.
"Als sie (Nicole) dann kam, bemerkte ich, dass sie die ganze Zeit weinen musste. Ich hatte zunächst keine Zeit, mich darum zu kümmern, weil ich ja noch 5 eigene Kinder da hatte. Irgendwann bin ich aber doch zu
ihr gegangen. Sie war da im Badezimmer und weinte. Ich fragte, was los ist.
Sie meinte, dass er nur noch am Motzen wäre. Er hätte gefordert, dass sie sich
nach vorne setzen sollte im Auto. Das wollte sie aber nicht. Sie wollte sich nur noch nach hinten setzen.
Ich habe das nicht verstanden und sie gefragt, was das bedeutet. Sie sagte zunächst nichts. Ich habe da
aber eine Vermutung gehabt. Ich hatte ein ungutes Gefühl.
Ich habe deshalb gefragt, ob der Walter sie mal angefasst hätte. Sie zeigte dann so auf die Brust und meinte, dass er sie da berührt hätte. Ich habe sie gefragt, ob er das dann absichtlich gemacht hat oder aus Versehen. Dazu hat sie sich nicht klar geäußert. Was sie dazu gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Danach habe ich sie nicht weiter gefragt und in Ruhe gelassen."
Komisch. Nicole kommt heulend an, und die Tante stellt nicht sofort die einzig vernünftige Frage: Was ist denn los? Nicole heult weiter und IRGENDWANN hat Tante Susanne Zeit zu fragen. Die Antwort: Er ist nur am Motzen, und ich soll mich im Auto nach vorne setzen.
Das Verhalten der SS ist allen, die Nicole kennen, völlig verständlich. Das Heulen, eher ein verstärktes Schniefen, ist sozusagen Nicoles tägliche Erscheinungsform. Irgendwann im Laufe eines Tages läuft ihr eine noch so kleine Laus über die Leber, und Nicoles Gesichtszüge wechseln zu "beleidigte Primadonna". Weil das so täglicher Usus ist, fragt auch keiner nach. Die Sache
legt sich schon wieder. Vor diesem Hintergrund versteht man, warum SS nicht sofort fragt.
Der nächste Punkt ist Nicoles angebliche Weigerung, sich nach vorne zu setzen. Obwohl es nirgendwo ausdrücklich gesagt wird, soll damit wohl unterstellt werden, dass er, wenn sie vorne sitzt, während der Fahrt mit der rechten Hand mal rübergrapscht, etwa an ihre Brust. Auch SS denkt sich so was.
Der Wagen, um den es geht, ist ein Mitsubishi Pajero Sport, ein Geländewagen. Er ist etwa 20 cm breiter als ein gewöhnlicher PKW und hat vorne zwischen Fahrer- und Beifahrersitz eine Mittelkonsole, auf der auch der
Bildschirm des Navigationssystems steckt. Ich habe es ausprobiert: Ein normal großer Mann (ich bin 1,76) kann während der Fahrt nur dann zielgenau rüber greifen, wenn er sich so weit nach rechts beugt, dass ein dem Verkehr angepasstes Lenken und Gasgeben nicht mehr möglich ist. WW ist mit
knapp 1,70 auch noch entscheidende Zentimeter kleiner.
Interessanter noch ist, dass demgegenüber die Rücksitze, auf die sich Nicole aus Furcht setzt, ein ideales "Betätigungsfeld" bieten. Die Scheiben der Fenster sind getönt (man kann von außen nicht hineinsehen, während die Sicht von innen nach draußen nur etwas
verdunkelt ist) und die beiden Wagentüren sind mit Kindersicherung ausgestattet, d.h. die Öffnungsmechanik kann so eingestellt werden, dass die Türen nur von außen geöffnet werden können. Also: Ein Fahrer mit bösen Absichten lässt sein Opfer hinten sitzen. Selbst mitten in der Stadt kann er in eine Parklücke fahren, hinten einsteigen und sich ohne Furcht vor neugierigen Blicken auf den Rücksitzen "vergnügen".
Hat Nicole da etwas verwechselt? Noch gegenüber der Psychologin D. wiederholt sie diese Vorne- Hinten-Geschichte. Es gibt eine einfache Erklärung. Der Wagen, erst Anfang Dezember 2002 angeschafft, ist Nicole bezüglich seiner Ausstattung
nur oberflächlich bekannt, weil sie nur wenige Male damit gefahren ist. Sie hat sich die Geschichte ausgedacht und kann sie, da der Stiefvater den Wagen bei seinem
Auszug im Januar mitnimmt, auch später den "technischen Gegebenheiten" nicht anpassen.
Noch ein Satz zur Brust, an die WW sie gefasst haben soll. Es gibt lt. Nicole nach ihrer Rückkehr aus der
Kur "nur" noch einen Übergriff, bei dem er sich ausschließlich auf die "unteren Regionen" beschränkt. Die Brust wird eigentlich nur noch einmal bei der Polizeibefragung am 8.1.2003 erwähnt, danach kommt sie in Nicoles Aussage
nicht mehr vor. Komisch: wenn man sich langsam öffnet, berichtet man dann nicht von solchen Taten, die am kürzesten zurück liegen?
Susanne S. fragt weiter .Am 2. Januar 2003 "meinte sie zu mir: Ja, der hat mir den schon mal reingedrückt.......... Ich habe dann sofort meine Cousine (IH) angerufen und ihr gesagt was Nicole erzählt hat. Ingeborg meinte am Telefon, dass das doch gar nicht sein kann. Nicole sei doch nie alleine zu Hause.
Das habe ich dann Nicole gesagt. Nicole sagte, dass es draußen war beim Gassi gehen.
Ingeborg meinte darauf, dass da doch immer die Natalie dabei ist. Nicole sagte
dann, dass die Natalie zugeschaut hätte. Es wäre an irgendeiner Hütte gewesen."
Seltsam: Das letzte Mal war Zuhause, vor wenigen Tagen, als Mama duschte. Das letzte Mal am Hochsitz
war vor der Kur, also vor 3 Monaten!! (Wenn man Nicole glaubt). Warum erwähnt sie den Vorfall daheim auf den Einwand der Mutter hin nicht?
Eine Erklärung: Am 8.1.2003, bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung, sagt sie ebenfalls, der letzte Vorfall sei vor der Kur am Hochsitz gewesen. Einen Tag später, am 9.1.2003 ist ihr dann der Vorfall zu Hause wieder eingefallen.
Susanne S. ist das alles zuviel. Sie ruft mit Einwilligung ihrer Cousine die
Heilpädagogin i.R. K. an, die am nächsten Tag mit Nicole spricht.
Marianne K.
3.1.2003
Frau K. kennt Nicole seit der Geburt. Sie war im Rahmen ihrer damaligen beruflichen Tätigkeit Mutter und Kind behilflich bei der Bewältigung der Folgen von Nicoles Behinderung aufgrund der Probleme bei der Geburt. Sie ist 62 Jahre alt, seit einigen Jahren pensioniert und noch ehrenamtlich im Vorstand der Mönchengladbacher Sektion des Kinderschutzbundes "Zornröschen" tätig. In den letzten Jahren hat sie die Familie etwa 4 mal im Jahr besucht. IH musste vierteljährlich für den Vater Nicoles
einen handschriftlichen Entwicklungsbericht verfassen, und Frau K. half bei der Formulierung.
Frau K. gibt am 9.1.2003 zu Protokoll: "Am 2.1.2003 rief Frau S. an. Sie berichtete mir, dass
Nicole ihr gegenüber geäußert habe, dass Nicole von Herrn W. sexuell missbraucht werde (!!). Am 3.1. holte ich Nicole bei S. ab. Im Auto habe ich mich dann in Ruhe mit Nicole unterhalten.
Ich habe Nicole gefragt, was denn passiert sei und ob es stimmt. Sie antwortet sofort mit "Ja". Ich habe dann weiter gefragt, ob er mit ihr geschlafen habe. Das beantwortete sie auch mit "Ja". Darauf habe ich gefragt, ob es
einmal oder mehrfach passiert sei. Sie gab an, dass es schon mehrfach war und es schon den ganzen Sommer andauert.
Auf die Frage, ob es auch schon letztes Jahr passiert sei (gemeint ist wohl 2001, der Verf.), sie antwortete darauf "ja, ja, es ist schon lang."
Ich habe sie auch gefragt, "Wie oft in der Woche?" Sie sagte dann, dass es ganz unterschiedlich gewesen wäre. Manchmal war es dreimal, aber auch einmal.
Weiter habe ich sie gefragt, wann denn das letzte Mal war. Sie sagte darauf, dass es vor der Kur war. Sie gab aber auch an, dass er sie jetzt ständig bedrängt, mit ihm alleine zu sein. Sie
erklärte mir, dass z.B. über die Feiertage alle bei Bekannten gewesen wären. Dort wollte Herr W. mit ihr alleine die Hunde ausführen. Nicole hat sich aber geweigert. Dann ist aber die Mutter mit allen zusammen gegangen. Herr W. hat Nicole
weiter unter Druck gesetzt, indem er ihr erklärt hat, dass er den Wagen der Frau W. nicht reparieren würde, wenn sie nicht mit ihm schläft.
Ich habe sie dann auch gefragt, was dann gewesen wäre, wenn sie mit ihm geschlafen habe. Sie gab an, dass sie dann u.a. ins AOL Internet gehen dürfte.
Ich glaube, dass Nicoles Angaben sehr glaubwürdig sind. U.a., da (sie) mir ganz
nebenbei erzählte, dass Herr W. sie am Freitag davor mit dem Auto zu Frau S. gebracht habe. Sie habe sich extra nach hinten gesetzt, damit sie weiter von ihm weg sitzt. Herr W. habe sie aber sehr bedrängt, dass sie vorne einsteigt."
Frau K. ist eine Autorität. Ihre Aussage in der HV, die fast wörtlich mit dem gerade wiedergebenden Protokoll übereinstimmt, wird nicht angezweifelt, und auch ich will das nicht tun.
Aber es ist zu kritisieren, was das Gericht in der schriftlichen Urteilsbegründung (Seite 15) daraus macht: K. ".. habe daraufhin behutsam nach den näheren Umständen gefragt, worauf die Zeugin NH geantwortet habe,
dass sich die Vorfälle in Abwesenheit der Mutter oder anlässlich des Ausführens der Hunde mit dem Angeklagten zugetragen haben."
Also, ICH lese da nichts von Mutter und Zu Hause (Abwesenheit). Kann ja auch gar nicht, denn zu diesem Zeitpunkt hatte Nicole noch gar nicht von Übergriffen in der Wohnung berichtet! Und sie erwähnt das Ausführen der Hunde bei einem Besuch (!!), während das Gericht , wie aus dem Kontext zu entnehmen ist, die Spaziergänge von der Familienwohnung zum Hochsitz meint.
Was hat nun Nicole der Frau K. Neues erzählt? Dass ES mehrmals passiert ist, sogar mehrmals die Woche, Aber WAS
genau, sagt sie nicht Das liegt auch an Frau K., die Fragen stellt, die einfach mit "Ja" zu beantworten sind. Versteht eine 14jährige unter "Miteinander schlafen" dasselbe wie eine 62 jährige? Ich will hier keine Wortklauberei betreiben, aber noch einen Tag vorher sagt sie zu ihrer Tante, er habe ihn ihr SCHON MAL reingedrückt. Ist dreimal pro Woche über mehr als ein Jahr "schon mal"? Frau K. ist
jedenfalls davon überzeugt, dass Nicole missbraucht worden ist. Es ist schon ein wenig Ironie dabei, dass ausgerechnet das Argument des Vorne-Hinten-Sitzens die letzten Zweifel der K. beseitigen, ein Argument, das im besten Fall unsinnig,
im schlimmsten Fall nachweislich mit falscher Logik ausgedacht wurde.
Frau K. weist WW aus der Wohnung und ordnet eine Untersuchung Nicoles bei der Frauenärztin an. Wie sagt sie? "Frau H. befolgt meine Anweisungen eigentlich immer sofort und möchte nur das Wohl ihrer Kinder".
Nicole bekommt in diesen Tagen viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. "Offiziell" geht es erst am 8.1.2003 mit der Vernehmung im PP Mönchengladbach weiter. Nicole hat also immerhin 5 Tage Zeit, ihre Gedanken zu sammeln und zu ordnen. 5 Tage sind eine lange Zeit.
8.1. und 9.1.2003
Polizeiliche Vernehmungen
NICOLE
Walter W. hat am 6.1.2003 auf "Weisung" von Frau K. (sie drohte, sonst würde sie dafür sorgen, dass beide Kinder in ein Heim kämen) die Familienwohnung verlassen. Am selben Tag ist Nicole nach Hause zurückgekehrt. Am 7.1. wird sie von der Frauenärztin B. untersucht, die feststellt, dass Nicole "entjungfert" ist und die formell Strafanzeige erstattet. Nicole wird am 8.1. und am 9.1. polizeilich vernommen; die Einvernahme am 8.1. wird, offensichtlich nach Befragung anderer Zeugen, noch einmal aufgenommen.
Ich habe hier Kernaussagen Nicoles zusammengestellt.
8.1. 1. Vernehmung
"Das hat schon angefangen, als wir noch in der alten Wohnung auf der Gasstr. gewohnt haben (Umzug war März 2000).
Ich habe öfter mit Walter geschlafen. Wenn sich die Gelegenheit ergab. Wenn meine Mutter Sachen eingekauft hat oder beim Gassi gehen.
Manchmal war es bestimmt jeden zweiten Tag, manchmal war es aber auch nur einmal die Woche.
Ich habe es niemandem erzählt, weil ich Angst hatte. Ich wollte es zwischendurch immer meiner Mutter sagen, habe mich aber nicht getraut. Die leidet jetzt auch darunter. Das wollte ich nicht.
Am Baumhaus: Meine Schwester sollte immer Pfandflaschen suchen. Das hat sie meistens nicht
gemacht. Sie hat dann aber mit dem Hund gespielt.
Das haben wir an dem Baumhaus unten auf dem Boden gemacht.
Ich sollte mich ausziehen. Ich habe die Hose runtergezogen bis zu den Füßen. Auch zuhause, wenn meine
Mutter nicht da war. In meinem Zimmer.
Zuhause war bestimmt dreimal im Monat..
Das letzte Mal war noch vor der Kur. An diesem Baumhaus im Feld.
Er hat sich auch meistens Pornofilme angeguckt, wenn wir dabei waren. Er hat
immer nur gesagt, dass ich es nicht weitersagen soll."
Frage: Hat Walter auch mal Natalie angefasst? Antwort: Wo ich dabei war, nicht. F.: Hat sie denn mal etwas erzählt? A.: Nein. Ich wüsste nichts davon."
Damit endet der 1. Teil. Es folgt ein Vermerk der befragenden Beamtin. Auszüge:
"Nicole macht einen altersentsprechenden Eindruck. Entgegen den Angaben der Mutter macht sie hier einen kaum geistig behinderten Eindruck. Sie scheint nur etwas länger zu brauchen, bis sie die Dinge aufnimmt und verstanden hat.
Anfangs versuchte sie jeglichen Fragen zu genauen Tathandlungen auszuweichen.
Nicole war insbesondere in Anwesenheit der Mutter stark angespannt und beobachtete ständig die Reaktion dieser, die immer wieder weinte..... Sie wiederholte mehrfach, dass sie nicht ansehen kann, dass ihre Mutter leidet."
"Im Anschluss an die Befragung der Zeugin M. (der Name wird auf Wunsch der Zeugin abgekürzt) ", heißt es weiter," wurde noch einmal Nicole befragt. Sie gab nach entsprechender Belehrung folgendes an:
Es stimmt, dass Walter auch Natalie angefasst hat.
Ich habe es eben nicht erzählt, ich hatte Angst, dass Natalie so damit hinein gezogen wird. Er hat auch mit Natalie geschlafen.
Er hat uns mit der Kamera beobachtet, wenn wir uns umgezogen haben.
Frage: Frau M. hat erzählt, dass du dich selbst befriedigt hast. Antwort: Das hat er mir befohlen. Ich habe das öfter gemacht.
Er hat auch Natalie unten schon dran geleckt. .. Mit Natalie hat er genau dasselbe gemacht wie mit mir.Mit mir hat er es aber öfter gemacht.
Ich habe auch genau gesehen, dass er mit Natalie geschlafen hat.
Frage: Du hast von vielen Verboten
gesprochen. Was waren das für Verbote? A.: Ich durfte nicht bei Bekannten schlafen und nicht ins Internet. Ich durfte kaum noch mit dem Hund raus gehen."
Anmerkung: Der zweite Teil der Befragung Nicoles erfolgte nach der Befragung ihrer Schwester Natalie. Nach Angaben Natalies hat Nicole bei ihrer Befragung zugehört.
Die Befragung am 9.1.2003 ist kürzer. Kernsätze:
Ich habe Angst, dass ich ins Kinderheim muss. Das hat der ja gesagt, dass ich das muss. Nach Rückkehr aus der Kur ist noch einmal vor Weihnachten etwas passiert.
Es war am Abend. Mama war unter der Dusche. Natalie war mit im Zimmer. Er kam dann ins Zimmer und hat mich unten geleckt.
Er hat an meiner Scheide geleckt und ist auch ein bisschen drin.
Ich habe immer versucht, seinen Kopf wegzudrehen oder wegzutun. er hat aber nicht aufgehört.
Meine Schwester - ich glaube die war schon am Schlafen. Ich weiß nicht, ob die was mitbekommen hat. Frage: Wir haben im Kinderzimmer einen Pornofilm gefunden. A.: Ich habe solche Filme nicht gesehen. Ich weiß nicht, wie er ins Kinderzimmer gekommen ist. Er hat solche Filme immer geguckt."
Mit dieser Vernehmung ist Nicoles Aussagetätigkeit zunächst beendet. Erst Ende Dezember 2003/ Anfang Januar 2004 wird sie von der Diplom Psychologin D. für das Glaubwürdigkeitsgutachten erneut befragt.
Am 8.1. wird auch die jüngere Schwester Natalie befragt. Kernaussagen:
"Ich sollte Fernsehen gucken und wo wir am Hochstand waren, sollte ich Pfandflaschen suchen. Am Hochstand war dreimal, kann aber auch öfter.
Nicole sollte sich ausziehen und Papa hat sich auch ausgezogen. Nicole sollte sich hinlegen-- Papa hat sich dann auf die
drauf gelegt.
Am Hochstand: Nicole sollte sich ausziehen und ich sollte Pfandflaschen suchen. F.: Was ist dann passiert? A.:.... F.: Wieder das gleiche? A.: Ja
F.: Hat Papa dich auch mal berührt? A.: Glaube nicht.
Noch mal F.: Hat dich Walter, dein Papa, berührt? A.: Ich weiß nicht mehr. Ich weiß nicht mehr." Natalie wird einen Tag später gegen ihren Willen ebenfalls von der Frauenärztin Be. gynäkologisch untersucht. Es
wird keinerlei Reizung oder Schädigung festgestellt.
Am 8.1. und 9.1. wird auch die Mutter Ingeborg H. vernommen. Da sie in der
HV von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte, konnten diese Aussagen nicht herangezogen werden. Ich will sie trotzdem kurz darstellen, da sie ja zunächst in der Welt waren und beachtet wurden.
Die Aussage vom 8.1. ist noch wenig ergiebig. IH berichtet, dass ihr Mann die Anschuldigungen abgestritten hat. Er habe ihr gesagt, Nicole wolle ihn erpressen, da er ihr vor Weihnachten kein Geld gegeben habe.
In der Aussage vom 9.1. ist sie offensichtlich bestrebt, ihren Mann zu belasten. Sie berichtet von
Nacktbildern der Kinder auf dem PC.,
aufgenommen mit der Chat-Kamera, die im Kinderzimmer steht. Auf
4 oder 5 Bildern sei Nicole zu sehen, wie sie sich selbst befriedigt. Erst vor kurzem habe sie Nacktfotos von Natalie, auf der Couch sitzend, gesehen.
Dann kommt der Satz:" Ich hatte aber schon so einen Verdacht, auch schon früher, was die Kinder, insbesondere Nicole anging.
Eines Tages (als ich aufstand) saß der Walter vor dem Computer und die Nicole links neben ihm. Ich
habe gesehen, dass sie ihre Hand in seinem Schoß hatte. Er hatte eine Unterhose an. Ich meine, dass sie ihre Hand an seinem Penis hatte, aber ich
konnte es nicht genau sehen. Die Nicole ist dann sofort aufgestanden und weggegangen. Das war schon sehr komisch. Dann hat mich mal ein Freund vom
Walter gewarnt, ein Holländer, der heißt Jörg Wa.. Er...sagte mir, ich sollte auf die Nicole aufpassen. Das
war bei einem Telefonat."
Auch wenn sie kurz danach zugeben muss, dass die Bilder Natalies harmlose Kleinkinderfotos sind, dass sie selbst die Bilder Nicoles speichern ließ, um diese zu ermahnen, dass sie nach dem Aufstehen ohne Brille blind wie ein Maulwurf ist und dass sie Wa. selbst sexuelles Interesse an Nicole unterstellt
- zunächst stehen die Anschuldigungen im Raum.
Wer die Zeugenaussagen der beiden Tage gelesen hat, wird trotz einiger Widersprüche nur schwerlich an die Unschuld des Walter W. glauben können. So sah es auch die Staatsanwaltschaft. Es wurde Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet. Haftverschonung wurde gegen Zahlung einer Kaution gewährt. WW musste sich dreimal in der Woche bei der Polizei melden. Er erhielt Kontaktverbot zu Ehefrau und beiden Kindern.
Die weitere Entwicklung in 2003
Auch wenn man es als Betroffene und Beteiligte dieser turbulenten Tage der 2.
Januarwoche nicht glauben kann: sehr schnell beherrscht der gewöhnliche Alltagstrott das Leben. Für die Familie H. hat sich natürlich einiges geändert. WW und der Hund Mandy sind weg. Damit auch der große Geländewagen. Für den
Einkauf des täglichen Bedarf benötigt man bei dem Wohnsitz Waat einen PKW. IH bittet einen Bekannten, sich um die Reparatur ihres defekten Autos zu kümmern. Der erklärt ihr, dass nur eine Fachwerkstatt da noch etwas machen könne. Er würden Spezialersatzteile benötigt, die dann auch kein Laie einbauen könne. Hatte WW nicht zu Nicole gesagt, wenn sie mit ihm schlafe,
würde er den Wagen reparieren?
Es sind manchmal Kleinigkeiten, die ein Um- oder Nachdenken in Gang setzen. Ingeborg H., die zu der Zeit ihren jetzigen Ehemann für einen noch größeren Verbrecher als ihren ersten hielt, wusste eines: Niemals würde Walter W., der so stolz auf seine handwerklichen und technischen Fähigkeiten war, eine Zusage auf diesem Gebiet machen, die er dann doch nicht einhalten könnte. Hatte Nicole also in dieser Sache gelogen? Aber warum?
Am 6. Januar waren die Schulferien zu Ende gegangen. Nicole erzählte stolz, sie habe den Lehrern und
ihren Klassenkameraden in der Schule
von ihrem Missbrauch in allen Einzelheiten berichtet; alle würden sie sehr bedauern. Auch im Dorf erzählte sie es jedem, der bereit war zuzuhören. IH wurde nachdenklich. Von einer Schulkameradin, die im gleichen Alter wie Nicole vergewaltigt wurde, hatte sie erfahren, wie schwer es ihr, auch nachdem sie sich der Ärztin und der Polizei anvertraut hatte, gefallen war, mit
anderen Leuten über die Sache zu sprechen. Nicole hingegen bot ihre Geschichte, sogar mit einem gewissen Stolz, wie saures Bier feil. Merkwürdig.
IH sprach mit Natalie. Das Kind druckste herum, sie habe Papa nur helfen wollen.
Nicole habe ihr befohlen zu sagen, sie habe Nicole und Papa nackt gesehen. Wenn nach Einzelheiten gefragt würde, sollte sie sagen, sie sei rausgegangen. Sie sollte sich auch merken, dass sie am Hochsitz immer Pfandflaschen suchen musste, aber keine gefunden hat. So habe sie es auch gesagt.
Mehrmals versuchte IH behutsam mit Nicole über die Sache zu sprechen. Die meisten Misshandlungen sollten beim Gassi gehen mit den beiden Hunden am Baumhaus geschehen sein. Zunächst kam ihr die von Nicole genannte Anzahl seltsam vor. Ihr Mann ging in der Regel nachmittags gegen 14 Uhr alleine mit dem Hund Mandy, schon deshalb, weil
Nicole zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht aus der Schule zurück war.
Die nächste "Runde" war dann gegen 20 Uhr fällig. Auch da ging Nicole in der Regel nicht mit, weil
sie mit dem Pudel Mira bereits eine Stunde früher (oder auch 2, je nach Jahreszeit vor Einbruch der Dunkelheit),meist mit der Nachbarin Renate Feick Gassi gegangen war. Allenfalls in den Schulferien und an den Wochenenden ging Nicole die 14 Uhr Runde mit ihrem Mann. Nicole hatte jedoch gesagt, die
Übergriffe am Baumhaus hätten durchgehend ("mindestens jeden zweiten Tag") stattgefunden. IH erinnerte sich
auch, dass Nicole, wenn sie mittags zu Hause war, sich zum Mitgehen geradezu aufgedrängt hatte ("Warte, Walter, ich gehe mit").
Einmal ins Grübeln gekommen überlegte IH weiter, dass sie doch an der Kleidung Nicoles irgendetwas bemerkt haben müsste. Ihr waren aber keine Verschmutzungen, Schabspuren, Einrisse oder Flecken aufgefallen.
Besonders unlogisch erschien ihr auch die Angabe, am Baumhaus sei Natalie mit den beiden Hunden weggeschickt worden, um Pfandflaschen zu suchen. Sie selbst, Ingeborg H., konnte den ungestümen Hund Mandy mit der Leine kaum halten. Natalie hätte er wie ein
lästiges Anhängsel hinter sich her gezogen oder geschleift.
Auf die Zweifelsfragen ihrer Mutter antwortete Nicole mit der stereotypen Antwort "Es war so, du musst
mir glauben", drehte sich um und verließ das Zimmer.
Die häusliche Situation hatte sich derweil nach dem Wegzug WWs nicht stabilisiert sondern lief mehr und mehr aus dem Ruder.
Nachdem die öffentliche und private Mitleidswelle für Nicole noch im Januar 2003 sehr schnell abgeebbt war, konnte oder wollte sich Nicole nicht mehr ins Glied einfügen. Ihr bereits nach der Rückkehr aus der Kur auffällig
gewordenes aggressives Verhalten steigerte sich noch. Sie wollte jetzt Ihrer Mutter vorschreiben, was sie zum Mittagessen zu kochen hätte, verweigerte jede Hilfe im Haushalt und schlug ihre Schwester Natalie wegen jeder Kleinigkeit, die ihr in deren Verhalten nicht passte. Erst allmählich merkte die Mutter, dass Nicole heimlich zu rauchen angefangen hatte und ihr Zigaretten und später auch Geld stahl, um Zigaretten zu kaufen.
Der nach den Missbrauchsvorwürfen eingeschaltete Jugendamtsmitarbeiter Stephan Hecht meinte nur, Nicole würde durch dieses Verhalten die jahrelangen Taten verarbeiten, und die Mutter solle
nachgiebig sein und sich mit ihrer Tochter arrangieren.
Als Nicole aber aus nichtigem Anlass nach ihrer Mutter trat und sie ohrfeigen wollte, eskalierte die Situation. Mutter und Tochter verkehrten nur noch in eisigem Schweigen oder in lautem gegenseitigem Anbrüllen miteinander. Die kleine Natalie litt sehr unter der Situation.
Bei einem Besuch bei ihrer Patentante Susanne S. soll Nicole vor den kleinen S.-Kindern ( 5 bis 10 Jahre alt) die Brust entblößt haben; sie erhielt daraufhin bei S. Hausverbot. Ähnliches wiederholte sich bei der Familie M. . Dort durfte sie mit Erlaubnis ins Internet (die Polizei
hatte bei W.- H. die Computer beschlagnahmt und mitgenommen), wurde dann aber erwischt, wie sie vor der laufenden Web Cam ihre Brüste entblößte, während auf dem Bildschirm ein etwa gleichaltriger Junge onanierte. Von da an war sie auch bei M. nicht mehr willkommen.
Am 21.2. 2003 schrieb der damalige Anwalt WWs Johannes Körner an die Staatsanwaltschaft: "Heute habe ich einen Anruf von einem Freund der Familie, Herrn Markus S.erhalten.....Ich berichte sinngemäß von dem Gespräch:
Neulich war Nicole zu Besuch bei mir. Wir waren für eine kurze Zeit allein im Wohnzimmer...Nicole fragte mich, ob sie
im Wohnzimmer rauchen dürfe...Nicole kam dann irgendwann auf die Frage, warum denn in letzter Zeit niemand mehr gerne mit ihr zusammen sei und sie auch nicht mehr zum Übernachten bei Freunden eingeladen werde. Ich erklärte ihr, dass vor allem Männer Angst hätten, da keiner wisse, welche Geschichte denn wahr sei. Viel hätten daher wohl Angst , auch angezeigt zu werden.... Nicole sagte, dass sie mich nie anzeigen würde, da ich ja immer nett zu ihr sei. Ich würde ihr auch nichts verbieten und nicht mit ihr schimpfen. Hierauf wurde ich dann neugierig und fragte sie, ob denn die Sache mit Walter stimmen würde. Es seien sich ja viele unsicher,
ob es denn wahr sei und daher käme ja auch die Angst. Hierauf entgegnete sie, dass Walter ihr nichts angetan habe. Sie wollte , dass er aus ihrem Leben verschwinde...Ich war sprachlos. Ich wollte, dass Nicole das ganze noch einmal vor Zeugen erzählt und sprach sie dann einige Tage später im Beisein ihrer Mutter und meiner Lebensgefährtin darauf an. Hierbei stritt sie alles ab und
sagte, es wäre doch so gewesen, wie sie bei der Polizei ausgesagt habe". Rechtsanwalt Körner regt in diesem Schreiben an, möglichst bald ein Glaubwürdigkeitsgutachten erstellen zu lassen: "Da das Umfeld ein steter Einwirkungsfaktor ist und auch das
Jugendamt eingeschaltet wurde, besteht die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit und auch die Glaubhaftigkeit der Aussage mehr und mehr verwischt wird,"
Ein prophetischer Satz, wenn auch Körners Befürchtung etwas anders eintreten sollte als er beim
Abfassen der Zeilen annahm.
Die Staatsanwaltschaft war jedenfalls nicht beeindruckt. Es dauerte noch 10 Monate (!!), bis mit der Befragung für das Glaubwürdigkeitsgutachten begonnen wurde. Da hatten sich Nicoles Lebensumstände bereits massiv verändert.
Anfang März 2003 machte sie mir gegenüber eine fast gleich lautende
Aussage, dass ihre Beschuldigung
frei erfunden sei. Ich werde darauf bei meinem Bericht über die Hauptverhandlung näher eingehen.
Nicole setzte die Situation nervlich sehr zu. Sie erzählte ihrer Mutter, sie habe sich nach dem Essen den Finger in den Hals gesteckt und alles wieder erbrochen und zeigte einen Einstich am Arm, der von der Spitze eines Zirkels herrührte. IH geriet in Panik. Gemeinsam mit ihrer Freundin Melanie M. überzeugte sie
Nicole, dass ihr Verhalten behandlungsbedürftig sei. Am 12. März 2003 brachten sie Nicole zur stationären Behandlung ins Psychiatrische Krankenhaus nach Viersen-Süchteln.
Weder Mutter noch Tochter waren sich da bewusst, dass Nicole nie mehr in die Familienwohnung nach Waat zurückkehren sollte.
Der Jugendamtsmitarbeiter S. Hecht erklärte IH, Nicole müsse langfristig zur Ruhe kommen. Dafür sei es
am besten, wenn sie für eine gewisse Zeit nicht nach Waat, wo sie alles an die aktuelle Sache erinnere, zurückkehre. Hecht schlug vor, dass Nicole nach ihrem Krankenhausaufenthalt in die Einrichtung "Pame" der Familie Mahling in Kranenburg bei Kleve käme. Er werde dafür sorgen , dass IH ihre Tochter jederzeit besuchen könne. Er fuhr mit Ingeborg nach Kranenburg, und sie
besichtigten das Haus und unterhielten sich mit Frau Mahling, die die Einrichtung professionell und mit mehreren angestellten Hilfskräften seit Jahren führte. Hecht machte gegenüber IH allerdings auch deutlich, dass das Jugendamt Nicoles Unterbringung in "Pame" notfalls auch gegen den Willen der Mutter durchsetzen werde. IH gab, wenn auch zögernd, ihre Zustimmung, und Nicole kam nach 6 Wochen Aufenthalt in Süchteln Anfang Mai direkt nach Kranenburg. Es ist sicher von einiger Bedeutung, dass von Anfang an eine auch persönlich gefärbte Antipathie
zwischen Mahling und IH bestand. Was Frau M. von IH hielt, ist mir natürlich
nicht bekannt, IH sah in ihr die Frau, die ihr die Tochter wegnehmen wollte. Um es kurz zu machen, in diesem Kampf ums Kind gab es eine eindeutige Siegerin (Mahling) und eine ebenso eindeutige Verliererin (IH).
Nicole erklärte schon nach kurzer Zeit, sie fühle sich bei Mahling sehr wohl und wolle nicht mehr zu ihrer Familie zurück. Auf ihre psychische Gesundheit hatte das aber keine direkte Auswirkung; wenn auch Ingeborg H. von Mahling keine direkten Informationen erhielt, so war doch zu erfahren, dass Nicole dauerhaft in ambulanter und auch öfter in stationärer Behandlung der Psychiatrie in Bedburg-Hau war.
Im September 2003 verhörte die Kripo Mönchengladbach einige Zeugen. Da sie auch in der Hauptverhandlung inhaltsgleich aussagten, werde ich dort auf ihre Angaben eingehen.
Am 22.12. 203 und 6.1.2004 befragte die Dipl. Psychologin Beate D. Nicole. Bevor die schriftliche Fassung des Glaubwürdigkeitsgutachtens vorlag wurde Nicole 15.1.2004 im Amtsgericht Kleve richterlich vernommen. Kernaussagen:
"Mein Stiefvater hat mich, wenn ich mal ein patziges Wort gesagt habe, ans Bett gefesselt und mit einer Hundeleine geschlagen."
(Die Anschuldigung ist neu, Zeugen gibt
es nicht)
Zu dem Übergriff während der Grundschule: "Das hat er natürlich abgestritten. Dass das nicht stimmt. Dann bin ich untersucht worden von der Kinderärztin. Ja und natürlich hat sich dann herausgestellt, dass ich noch Jungfrau war. Meine Mutter hat mir nicht geglaubt."
(Nicole hat also im Umkehrschluss im Gedächtnis gehalten, wenn ich keine Jungfrau mehr bin, wird mir geglaubt!)
"Meine Schwester hat er auch missbraucht.....Es waren mehrere Vorfälle."
Frage:" Wenn dein Stiefvater sagte, wir wollen Gassi gehen, hast du gewusst,
was passieren würde?" Antwort: "Ja".
"Es ist auch mal im Feld passiert".
"Im Wohnwagen ist auch mal was gewesen" (Feld und Wohnwagen sind neu, werden aber später, auch in der HV, nicht mehr angesprochen)
"Und er hatte auch was mit meiner Schwester... Er hat auch mit meiner Schwester geschlafen."
Die richterliche Befragung bringt also nichts eigentlich Neues, wenn man davon absieht, dass Nicole die Zahl der Taten und die Tatorte noch etwas ausweitet, ganz neu ist nur die Sache mit der Hundeleine. Bevor ich zum D.-Gutachten komme, noch 2 Polizeivermerke zu den beschlagnahmten Computern und CDs.
"Auf 696 CD-Roms wurden keine beweisrelevanten Daten gefunden... Auf einer CD Rom, beschriftet mit 19.11.01, P Filme wurden 3 Filme mit eindeutig kinderpornographischen Inhalt gefunden. 3 Filme, Dauer 11 , 5 und 3 Sekunden)" Vermerk 11.11. 2003
"Nach der Auswertung der beiden sichergestellten PC kann gesagt werden, dass sich auf beiden PC keine tier- oder kinderpornographischen Bilddateien befinden.....Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass von beiden PC Bilder mit kinderpornographischem Inhalt auf die sichergestellten CD Rom gebrannt wurden" Vermerk 19.1.2004
(Halten wir hier fest, dass es nicht
ausgeschlossen, aber eben auch nicht nachgewiesen werden kann!).
Das aussagepsychologische Gutachten der Beate D., Diplom-Psychologin, vom 26.1.2004 . Das Gutachten endet nach 130 Seiten mit der Feststellung:
"Aus aussagepsychologischer Sicht stellen sich die Angaben der Zeugin Nicole H. zur Sache als
mit hoher Wahrscheinlichkeit zuverlässig, erlebnisbezogen und somit glaubhaft dar. Ich habe das
Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet."
Daran bestehen erhebliche Zweifel. Da das in der HV erstattete mündliche Gutachten der Sachverständigen im
Ergebnis die Schriftform wiederholt, soll hier ausführlich auf das Gutachten eingegangen werden.
Frau D. ist eine viel beschäftigte Frau. Als abzusehen war, dass das Verfahren nicht in der vorgesehenen Zeit abgewickelt werden konnte und neue Termin notwendig wurden, war es Frau D., die sehr oft keine Zeit hatte. "Da bin ich in Duisburg, da plädiere ich in Düsseldorf", waren ihre Antworten. Frau D. kennt das Gutachten-Geschäft. Ihre Expertisen erfüllen die formalen Voraussetzungen, die die Rechtsprechung vorgegeben hat.( Zumindest wenn man nicht zu genau liest). Da fällt es dann kaum auf, dass
sie eigentlich immer zum selben Ergebnis kommt: glaubhaft. Ihre Gutachten sind zielgerichtet. Vorgegeben ist, dass die Befragung in der Regel wörtlich wiederzugeben ist. Dabei ist bei der Befragung von der so genannten Nullhypothese auszugehen, d.h. die Interviewerin hat die Fragen so zu stellen wie jemand, der/die von der Unrichtigkeit der Antworten ausgeht.
Nicole wird an 2 Tagen, am 22.12.2003 und am 6.1.2004 befragt.
Zunächst wird Nicole nach dem Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder getestet. Ergebnis: "Die allgemeine Intelligenz der Zeugin ist gelegen im unterdurchschnittlichen
Bereich und grenznah zum Bereich der Lernbehinderung. Eine geistige Behinderung erscheint... ausgeschlossen." (Seite 8 /alle Seitenangaben nach dem schriftlichen Gutachten vom 26.1.2004). Aber auch: "Insgesamt stellt sich das Leistungsprofil der Zeugin als hochgradig uneinheitlich dar".
Zusammenfassend: Wenn Nicole sich konzentriert ist sie durchaus in der Lage logisch und zusammenhängend auszusagen.
Es wird zunächst die Aussagegeschichte dargestellt, die D. in der indirekten Rede wiedergibt. Auf
Seite 12 folgender Passus:
"Die Mutter habe ihr das (die Anschuldigungen gegen den Stiefvater) am Anfang wohl noch geglaubt, glaube sie, dann habe die das nicht mehr geglaubt. Die habe auch gesagt warum. Dann habe die Mutter gemeint, sie wolle ja immer Gassi gehen. Sie habe ja gesagt, der habe das gemacht, wenn sie mit dem Hund mit Gassi gegangen sei. Tatsächlich sei es nämlich so gewesen, dass der immer gesagt habe, sie MÜSSE (Hervorhebung nicht im Original) mitkommen mit dem Hund. Nun habe die Mutter ihr gesagt, wenn sie da immer doch freiwillig mitgegangen sei mit dem Hund, dann könne das doch alles nicht sein." Nun, möchte man der Gutachterin
zurufen, dann frag doch mal, wie es denn war. Du kennst doch die anderen Zeugenaussagen der Verwandten (etwa bei der Polizei), die das gleiche sagen wie die Mutter. Die Gutachterin fragt nicht, obwohl (oder weil?) ihr der Widerspruch doch klar sein muss. Ein kleiner Vorgeschmack der D.`schen Auffassung der Nullhypothese.
Als nächstes schildert Nicole, was "er", schon auf der Gasstraße, mit ihr und ihrer Schwester gemacht hat.
Es fällt ihr schwer, die Körperteile zu benennen, und man einigt sich, allgemein vom "Unterleib" zu
sprechen. Er habe sie und ihre Schwester an Unterleib und Brust
angefasst. Interessant an dieser Schilderung ist nur eines:
Frage( S. 25): Wie alt warst du da ungefähr?, Antwort: Ungefähr 8, 9." Da Natalie 7 Jahre jünger ist als Nicole, hätte "er", um an Natalies "Unterleib" zu gelangen, erst einmal die Windeln entfernen und sie sauber machen müssen. Auch hier keine Nachfrage.
Nicole kommt auf später zu sprechen: ".. die Polizei hat dann so zu meiner Mutter gesagt, ja meine Mutter soll doch mit meiner Schwester mal zusammen zum Frauenarzt gehen und meine Schwester untersuchen lassen, aber anscheinend, und öh ich weiß nicht ob es stimmt, vielleicht haben sie es auch nur so gesagt,
ömm ist rausgekommen bei der Untersuchung, dass sie noch Jungfrau ist, aber er hat es bei ihr auch gemacht....Er hat sie auch missbraucht....Ich habe das gesehen, sonst würde ich das bestimmt nicht sagen." Seite 26. Hier legt sie sich also fest: ich habe es gesehen, egal, was die anderen sagen. Dieser Punkt wird
noch von zentraler Bedeutung in der HV sein. Nicole legt sich weiter fest: Frage: "Und wie
kam das, dass immer beide Mädchen da waren? (Gemeint ist zuhause) Antwort: Unsere Mutter hat uns beide meistens immer bei dem gelassen."
Auch hier erfolgt seitens D. keine
Nachfrage, obwohl in diesem Punkt alle anderen Zeugen widersprechen. Bereits im ersten Telefonat der Mutter mit der Patentante am 2.Januar 2003 entfährt es IH: "Aber er war doch nie mit ihr alleine zuhause". Nicole antwortete damals, er habe es am Baumhaus gemacht.
Nun auch zuhause. Im Wohnzimmer, im Kinderzimmer, mehrfach und unterschiedlich, bei ihr und ihrer Schwester, sie haben geweint, weil es so weh tat, was ihn aber nicht abgehalten hat.
Und wenn Mama nach Hause kam, haben alle gestrahlt und gelacht, damit Mama nichts merkt. Und die Tränen waren natürlich auch weggewischt. Verstehen
Sie jetzt, warum die Sache so entweder nicht stimmen kann oder aber IH etwas gemerkt haben MUSS ?
Das nächste Thema ist der Missbrauch am Hochsitz.
Ganz deutlich: "Da hat er meistens mich und meine Schwester missbraucht". F.: "Deine Schwester hat da mit dem Hund gespielt?" A.: "Ja"
F.: "Sollte die irgendwas machen?" A.: Wie?"
F.: "Hat die noch einen Auftrag von dem bekommen? A.: "Ne, nicht wirklich."
F.: "Weißt du irgendwas mit Pfandflaschen?" A "Jaja". F.: "Was denn?" A.: "Meine Schwester sollte immer Pfandflaschen suchen"
Na, endlich, möchte man rufen, tauchen die Pfandflaschen wieder auf. Dieses markante Detail war Nicole im Moment nicht präsent. Da darf man als unabhängige Gutachterin schon mal was nachhelfen.
F.: "Und was hat der dann in der Zeit mit dir gemacht?" A.:" Er hat mich missbraucht"(Seite 33/34). F.: "Ist denn bei diesem Baumhaus mehrmals etwas vorgefallen oder einmal?" A.: "Mehrmals."
F.: Hm, hm. Weißt du noch, wie oft?" A." Das kann ich leider nicht einschätzen, tut mir leid"
F.: "Kannst du gar nicht sagen. Hm, hm. Nur im Sommer, weil es sonst zu kalt
war, oder war das völlig egal mit der Jahreszeit?" A.: "Völlig egal"
Auch hier fragt die Sachverständige (vorsichtshalber?) nicht weiter. Umso erstaunlicher ist es, dass sie für
die Glaubwürdigkeit Nicoles ausgerechnet Detailreichtum und konkrete Einzeldarstellungen anführt.
Das Gegenteil ist der Fall. Sommer oder Winter, Regen, Schnee oder Sonnenschein, -10 oder + 30 Grad, lt. Nicole "völlig egal", alles gleich.
F.: "War das im Stehen, oder irgendwie im Baumhaus, oder im Liegen, oder:?" A.: Im Stehen:"...
F.: Und hast du ihn dabei angeguckt, oder standet ihr Bauch an Rücken, oder
wie ging das?" A.: "Bauch an Rücken".
F.: Und hat er den dann auch herein gekriegt, ging das so im Stehen?" A.:" Ja , das tat so weh (weint)." F.: War das in diesem Baumhaus auch mal im Liegen? A.: Ja
F.: Das auch. Und auch Geschlechtsverkehr oder etwas anderes? A.: Hm, hm.
F.: Da im Baumhaus, oder am Baumhaus, immer Geschlechtsverkehr, oder auch mal was anders? A.: Auch mal was anderes. Er wollte lecken
F.: Also Lecken gabs auch am Baumhaus. A.: Ja.
F.: Und was hat der mit deiner Schwester gemacht? A.: Das was er mit
mir gemacht hat. "Seite 47/48
Halten wir fest: Auch mit Natalie gabs das volle Programm: fi..., im Stehen, im Liegen, Lecken. Die Kleine ist zwar noch Jungfrau, und im Stehen hätte er "ihn" wegen des Größenunterschieds allenfalls in die Halskrause, aber niemals unten rein stecken können- aber Nicole hats gesehen , weiter Nachfragen könnten sie höchstens verwirren, also lässt Frau D. das lieber. Wie nett von ihr !
Ein weiteres Thema sind die Pornofilme, die "er" sich angesehen hat. Erwachsenen- und Kinderpornos,
das ganze Programm. Sie (beide Kinder) mussten die Filme immer mit ansehen. Mehr noch, wenn Nicole angeekelt aus
dem Wohnzimmer ins Kinderzimmer ging, kam er hinterher und sah den Film im Kinderzimmer weiter. Er habe die da auch hingelegt.(Ein Erwachsenenporno wurde bei der polizeilichen Durchsuchung der Wohnung im Januar 2003 im Kinderzimmer versteckt gefunden).Wann ? Immer dann, wenn Mama nicht da war, oft eben.
Zur Erinnerung: Mama und Opa und die Nachbarin haben zwar ausgesagt, Nicole sei immer mit Mama mitgefahren, aber fragt Frau D. da mal nach? Mitnichten. Nicoles wirre Angaben reichen ihr, im
mündlichen Gutachten die exhibitionistischen Auftritte Nicoles mit dieser Sexualisierung durch den
Stiefvater zu erklären. Sollte dem Profi D. entgangen sein, dass der im Kinderzimmer gefundene Porno
etwas ganz anderes andeutet?
Das letzte Thema am ersten Befragungstag ist der Übergriff nach der Kur, als Mama duschte.
F.: Wenn deine Mutter geduscht hat, ist es dann immer zu dem Leckengekommen, oder auch mal zu anderen sexuellen Sachen? A.:Zu anderen sexuellen Sachen.
F.:Zu was denn noch? A.:Ja , was ich eben schon gesagt habe /Anmerkung. Selbst im Kontext der
Befragung kann man nicht schließen, was sie hier meint) F.:Auch wenn die Mutter duschen war? A.: Ja, meistens
F.: Dauert das denn so lang, beim Duschen ist man ja meistens, weiß ich nicht, nach 15 Minuten oder so fertig. A.: Hm, hm.
F.:Hat der das irgendwie abgesichert, also dass deine Mutter nichts mitbekommt, oder hat der das gar nicht gemacht?
A.: Ja, so dass meine Mutter nichts mitbekommt.
F.: Wie hat er das denn gemacht? A.: Wie meinen Sie das jetzt?
F.:Ja die hätte doch aus der Dusche jederzeit herauskommen können.
A.: Ja, der hat so öhm so gemacht, dass sie wie gesagt meistens die Türe offen gelassen hat und er hörte, wenn meine
Mutter fertig war, also wenn das Wasser nicht mehr lief, ist er schnell rausgerannt." Auch hier möchte man Frau D. zurufen: Ja, dann frag doch mal, was er gesagt hat. Etwa:" Inge, lass die Badezimmertür auf, damit du schön im Durchzug stehst und der Wasserdampf ungehindert in die Wohnung zieht?"
Das wäre eine klassische Frage, wie sie die Nullhypothese fordert. Muss ich ihnen noch sagen, dass
Beate D. sie NICHT stellt?
Damit ist die Befragung am 22.12.2003 zu Ende, und Nicole hat in den Weihnachtsferien Zeit, sich zu sammeln und ihre Gedanken zu ordnen.
Am 6.1.2004 geht es weiter.
Nicole ist bei dieser 2.Befragung wesentlich entspannter. Man spürt förmlich, dass ihr bewusst geworden ist, wie sehr die Psychologin auf ihrer Seite steht. Nicole bringt verschiedene Aufzeichnungen mit, hauptsächlich entstanden während des Kreta-Urlaubs im August 2003. Diese Blätter werden auch in der Hauptverhandlung erwähnt; die Nebenklage will der Verteidigung auch Kopien davon zur Verfügung stellen, ist dazu jedoch in 8 Monaten Verhandlungsdauer nicht in der Lage.
Der locker-flockige Ton der Befragung dämpft jedoch Nicoles Aufmerksamkeit, und so entschlüpfen ihr einige Klopse, die die Verteidigung in der HV anführen
wird - wenn auch meiner Meinung nach nicht energisch genug.
Zunächst wirds folkloristisch. Nicole notiert am 5.8.2003, sie befürchte noch immer, von "ihm" schwanger zu werden. Er habe zwar öfter ein Kondom benutzt und es sei auch kein Samenerguss in ihr gewesen und
das "letzte Mal" war vor der Kur September 2002, aber sie denke noch immer, sie könne schwanger werden. (Seite 51)
Es folgt noch eine tollere Geschichte (notiert Dienstag 19.8.,Kreta):Ihre Mutter habe ihr erzählt, ihr leiblicher Vater Mathias Pietsch habe sie, die Mutter IH, mit einem Topf heißer Nudeln
nackt vor die Tür gesetzt.(Seite 57)
Man fragt sich, was das soll. Ein Nachweis, dass Nicole auf Kreta offenbar an einem Sonnenstich erlitten hat? Beleg für ihre schwache Intelligenz?
Ausführlich wird auf die Notizen mit dem Datum 24. Dezember 2002 eingegangen. Nachdem man noch Geschenke gekauft hat
"meinte er so, ja, öh, wir müssen noch zum Wohnwagen, also der hat mich und meine Schwester gefragt, ob wir noch hin wollen, ne.....Ich muss noch zum Wohnwagen, die Heizung aufdrehen, ne. Und dann öm meinte ich so zu ihm, nein, komm wir fahren nach Hause, ne. Und dann meinte er so, nein, wir fahren noch
zum Wohnwagen. Sind wir zum Wohnwagen gefahren, öh meinte der zu mir, ja kommst du mit,ne. Ich wusste ganz genau, was der vorhatte, ne. Öh und dann meinte ich so, nein, ich geh nicht mit.Und auf jeden Fall hat der dann meine Schwester gefragt, ob meine Schwester mitgeht, ist meine Schwester mitgegangen. Meinte der so, ja, du wirst noch davon sehen was du davon hast, dass du nicht mitgegangen bist. Und öh dann kam
er nachher wieder und hat mich voll fertig gemacht. Und öh dann meinte der so, ja ich mach das Internet
alles weg und und und.
F.: Und was hast du gesagt? A.: Ich war
einfach fix und fertig mit der Welt
F.: Und hattest du irgendwas mitbekommen, dass er jetzt da deine kleine Schwester missbraucht wurde in dem Wohnwagen, oder wie soll ich das jetzt verstehen?
A.: Ja da haben die, öh also mein Stiefvater meinte so, ja ja das war toll Natalie, also. Ich weiß aber nich, ob da wirklich was war, also ich möchte jetzt nich meine Hand ins Feuer legen.
F.: Und hat die Schwester irgendwas gesagt? A.: Ne, die hat nichts gesagt. D. : Hm" (Seite 53) Nicole sagt später, sie habe Natalie auch nie gefragt.
Die Sachverständige macht von dieser Geschichte viel her. Sie biete
Eigenpsychisches und sei deshalb glaubhaft. Warum dann, Frau D., haben Sie nicht ernsthaft nachgefragt? "Er hat mich voll fertig gemacht" Wie denn, wo denn, mit was denn? -" Er sagte(sicher mit schmierigem Grinsen): Ja ja war toll, Natalie" Das kann man ja nur als Hohn ansehen, wenn er gerade Natalie missbraucht hat. Bricht das Kind in Tränen aus bei dieser Anspielung auf gerade erlittene Schmach? Mitnichten. Natalie hat auch später nichts gesagt, und Nicole, die "einfach fix und fertig mit der Welt" war, hat sie auch nie gefragt.
Hier zeigt sich die Methode D. sehr deutlich. Eine Geschichte, die
offensichtlich zusammen gekleistert
wurde und in den Details nicht stimmig ist, wird, wenn sie ins Konzept passt, mit ein paar Psycho-Brocken aufgemotzt und dann als weiterer Beleg für die Glaubwürdigkeit Nicoles gewertet.
Noch eine Anmerkung: Es war Heiligabend und 2 Stunden später haben verschiedene Zeugen, die auch in
der HV ausgesagt haben, Nicole beim Geschenke -überreichen und -auspacken erlebt. Frau D., die jeden Zeugen sonst mit Fragen zum Verhalten Nicoles löcherte, hat hier absolut geschwiegen. Nichts mit: "Haben Sie am Heiligabend vielleicht bemerkt, dass Nicole deprimiert oder abwesend war? " War
vielleicht auch besser so.
Es geht ein bisschen durcheinander an diesem zweiten Befragungstag.
Das Lecken zuhause nach Rückkehr aus der Kur: F.: Das war vor oder nach Weihnachten? A.: Das war nach Weihnachten. F.: Nach Weihnachten? A.: Das war nach der Kur. F.: Vor oder nach Weihnachten, weißt du nicht mehr? A.: Das weiß ich nicht mehr."
F.: "Was war am Baumhaus da los, vor der Kur das letzte Mal? A.: Ja im Baumhaus hat der mich missbraucht.
F.: Ja, wie missbraucht, es gibt da ja hundert Arten? A.: Ja, er hatte Geschlechtsverkehr mit mir.
F.: Ach so. Und hast du am Baumhaus
gestanden, oder gelegen, oder gesessen, warst du da drin? A.: Ich lag da".(Seite 56)
Frau D. fragt nicht weiter. Später wird sie diese Schilderungen wegen ihrer Detailvielfalt als wahrheitsgetreu bezeichnen.
Es gibt in der Tat viele Details gerade am Baumhaus. Ein richtiges Sammelsurium. GV im Liegen, im Stehen, mit Natalie, ohne Natalie, im Sommer, im Winter, auch noch im Feld, dazu noch in der Wohnung, im Wohnwagen, und alles über Jahre hinweg, beide Kinder missbraucht, und alles ist glaubhaft.
Immer wieder (bei der Polizei und auch von der Sachverständigen) wird Nicole
gefragt, warum sie denn so lange geschwiegen habe. Bei der Polizei sagt sie, sie habe ihrer Mutter die Sache nicht zumuten wollen. Jetzt sagt sie "Vor allem habe sie Angst gehabt, weil der ja gesagt habe, dass sie nichts verraten dürfe, ansonsten stecke er sie ins Heim und dahin habe sie nicht gewollt". (Seite 63)
Dann kommt es dicke: "Gefragt, ob sie durch das chatten Kontakt zu älteren Männern aufgenommen habe, die dann auch bei ihr angerufen hätten, oder von denen einer bei ihnen angerufen hätte, nein, das gar nicht. Nein, ihre Telefonnummer habe sie im Chat keinem gegeben...... Sie habe nie in Foren gechattet, in denen sexuell Missbrauchte
miteinander Kontakt hätten und sich über ihre Erfahrungen austauschen würden. Nein, sie habe im Internet auch nie Hilfe und Rat gesucht wegen des sexuellen Missbrauchs. Sie wisse gar nicht, dass es so etwas gebe. So etwas habe sie nie versucht".(Seite 66) Beide Behauptungen sind, wie in der Hauptverhandlung festgestellt wird, erlogen. Nicole hat , auch noch bei Mahling, sowohl mit älteren als auch mit jüngeren Männern Chat-Kontakte erotischen Inhalts gehabt als auch sich einschlägige Webseiten , z.B. www.verbuendete.de angesehen.
Diese Punkte werden in den Sachvorträgen und Plädoyers der HV ausführlich erörtert und veranlassen
den Vorsitzenden Richter in der mündlichen Urteilsbegründung zu einer Bemerkung, die es wert ist, über diesen Fall hinaus bekannt zu werden als Beleg für die These, was man sich vor deutschen Gerichten so alles erlauben kann.
Der nächste Klops folgt im Abstand (Seite 70): Als "er" sie zu ihrer Patentante Susanne S. brachte,
"habe er im Auto gesagt, ich mach dich überall schlecht und ich erzähl deiner Mutter, dass du mit mir
geschlafen hast. Der hat auch gesagt, im Januar sei er sowieso weg, weil er sich mit der Mutter schlecht verstehe und er da weg wolle. Der habe sie im Auto
schlecht gemacht und beleidigt und gesagt, er werde mal den Freunden sagen, was sie für eine sei. Er habe auch gesagt, wenn sie was sage, glaube ihr sowieso
keiner."
Es ist ein in Nicoles Berichten häufiger auftretender Umstand, dass Leute ihr -und nur ihr- Gedanken und Pläne anvertraut haben, an die sich diese Leute auf Nachfrage gar nicht mehr erinnern können. Keiner anderen Person hat WW diese angeblichen Trennungspläne mitgeteilt, nur ihr. Es sei hier einmal, leicht polemisch, die von Nicole skizzierte Situation ausgemalt. WW sagt zu seiner Frau: "Mir reicht das hier alles.
Ich habe von H. die Nase voll, ich mach die Fliege. Ach übrigens, du bist ja im Bett schon eine Niete, aber Nicole ist noch viel schlimmer. Ich muss es wissen, ich habe sie seit 2 Jahren regelmäßig rangenommen. Tschüss." Man fragt sich unwillkürlich, ob die von IH alarmierte Polizei ihn noch beim Zusammenpacken seiner Habseligkeiten oder erst im startbereiten Auto verhaftet hätte. Seltsamerweise veranlasst dieses (in meinen Augen) absolute Highlight Nicolescher Wahrheitsliebe die Gutachterin nicht zu weiterer Nachfrage noch wird es in der Hauptverhandlung erwähnt. Selbst wenn man (mit vielen Bauchschmerzen) diese Angaben Nicoles
als richtig unterstellt, ist die Sache interessant. Denn wenn er weg ist, sozusagen schon auf dem Sprung, kann er sie ja nicht mehr ins Heim bringen. Das ist auch
Nicole klar.
Und da aller guten Dinge drei sind, folgt auch der dritte Klops auf dem Fuß (Seite 73)
"Ob der Herr Jörg Wa. irgendetwas damit zu tun habe: Ja, ihr Stiefvater würde angeblich meinen, dass der Herr Wa. sie angepackt habe. Das habe ihre Mutter gesagt. Sie wisse nicht, ob ihre Mutter das auch meine. Der habe sie aber nicht angepackt. Der Herr Wa. sei ein alter Freund des Stiefvaters. Ja, sie
seien mal zusammen schwimmen gewesen, da seien aber alle dabei gewesen, der Herr W., die Natalie
und sie. Sie seien mit 2 Autos gefahren und sie mit Herrn Wa., das stimme, da sei aber auch nichts gewesen. Sie seien allerdings lange im Stau gewesen. Herrn Wa. habe sie aber auch nichts anvertraut oder gesagt." Wenn die Leserin/der Leser bis hierhin den Eindruck hat, ich verlange von der Gutachterin allzu viel kritisches Nachfragen, so will ich gerne zugeben, dass ich bei dieser glatten Geschichte ohne weiteres Hintergrundwissen wohl auch nicht insistiert hätte. Stau entschuldigt heute fast jede Verspätung. ABER: Es war nach
Mitternacht, man war im "Aqualand" in Köln-Chorweiler, und für den Weg nach Waat braucht man nur ein kurzes Stück bis zur Autobahn, das zudem noch nicht durch die Kölner Innenstadt führt. Beide PKW fahren gleichzeitig vom Parkplatz des Aqualand los. Der eine, mit WW und IH und Natalie,
kommt ohne Verkehrsbehinderung durch, der andere (Wa. und Nicole) braucht fast 2 Stunden länger (!), ehe er in Waat ankommt. Übrigens hat Nicole weder an diesem Abend noch später jemals die Art dieses sonderbaren Staus erklärt! In der Hauptverhandlung liefert dann Jörg Wa. eine höchst eigene Version
der ganzen Geschichte.
Ein letzter Punkt. Natalie hat später gesagt, ihre Schwester Nicole habe sie unter Androhung von Schlägen dazu gezwungen, zunächst bei der Polizei zu sagen, sie habe das, was Nicole berichtete, auch gesehen, sowohl beim Baumhaus als auch zuhause. Was sagt Nicole dazu? (Seite 75/76)
"Mit ihrer Schwester habe sie da nicht viel drüber gesprochen. Sie habe zu der, als das alles rausgekommen sei, öfters gesagt, du hast doch alles mitgekriegt.....Vor der polizeilichen Vernehmung habe sie ihrer Schwester gesagt, die solle sagen, was gewesen sei.....Wenn sie gefragt werde, ob sie die Schwester geschlagen habe, damit die
die Sachen bei der Polizei sage, die den Stiefvater betreffen. Da müsse sie überlegen, sie sei sich nicht sicher, sie glaube nein. Sie könne sich an nichts erinnern, dass sie die Schwester deshalb geschlagen habe. Wenn sie noch mal gefragt werde, ob sie vielleicht ihre Schwester geschlagen habe, damit sie etwas bei der Polizei sage, da könne sie sich einfach nicht dran erinnern, tue ihr leid".
Bei Politikern nennt man ein solches Dementi "butterweich", bei Nicole wird das anstandslos geschluckt.
Damit sind wir am Ende der Befragung und kommen zu Frau D.s gutachtlicher
STELLUNGNAHME
"Aus aussagepsychologischer Sicht stellen sich die Angaben der Zeugin Nicole H. zur Sache als mit hoher Wahrscheinlichkeit zuverlässig, erlebnisbezogen und somit glaubhaft dar". (Seite 131)
Wie kommt Frau D. zu ihrem Schluss? Folgen wir der Argumentation.
Es gebe 3 Kriterien: Aussagetüchtigkeit, Aussagezuverlässigkeit und Aussagequalität. In diesem Rahmen sind auch immer wieder "theoretisch denkbare Unwahrannahmen " (Nullhypothesen) zu entwickeln und abzuklären.
Die Aussagetüchtigkeit Nicoles ist, nach D. , nicht beeinträchtigt, auch wenn von außen versucht wurde, die
psychisch instabile Zeugin zu beeinflussen. Dazu zählt D. z.B. das Verhalten der Mutter,
die ihrer Tochter wiederholt unter Angabe genau aufgezählter Gründe vorhält, warum ihre (Nicoles) Angaben ,so wie sie es gesagt hat ,nicht stimmen können. Dies führe zu einer leichten
Aussagehemmung. sodass es später zu anderen, erweiterten Aussagen kommen könne, insbesondere da sie bekundet, "eine Vielzahl ähnlicher Ereignisse sexueller Übergriffe gehabt zu haben".(Seite 98). Und noch mal:" Aussagepsychologischerseits führen diese Besonderheiten des Aussageverhaltens nicht dazu, dass die
Angaben unzuverlässiger werden, indes können sie dazu führen, dass die Angaben nicht erschöpfend und gänzlich vollständig ausfallen". (Seite 98/99).
Nun, das ist schon ein starkes Stück. Einfacher ausgedrückt bedeutet das, dass Nicole zum einen immer wieder "nachlegen" kann (was sie auch tut), zum anderen aber auch Widersprüche an der Tagesordnung sein können, ja fast müssen, da es so viele Übergriffe gegeben hat." Im Vertragsrecht nennt man so was salvatorische Klausel.
Der nächste Punkt, die Aussagezuverlässigkeit, ist natürlich eng verbunden mit der Nullhypothese der absichtsvollen Konfabulation. Damit ist
die folgende Kernfrage gemeint: Entweder Nicoles Erzählung stimmt oder sie stimmt nicht. Wenn sie nicht stimmt, warum erzählt sie das alles? Ist es überhaupt möglich, dass die Erzählung nicht stimmt?
Beginnen wir mit der letzten Frage, die man mit einem schlichten "ja" beantworten kann. Sobald man bohrt, ergeben sich nicht nur einzelne Widersprüche sondern deren ganze Reihen. Einige Beispiele zum Baumhaus: Natalie soll mit den Hunden gegangen sein. Nicht möglich, da sie die Hunde gar nicht halten kann. Er habe
es das ganze Jahr über gemacht. Nicht möglich, es hätten Spuren an der
Kleidung sein müssen. Er habe auch mit Natalie Geschlechtsverkehr gehabt. Nicht möglich, siehe Frauenärztin. Er habe sie immer gezwungen mitzugehen. Dagegen alle Aussagen der anderen Zeugen, dass Nicole sich immer aufgedrängt hat. Der Komplex "Zuhause, wenn Mama einkaufen war" ist schon deshalb fragwürdig, dass Mutter, Großvater und Nachbarin Feik sagen, Nicole sei immer mitgefahren zum Einkauf.
Schwieriger ist die Frage, warum sollte sich Nicole das alles ausgedacht haben? Schließlich sei es so
gewesen, dass Nicole die ganzen Enthüllungen nicht von sich aus initiiert habe, sondern erst auf Drängen ihrer
Tante S. unter Zögern preisgegeben hat. Schauen wir genauer hin.
Auf der Fahrt zu S. gab es zwischen ihr und "ihm" ziemlich heftigen Streit. Er habe sie fertig gemacht (Nicole), sie wollte Geld von ihm (er). Nicole ist sauer, und als ihre Tante fragt, sagt sie zuerst mal nichts (!). Erst als Susanne S. fragt, ob Walter sie mal angefasst habe, zeigt sie auf ihre Brust (!), und als die Tante
fragt, ob das absichtlich oder zufällig gewesen sei, sagt sie nichts. S. gibt keine Ruhe, und Nicole sagt dann,
er habe ihr "auch mal" unten einen reingedrückt. Bis hierhin kann selbstverständlich von einer
Eigeninitiative Nicoles keine Rede sein.
Das gilt auch noch bei der Befragung durch die Heilpädagogin K. am nächsten Tag, bei der Nicole ziemlich einsilbig immer nur "ja" sagt. Erst 5 Tage später (!!) , bei der Polizei, ergreift Nicole die Eigeninitiative und macht von sich aus konkrete Angaben. Was ist in diesen 5 Tagen geschehen? Eigentlich nichts, außer, dass Frau K. gesagt hatte, sie werde sich um einen Termin bei der Frauenärztin bemühen!! Nun, jemand weiß diese 5 Tage lang im voraus, was die Untersuchung ergeben wird, nämlich Nicole!!. Sie ist keine Jungfrau mehr, hat Geschlechtsverkehr gehabt, und wenn sie jetzt zugibt, dass es nicht mit
"ihm" sondern mit XY war, wird das Konsequenzen haben, vielleicht sogar die oft angedrohte Heimunterbringung. Aber es gibt eine Möglichkeit! Nicole erinnert sich, dass man ihr beim "ersten Mal", damals in der Grundschule nicht geglaubt hat, weil die Untersuchung keine Spuren ergab. Jetzt aber werden Anzeichen zu sehen sein, und Nicole weiß, dass man nicht feststellen kann, ob diese von "ihm" oder von XY stammen. Warum also nicht 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen? Sie wird ihn los und steht selbst rein und bedauernswert im Mittelpunkt. In 5 Tagen kann auch jemand mit Nicoles
mäßiger Intelligenz sich die Geschichte
zusammenstoppeln, die sie dann der Polizei erzählt. Und genau so
hat sie es dann zu S.und mir gesagt.
Falsch ist die Aussage der Sachverständigen (Seite 110), ..." dass der Zeugin durchaus bewusst ist, dass sie gerade durch ihre Herrn W. belastende Aussage bewirkt, dass sie in einem Heim bzw. in einer Pflegefamilie untergebracht wird und nicht im mütterlichen Haushalt verbleibt. Diese Kausalkette kann die Zeugin verstehen und auch antizipieren." Da die Kausalkette nicht besteht (die Unterbringung bei
Mahlings erfolgt aus anderen Gründen, nicht, weil sie WW belastet hat), braucht
man auf Frau D.s erstaunliche und durch nichts belegte Behauptung, Nicole könne das auch antizipieren (gedanklich vorwegnehmen), nicht einzugehen. Am erstaunlichsten ist, dass in dem 131 Seiten umfassenden Gutachten dieser Kernpunkt der Aussageanalyse auf mageren 4 Seiten abgehandelt wird.
Im Rahmen der Aussagequalität prüft die Sachverständige als nächstes die Nullhypothese, "dass die
Zeugin sexualisiert sei, über sexuelle Fantasien verfüge, sexuell verwahrlost sei, und dass sie belastenden Angaben zur Sache nicht Ausdruck realer Erlebnisse, sondern Produkt sexueller Fantasien der Zeugin sein könnten"(Seite
113). Das ist auch für die wohlmeinende Sachverständige ein heikler Punkt, er ist es am
Ende der Hauptverhandlung noch mehr als zur Zeit der Abfassung des schriftlichen Gutachtens. Denn in der HV hat sich ergeben, dass Nicole, die es nicht ertragen kann, dass ein Mann als Arzt sie untersucht, in immer anderen Variationen im Internet gechattet und gezielt nach Männerbekanntschaften gesucht hat. Frau D.
greift zu einem Trick: "Wenn man davon ausgeht...., das der Beschuldigte über Jahre intensiv daran
gearbeitet hat, die Zeugin zu sexualisieren, .....so ist es sicher zu
erwarten, dass die Zeugin passager auch sexualisiert wird und sich dieses auch in Handlungen äußert."(Seite 114) Man muss diese Passage vielleicht zweimal lesen, um den Trick zu begreifen, aber es ist für mich unverständlich, dass weder die Verteidigung noch die Berufsrichter hier nachgehakt haben.
Der Trick besteht darin dass D. die Nullhypothese praktisch umdreht. Nicht eine "theoretisch denkbare Unwahrannahme" macht sie zur Grundlage ihrer Untersuchung, sondern das Gegenteil: Wenn alles stimmt, muss Nicole sich so verhalten, wie sie es getan hat. Es gibt aber nur einen einzigen "Beweis" für die behaupteten
Sexualisierungen durch WW, und das ist der im Kinderzimmer gefundene (Erwachsenen-
) Pornofilm. Schaut man aber mal genauer hin, so weist aber gerade dieses Indiz in eine andere Richtung.
Der Film ist einer von mehreren Filmen, die die Eheleute W.-Hormanns in einer Tüte im Elternschlafzimmer, versteckt hinter Wäschesachen, aufbewahren, um ihn sich als Stimulans im Bett anzusehen. Lt. Nicole hat er den Film im Kinderzimmer gelassen. Warum? Immerhin besteht die Möglichkeit, dass die Mutter oder sogar andere Kinder ihn zufällig finden. Theoretisch bestehen folgende Alternativen:
1.) "Er" hat den Film dort deponiert, weil er ihn bei Gelegenheit mit Nicole ansehen will. Warum sollte er? Den Film aus dem Schlafzimmer zu holen, wenn Mama nicht da ist, ist eine Sache von maximal 30 Sekunden, eine Vorab-Deponierung macht aber keinen Sinn.
2.) "Er" hat den Film da vergessen, nachdem er ihn mit Nicole angesehen hat, oder Mama ist so schnell zurückgekommen, dass er ihn nicht mehr zurücklegen konnte. Nach dem rekonstruierten Zeitablauf müsste
so etwas vor Weihnachten geschehen sein, sodass er wahrlich bis zum 9. Januar 2003 (Tag der Durchsuchung) Zeit genug gehabt hat, den Film
zurückzulegen. Unterstellt man die Richtigkeit von Nicoles Beschuldigungen, so hatte er zwischen dem ersten Bekannt werden und seinem Auszug immer noch ein Wochenende Zeit, Spuren zu verwischen. Nein, DASS der Pornofilm von der Polizei im Kinderzimmer gefunden wurde, weist bei verständiger Überlegung eindeutig darauf hin, dass WW ihn NICHT dort
deponiert hat.
Wenn man davon ausgeht, dass nur ein Mitglied des Haushalts das getan haben kann, so bleibt nur Nicole selber (Natalie hätte den Filmvorrat nur mit einer Leiter erreichen können, und warum sollte IH ihn dahin legen?).Zwar behauptet sie, sie
wisse nicht, wo die Filme im Elternschlafzimmer liegen, aber sie macht Angaben über die Lage eines Dildos, und der lag genau neben den Filmen! Die Kenntnis von freiwillig angeschauter Pornofilm-Action erklärt auch ein ebenfalls in der Hauptverhandlung nicht angesprochenes Phänomen in Nicoles Verhalten: Als Missbrauchsopfer hat sie doch die schmutzige und schmerzhafte, ja gewalttätige Form der Sexualität erlebt. Nicoles Verhalten bei M. , bei S., bei Sommer (dazu komme ich noch im Rahmen der Hauptverhandlung) zeigen dagegen, dass sie durchaus Freude und Lust bei diesen Handlungen empfindet.
Außerdem fällt auf, dass sie dabei keine Hemmungen hat, sich bei mehr oder weniger wildfremden Leuten zur Schau zu stellen. Und wer ihr glaubt, sie sei immer direkt bei ersten Mal erwischt worden, der (oder die) strapaziert den Zufall doch arg.
Halten wir fest: Nicole ist zweifellos sexualisiert, aber war das das Werk des Walter W.?
Der nächste Punkt ist die kriterienorientierte Aussageanalyse (ab Seite 117).
Zunächst macht die Sachverständige eine für sie offenbar sehr überraschende Feststellung: "Vergleicht man die Inhalte aus den polizeilichen Vernehmungen vom
8.1.und 9.1.2003 mit den Angaben aus der Begutachtung vom 22.12.2003 und 6.1.2004 sowie mit den Inhalten der richterlichen Vernehmung vom 15.1.2004 so ergeben sich ganz überwiegend Übereinstimmungen." Wer hätte das gedacht? Da die Sachverständige nicht naiv ist, frage ich allen Ernstes, warum sie sich hier so gibt. Selbst in der Schriftfassung ihrer Befragung ist noch deutlich zu erkennen, dass Nicole sich auf die beiden Termine sorgfältig vorbereitet hat bzw. vorbereitet wurde. Sollte das der Frau D. bei der Face to Face- Befragung nicht aufgefallen sein? Weiß sie darüber hinaus nicht, dass Nicole Nebenklägerin ist und über ihre
Anwältin die Aussageprotokolle vom 8.1. und 9.1. einsehen konnte?
Auch die nächste Feststellung der Sachverständigen ist mit Vorsicht zu genießen (Seite121): "Fraglos ist den
Angaben der Zeugin ein hoher quantitativer Detailreichtum zu bescheinigen". Aber nur, möchte man
ihr da zurufen, weil du, wenn es kritisch wurde, wie z.B. beim Wetter und Jahreszeitenwechsel am Baumhaus, nicht weiter nachgefragt hast. "Die Jugendliche berichtet über eine Vielzahl von verschiedenen Sexualhandlungen (Oralverkehr, Handverkehr, Geschlechtsverkehr, versuchter Geschlechtsverkehr,
Benutzen eines Dildos, Selbstbefriedigung in Gegenwart der Kinder, Veranlassen der Zeugin zur Selbstbefriedigung, Nacktaufnahmen, Anschauen von Pornofilmen im Internet , auf Video, Führen von Gesprächen sexuellen Inhalts, Manipulation an Scheide und Brust). Diese zahlreichen unterschiedlichen einzelnen Handlungen werden jeweils in verschiedene Rahmen gebettet, verschiedenen Örtlichkeiten und verschiedenen Zeiten zugeordnet". Das, liebe Frau D., ist
schlichtweg falsch. Abgesehen vom Filme gucken, das wegen der Technik auf zuhause beschränkt ist, ist
es doch geradezu ein Markenzeichen von
Nicoles Schilderungen, dass "er" immer variiert. Gerade am Baumhaus: Im Stehen, im Bücken, im Liegen, mit und ohne Natalie, dazu noch im Feld, im Wohnwagen. Und so kann man den "quantitativen Detailreichtum" auch kritischer ein wahllos "zusammen gestoppeltes Sammelsurium von Möglichkeiten" nennen. Ja , es ist sogar fast ein "Markenzeichen" des Walter W., dass er mit Nicole praktisch alles macht, was man sich bei einem Missbrauch einer Jugendlichen so vorstellen (oder ausdenken) kann. Selbst die Sado-Maso-Ecke wird, wenn auch ziemlich verspätet, mit dem Festbinden am Bettpfosten und Auspeitschen mit der
Hundeleine bedient.
Ein Punkt, der der Glaubwürdigkeit Nicoles diametral entgegensteht, ist ihre Behauptung, sie habe
gesehen, wie er mit Natalie (mehrmals!) den Geschlechtsverkehr vollzogen habe. Dazu muss sich die Sachverständige natürlich in einer Gesamtbeurteilung auch äußern (Seite 124), und sie tut es in einer Art und Weise, die entlarvend ist - allerdings nur für die Frage, wie weit Frau D. bereit ist zu gehen, um ihre einmal festgelegte These zu stützen.
"Die Zeugin berichtet aber in Diskrepanz zu dem ihr bekannten Schemawissen. Dies bezieht sich z.B.
auch auf die Schwester Natalie.
Wiederholt betont Nicole, gesehen zu haben, dass der Beschuldigte mit Natalie Geschlechtsverkehr gehabt habe, obwohl sie weiß, dass die jüngere Schwester nach den Ergebnissen einer gynäkologischen Untersuchung nicht defloriert worden sein soll. Auch diese Diskrepanz zum Schemawissen und die Beharrlichkeit, mit welcher die Zeugin bei ihren Angaben bleibt,
ohne diese zu glätten, anzupassen, ohne vermeintliche Widersprüche unter den Tisch zu kehren, verweist deutlich auf den Erlebnisbezug des Berichteten."
Die D.sche Wortwahl muss hier , mit Verlaub, korrigiert werden. Statt des unpassenden Konjunktivs "nicht
defloriert worden sein soll" muss es heißen: "nicht defloriert worden ist". Und Nicole kehrt nicht "vermeintliche" sondern tatsächliche Widersprüche unter den Tisch. Dass es dann keinen "Erlebnisbezug des Berichteten" mehr gibt sei nur am Rande erwähnt.
Und wenn Frau D. die "Beharrlichkeit, mit welcher die Zeugin bei ihren Angaben bleibt" als Indiz für deren Richtigkeit ansieht, dann sollte sie einmal eine Auszeit von all ihren Terminen nehmen und sich ein bisschen mit Gerichtspsychologie beschäftigen.
Und noch ein letzter, so leicht hingeschriebener Satz von Frau D. (Seite 128).
"Zur freiwilligen Manipulation am eigenen Geschlechtsteil ist zu sagen, dass die Zeugin hier in hohem Grade selbst belastend berichtet. Würde es sich um eine absichtsvolle Konfabulation handeln, so würden solche selbst belastenden Details kaum erscheinen, weil sie dem Schemawissen, dem Schwarz- Weiß-Bild von Täter und Opfer widersprechen." Lassen wir zum Schluss zu diesem Thema Nicole selbst zu Wort kommen (zum ebenfalls "selbst belastenden" Nackt-Chat bei M. ): "Sie habe das kürzlich ihrer Betreuerin erzählt, weil sie das schon belaste, was sie da gemacht habe. Sie denke auch, dass das im Gericht bestimmt negativ für
sie sei." (Seite 65 des Gutachtens).Hier wird klar, dass dieses Berichten nicht selbst belastend, sondern schlicht vorbeugend erfolgt, weil die "andere Seite" es ja doch zur Sprache bringen wird. Dazu passt auch, dass
Nicole den Vorfall bei Erwin S. (wird im Rahmen des Prozesses behandelt) eben nicht erwähnt. Dass Sommer als Zeuge im Prozess aussagen würde, wusste Nicole zum Zeitpunkt der Exploration noch nicht.
Alle Zweifel beiseite räumend kommt Frau Diplom-Psychologin Beate D. zu ihrem Standard-Urteil: Die Zeugin ist voll glaubwürdig. Dem Vernehmen nach bekommt sie für diese "wissenschaftliche
Arbeit" über 5000 Euro.
Fast ein Jahr später, am 10. Januar 2005, beginnt vor der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Mönchengladbach der Prozess.
DIE HAUPTVERHANDLUNG (HV)
Die Strafkammer besteht aus dem Vorsitzenden Richter Lothar B., der Berufsrichterin van den B. und den
beiden Schöffen, der Hausfrau Heike K. und dem Polizeibeamten Günther S. Die Anklage vertritt die Staatsanwältin Adriani, Vertreterin der Nebenklägerin Nicole H. ist die Rechtsanwältin K. aus Kleve. Nicht nur optisch auf Seiten von Anklage und Nebenklage sitzt die Sachverständige Beate D.. Sie ist der
eigentliche Motor und die stärkste Waffe der Anklage. Vorgesehen sind 4 Verhandlungstage, wobei der letzte den Plädoyers und der Urteilsverkündigung vorbehalten sein sollte. Alle Termin sind im Januar 2005. Doch es sollte anders kommen.
Zunächst wird die Anklageschrift vom 13.5.2004 verlesen. Es wird dem Angeklagten vorgeworfen:
1.) in zwei Fällen
als Person über 18 Jahren mit einem Kind den Beischlaf vollzogen oder ähnliche sexuelle Handlungen an
ihm vorgenommen zu haben, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.
2.) pornographische Schriften ( § 11 Abs. 3) an einem Ort, der Personen unter 18 Jahren zugänglich ist
oder von ihnen eingesehen werden kann, ausgestellt zu haben;
3.) es unternommen zu haben, sich den Besitz von pornographischen Schriften zu verschaffen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.
Der Angeklagte Walter W. erklärt sich zu allen Anklagepunkten für "nicht schuldig". Nach Angaben zur Person macht er bei den Angaben zur Sache auf Anraten seines Anwalts während des
gesamten Prozesses
von seinem Schweigerecht Gebrauch.
Dies ist eine fatale Entscheidung. Auch wenn das Gesetz sagt, dass ihm dieses Schweigen nicht zum Nachteil ausgelegt werden darf, so erwarten insbesondere die Laienrichter, dass er sich zu den Anschuldigungen äußert. Immerhin geht es nicht um einen kleinen Ladendiebstahl sondern um eine schwere Anschuldigung. Wenn man sieht, wie schwer es scheinbar der "mutmaßlich Geschädigten" fällt, ihre Aussage zu machen, so wirkt die Schweigehaltung schnell anmaßend und verachtend. Zudem kommt hinzu, dass, da die Ehefrau Ingeborg H., ebenfalls auf
Anraten des Anwalts, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, die Widerlegung familieninterner Angaben der Hauptbelastungszeugin (Nicole) kaum mehr wirkungsvoll möglich ist.
Als erste sagt die einzige Belastungszeugin Nicole H. aus. Für ihre Vernehmung sind 2 Stunden
vorgesehen- sie dauert jedoch tatsächlich den ganzen Tag. Warum? Weil Nicole, bevor sie eine Frage beantwortet, zwischen 5 und zehn Minuten Bedenkzeit braucht. Öfters fragt sie nach diesen 10 Minuten Bedenkzeit auch "Wie war die Frage?", und der Vorsitzende muss sie wiederholen.
Wie bereits eingangs erwähnt, konnte ich als noch nicht befragter Zeuge bei Nicoles Befragung nicht im Gerichtssaal anwesend sein.
Die Angaben der übrigen Zuhörer, des Angeklagten und seines Anwalts stimmen jedoch weit gehend
überein, sodass Sie auch hier von der Richtigkeit meines Berichts ausgehen können.
Ja, das ist die erste Überraschung. Obwohl vom Gericht sanft angeregt, wird (anders als bei Nicoles
zweiter Aussage) kein Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt. Der Grund hierfür wird schnell klar. Nicole, erschienen in Begleitung ihrer
neuen Ziehmutter Regina Mahling, ihrer Anwältin Heike K. und weiterer Mahling-Bediensteter, sucht in diesen gähnend langen Pausen immer wieder den Blickkontakt zu Frau Mahling, so lange, bis der Vorsitzende diese auffordert, den Gerichtssaal zu verlassen. Inhaltlich wiederholt Nicole roboterhaft das, was sie bereits in der D.-Befragung und der anschließenden Richterlichen Vernehmung gesagt hat. Immer mit den langen Pausen, in denen es im Gerichtssaal mucksmäuschenstill ist. Der Vorsitzende fragt eher pauschal; auf Widersprüche der Aussage geht er nicht ein. Als der Verteidiger über ihn (es darf nur über den Vorsitzenden gefragt
werden, nicht direkt an Nicole) fragt, ob sie das Attest hinsichtlich ihrer Schwester Natalie kenne, das besage, diese habe keinen Geschlechtsverkehr gehabt und
was sie dazu sage, antwortet sie nach einer besonders langen Pause: "Weiß ich auch nicht. Kann ich mir auch nicht erklären."
Die "Befragung" Nicoles dauert von etwa 10 Uhr bis 16 Uhr, unterbrochen durch eine Mittagspause. Um
12 Uhr schickt der Vorsitzende Richter alle anderen für den Tag noch vorgesehenen Zeugen nach Hause;
es würden für sie neue Termine bestimmt. Immerhin gibts Zeugengeld.
Am Ende des Sitzungstages will er auch Nicole als Zeugin entlassen; der Verteidiger setzt aber durch, dass sie nicht formell entlassen wird. Bereits an diesem ersten Verhandlungstag kommt die Kammer nach meiner Auffassung ihrem Aufklärungsauftrag nicht nach. Das Gericht sieht über ganz Offensichtliches schlicht hinweg: dass Nicole unter Drogen steht. Nicht Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, sondern Beruhigungsmittel, die man ihr vor der Verhandlung gegeben hat. Sie wird noch nicht einmal gefragt, ob sie etwas genommen habe, und schon gar nicht wird medizinisch abgeklärt, ob Nicole an diesem Tag überhaupt
aussagefähig ist.
Es ist verständlich, dass eine missbrauchte Jugendliche, wenn sie ihren Peiniger wieder sehen soll, sehr aufgeregt ist. Das gilt natürlich auch, wenn sie sich die Beschuldigungen zusammen gesponnen hat - vielleicht dann sogar noch mehr. Auf jeden Fall, sie ist aufgeregt, und es ist auch nichts dabei, wenn versucht wird, das "Nervenflattern" etwas unter Kontrolle zu bringen. Hat man sich da also nur bei der Höhe der
Dosis vertan? Oder war es Absicht, die Dosierung so hoch zu bemessen, dass Nicole zwar körperlich im Gerichtssaal anwesend war, geistig sich aber in
anderen Gefilden befand? Dem Gericht war es egal, es ging
ja nur um 6 Jahre Haft, und Termine müssen eingehalten werden.
Dass dies nicht möglich war, zeigte sich nicht nur am ersten, sondern auch an den folgenden Verhandlungstagen. Die Zeugen, im 15-Minuten Abstand geladen, brauchten wesentlich länger für ihre Aussagen. Meist erzählten sie nicht viel Neues. Befragt vom Vorsitzenden Richter B. (die 3 anderen Richter sprachen an den 18 Verhandlungstagen zusammen vielleicht 100 Worte) erzählten sie, je nach Temperament forsch oder ängstlich, was sie über ein Jahr zuvor bereits bei der Polizei ausgesagt hatten.
Nach dem Vorsitzenden fragten die Staatsanwältin (meistens gar nichts), die Anwältin der Nebenklägerin Nicole (auch meistens gar nichts) und die Sachverständige Beate D.. Sie wollte immer wieder wissen, ob sich Nicole im täglichen Leben massiv aufgedrängt habe und immer im Mittelpunkt stehen wollte und ob es da
Unterschiede im Verhalten Nicoles vor und nach der Kur gegeben habe. Die Antworten glichen sich: Nicole habe oft verstärkt die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versucht. Wenn sie sie dann hatte, wusste sie nichts damit anzufangen. Merkte sie, dass die Anderen sich wieder von ihr abzuwenden
begannen, wurde sie
schnell bockig oder zog einen Flunsch. Nach der Kur habe sich dieses Verhalten verstärkt. Wie jemand sagte, Nicole fiel einem schnell lästig.
Zum Schluss fragte der Verteidiger- mal mehr, mal weniger. So lieferte er sich ein Wortgefecht mit der Beamtin, die am 8.1.2003 Nicoles Erstbefragung durchgeführt hatte. Natalie hatte gesagt, ihre Schwester sei bei ihrer eigenen Befragung anwesend gewesen, die Beamtin verneinte das kategorisch. Wie es vor fast
genau 2 Jahren wirklich war, konnte natürlich nicht geklärt werden.
Greifen wir ein paar Aussagen heraus,
und fangen wir mit meiner an.
Es ging um mein Telefonat mit Nicole in der Woche vor Natalies Geburtstag (15.3.2003), wenige Tage,
bevor Nicole die Wohnung in Waat für immer verließ und zunächst in die Psychiatrie nach Süchteln kam. Ich hatte so gegen 22.00 Uhr abends angerufen, weil ich mit Frau H. über mein Geschenk für Natalie zum Geburtstag sprechen wollte. Natalie hatte bei Karstadt ein Pferd gesehen, und ich hatte vor, ihr das zu schenken, hatte dann jedoch erfahren, dass Oma auch bereits ein Pferd gekauft hatte. 2 Pferde zum Geburtstag? Ich wollte mich mit der Mutter beraten.
Ingeborg hatte jedoch kurz die Wohnung
verlassen, und Nicole nahm das Gespräch an.
Nach einer verhaltenen Begrüßung und der Frage "Wie geht es dir" legte Nicole los: "Beschissen. Keiner glaubt mir. Ich darf nirgendwo hin. Du glaubst mir ja auch nicht , oder?"
-Nein, ich glaube dir auch nicht. Ich denke, du hast dich und Walter und Mama und Natalie in etwas hinein geritten, aus dem du jetzt keinen Ausweg mehr weißt und Hilfe brauchst. -- Keine Antwort. Pause. Ich fasse nach:
-Nicole, wenn Walter dich angefasst hat, gehört er in den Knast. Wenn er es aber nicht war, musst du das sagen, sonst bringst du einen Unschuldigen auf Jahre
hinter Gitter. Sag mir jetzt, was war!
- Er war es nicht, er hat mir nichts getan. Aber ich bleibe bei meiner Aussage. Er hat immer gedroht, ich
muss ins Heim, und jetzt muss ich ins Heim, aber er geht dafür ins Gefängnis. Mir kann keiner das Gegenteil beweisen, wenn ich bei meiner Aussage bleibe.
An dieser Stelle des Gesprächs habe ich etwas die Beherrschung verloren und zu ihr gesagt:
-Aber dass Walter irgendwann mal wieder aus dem Gefängnis kommt und sich dich dann vornehmen könnte, daran hast du wohl nicht gedacht. Vielleicht bringst du ihn mit deiner Lügerei wirklich in den Knast und du denkst, die
Zeit bis 18 sitzt du im Heim auf einer Backe ab und die Sache sei dann erledigt. Aber da täuschst du dich. Du wirst für dein Tun bezahlen müssen, Nicole. Überleg dir das genau. Wir reden am Samstag beim Geburtstag noch mal darüber."
So erzählte ich's dem Gericht, und es war dem Vorsitzenden gar nicht recht. Ein 3 Minuten Telefonat, und wenn die Kammer mir glaubt (zusammen mit einer ähnlichen Aussage des Zeugen Steinhoff), dann ist der ganze Fall geplatzt. Er ist misstrauisch (was nicht nur sein gutes Recht, sondern sogar seine ureigenste
Pflicht ist) und versucht nachzufragen.
Nur ist da nicht viel. Dass es zu dem Gespräch mit Nicole an
Natalies Geburtstag nicht gekommen ist, kann man mir nicht anlasten. Der Anlass für das Telefonat ist plausibel. Und auch meine heftige Reaktion ist nachvollziehbar. 2 Monate hatte ich schon Walter W. beherbergt, zusammen mit seinem Hund, der mich anknurrt und in meinem eigenen Haus nach mir schnappt
- alles für die Lügen einer 14 jährigen. Nicole bestreitet das Gespräch, sagt der Vorsitzende. Es klingt ein bisschen trotzig.
Frau D. versucht mir das Eingeständnis zu entlocken, ich könne Nicole nicht
leiden. Ich entgegne ihr,
sie solle mal beachten, dass Nicole gegenüber den Verhältnissen bei W.-H. heute ein Luxusleben führe. Frau D. macht ein leicht angewidertes Gesicht, wohl um zu zeigen, dass sie sich auf ein solches Niveau der Diskussion nicht herab lassen will.
Ich verlasse den Zeugenstuhl unzufrieden. Infolge meiner Aufregung habe ich mich nicht so präzise ausdrücken können, wie ich es gewohnt bin. Aber mich stört auch die spürbare und in meinen Augen unbegründete Ablehnung durch Gericht und Sachverständige.
Eine weitere Zeugenaussage, die der
Kammer nicht passt, ist die von Heinrich H., Vater von Ingeborg H. und Großvater Nicoles. Er ist 68 Jahre alt, seit einigen Jahren in Rente und hat in seinem Arbeitsleben für einen Brennstoffhandel die Kohlensäcke geschleppt. Heinrich H. ist einer der wenigen in unserem Land, an denen der Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg spurlos vorbei gegangen ist. Er war ein Arbeiter in der nicht-stolzen Tradition des Wortes, ein Mann, der sich in seinem Beruf über Jahrzehnte für geringen Lohn die Knochen kaputt gemacht hat und nun von einer kargen Rente lebt. Er ist derjenige H., der am längsten in dem Haus Gasstr. 143 lebt. Mittlerweile ist er der einzige.
Es geht um die Übergriffe zu Hause, "wenn Mama für Opa einkaufen war." Man erinnert sich, dass Ingeborg beim ersten Telefonat mit ihrer Kusine Susanne S. spontan ausrief: "Aber er war doch nie mit Nicole
alleine." Nach dem Vorfall vor einigen Jahren im Kindergarten (oder in der Grundschule?) hatten sich die Eheleute W.-H. geeinigt, Nicole und Walter nicht alleine zu Hause zu lassen. Ingeborg hatte in ihrer polizeilichen Aussage gesagt, sie sei für ihren Vater immer donnerstags und samstags einkaufen gefahren. Seltener habe sie ihr Mann mit dem großen Wagen gefahren, aber immer habe sie Nicole mitgenommen. "Opa"
bestätigt das in der HV. Wegen einer vor Jahren erlittenen Handverletzung könne er selbst leichte Sache nicht fest anfassen; das Tragen von Getränkekästen oder - dosen sei ihm unmöglich. Nicole sei
"soweit ich mich zurück erinnern kann" immer dabei gewesen. Sie habe sich immer gedrängt mitzukommen. Donnerstags gab es von ihm stets das Geld für die Bravo, am Samstag für das Tragen der Getränke Süßigkeiten oder eine oder zwei Mark. Zudem habe Nicole meist auch noch die im selben Haus wohnende Tante Christel H. besucht und da auch noch das eine oder andere bekommen.
Der Vorsitzende fragt nach. Was war, wenn der Donnerstag ein Feiertag war, z.B. Fronleichnam oder
Christie Himmelfahrt? - Nun, dann habe man eben schon am Mittwoch eingekauft, mit Nicole. Nein, er, Heinrich H., sei in den letzten Jahren nicht in Urlaub gewesen oder zu irgendwelchen Verwandten gefahren.
Ich weiche hier mal von der Chronologie ab und zitiere aus der schriftlichen Urteilsbegründung:
- Die Aussage des Zeugen Heinrich H., der bei Fragen abseits des Kernbeweisthemas erhebliche Erinnerungslücken offenbarte, ist insoweit unglaubwürdig, als der Zeuge
behauptet, dass es von den von ihm geschilderten Einkäufen zu dritt niemals eine Ausnahme gegeben habe. Dies widerspricht jeder Lebenserfahrung. Durch dieses Aussageverhalten zeigt der Zeuge H. allerdings, dass es ihm darum ging, eine für den Angeklagten günstige Aussage zu machen. Nach alledem kann der Aussage des Zeugen kein Glauben geschenkt werden.-
Richter dürfen Zeugen nicht glauben, ja sie müssen es sogar. Sonst würden sie in 95 % ihrer Fälle zu
keinem Urteil kommen. Aber der Angeklagte, und über den Einzelfall hinaus auch jeder Bürger, der an den Rechtsstaat glaubt, hat ein Recht darauf,
dass das Gericht nachvollziehbar sagt, warum es einem Entlastungszeugen nicht glaubt. Bei dieser Begründung fällt zunächst der hingerotzte Relativsatz "der bei Fragen abseits des Kernbeweisthemas erhebliche Erinnerungslücken offenbarte" auf. Ich konnte mich an solche Fragen in der HV nicht erinnern. Auch andere von mir dazu befragte Zuhörer zuckten nur mit den Schultern. Was meint das Gericht damit? Welche Fragen hat der Vorsitzende gestellt, bei deren Beantwortung der Zeuge Erinnerungslücken zeigte? Keiner kann sich erinnern.( Aussagen in deutschen Strafprozessen werden weder aufgenommen noch mit stenographiert)
Es gibt auch -entgegen dem Urteilstext- keine Lebenserfahrung, dass Kinder ihre Mütter nicht regelmäßig sondern nur sporadisch zum Einkauf begleiten. Und schließlich verdeckt der forsche Urteilstext die
eigentlich zu entscheidende Frage. Es geht nicht darum, ob Nicole im Laufe der Jahre nicht doch einmal zu Hause geblieben ist. Es stehen die Angaben der Mutter, Opas und der Nachbarin Feik, Nicole sei "immer" zum Einkaufen mitgefahren, der Angabe Nicoles gegenüber , ihre Mutter habe sie, wenn sie einkaufen fuhr, "meistens" bei WW zu Hause gelassen. "Meistens" bedeutet doch wohl mindestens die Hälfte, wenn
nicht noch mehr. Bei einem Gericht, das derart läppisch über solche Widersprüche entscheidet, kann einem angst und bange werden.
Viele der nachfolgenden Zeugen machen nur kurze Aussagen. So berichtet die Frauenärztin B. von der gynäkologischen Untersuchung der beiden Mädchen. Für sie stellen sich die bei Nicole gefundenen Hymeneinrisse bei 5 und 7 Uhr als typisches Bild einer stattgefundenen Defloration dar. Sie schätzt den Zeitpunkt der Defloration etwa 3 Monate vor ihrer Untersuchung, d.h. August/September 2002
.
Interessant wird erst wieder die
Vernehmung des Zeugen Jörg Wa.. Ihm hat Walter W., so seine Aussage, einige Zeit vor Nicoles Enthüllung , erzählt, Nicole sei gut zu vögeln und er ,WW, habe das auch schon gemacht. Wa. hat dann, nach seinen Angaben, die Mutter Ingeborg H. angerufen und sie gewarnt, sie solle
auf Walter und Nicole aufpassen.
Jörg Wa. wohnt in Roermond/Holland. Er arbeitet dort als Taxifahrer. Er ist ledig, 37Jahre alt und wohnt mit seinem Vater zusammen. Er besucht die Familie W.-H. nicht allzu oft, meistens am 1. Samstag im Monat. Dann fahren Walter, Inge und Nicole in das in Köln-Chorweiler gelegene Bad "Aqualand". Dort ist dann
"langer Samstag" bis 2 Uhr nachts. Wa. kommt an diesen Tagen mit eigenem PKW nach Waat und fährt dann im Wagen der Familie W.-H. mit zum Aqualand. Nach dem Besuch geht`s zurück nach Waat, und er fährt nach Hause. Nur selten fährt er von Roermond direkt nach Chorweiler.
Die Mitteilung über die gut zu vögelnde Nicole hat WW ihm aber nicht auf dem Weg zum oder vom Aqualand gemacht sondern bei einer gemeinsamen Autofahrt, als sie unterwegs waren, um einen trinken zu gehen. Wann das war, wo man einen trinken ging - das kann Wa. nicht sagen. Dass Walter, entgegen den Ausführungen des Gerichts auch
nicht mäßig, beim Autofahren nie Alkohol trinkt, es wird zwar
gesagt, aber es verpufft. Das Gericht hat in Zusammenhang mit Wa.s Aussage die Aussage des Bruders Stephan W. zu prüfen, Wa. habe gesagt, er "wolle Nicole selbst gerne durchnehmen". Das Gericht macht es sich einfach. In der Urteilsbegründung heißt es lapidar:(Seite 22 ) - Die Angaben des Zeugen Wa. sind glaubhaft........ Es bestehen erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen Stephan W.."
Der hatte nämlich zuerst gedacht, Wa. meine seine Freundin Nicole Müller. erst dann merkte er, es ging
um Nicole H..
Mit diesem kurzen Passus überspringt das Gericht zudem den interessanteren Teil der Wa.`schen Aussage. Es geht um den letzten Samstag vor Nicoles Kur, an dem man gemeinsam zum Aqualand fuhr, Anfang September 2002. Wa. kommt mit dem Wagen nach Waat, fährt dann aber nicht im Familien - PKW mit zum Aqualand sondern im eigenen Wagen hinterher. Kurz nach Mitternacht verlässt man gemeinsam das Aqualand. Nicole fährt nicht mit Stiefvater und Mutter (Natalie ist bei Oma) zurück, sondern steigt zu Jörg Wa. in den Wagen.
Walter und Ingeborg kommen zügig voran und sind gegen 0.45 Uhr zuhause. Wa. und Nicole tauchen jedoch erst 2
Stunden später, gegen 2.30 Uhr auf. Entgegen seines sonstigen Verhaltens lässt Wa. Nicole aussteigen und fährt sofort weiter. Danach meldet er sich, ebenfalls entgegen der bisherigen Praxis, volle 4 Monate nicht mehr. Erst nachdem Walter Anfang Januar 2003 die Wohnung verlassen musste, rief Wa. bei IH an und wollte vorbei kommen. Nicole murmelt zu den schon unruhigen Eltern, sie hätten in einem Stau gestanden. So sagt sie es auch gegenüber der Gutachterin D., die nicht weiter fragt. In der Hauptverhandlung wird Wa. darauf angesprochen und liefert eine noch andere Erklärung:
Als Taxifahrer wisse er, wie vorsichtig
man sein müsse, Minderjährige mitzunehmen. Deshalb mache er
das nie. Auch Nicole habe er nie mitgenommen.
Bei ihrer 2. Befragung sagt Nicole dazu: Nein, mit Wa. sei nichts gewesen, das könne schon deshalb nicht sein, weil noch ein weiterer Holländer mitgefahren sei. Bei Frau D. habe sie den nicht erwähnt, Namen wisse sie leider auch nicht.
Nun ja. Der eine fährt los und kommt glatt durch. Der andere fährt 1 - 2 Minuten später los und kommt in einen Stau, der ihn fast 2 Stunden aufhält. Ach nein, das stimmt ja nicht. Er hat sie ja nie mitgenommen. Und der Holländer
dabei? Ja, geht dann ja auch nicht.
Halten wir fest: Frau Dr. Be. meint, Nicole sei etwa August/September defloriert worden. Nicole sagt, Wa. habe sie mitgenommen (das sagen auch Walter und Ingeborg, aber da beide in der HV die Aussage verweigern, kann man das Wa. nicht vorhalten), Wa. sagt, das stimmt nicht, ein weiterer Holländer, gesichts- und namenlos, taucht kurz auf, Wa. soll gesagt haben, er wolle Nicole selbst gerne durchnehmen und das Gericht sagt: "Die Angaben des Zeugen Wa. sind glaubhaft".
Da fällt einem nichts zu ein!
Der nächste Zeuge ist Erwin S.. Er ist der Vater von Karola S., in deren
kurzlebiger Baufirma Walter W. angestellt war. Auch Erwin S. als ausgebildeter Diplom-Ingenieur hat für seine Tochter zu retten versucht, was nicht zu retten war. Der Kontakt zu WW und Familie blieb nach der Firmenpleite eher locker bestehen.
Sommer ist 82 Jahre alt und sitzt seit einigen Jahren im Rollstuhl. An guten Tagen interessiert ihn die Frage, an welche seiner schweren Krankheiten er schließlich sterben wird, an schlechten Tagen interessiert ihn überhaupt nichts mehr. Im Januar 2006 ist er gestorben.
Er berichtet von einem Besuch der Familie bei ihm, als Nicole etwa 11 oder 12 Jahre alt war, also 2 - 3
Jahre vor der Missbrauchsanzeige. Da habe sie plötzlich vor ihm gestanden und mit den Worten "Sommer guck mal" einen Edding-Stift in ihre Scheide geschoben und ihn auf und ab bewegt. Dabei sei der Stift zur Gänze in der Scheide verschwunden. Er, Sommer, habe Nicole ausgeschimpft und die Eltern informiert. Der Vorsitzende Richter B., der mit zunehmender Verfahrensdauer die Verhandlung immer lustloser leitet, wird hier fickerig. "Das muss untersucht werden", ruft er aus. Auf seine Initiative beschließt die Kammer, ein Sachverständigen-Gutachten von Professor P., dem Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des St.
Marien-Hospitals in Bonn einzuholen. Es gibt da nur ein Problem: Nicole, die dafür auf den gynäkologischen Stuhl muss, muss zustimmen. Sie will sich jedoch nur von einer Frau untersuchen lassen (wegen ihrer Vorbehalte gegenüber Männern, nachdem, was "er" ihr angetan hat). Professor P. reagiert souverän. Seine Oberärztin untersucht Nicole, und er gibt den zeugenschaftlichen Bericht ab. Ich zitiere in
der Form der schriftlichen Urteilsbegründung:
"(Prof. P.) hat in seinem mündlich erstatteten Gutachten ebenfalls ("ebenfalls" bezieht sich auf die
Frauenärztin B.) ausgeführt, dass der bei Nicole H. festgestellte Hymeneinriss - er konnte allerdings nur
einen vernarbten Einriss des Hymens in der Position sieben Uhr feststellen- typisch sei nach vollzogenem Geschlechtsverkehr. Neben der vaginalen Penetration kämen als Ursache eines Hymeneinrisses der bei Nicole H. diagnostizierten Art theoretisch auch eine Pfählungsverletzung oder eine Selbstpenetration in Betracht. Bei einer Pfählungsverletzung sei in der Regel aber mit größeren Verletzungen des Hymens zu rechnen," die, ich fasse hier zusammen, sehr schmerzhaft sein und wegen der fast sicher auftretenden
Blutungen nicht unentdeckt geblieben wären. " Zur Möglichkeit einer Selbstverletzung hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine solche ohnehin sehr selten vorkomme und dann allenfalls bei stark traumatisierten Kindern. Bei einem psychisch gesunden Kind sei Selbstpenetration auszuschließen, da eine solche Handlung bereits von Beginn an mit erheblichen Schmerzen verbunden sei." (Seite 24).
"(Professor P.) hat (..)ausgeführt, dass eine Selbstpenetration mit einem Eddingstift unwahrscheinlich sei, da dies in der Regel nicht zu Verletzungen führe. Bei einem elf bis zwölf Jahre alten Mädchen sei das Hymen etwa 1,5 cm
weit zu öffnen, so dass ein Eddingstift ohne Verletzungen und Schmerzen in die Scheide eingeführt werden kann." Also, schließt die Kammer, stammt der Hymeneinriss bei 7 Uhr (nach 5
Uhr wird nicht mehr weiter gefragt) von einem Geschlechtsverkehr - mit dem Angeklagten Walter W..
Die Kammer hält die Zeugenaussage des Erwin S. also für zutreffend, ohne sich mit den dann offensichtlich ergebenden Fragen auch nur ansatzweise auseinander zu setzen. Beispiele:
-Wie steht es mit der Sexualmoral einer 12-jährigen, die sich bei relativ Fremden so benimmt, ja, diese
noch ausdrücklich zum Zuschauen
auffordert? Parallelen zum Verhalten bei Familie M. drängen sich auf, was doch eigentlich ein einmaliger Vorfall gewesen sein soll.
- Das Verhalten Nicoles weist darauf hin, dass das nicht der erste Gegenstand war, den sie sich reingedrückt hat. Man macht derartige Erstversuche, bei denen man nicht weiß, ob es schmerzhaft oder sogar blutig zugehen wird, nicht in aller Öffentlichkeit, sondern "probiert" vorher schon mal im stillen Kämmerlein.
- Auch wenn eine Selbstpenetration mittels Edding unwahrscheinlich ist, weiß man, was Nicole sich bis
zur ersten gynäkologischen Untersuchung 2- 3 Jahre später noch so
alles (Größeres) rein geschoben hat?
- Wenn man Professor P. folgt (und warum sollte man nicht), dass bei einem psychisch gesunden Kind Selbstpenetration auszuschließen sei, drängt sich durch Nicoles Verhalten doch gerade die Frage auf, ob sie ein solches Kind ist. Immerhin geschah der Vorfall bei Sommer zu einer Zeit, als die Familie noch auf der Gasstraße wohnte und "er" nach Nicoles eigenen Angaben noch nicht begonnen hatte, sie regelmäßig zu missbrauchen. Ein möglicher psychischer Defekt, den ihr Verhalten zumindest nahe legt, kann dann nicht Folge des Missbrauchs durch WW sein.
Mit alledem beschäftigt sich die Kammer nicht.
An dieser Stelle will ich als medizinischer Laie auf eine sich ebenfalls aufdrängende Frage eingehen, von der ich weiß, dass sie nicht eindeutig zu beantworten ist. Die Frauenärztin Be. hat ausgesagt, bei Nicole habe es "unten" typischerweise so ausgesehen wie nach einem Geschlechtsverkehr, den sie sogar mit einigem Spielraum zeitlich bestimmte. Nach einem!! Als Frau Be. Nicole untersuchte, war das aber, glaubt man Nicole, nachdem er schon (die Zahlen schwanken) ca. 200 Mal über sie hergefallen
war! Kann das Hymen dann noch so verhältnismäßig intakt sein? Ich habe diese Frage vor einiger Zeit im Internet gepostet, und die Antwort hat mich überrascht. Ja, es kann sein, dass der Einriss vom "ersten Mal"
stammt und dass erst bei einer späteren Geburt das Hymen ganz zerreißt. Aber es ist unwahrscheinlich,
gerade wenn man bedenkt, dass „er“ ja immer wieder gewaltsam bei ihr eingedrungen sein soll und offensichtlich nie Gleitmittel benutzt hat. In diesem Zusammenhang wies bei meiner
Internet-Anfrage eine Medizinerin noch auf etwas anderes hin: Unterstellt man Nicoles Angaben über die Häufigkeit des
erzwungenen GV, so hätte es mit Sicherheit Scheideninfektionen gegeben, die nur sehr
schwer abgeheilt wären. Diese Infektionen wären nicht unbemerkt geblieben.
Genug der Spekulation. Ich habe sie eingefügt, weil in der mündlichen Urteilsbegründung (in der
Schriftform fehlt das) der Vorsitzende Richter dem Angeklagten folgenden Schluss der Kammer vorhielt: Frau Dr. Be. und über 2 Jahre später Professor P. haben den gleichen Hymenzustand festgestellt. Das spräche für die Glaubwürdigkeit Nicoles, die gesagt hat, nur mit WW habe sie Geschlechtsverkehr
gehabt und seither nicht mehr. Das Gericht geht also offensichtlich davon aus, dass weitere GV zu Hymeneinrissen an anderer Stelle geführt hätten. Die Kammer hat da schlicht übersehen, dass Frau Dr. Be. Nicole nicht nach dem
ersten, sondern (siehe oben) nach dem 200. GV untersuchte. Wenn diese aber nur den geringen Einriss bei 7 Uhr (und vielleicht noch 5 Uhr) hinterlassen haben, so entbehrt es jeder Logik, dass ausgerechnet die GV Nr. 201, 202, 203 usw. weitere größere Einrisse bedingten. Das
ist wohl auch der Grund, warum in der schriftlichen Urteilsbegründung dieses Argument nicht enthalten ist. Es zeigt
aber, zu welchen Strohhalmen die Kammer gegriffen hat, um ihre Verurteilung zu stützen.
Am 16.3.2005 wird Nicole erneut vernommen. Die Befragung dauert von 9.45 Uhr bis 12.00. Diesmal wird auf Nicoles Wunsch die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Auf Nachfrage sagt sie, beim ersten Mal seien die ihr feindlich gesinnten Zeugen, wie z.B. ihre Mutter (!!) nicht anwesend gewesen, diesmal schon. Deshalb wünsche sie den Ausschluss der Öffentlichkeit. Dem Antrag wird entsprochen.
Es werden von der Verteidigung die Abschriften einer Reihe von Mails von und an Nicole mit stark sexualisiertem
Inhalt vorgelegt .Es ergibt sich auch, dass Nicole -entgegen ihren Angaben gegenüber der Sachverständigen- Websites für Missbrauchsopfer, wie z.B. www.Verbündete.de, besucht hat. Sie gibt jedoch an, das sei schon länger her gewesen. Dann kommt es zu einem bezeichnenden Zwischenfall. Die Kammer will die von Nicole besuchte Seite ansehen. Dazu muss man sich jedoch mit Passwort einloggen. Nicole gibt ihr Passwort an und wird entlassen. Sie macht sich auf den Heimweg.
Die Öffentlichkeit wird wieder hergestellt. Es zeigt sich, dass das von Nicole mitgeteilte Passwort falsch ist. Ihre noch im Gerichtssaal verbliebene
Anwältin K. ruft sie per Handy an und fragt, ob sie sich beim Passwort vertan oder geirrt habe, das Gericht bekäme keinen Zugang. Nicoles Antwort (die Frau K. laut wiederholt): "Das verstehe ich nicht. Ich war doch erst gestern auf der Seite." Mit anderen Worten: Nicole hat nicht nur seinerzeit die Sachverständige D. hinsichtlich ihrer Internet-Aktivitäten belogen, sondern dies dreist vor
einer Stunde auch gegenüber dem Gericht !! Im Ergebnis ist es dem Gericht nicht gelungen, die Seite und Nicoles Einträge anzusehen.
Dieses signifikante Beispiel für den Umgang der einzigen Belastungszeugin
mit der Wahrheit hat sich im Urteil nicht zugunsten des Angeklagten ausgewirkt."...D. konnte darüber hinaus ein Beeinflussung der Zeugin durch die von ihr besuchten Chatrooms wie www.verbuendete.de ausschließen. Zwar hat die Zeugin Nicole H. zunächst abgestritten, den vorerwähnten Chatroom überhaupt aufgesucht zu haben, dies im weiteren Verlauf jedoch eingeräumt. Die typischerweise hier vermittelten Zusammenhänge einschließlich der hierbei verwandten Terminologie haben in der Aussage der Zeugin Nicole H. jedoch keinen Niederschlag gefunden." (Seite 16)
Ja, möchte man hinzufügen, die liebe
Nicole hat nur so zum Spaß den Besuch der Chatrooms bestritten
und aus reiner Gaudi ein falsches Passwort angegeben. Außerdem wird gerade beim Chatten die offizielle Terminologie nicht verwandt sondern vielmehr Klartext geredet und von Opfern markante Einzelheiten erzählt (wie z.B. das Pieksen von Bartstoppeln!). Auch die Ausführung, Nicole habe im weiteren Verlauf
den Besuch des Chatrooms eingeräumt, ist falsch. "Im weiteren Verlauf" heißt nämlich "später im Rahmen ihrer Vernehmung" oder mindestens an diesem Verhandlungstag während der Sitzung. Das ist aber gerade nicht geschehen.
Nicole kommt noch ein drittes Mal zur Verhandlung. Obwohl man schon mit den Plädoyers begonnen hatte, beschließt die Kammer doch noch den Tatort Hochsitz zu besichtigen. Nicole muss dafür den obligatorischen Kreta-Urlaub unterbrechen und das versammelte Gericht unter Ausschluss der übrigen Öffentlichkeit von der Wohnung Waat zum Hochsitz führen. Es ist ein drückend heißer Augusttag. Als Nicole, mit einigen Umwegen, den "Tatort" erreicht, passiert folgendes. Wie aus dem Nichts taucht, kaum dass die Gruppe mit Gericht und den sonstigen Beteiligten das Baumhaus erreicht hat, ein Jagdaufseher in einem Geländewagen auf und will mit rüden
Worten die Gruppe vertreiben. Erst nach Blick auf die Dienstausweise der
begleitenden Justizwachtmeister beruhigt er sich und erklärt, er sähe schon seit Jahren regelmäßig nach dem Rechten, da immer wieder Jugendliche an dieser Stelle ihre "Spielchen" trieben. Dieser Vorfall , der zu ein paar Gedanken über die vielleicht doch nicht so ideale Lage des Hochsitzes Anlass hätte geben können, ist dem Gericht im Urteil nicht ein Wort oder eine Zeile wert. Die einzige Konzession, die man an erneut auftretende Ungereimtheiten macht, ist schlicht die Veränderung des Tatzeitraums. "Die Taten am Hochsitz fanden in den Sommer- bzw.
Herbstmonaten statt", heißt es im Urteil auf Seite 10. Sicherlich nur aus Gründen der Zeitersparnis ist Nicole zu dieser Halbierung des von ihr genannten Tatzeitraums ("das ganze Jahr über") gar nicht erst befragt worden.
Denn das Gericht hat den Fall erkennbar satt. Es will nun endlich zu Potte kommen. Die Anträge des zu
spät wach gewordenen Verteidigers (Befangenheit der Sachverständigen wegen ihres Erklärungsversuchs über den GV mit Natalie, Einholung eines psychiatrischen Zusatzgutachtens) werden mit Wischiwaschi- Begründungen abgelehnt. Die Psychologin D. sagt, sie habe genug psychiatrische Kenntnisse,
um bei Nicole die vermutete Borderline - Störung ausschließen zu können, und das Gericht folgt ihr ergeben.
In ihrem Plädoyer fordert die Staatsanwältin 7 Jahre und 9 Monate Haft und sofortige Festnahme im Gerichtssaal wegen Fluchtgefahr, der Verteidiger fordert Freispruch. Der Angeklagte hat an diesem 22. August 2005 das Schlusswort. Er erklärt: "Ich habe nichts getan." Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Das Urteil wird am nächsten Tag verkündet.
DAS URTEIL VOM 23. AUGUST 2005
Im Titel dieser kleinen Abhandlung steht es bereits: 6 Jahre Haft. Werfen wir noch einen Blick auf die mündliche
Urteilsbegründung und die Anfang Dezember 2005 übersandte schriftliche Urteilsfassung.
Der Vorsitzende Richter B. spricht an diesem 23. August eine gute Viertelstunde. Erstaunlich ist, wie wenige Teile der mündlichen Begründung schließlich auch in der Schriftform erscheinen. Man hat rückblickend den Eindruck, dass hier 2 Richter 2 Urteile (mit demselben Tenor) verfasst haben. Wie mir der Verteidiger sagte, wird das wohl auch so gewesen sein.
Die mündliche Begründung ist Sache des Vorsitzenden, die schriftliche Fassung schreibt der zweite Berufsrichter, hier die Richterin van den Bosch.
Auch wenn der Schock des Urteils bei den Zuhörern noch tief sitzt, fällt doch auf, wie wirr und zusammenhanglos, vor allem aber wie unlogisch viele Teile der mündlichen Begründung daher kommen. Die vorhandenen psychischen Probleme Nicoles führt das Gericht auf den Missbrauch zurück - eine Schlussfolgerung, vor der alle Ärzte, die in der Verhandlung befragt wurden, zurück schreckten wie der Teufel vorm Weihwasser. Die beiden Juristen, die Hausfrau und der Polizeibeamte (=die Kammer) haben da keine Probleme. Nach diesem ersten und wichtigsten Schritt (Nicole ist also missbraucht worden) macht sich die Kammer auf die Suche
nach dem Täter. Das ist einfach. Zum einen sagt Nicole ja, wer es war, und zum anderen ist nur einer in Sicht: der Angeklagte Walter W.. Ich stelle mir vor, dass so auch die Beratung der vier abgelaufen ist. Wir haben A (Opfer Nicole) und B (Täter W.), nun B., verbinde du die beiden Punkte. Der Weg ist also das Ziel. Auf diesem Weg ist der Vorsitzende allerdings in Straucheln gekommen.
Die Marschrichtung ist klar: Nicoles Aussage ist glaubhaft, die Zeugen pro W. alle nicht. Die Mutter, der Bruder, die Ehefrau - allesamt voreingenommen. Der Schwiegervater auch, außerdem ein bisschen gaga.
S.ist vorbestraft- weg damit. Wamers ist schon eine härtere Nuss. Wenn der Anlass nicht so ernst wäre, könnte ich stolz sein. 3 (in Worten: drei) verschiedene Wertungen meiner Aussage. Die Staatsanwältin ging in ihrem Plädoyer noch davon aus, mein Bericht über das Telefonat sei richtig. Nicole habe mich wohl ärgern (!) wollen, indem sie das Gespräch "zugab", damit Hoffnungen weckte, um dann
zu widerrufen. Diesem in der Tat saublöden Argument, das zudem auch noch eine weitere Lüge Nicoles unterstellt, folgt der Vorsitzende nicht. Er bemängelt, meine Aussage stehe in keinem Kontext und sei deshalb
unglaubwürdig. Da man mir das nach dem Sachverhalt nun wirklich nicht vorwerfen kann, argumentiert das schriftliche Urteil wieder anders. Ich hätte das Gericht während meiner Aussage nicht angesehen (was ich energisch bestreite) und wäre Nicole gegenüber erkennbar feindselig. Oh mein Gott!
Das Nichtansehen als Indiz für eine Falschaussage. VHS-Psychologie für Anfänger 2. Schnupperstunde: Wer einem fest in die Augen schaut und beteuert, er sage die Wahrheit, DER LÜGT.
Ach ja, Nicoles Lüge hinsichtlich des Chattens. Da meinte der Vorsitzende:
"Wir alle lügen ab und zu. Wer wollte sich davon frei sprechen! Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht überwiegend die Wahrheit sagen. So ist es auch hier."
So etwas darf ein Vorsitzender Richter in einer Urteilsbegründung nicht sagen. Der Einleitungssatz ist
nämlich (bewusst?) falsch. Denn er muss ja lauten: Wir alle lügen ab und zu, wenn wir als Zeugen vor Gericht stehen. Darum geht es hier. Diesen Satz unterschreibt aber noch lange nicht jeder. In der
Schriftform erscheint dieser Fauxpas (anders kann man das nicht nennen) dann auch nicht.
Da kein anderer Täter in Sicht ist,
argumentiert der Vorsitzende weiter, muss es W. sein, der damit zu verurteilen ist. Sie sehen, das Psycho-Logik-Niveau der VHS -Schnupperstunde wird spielend gehalten. Den Antrag der Staatsanwaltschaft, Walter W. nach Urteilsverkündung sofort im Gerichtssaal festzunehmen, lehnt die Kammer durch gesonderten Beschluss ab. Weder Nicole noch ihre Anwältin sind bei der Urteilsverkündung anwesend.
Auf die Schriftfassung des Urteils will ich nicht eingehen. Ihr fehlt der vorwurfsvolle Ton des persönlichen Vortrags des Vorsitzenden. Vor allem bügelt sie Unebenheiten der Beweisführung glatt. Nicoles Lügen, z.B.
werden nicht erklärt oder bewertet, sondern als nebensächlich abgetan. Weitere Ungereimtheiten habe ich im Prozessbericht dargestellt.
SCHLUSSBEMERKUNG
Gott, Allah, Jahwe, von mir aus auch Karl Marx oder Lenin, möge allen ( Stief - ) Vätern helfen, die des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden. Wer an diese Strafkammer gerät, hat keine Chance. Gar keine.
wer Interesse hat wie es vor und nach der Haft weiter ging, bitte Per Mail melden....