>> Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich denke ich komme jetzt allein klar. <<, sagte ich erschöpft und auch müde. Sie hatten mich endlich aus dem Krankenhaus entlassen, doch ich musste noch regelmäßig zur Schule und zu einer speziellen Nachhilfe, weil ich für sieben Jahre im Koma gelegen hatte. Zumindest mit dem Muskeltraining war ich fertig, auch wenn meine Muskeln nicht sehr stark waren, weswegen die Ärzte mir gesagt hatten, ich solle täglich noch die Übungen machen, damit ich sie noch weiter stärke. Ich musste auch alle zwei Wochen im Krankenhaus vorbei sehen
und jeden Sonntag würde meine Betreuerin kommen um nach mir zu sehen. Susan war eine nette ältere Frau in den 40ern und hatte mir auch geholfen diese kleine Wohnung hier zu finden und meine Sachen hierher zu fahren. >> Bist du dir sicher? Ich kann auch eine Nacht hier bleiben. Du warst ja noch nie allein irgendwo. <<, sagte Susan besorgt. Meine Eltern waren bei dem Unfall, der mich ins Koma gebracht hatte ums Leben gekommen und man hatte bisher keine Verwandten von mir ausmachen können. Ich erinnerte mich auch an nichts bis vor einem Jahr als ich aus dem Koma erwacht war. >> Ich bin
18 Jahre alt! Sie können mich über Nacht hier allein lassen, Susan, aber ich danke Ihnen für ihre Fürsorge. << Sie nickte zwar, aber in ihrem Blick las ich, dass sie unzufrieden damit war und sich immer noch sorgte. In diesem ganzen letzten Jahr war sie wie eine Mutter für mich gewesen und dafür war ich ihr sehr dankbar, aber leider führte sie sich auch häufig wie eine überfürsorgliche Glucke auf. Ich warf einen genaueren Blick auf sie: Obwohl man ihr, ihr Alter deutlich ansah, sah man auch, dass sie früher eine Schönheit gewesen war. Sie trug ihr karamellbraunes Haar immer in einem lockeren Dutt und färbte es nicht. Sie war schlank und um die 1,65 groß,
trotzdem hatte sie kräftige Muskeln, die wohl von ihrer Arbeit als Krankenpflegerin kamen. Sie trug immer schlichte bequeme Kleider, heute zum Beispiel hatte sie ein dunkelblaues knöchellanges Kleid ohne Muster gewählt, dazu trug sie passende Pumps und eine Kette mit einem Kreuz als Anhänger. Ihre flache Stirn war vor Sorge kraus gezogen und ihre stahlblauen Augen sahen mich direkt an. Ihre Wimpern und Augenbrauen waren fast schwarz, sodass man dachte, sie würde ihre Haare färben. Sie hatte eine etwas zu große knollige Nase und runde, vom ehemaligen Ohrringe tragen hängende, Ohren. Ihr Mund war am
schönsten, trotz ihres Alters war er immer noch rosig, voll und sinnlich und links über ihrer Oberlippe war auch noch ein dezentes Muttermal. Sie hatte hohe Wangenknochen was ihr Gesicht noch etwas schlanker und eingefallener Wirken ließ, doch in ihrer Jugend musste es edel und zierlich gewirkt haben. Auch ihr Kinn, das nun etwas zu kräftig wirkte, musste damals perfekt ihr Gesicht abgerundet haben. Unwillkürlich fragte ich mich, wie eine so schöne Frau in so einen simplen Beruf kam? Sie hätte doch sicher Model oder Schauspielerin oder so was werden können. Das erschien mir viel logischer für sie. Aber jetzt war sie zu alt dafür
und passte gut in ihren Beruf. >> Na gut, dann pass gut auf dich auf. Ich sehe gleich morgen nach der Schule noch mal nach dir ja? Gute Nacht Evelynn. << >> Gute Nacht Susan. <<, sagte ich etwas kühler als ich wollte. Sofort wurde ihr Blick betrübt und sie ging schweigend hinaus. Ich hätte mich selbst schlagen können, seit ich aus dem Koma erwacht war, hatte ich Leute mit meiner Gefühlskälte verletzt. Ich wollte ja nett und zuvorkommend sein, wollte auf sie eingehen, einfühlsam und sympathisch sein, aber meine Zeit im Koma und meine fehlenden Erinnerungen haben
mich abstumpfen lassen. Ich hatte seit sieben Jahren keine sozialen Kontakte mehr, da war so etwas wie die Gefühle eines anderen nachzuvollziehen nicht so einfach. Ich seufzte schwer und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Am besten machte ich mir noch etwas zum Essen und ging danach ins Bett. Ein Blick auf meine neue Uhr über der Kommode im Flur sagte mir, dass es bereits 21:03 war. Ich musste am nächsten Tag um sechs aufstehen, also beschloss ich spätestens um 23 Uhr im Bett zu sein, damit ich noch genug Schlaf bekam. Da ich bisher im Krankenhaus gelebt hatte, besaß ich nicht viel: Etwas
Kleidung, ein paar Spiele und Bücher, Hygienesachen und ein Handy. Alles andere war schon vorher in der Wohnung gewesen oder Susan hatte es mir gekauft. Der Flur führte ohne Tür direkt zum Wohnzimmer, das zugleich auch Schlafzimmer war, nur getrennt durch eine einfache Trennwand. Von dort aus ging eine Tür ins Bad und eine in die Küche. Ich nahm die Tür zur Küche und sah mich um. Sie war nur klein, aber bot alles was ich brauchte: Ein Herd mit zwei Platten, eine Mikrowelle, zwei Schränke mit Türen und einer mit Schubladen, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, eine große Spüle und einen Abzug, außerdem noch einen großen
Kühlschrank mit Frierfach.
Diesen Kühlschrank durchstöberte ich nun nach etwas Essbarem. Ich fand Milch, Saft, einige Brotaufstriche, einen Yoghurt und Eier. Ich überlegte. Ich war keine besonders gute Köchin oder eher gesagt ich war gar keine Köchin. Susan hatte mir in den letzten Wochen etwas kochen beigebracht, damit ich mich versorgen konnte, aber über Tütensuppen, Spiegelei und Kartoffeln gingen meine Kenntnisse nicht weit hinaus. Ich schaff das schon! Wie will ich denn je selbstständig leben, wenn ich nicht mal kochen kann? Ich entschied mich zunächst noch die
restlichen Schränke zu durchstöbern. Ich fand ein paar Töpfe und Pfannen, Teller und Schüsseln, Besteck und Tassen, aber auch Konserven, Nudeln und Tütensoßen. Gut, ich wusste wie man Nudeln kocht, also füllte ich einen Topf mit Wasser, stellte ihn auf eine der Herdplatten und schaltete diese ein. In einer Schublade fand ich einige Gewürze und Öl, sodass ich Salz in das Wasser geben konnte. Die Zeit, die das Wasser brauchen würde bis es kochte, würde ich nutzen um das Ei vorzubereiten. Ich nahm eine Tasse und eine Gabel, ehe ich zwei Eier aus dem Kühlschrank holte. Ich schlug sie in das Glas, wobei ich so ungeschickt war, dass
mir ein paar Schalenstücke hinein gerieten, die ich mit den Fingern wieder heraus pulte. Andere in meinem Alter konnten bestimmt schon ausgefallene Gerichte kochen, doch mir fehlten sieben Jahre meines Lebens, wenn man es genau nahm sogar 17 Jahre und das alles musste ich nun wie im Zeitraffer nachholen, doch ich war laut den Ärzten geistig noch auf dem Niveau einer 12-Jährigen. Wenn ich das jemandem erzählen würde, er würde mich schamlos auslachen. Ich versuchte nicht so viel darüber nachzudenken, aber ich kam nicht drum herum immer wieder daran zu denken, schließlich ging ich zur Schule, wo ich von lauter 15- oder
16-Jährigen umgeben war, die mich immer wieder darauf ansprachen. Natürlich wussten nur die Lehrer die genaueren Umstände, aber das hieß nicht, dass die anderen nicht merkten, dass ich nicht immer ganz mit ihrem Leistungsniveau mitkam und sie Gerüchte verbreiteten. Ich schlug das Ei in der Tasse mit der Gabel bis es eine einheitliche Masse geworden war. Dann sah ich noch mal nach dem Nudelwasser. Es blubberte noch nicht, also alles noch gut. Diese Gerüchte gingen von der Vermutung, dass ich einen Gehirntumor hätte bis, dass ich einfach geistig krank und verrückt wäre. Es belastete mich
zwar solche Dinge immer wieder hören zu müssen, aber ich musste schnell lernen, mich damit abzufinden, damit ich nicht daran zerbrach. Ich berührte mein Halsband. Es war ein einfaches schwarzes Lederband mit einem silbernen Anhänger, der eine ungewöhnliche Form hatte, vier dünne silberne Balken, von denen zwei parallel zueinander lagen und sich mit den anderen beiden so kreuzten, dass der Hohlraum in der Mitte eine Raute bildete, also im Grunde wie ein schiefes Rautezeichen. Dieses Halsband war das Einzige, das ich noch aus meiner Vergangenheit hatte. Ich legte es nie ab, aber es hatte ohnehin keinen
Verschluss. Ich bemerkte, dass das Wasser begann zu sieden und öffnete das Packet Nudeln. Ich schüttete den ganzen Inhalt hinein, alles was übrig blieb würde ich dann morgen essen. Ich fragte mich oft wie es wohl wäre, wenn ich mich an die Zeit vor dem Koma erinnern könnte. Würde das etwas ändern? Wäre ich dann anders? Wie sähe die Welt dann für mich aus? Sicherlich nicht so trostlos. Ich seufzte leise und rührte mit der Gabel, die ich für das Ei verwendet hatte in den Nudeln. Eine Maßnahme um Geschirr zu sparen, da spülen nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung war. Ein
Vibrieren aus meiner Hosentasche lenkte mich ab. Es vibrierte nur einmal kurz, also wusste ich, dass es eine SMS war. Ich holte mein Handy raus und sah sofort nach. Es war eine SMS von Susan. Sie hatten endlich einen Ermittler gefunden, der sich um meine Vergangenheit kümmern wollte. Sie schrieb, dass sie ihn morgen, wenn sie kam mitbringen würde, damit ich ihn kennen lernen und er mir einige Fragen stellen konnte. Ich schrieb ihr nur kurz eine Antwort und konzentrierte mich dann wieder auf meine Nudeln. Sie würden noch einige Minuten brauchen, also beschloss ich schon mal meine Schultasche zu packen. Susan hatte mir
eingebläut, dass es klüger war sie schon am Abend zuvor zu packen, so hatte man am Morgen weniger Stress. Meine Tasche war schnell gepackt, da ich am nächsten Tag nur wenige Fächer hatte. Als ich die Nudeln erneut umrührte, merkte ich, dass sie schon deutlich weicher waren. Sie wären als bald fertig, denn ich mochte sie, wenn sie noch etwas fester waren. . Ich setzte mich auf einen der Stühle und wartete geduldig. Schon wenige Minuten später beschloss ich, dass die Nudeln gut wären und stellte ein Sieb in die Spüle um die Nudeln abzuschütten. Die Nudeln ließ ich erstmal im Sieb und holte eine große Pfanne raus. Ich hatte ohnehin nur
die Wahl zwischen einer kleinen und einer großen Pfanne. Dort gab ich etwas Sonnenblumenöl hinein und gab alle Nudeln dazu. Die Herdplatte war immer noch heiß, sodass die Nudeln schnell brieten. Als sie anfingen braun zu werden, gab ich das Ei dazu und mischte es unter. Der Geruch des Essens ließ mir bereits das Wasser im Mund zusammen laufen und mein Magen grummelte erwartungsvoll. Kurz darauf war ich endlich fertig und wollte gerade einen Teller aus dem Schrank holen, als ich ein Klopfen an der Tür hörte. >> Wer das wohl so spät noch ist? <<, murmelte ich vor mich hin und ging neugierig nachsehen wer da geklopft hatte. Durch
den Spion in der Wohnungstür konnte ich eine alte Dame erkennen. Sie schien wohlhabend, denn sie hatte ein langes cremefarbenes Kleid an und trug Perlenschmuck. Ihre Haare waren elegant hochgesteckt und bereits weiß mit dünnen grauen Strähnen durchzogen, dennoch sah sie nicht zerbrechlich sondern vital aus. Ich stufte sie nicht als Gefahr ein, also öffnete ich ihr und sie begrüßte mich mit einem aufgesetzten Lächeln und einer freundlichen leicht krächzenden Stimme: >> Guten Abend! Fräulein Klein richtig? Ich bin Ihre Vermieterin Helena Iwald und wollte Sie herzlich in meinem Haus begrüßen. Ihr Namensschild wird Herr Steifenberg
unser Hausmeister Ihnen morgen anbringen. Oh, aber ich rede wieder wie ein Wasserfall! Ich habe ein kleines Geschenk für Sie. << Sie überreichte mir ein Brot und eine Packung Salz, wie ich gehört hatte, die üblichen Geschenke für jemanden der neu eingezogen war. Ich nahm die Sachen höflich entgegen und sagte: >> Vielen Dank, Frau Iwald. Es freut mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen. << Ich kämpfte mit Mühe gegen meine Müdigkeit an und hoffte, sie würde verschwinden, damit ich meine Nudeln essen konnte und danach endlich schlafen, doch sie redete weiter. >> In unserem kleinen Haus wohnen nur neun Personen, mich eingeschlossen, doch Sie
sind die Jüngste. Sollten Sie irgendwelche Probleme haben, dann können Sie sich getrost an mich wenden. Ich wohne im Erdgeschoss in der ersten Wohnung neben dem Eingang. Direkt daneben wohnt übrigens der Hausmeister, falls Sie Hilfe von ihm brauchen sollten. << Verzweifelt überlegte ich wie ich sie zum Schweigen bringen konnte, doch mir fiel nur ein sie höflich abzuwimmeln. >> Das ist alles sehr freundlich von Ihnen, aber mein Essen steht auf dem Tisch, ich muss mich nun also leider von Ihnen verabschieden. Noch mal vielen Dank. << Ich schloss langsam die Tür und sie erwähnte erneut:
>> Vergessen Sie nicht: Wenn Sie Probleme haben wenden Sie sich ruhig an mich. << Ich nickte einfach müde und schloss mit einem >> Einen schönen Abend noch. << die Tür. Ich hörte keine Proteste von der anderen Seite der Tür, also ging ich zurück in die Küche und nahm mir eine große Portion Nudeln. Die erste Hälfte schlang ich gierig hinunter, danach wurde ich bereits träge und aß langsamer. Als ich fertig war stellte ich das Geschirr in die Spüle und beschloss am nächsten Tag zu spülen. Durch das Essen nun vollends müde ging ich zu meinem Bett und ließ mich einfach hinein fallen. Etwas widerwillig stellte ich meinen Handywecker auf 6
Uhr und zog mich um. Mit fast zufallenden Augen schleppte ich mich ins Bad um meine Zähne zu putzen und mein Gesicht zu waschen. Ich schauderte vor dem kalten Wasser und war umso erleichterter, als ich endlich unter die Bettdecke gekuschelt im Bett lag. Ich schaltete die Nachttischlampe aus und schloss die Augen, doch anstatt, dass ich einschlief erinnerte ich mich an eine Stimme, zumindest glaubte ich das, denn sie kam nicht von außen und erschien mir seltsam vertraut. Das hatte ich bisher nur bei Bildern von meinen Eltern gehabt. Es war nur ein kurzer Satz, aber er ließ mich nicht los. >> Sie kriegen uns! Gott steh uns bei, Sam sie
kriegen uns! << Doch ehe ich darüber nachdenken konnte, welche Bedeutung sich dahinter verbarg umfing mich eine wohlige Taubheit und Schwärze und ich schlief erschöpft ein.
Ein schriller und anwachsender Piepston weckte mich aus meinem Traum von Bratnudeln. Verschlafen tastete ich nach meinem Handy um es abzustellen. Doch ich kriegte es nicht wie gewohnt zu fassen, sodass ich gezwungen war murrend meine Augen zu öffnen. Erst dann kam mir ins Gedächtnis, dass ich ja nicht mehr im Krankenhaus war, sondern in meiner eigenen Wohnung. Ich stellte mein Handy ab und streckte mich. Irgendwie war ich nervös, doch ich versuchte das Gefühl in den Hintergrund zu drängen. Susan hatte mir gesagt, dass der Schulbus jeden Tag um 7:15 Uhr
abfahren würde. Ich hatte also noch genügend Zeit um mich fertig zu machen. Als erstes stieg ich unter die Dusche und das lauwarme Wasser verscheuchte die restliche Müdigkeit. Ich spielte mit dem Gedanken die Schule zu schwänzen, aber da heute Susan und der Ermittler kommen würden, würde das sofort auffallen. Ich wusch mich gründlich und stieg dann aus der Dusche. Ich fragte mich ob es klüger war nicht so lang zu duschen um Geld zu sparen und griff nach dem Handtuch, das außen an der Dusche an einer speziellen Halterung hing. Ich schlang es zunächst nur um mich und tapste zum Waschbecken um mir die Zähne zu
putzen. Dafür würde ich mir immer Zeit lassen, denn ich liebte das Gefühl frisch geputzter Zähne. Ich betrachtete mich im Spiegel: Ich war mager und ganz zierlich, gerade mal 152cm groß, dennoch hatte ich ein schönes Gesicht. Es wurde von hüftlangem blonden glatten Haaren gerahmt, die nun nass und zerzaust waren. Ein lockerer Pony fiel über meine niedrige und schmale Stirn, helle schmale Augenbrauen lagen knapp darunter und fielen kaum auf, rundeten jedoch das Gesamtbild ab. Meine großen ansteigenden Augen wurden von verhältnismäßig dunklen, fast schwarzen, Wimpern umrahmt, wodurch ich selbst ohne Schminke
geschminkt wirkte. Besonders auffällig war meine Augenfarbe, oder eher meine Augenfarben, denn mein linkes war intensiv grün, während das andere hellbraun und fast bernsteinfarben war. Viele Menschen irritieren zweifarbige Augen, doch ich war damit groß geworden, somit fand ich nichts Irritierendes daran. Ich hatte eine kleine etwas zu spitze Nase und einen breiten, symmetrischen und nicht ganz so vollen Mund. Durch meine recht hohen Wangenknochen wirkte mein Gesicht noch schmaler, aber nicht länger, da ich ein kurzes ziemlich rundes Kinn hatte. Meine Ohren waren recht groß, aber schmal und lagen eng an, sodass es nicht
allzu sehr auffiel. Da ich in den letzen Jahren kaum in der Sonne war, hatte ich sehr helle Haut und ich konnte so ziemlich jede Ader in meinem Körper sehen. Doch zum Glück neigte ich nicht zu Sommersprossen. Das einzige Merkmal in meinem Gesicht war eine kleine schmale Narbe unter meinem linken Auge, die in dem gleichen Winkel stand, wie die von links oben herab kommenden Balken an meinem Anhänger. Schon komisch, aber durch meine helle Haut und ihre geringe fiel sie nicht weiter auf. Ich bürstete mein Haar durch ehe ich es föhnte. Obwohl ich meine Haare häufig föhnte und nur selten schnitt, waren sie kerngesund.
Meine Friseurin sagte, dass das nur sehr selten vorkam. Nachdem mein Haar getrocknet und glatt über meine Schultern und mein Gesicht fiel, war ich immer noch nicht zufrieden. Egal was ich machte, ich sah immer noch kindlich aus. Ich hatte auch schon versucht mich zu schminken um älter auszusehen, aber es war in einer Farbexplosion geendet. Seufzend ging ich zurück in mein Wohn- und Schlafzimmer um mich anzuziehen. Ich hatte nicht besonders viel Kleidung und heute würde ein warmer Tag werden also entschied ich mich für meinen hellblauen knielangen Rock, der mir beim Gehen um die Beine schwang, dazu ein weißes schlichtes Top mit einer weiß,
blau und schwarz karierten Bluse drüber. Ich schloss die Bluse bis zum vorletzten Knopf um kein Dekolletee zu zeigen, denn das mochte ich nicht. Obwohl ich so schlank und zierlich war hatte ich Körbchengröße B und das fiel bei meiner Größe und Statur umso deutlicher auf, deshalb verbarg ich es immer so gut es ging. Im Fernsehen wurde oft genug berichtet, wie solche Mädchen begrabscht, gestalkt oder sogar vergewaltigt wurden. Das wollte ich nun wirklich nicht. Als ich gerade in meine weißen Sandalen mit Riemchen schlüpfte klingelte es an der Tür. Wer ist das wohl? Unschlüssig sah ich auf die Uhr:
6:54 Uhr. Etwas widerwillig ging ich zur Tür und hoffte, dass es nicht Frau Iwald sein würde, die mich dann wieder zuquasselte. Doch als ich dann durch den Spion sah, stand dort eine junge rothaarige Frau mit weichen Wellen im Haar, das sie im Gesicht mit einer großen Sonnenbrille zurückhielt. Sie hatte einen gehetzten Gesichtsausdruck, also öffnete ich. >> Ah! Guten Tag. <<, sagte sie etwas überrascht, aber höflich und sah mich einen Augenblick lang verwundert an. Vermutlich lag es an meinen Augen, aber ich nutze die Gelegenheit und betrachtete sie auch genauer. Sie hatte ein sehr feminines Gesicht nur ihre
Lippen waren etwas zu schmal. Sie hatte dunkelgrüne Augen, die durch ihr natürlich rotes Haar noch betont wurden. Sie war dezent, aber eindeutig geschminkt und ich wünschte insgeheim sie würde mir ein paar Schminktipps geben. Sie trug eine schöne goldene Kette mit einem Medaillon daran. Ansonsten war sie in eine einfache hellblaue Jeans und eine langärmelige weiße Bluse mit pastellrosa Blumen darauf. Sie wirkte zugleich elegant als auch etwas verwegen. Ich schätzte sie so um die 20 Jahre ein. Außerdem roch ich einen leichten Vanilleduft, der von ihr ausging und ihre Stimme war trotz ihrer Hektik weich und samtig.
>> Haben Sie vielleicht etwas Sekundenkleber für mich? <<, sagte sie als, sie sich gefasst hatte. Ich schüttelte betrübt den Kopf: >> Leider nein, tut mir wirklich Leid. << Sie stöhnte frustriert und kratzte unbewusst an ihren weiß lackierten Nägeln. >> Da kann man nichts machen, trotzdem Danke und ach! Wo bleiben denn meine Manieren? Ich bin Celine von nebenan. << Sie hielt mir lächelnd ihre Hand hin. Ich ergriff sie höflich. Sie fühlte sich kalt und schwitzig an und ihr Händedruck war kurz und schlaff. >> Freut mich. Ich heiße Evelynn Klein, aber nennen Sie mich ruhig einfach Evelynn.
<< >> Du kannst mich ruhig duzen, wir sind ja vom Alter nicht so weit auseinander. <<, sagte sie lachend. >> Gut, ich muss jetzt los, aber nimm dich vor Mike in Acht. Der macht sich an alles Weibliche ran was nicht bei drei auf den Bäumen ist. << Mit einem freundlichen Wink ging sie wieder in ihre Wohnung. Ich sah erneut auf die Uhr: 7:03 Uhr. Ich ging zu meiner Jacke und durchwühlte die Taschen bis ich meinen Schlüsselbund und mein Portemonnaie fand. Beides steckte ich in meine Schultasche, warf sie über meine Schulter und machte mich auf den Weg
zum Bus, wobei ich nicht vergaß meine Tür auch noch abzuschließen. Habe ich auch alle Fenster zu? Ich glaube schon.
An der Bushaltestelle stand außer mir nur noch ein Junge. Er hatte kurz hochgegelte braune Haare und ein paar Pickel in seinem leicht gebräunten Gesicht. Sein Profil war schön, wenn auch seine Nase etwas zu kräftig war. Er trug eine Lederjacke und eine dunkle zerrissene Jeans. Obwohl ich ihn so musterte, beachtete er mich nicht, sondern sah stur gerade aus und hörte Musik, die so laut war, dass ich sie aus meiner drei Meter entfernten Position von ihm noch hören konnte.