Der weiße Hut
Es war einer dieser Segeltage, nach denen man einfach glücklich im Hafen ankommt. Die Wellen waren meterhoch und der Sonnenschein lockte so manchen hinaus. Bald aber setzte Regen ein und der Wind nahm zu. Die Skipper, die nur eine Runde segeln wollten, machten sich auf den Weg zurück in den Heimathafen und diejenigen, die ein Tagesziel hatten, riefen die Parole aus, durchhalten. Unser Tagesziel war wieder einmal Vlieland. Gegen Nachmittag war die Sonne wieder da, und die kalten Glieder tauten langsam auf. Nur noch das Seegatt (der
Zwischenraum zweier Inseln), in dem erfahrungsgemäß eine höhere Welle steht und dann, ab um die Ecke, ins ruhigere Wasser. Dabei auch noch ertragen, dass die Strömung entgegen steht und die Reisegeschwindigkeit sich bei drei Knoten einpendelt. Als hinter den Dünen der Hafen an den Masten zu erkennen ist, sieht man schon, da ist es voll. Egal, eine vor uns fahrende Yacht fährt ein, wir mit über einhundert Meter Abstand hinterher. Stark vorhalten Vollgas, schräg anschneiden schon sind wir im Nadelöhr. Gas zurück, um dann voller Freude festzustellen, dass die andere Yacht rückwärts auf uns zukommt. Zum Wenden ist die Einfahrt zu eng. Rückwärts wieder
heraus würde heißen, die Strömung knallt uns auf die Mauer. Der Skipper vor uns hält mit dem Fernglas Ausschau nach einem Liegeplatz und hat anstatt Leerlauf auf Zurück geschaltet und dieses noch nicht gemerkt. Dann weht Ihm auch noch sein weißer Strohhut vom Kopf, und er versucht erfolgreich, diesen wieder einzufangen. Mittlerweile wurde er immer schneller. Meine Frau greift zum Enterhaken und eilt nach vorn, zum Bug. Ich lege den Daumen auf unser Schiffshorn. Zumindest will ich das. Aber wir haben so eine Hupe mit fünf Tasten, ich lange daneben und erwische die Polizeisirene. Wir haben noch ca. zehn Meter Abstand, allerdings so wie
die Augen des anderen Skippers aus seinem Kopf herauskommen, ist der Abstand zwischen uns und seinen Augen nur noch fünf Meter. Im letzten Moment kann er sein Boot abfangen und wir können mit ihm in das Hafenbecken einlaufen. Dort erwartet uns schon der Hafenmeister mit seinem Schlauchboot. Er dirigiert uns an ein Päckchen von drei, ungefähr gleich großen, Yachten. Die ca. zwei Meter kürzere Yacht des Strohhutes soll an unserem Boot festmachen. Hafenmeisters Wort ist Gesetz. So kommt es, dass eine ziemlich blasse und derangierte Frau aus der Kajüte eilt und eine Leine auf unser Vordeck wirft, wo sie an der
Ankerwinsch hängen bleibt. Er macht seinem Strohhut, den so ja auch Cowboys tragen, alle Ehre und schafft es, mit einem Wurf unsere Achterklampe einzufangen. Kurz dichtgeholt, sie ist schon wieder unter Deck und er steht strahlend in der Plicht. Wunderbar, aber noch schöner wäre es gewesen, wenn wir vorher hätten Anlegen dürfen! Mittlerweile hat sich genug Publikum eingefunden, und an unserem zugewiesenen Liegeplatz recken sich uns einige Hände entgegen. Ich fahre schräg auf den Bug zu, der Hafenmeister kommt, mit seinem Schlauchboot, an unserem Heck zu Hilfe und wir sind drin. Sogar Applaus erklingt, untermalt von
melodiösem Johlen aus jugendlichen Kehlen, von einem der großen Plattbodenschiffe, die für Jugendgruppen eingesetzt werden. Unser Cowboy sieht sich genötigt, seinen Hut zu lüften und sich strahlend zu verbeugen. Sekunden später ist er unter Deck verschwunden und taucht mit drei eiskalten Dosen Bier wieder auf, um mit uns anzustoßen. Wir verlegen noch seine Leinen richtig, setzen die Springs und trinken erst einmal das Bier. Das Funkeln in den Augen meiner Frau heißt nichts Gutes, aber lässt mir den Freiraum der Deutung. Entweder heißt es. „Halt den Mund“, oder aber „ Halt mich fest, bevor ich etwas unüberlegtes ganz bewusst mache“.
Ich entscheide mich für Variante drei: „Das kostet dich ein Abendessen mit mindesten fünf Gängen!“ So verschwinden wir, ohne große Worte, in der Nasszelle des Hafens und sitzen eine Stunde später in einem schönen Fischlokal und lachen über die ganze Geschichte. Dass diese aber den Höhepunkt der Heiterkeit noch nicht erreicht hat, wissen wir da noch nicht. Kurz vor Sonnenuntergang sitzen wir wieder an Bord, haben ein Bier in der Hand und führen das typische Bord zu Bord Gespräch mit unseren Backbord Nachbarn. Als dann auch noch dessen Nachbar auftaucht, sitzen wir auf einmal alle in unserem Cockpit und spielen das
alte Seemannsspiel: „Welches Garn ist stärker“. Plötzlich geht an der Steuerbordseite eine Luke auf und der Strohhut erscheint in der einen Hand eine Flasche oude in der anderen Hand eine Flasche jonge Jenever. „Bitte an Bord kommen zu dürfen“ schallt es herüber. Wir schauen uns an, schauen auf die Flaschen, man will ja nicht unhöflich sein! Nach der zweiten Runde, seine Frau war mittlerweile mit den Schnapsgläsern aufgetaucht, erzählte er uns dann, dass dieses ihre Jungfernfahrt war. Er hatte alle Sportbootführerscheine gemacht, einen SKS-Schein und was man sonst noch so braucht. Selbst einen Meilennachweis von eintausend
Seemeilen hatte er sich, für irgendeine wichtige Prüfung, am Mittelmeer ersegelt. War viel Flaute und die zwanzig Meter Yacht mit Skipper und Köchin hatte einen starken Motor. Sein Boot hatte er vor einer Woche gekauft und nun war er hier. Großartig! Es wurde noch ein sehr lustiger Abend. Unsere Backbordnachbarn entschieden, den Steuerbordnachbarn auf den Weg zurück ins Ijsselmeer zu begleiten. Wir hatten alle ganz schön einen im Tee, wie man so schön sagt, und wollten nun zu Bett gehen. Als Erster stand der Strohhut auf und verabschiedete sich. Er sprach sehr schleppend. Dann nahm er Schwung, lächelt uns zu und wollte auf sein Boot
springen. Leider vergaß er, dass seines ca. zwei Meter kürzer als unseres war. Nun war er weg! Auf der Wasseroberfläche schwamm nur noch der Strohhut. Sofort versuchten alle den Hut zu retten. Von Ihm war ja nichts zu sehen. In diesem Gezeitenhafen gab es Strömung. Als er dann einige Meter weiter wieder auftauchte, dachten wir erst es ist ein Walross, so schnaubte er. Es ward dunkel, aber bei dem Geräusch hatten wir ihn dann im Taschenlampenlicht. Rund herum kamen immer mehr Taschenlampen hervor, und einer machte den fatalen Fehler einen Rettungsring zu werfen. Fehler warum, werdet ihr euch jetzt fragen. 1. Die
Dinger sind hart. 2. Wenn einer anfängt, Ringe zu werfen, wollen alle. Strohhut jetzt ohne Hut krallte sich an einem fest und wurde von weiteren zwanzig getroffen. Dazu kommt noch Murphys Law. Wenn etwas falsch läuft, dann richtig. Bei einer schier unendlichen Auswahl von Rettungsringen erwischt er den vom höchsten Schiff und dieses lag auch noch an der anderen Seite des Hafenbeckens. Nachdem er dann, dort in fünf Meter Höhe, an Deck gezogen wurde und einen Rum für den Schreck bekam, machte er sich auf den, fast einen Kilometer weiten Heimweg, herum ums Hafenbecken. Seine Frau, die schon früher schlafen gegangen war, empfing
Ihn dann mit den zärtlichen Worten. „Musstest Du jetzt auch noch schwimmen gehen, Iiih, du machst ja alles nass, und wie du stinkst, so schläfst du nicht bei mir, geh in die Hundekoje, ich will jetzt nichts hören, lass mich in Ruh. Und so weiter und so fort. Wir haben dann alle noch schnell einen auf den Schreck getrunken und schnell unsere Luken geschlossen. Man will ja nicht indiskret sein. Außerdem war auch nichts mehr zu hören. Was haben wir daraus gelernt? Egal, wer etwas Anderes behauptet, es kommt doch auf die Länge an!
(c) Uwe Honnef