Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs
steht.
Bildquelle : Jochen Pippir / pixelio.de
Es war mittlerweile spät geworden. Cyrus stand an Deck der Windrufer und sah zu, wie die Küste an ihnen vorbeiwanderte. Er konnte immer noch nur abschätzen, wo sie sich genau befanden, aber vermutlich irgendwo auf Höhe der Provinz Belfare. Die großen Segel des Schiffs wölbten sich im Wind und brachten sie rasch voran, während die Abendsonne dem Meer eine orange Färbung verlieh. Ein paar vereinzelte Wolken trieben mit dem Wind am Himmel entlang. Soweit Cyrus das erkennen konnte, war die Küste
nicht stark besiedelt. Lediglich einige vereinzelte Boote hielten sich in Ufernähe. Einige Blockhütten zwischen den Bäumen verrieten sich durch die bereits in den Fenstern brennenden Lichter. Sonst schien alles verlassen. Cyrus sah sich auf dem Deck um. Flemming hatte das Kunststück fertig gebracht, auf einem Schiff einfach zu verschwinden. Vermutlich hatte er einfach einiges an Schlaf nachzuholen, dachte Cyrus. ,,Das ist Schwarzheim. Ziemlich unheimliche Gestalten, die da leben, wenn ihr mich fragt.“ Eden stützte sich nach wie vor auf eine Krücke, aber vermutlich hielt sie auch
noch eine gute Portion Sturheit aufrecht. Die wenigsten Leute, Eriks Hilfe hin oder her, wären nach einer solchen Verletzung schon nach zwei Tagen wieder auf den Beinen. In der freien Hand hielt sie einen braunen Tonkrug. Der stechende Geruch von Alkohol stieg Cyrus in die Nase. ,,Betäubt die Schmerzen.“ , erklärte die Kapitänin der Windrufer und nahm einen tiefen Schluck , bevor sie ihm den Krug hinhielt. ,,Auch was ?“ ,,Das letzte Mal, als ich mich betrunken habe, hat jemand den Hafen weggeschwemmt in dem ich mich aufhielt.“ , erwiderte er, nahm das Gefäß dann aber trotzdem. ,,Rum
?“ ,,Was anderes gibt es hier auch nicht.“ , bemerkte Eden und lachte dabei leise.:,, Es steht euch frei zu gehen. Das ist das Mindeste, das ich euch Schulde.“ ,,Ich gebe zu, das kommt überraschend. Nichts, das ich nicht längst fort wäre, würde ich das wollen.“ Cyrus sah einen Moment zur Küste hinüber. Er hätte nichts dagegen, bald wieder einmal festen Boden unter den Füßen zu haben. Aber hier mitten in der Wildnis… Nach all den Jahren war er aus der Garde raus und hatte keinen Grund je zurückzukehren. Gleichzeitig gab es nichts, wo er sonst hin
könnte. ,,Es steht euch auch frei im nächsten Hafen von Bord zu gehen. Ich glaube zumindest Zac hat euch schon ins Herz geschlossen.“ ,,Was erleichternd ist, angesichts der Tatsache, dass er mit einem Gedanken meine Knochen zu Asche verbrennen könnte. Und dieses Amulett… die Träne Falamirs ?“ ,,Ich wusste nicht, was es war. Zachary ist ein Magier und… habt ihr gesehen, was Magie mit Zauberern anstellen kann, die ihre Kräfte überbeanspruchen?“ Cyrus nickte. Aurelius kam ihm sofort in
den Sinn. Der Magier war vielleicht Mitte zwanzig gewesen, aber bereits körperlich ein alter Mann. ,,Bei Zachary war es besonders schlimm. Ich wusste, dass er über die Gabe verfügt, aber nicht, was das anrichten kann. Selbst wenn er keine Zauber wirkt… es hat ihn langsam das Leben ausgesaugt. Magie nährt sich, ohne eine andere Quelle, direkt aus der Lebensenergie des Anwenders. Falamirs Träne ist in aller Linie ein Magiespeicher des alten Volkes. Also genau das, was ich von den Archonten verlangt habe. „ ,,Warum habt ihr ihn nicht zum Sanguis-Orden gebracht ?“ Auch wenn ihre Begegnung mit Aurelius nicht grade
glimpflich verlaufen war, der Orden hatte noch keinem Magier die Hilfe verweigert. Auch wenn sie ihren Preis hatten. ,,Wenn ihm jemand hätte helfen können, dann doch am ehesten dort.“ ,,Zachary und der Orden haben eine… Vorgeschichte. Wie ich auch. Und habt ihr schon einmal wirklich gesehen was diese Bastarde mit ihren Leuten anstellen? Sie pumpen sie mit Drogen voll um noch ein wenig mehr magische Macht zu erhalten. Nur die die in die inneren Kreise aufsteigen werden älter als dreißig. Ihre eigene Macht brennt sie rasend schnell aus. Ich habe geschworen auf Zac aufzupassen und auch wenn die Person, der ich diesen Schwur leistete
weder ein guter Mensch noch ein Freund war, ich werde mich daran halten.“ Edens Stimme schien kaum lauter zu werden, aber das konnte den Zorn darin kaum verbergen. Irgendjemand schuldete dieser Frau Blut. Mindestens. ,,Und weil ihr euch wirklich um den Jungen sorgt.“ , stellte Cyrus fest und sah schon an ihrem Gesichtsausdruck, das er recht hatte. Eden antwortete einen Moment nicht. Stattdessen schien ihr Blick in die Ferne zu gehen. Oder in die Vergangenheit. ,,Das auch.“ ,,Und ihr werdet mir nicht erzählen, was es genau mit ihm und euch auf sich hat ?“ ,,Ihr seid
Neugierig.“ Cyrus schüttelte den Kopf, obwohl es zutraf. ,,Nicht ganz, ich weiß nur immer gerne, woran ich bin.“ ,,Machen wir einen Deal.“ , meinte Eden lächelnd. ,,Ihr erzählt mir zuerst einmal, wer ihr seid. Und wer dieser Flemming ist. Meine Leute haben nach wie vor Angst vor ihm. Und ehrlich gesagt, kann ich das verstehen.“ Sie hatte eine Hand auf die Seite gelegt, wo die Wunde war, die Aurelius ihr beigebracht hatte. ,,Erik ist harmlos. Glaube ich zumindest.“ ,,Einen Hochmagier lediglich mit einem Messer zu töten wäre das genaue Gegenteil von dem, was ich harmlos
nennen würde.“ Die Gejarn setzte erneut den Krug an die Lippen. ,,Und ihr ? Nur ein Gardist, der zur falschen Zeit am falschen Ort war ?“ ,,Ich scheine ein Talent dafür zu haben und wirklich viel gibt es nicht über mich zu wissen. Ich war kaum älter als euer Zac jetzt, als ich von der Garden zwangsrekrutiert wurde.“ ,,Zwangsrekrutiert ?“ Eden musterte ihn einen Augenblick. ,, Ich dachte, das würde die imperiale Armee nur mit Straftätern machen.“ Cyrus nickte. ,,Auch wenn nicht ich es war, den sie eigentlich wollten. Mein Vater… war für einen Gejarn unseres Clans nicht grade konservativ. Das hat
einigen der Ältesten nicht gefallen. Und eines Tages stand eine Söldner-Garde vor unserem Hof und hat alles niedergebrannt. Ich wurde daraufhin zwangsrekrutiert und landete bei den Gardisten. ,,Das ist… warum haben sie das getan ? Ich bin die letzte, die das Imperium in Schutz nimmt, aber… sie sind meistens Gerecht.“ ,,Angeblich hätten wir Fahnenflüchtige mit Lebensmitteln versorgt. „ , sagte Cyrus distanziert. Es war alles Vergangenheit. Er hatte damit abgeschlossen, schon vor sehr langer Zeit. ,,Ich weiß bis heute nicht, ob das wahr ist oder nicht. Aber ich weiß, wer
uns angeschwärzt hatte. Einer der Clanältesten selbst. Ich denke, ihr wisst, wie manche dieser Narren sein können.“ ,,Nein, das weiß ich nicht. Aber ich kann es mir denken.“ Cyrus sah überrascht auf. Sie kannte das Leben bei den Clans nicht? Seltsam… es gab einige wenige Gejarn, die ihr ganzes Leben in den Städten der Menschen verbrachten, ohne den Wäldern des Herzlands je einen Besuch abzustatten, aber Eden wirkte schlicht nicht so, wie diese Diplomaten und Kaufleute. ,,Was wurde aus diesem Ältesten ?“ , fragte sie. ,,Er.. .lebt nicht mehr.“ , erwiderte Cyrus. ,,Ich kann mich also nicht
einmal rächen.“ Schon in den ersten zwei Jahren bei der Garde hatte er die Nachricht erhalten, dass der Mann, der seine Familie verraten hatte, gestorben war. Offenbar hatte nie jemand erfahren, was der Älteste getan hatte. Anfangs hatte er noch überlegt, den Mann bloßzustellen. Einen Brief zurück an die Clans schreiben. Aber schließlich hatte er es nicht getan. Die Toten waren tot, es brachte nichts, an jemanden Rache zu nehmen, der es ohnehin nicht mehr mitbekam. Eden wirkte skeptisch. ,,Und da seid ihr einfach bei der Garde geblieben ? Die ganzen Jahre lang ?“ ,,Ich habe nie etwas anderes gelernt.
Diese Hände wurden zum Töten ausgebildet.“ Er zuckte mit den Schultern. ,, Und es ist gar nicht so übel. Essen, Trinken ein warmer Schlafplatz, zumindest meistens und wenn man sich nicht so viel aus dem Drill macht… Ich habe nie gut Befehle befolgen können.“ ,, Ich sehe schon, ihr seid alles nur nicht der typische Garde-Soldat. Stecken die so was wie euch nicht in ihrer schwarze Garde?“ ,,Ähm…“ Verflucht, er hatte sich verplappert. Auch wenn es keine Rolle mehr zu spielen schien, die schwarze Garde hatte ihren Ruf, der wohl auch Eden bekannt sein dürfte. Aber seit wann
interessierte ihn denn, was andere dachten? Er war stolz darauf was er war. Der schlechteste der Verlorenen. ,,Das ist Antwort genug.“ , meinte sie, nur um plötzlich zu Fragen : ,,Habt ihr darüber Nachgedacht zu bleiben ? Wir segeln fürs erste Richtung Lasanta und sind wohl so oder so noch eine Weile unterwegs. Aber… Ihr wärt willkommen, Flemming auch.“ Cyrus wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Ein Teil von ihm hätte am liebsten sofort zugesagt. Ein anderer Teil aber warnte ihn. Der, der ihm sagte, er könnte sich hier fast zuhause fühlen. Aber das wäre gar nicht so verkehrt… ,,Ich müsste darüber nachdenken.“ Und
Flemming fragen. Der Alte würde doch sicher heim wollen, wo immer das für seinen Gefährten auch lag. ,,Stimmt es eigentlich, dass der Großteil eurer Crew aus befreiten Sklaven besteht ?“ ,,Teilweise. Manche sind auch unverschuldet Vogelfreie. Ein paar haben lediglich ihr gesamtes Ansehen verloren gehabt. Und einige sind auch nur Aussteiger. Aber die wenigsten hier dürften das sein, was ihr von einer Bande Räuber erwarten würdet. Wir sind die, die genug von allem haben. Sei es die Politik des Kaisers, die ewigen Konflikte zwischen und mit den Gejarn oder… auch nur Canton und ganz Halven
selbst.“ ,,Und ihr ?“ ,,Geschäft ist Geschäft wie ? Es hängt ein wenig damit zusammen, wie ich auf Zachary getroffen bin.“ Sie räusperte sich. ,, Ich… gehörte einmal der mächtigsten Familie von Silberstedt.“ ,,Gehörte… Also wart ihr selbst ein Sklave. Und Zac…“ Anstatt sofort zu Antworten nahm Eden noch einen Schluck Rum und stellte den leeren krug dann weg. ,,Sein voller Name ist Zachary de Immerson. Und den de Immersons gehört Silberstedt zusammen mit dem Großteil der umliegenden Provinz. Vor dem Aufstieg des Kaiserreichs waren sie wohl mal Könige
oder so etwas in der Richtung. Zumindest haben die meisten von ihnen die nötige Arroganz soweit ich mich erinnere. Zac war freundlicher als der Rest, aber was erwartet man von einem Kind. Er war damals vielleicht acht. Aber er hat schon verstanden, das ich nicht freiwillig dort war.“ ,,Und wie seit ihr entkommen… Ich meine, ihr wärt sonst wohl nicht hier.“ ,,Das ist beinahe auf eine tragische Art komisch. Das Zachary ein Magier ist, ist dem Auge des Sanguis-Orden nicht entgangen. Und nicht einmal die mächtigsten Adeligen würden sich alleine gegen den Willen der Zauberer stellen. Und nach diesem Willen gehört jede
Zauberer ihnen, sei er als Bettler geboren oder als Fürst. In der Praxis fordern sie längst nicht jeden ein, aber Zachary… Ihr habt gesehen was er tun kann. Zac sollte also zu ihrer Festung in den Bergen an der Grenze Immersons zu den Herzlanden gebracht werden. Ein Teil der Familie begleitete ihn und… ich musste mit. Zu Fuß natürlich, die hohen Herren hatten ja Wagen. Wart ihr schon einmal in den Bergen? Es kann schon in Silberstedt kalt werden, aber lauft ihr einmal Barfuß durch kniehohen Schnee. Wir gerieten in einen Sturm, in dem ich kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Und das einzige Geräusch, an dem ich mich orientieren konnte, war
das Aufeinanderprallen von Stahl, das fast gleichzeitig mit dem Sturm einsetzte.“ Cyrus hörte mit einer Mischung aus Mitleid und Neugier zu. ,,Als sich der Sturm auflöste, war von der Karawane der de Immersons niemand mehr übrig.“ , fuhr Eden fort. ,,Mich hatten die Angreifer vermutlich einfach übersehen.“ ,, Also war dieser Schneesturm doch für etwas gut.“ , bemerkte er. ,, Seht ihr die Dinge immer so optimistisch ?“ ,, Es kann immer schlimmer kommen.“ ,, Glaubt mir Cyrus. Damals war ich auf dem Tiefpunkt. Halberfroren habe ich
nur noch einige umgestürzte Wagen vorgefunden. Tote Pferde. Blut im Schnee… und die gefallenen Wächter unserer kleinen Karawane. Ich hätte da schon weglaufen sollen. Aber… zwei Überlebende gab es. Den alten Herr De Immerson… und Zachary. Der Junge hatte sich während des Angriffs unter einer der Kutschen versteckt. Ich habe sofort gesehen, das der Alte so gut wie tot war. Jemand hatte ihn mit einem Speer fast aufgespießt… Damit war ich frei. Jeder einzelne, der mich hätte aufhalten können, war tot. Die tragische Komik dabei ist bevor Fürst de Immerson starb nahm er mir noch den Schwur ab,
auf Zac aufzupassen. Und man kann mir viel nachsagen, aber nicht, dass ich ein Versprechen brechen würde. Ich hätte ihn sogar nach Silberstedt zurückgebracht, selbst wenn das bedeutet hätte wieder Ketten zu tragen.“ Eden schüttelte den Kopf. ,, Seltsamerweise war es Zachary, der mich davon abhielt, nachdem wir es irgendwie wieder aus den Bergen geschafft hatten.“ ,, Und wie genau seit ihr dann an die Windrufer gekommen ?“ ,, Das ist nochmal eine etwas längere Geschichte. Ich bin fast ein Jahr mit Zachary nur durch die Provinzen gereist. Nun, sagen wir einfach währenddessen
sind jede Menge verrückte Sachen passiert und am Ende fand ich mich im Besitz eines Schiffs wieder.“ Sie nickte ihm noch einmal kurz zu, bevor sie sich umdrehte. ,, Wenn Ihr mich entschuldigt. Ich will noch nach Zachary sehen und ihr werdet auch müde sein.“
,, Solange ich nicht wieder in einer Abstellkammer schlafen muss.“ , kommentierte Cyrus sarkastisch.
,, Sucht euch einfach einen Platz unter Deck oder an Deck. Aber geht mir nicht übe Bord.“
Kapitel 30 Edens Geschichte