Vorwort
Es gibt Bäume, die nimmst du wahr und gehst an ihnen vorüber.
Und es gibt Bäume, die schicken dir Glitzerfunken in deine Augen, sobald sie in dein Sichtfeld kommen.
Dieses Glitzern zieht dich magisch an und du spürst die Aufforderung des Baumes, näher zu kommen.
Solch einen Baum triffst du nicht jeden Tag, aber vielleicht mehrmals in deinem Leben.
Ich habe in meinem bisherigen Leben schon mehrmals einen Baum dieser Art angetroffen.
Nicht jedem Baum, der Glitzerfunken in meine Augen schickte, habe ich schriftliche Auf- zeichnungen gewidmet, mindestens aber habe ich Fotos gemacht.
Diese Erzählung ist während einer besonderen Zeit entstanden. Derjenigen Zeit nämlich, als ich zwei Jahre lang in Lommersum wohnte und dort fast täglich meinen Freund, einen besonderen Baum besucht habe.
Meine Zuneigung zu Bäumen hatte ich schon einige Jahre zuvor entdeckt. Daher hatte ich auch schon mehrere Bäume als Freunde. Sie sind immer für mich da. Sie stehen an ihrem Ort und laufen nicht weg. Ich brauche mit ihnen keinen Treffpunkt oder Zeitpunkt zu verabreden, denn sie sind immer an dem Ort, wo ich sie das erste Mal getroffen habe. Wenn ich Lust und Zeit und Muße habe, dann kann ich zu ihm hingehen, und er ist einfach für mich da! Ich fühle mich immer willkommen: nie, dass ich ihn besuchen möchte und wieder gehen muss, weil er schlechte Laune hat. Nur, was häufiger vorkommt, ist, dass er schon Besuch hat: Spinnen, die gerade ihre Netze aufziehen, Kellerasseln, die ihre Wege unter der Rinde entlang suchen, Ameisen auf ihrem Durchzug zur Baustelle oder auch Wespen, Fliegen, Schnecken und sicherlich Tierchen, die ich noch gar nicht wahrgenommen habe
Wir begegneten uns an einem wunderschönen sonnigen Morgen. Ich war kürzlich in das kleine Dorf gezogen und machte einen frühen Spaziergang zu den Feldern. Als ich ihn sah, fühlte ich mich sofort zu ihm hingezogen. Es schien mir, als lade er mich ein, näher zu kommen. Ich ging zu ihm hin, lehnte mich unter seine einladenden Äste direkt an den Stamm und begrüßte ihn aus vollem Herzen. Ich freute ich mich über den Lichteinfall durch seine mit unzähligen Blättern verzierten Äste. Das helle Sonnenlicht strahlte glitzernd durch seine Äste hindurch, direkt auf mein Gesicht. Diese Sicht durch die tief liegenden Äste hindurch auf das weite Feld beglückte mich augenblicklich. Seither besuchte ich diesen besonderen Baum fast jeden Morgen, um den Tag in Freude mit meinem Baum zu beginnen.
Die Stelle am Stamm, auf welcher ich ihn immer küsste, ist eine Art Wunde gewesen, denn hier ist irgendwann einmal ein Ast abgebrochen und die Wunde hatte sich im Laufe der Zeit zusammengezogen. Es gab einige Rindenflächen, die weiß und glatt waren, im Gegensatz zu der restlichen Haut des Baumes, welche aus ganz vielen unzähligen kleinen gebrochenen Rindenstückchen bestand.
Jeden Morgen, wenn ich meinen Baum besuchte, nahm ich diese Stelle zwischen meine Hände und drückte meine Lippen gegen sie. Die Rinde fühlte sich hier warm und weich an. Danach fuhr ich mit den Fingern, manchmal auch mit der glatten Hand, über die rissige Haut des Baumes. Immer wieder entdeckte ich dann die kleinen Tiere, welche hier in der Rinde des Baumes zu Hause sind. Kleine Kellerasseln oder Spinnen kamen unter den Rindenfleckchen hervor und zeigten sich mir. Es gab immer wieder etwas Neues bei meinem Baum zu entdecken.
Ich liebte diesen Baum und auch die Berührungen. Ich berührte seine Rinde und sie fühlte sich so gut an. Wenn ich mich mit meinem Rücken an seinen Stamm anlehnte, gab mir der Baum Halt und das Gefühl von Geborgenheit, denn seine Äste hingen tief und
schützten mich vor dem Umfeld. Es ist ein wunderschönes Gefühl der Geborgenheit und des Schutzes, wenn so ein starker alter Baum den Rücken stützt. Oft habe ich mich dann vor Freude herum gedreht und ihn umarmt. Meine Arme reichten natürlich nicht ganz um seinen Stamm herum, aber ich streckte mich dann so weit es ging um den Stamm herum.
An einem besonderen Morgen blickte ich während meiner Umarmung hoch in den Baum hinein. Der Baum ist so hoch, dass ich durch das Dickicht seiner vielen Äste nie ganz bis in die Baumspitze schauen konnte, außer im kahlen Winter. Der Blick an dem Stamm entlang bis hoch in die anderen Äste, welche weiter höher wachsen, war für mich immer ein besonders schöner und beglückender Anblick. Ich streckte mich dann so weit es ging, hoch und schaute, wie die für meine Arme nicht erreichbaren Äste vom Baumstamm wegwuchsen und ein Netzmuster ergaben. Unbeschreiblich dieses komplizierte System, wie sich die vielen Äste verzweigen und das Licht der Sonne auf unterschiedlichste Weise brechen und Schatten werfen. Während ich mich also an den Stamm des Baumes lehnte und die herrliche Aussicht durch die Zweige und wehenden Blätter hindurch zum leuchtenden Himmel genoss,
durchströmte Freude meinen Körper und ich reckte und streckte mich wohlig. Als ich die Arme dann hoch reckte und den dicken Ast direkt über mir umschlang, fühlte ich auf einmal, wie die Rinde oberhalb des Astes einen kleinen Vorsprung hatte, welchen ich dann vorsichtig mit der Hand abtastete.
Und tatsächlich, dort an einer Stelle, die ich nicht sehen, sondern nur fühlen konnte, war ein so großer Hohlraum zwischen Baumstamm und Rinde, dass sich dort ganz sicherlich ein kleiner Gegenstand verstecken lies. Ich machte mir Gedanken darüber, was sich hier hinein zu legen lohne. Auf jeden Fall wäre es hier sicher gut aufgehoben, da war ich mir sicher. Der Baum würde gut darauf aufpassen. Ich überlegte, dass ich hier ja auch ein kleines Geschenk für meinen Freund hinein tun könnte. Mehrmals streckte ich meinen Körper in die Höhe, um diese interessante Stelle zu befühlen. Da faste ich den
Entschluss, meinem Baum beim nächsten Besuch ein kleines Geschenk mitzubringen, welches ich dann in dieses Versteck legen würde.
Während ich im Licht der durch die Zweige gebrochenen Sonne die Nähe mit meinem Baum genoss, spürte ich, wie die Zeit still stand. Ich entdeckte eine Spinne auf ihrem fertig gestellten Netz. Die feinen Fäden waren herrlich kunstvoll verwoben und auf diesem Kunstwerk saß die Spinne am frühen Morgen und wartete auf ihr Frühstück. Sie saß genau im Zentrum ihres Netzes, still und unbeweglich. Diese Ruhe und Geduld des Abwartens in der Sicherheit, dass ihr kreatives Kunstwerk bald Beute beschert, bewundere ich sehr. Sie hatte ihr Netz zwischen zwei kleinen Ästen und dem Baumstamm aufgespannt und ich achtete, nachdem ich es entdeckt hatte, peinlichst genau darauf, ihr Netz nicht zu berühren und wünschte ihr ein gutes Frühstück.
Für den nächsten Besuch bei meinem Naturfreund hatte ich mir aus meiner kleinen Sammlung von Schätzen eine kleine Glaskugel und eine Feder als Geschenk für meinen Baum ausgesucht. Als ich in der frühen Morgensonne seinen Standort erreichte und ihn mit einem Kuss auf die zusammengezogene Baumstammstelle begrüßte, da entdecke ich zunächst mehrere neue Rindenstellen, die ich zuvor noch gar nicht in dieser Form wahrgenommen hatte und staunte über sein vielfältiges Rindenkleid. Ich lehnte mich, wie so oft, mit dem Rücken an seinen kräftigen Stamm, streckte meine Arme hoch, um den über mir ragenden Ast zu umschlingen. Vorsichtig tastete ich mit den Fingern die Rinde nach dem Vorsprung ab, welche ich beim letzten Besuch entdeckt hatte. Als meine rechte Hand den Hohlraum zwischen Baumstamm und Rinde gefunden hatte, legte ich die kleine Glaskugel
und die Feder behutsam hinein. Ich tastete die kleine Höhle in der Rinde mehrmals ab, konnte aber die Kugel und Feder kaum noch berühren, so tief hatte die Rinde die kleinen Geschenke in sich hinein genommen. Hier waren sie ganz offensichtlich wohl behütet und ganz sicher gut versteckt. Ich freute mich, drehte mich wieder herum und flüsterte lächelnd meinem Baum zu: „Für dich!“
Langsam und mit viel Fingerspitzengefühl streichelte ich über seine warme Rinde. Manche Flächen waren glatt und fühlten sich etwas lederig an, manche Stellen waren rau und holprig. Ich liebte es, seine Rinde zu fühlen und bin immer wieder mit den Fingern über die krustigen Stellen entlang gewandert. Ich spürte meine Liebe zu diesem Baum und genoss seine Nähe. Nachdem ich ihn nochmals an manchen Stellen geküsst hatte, trat ich ein Stück zurück, um ihn aus einem halben Meter Entfernung zu
betrachten.
Ich beobachtete das Muster des Stammes, schaute in den Baumwipfel hoch und beobachtete die sich im Wind harmonisch bewegenden Äste und Blätter. Auf einmal spürte ich ein sanftes, ganz weiches liebkosendes Streicheln an meiner Wange. Es fühlte sich angenehm und überraschend zärtlich an. Und siehe da, der Baum streichelte mich. Zwei große Blätter eines tief gelegenen Zweiges wiegten sanft an meiner Wange hin und her. Ich fühlte mich wundervoll liebkost und gestreichelt.
Tränen der Freude kullerten aus meinen Augen: durchsichtige Perlen, welche im Sonnenlicht glitzernd funkelten. Glitzerfunken!
NACHWORT
Später an diesem besagten Tag ist mir bewusst geworden, was Gott meint, wenn er sagt: „Ihr braucht kein untrügliches Zeichen meiner Existenz, denn ich bin überall.“ Ja, Gott ist in Allem; in einem Blatt, in einem Zweig, in einem Baum, in einer Blüte, im Grashalm. Er ist in der Brise des Windes, in jedem Strahl der Sonne, in jedem Menschen. Seine himmlisch-göttliche Energie ist an Allem. Überall können wir der göttlichen Liebe begegnen. Wir brauchen nur unsere Augen zu öffnen!
Ich danke Gott und dem Universum für die wundervollen und sanften Berührungen der Liebe, welche ich entdecken und erfahren darf.
Fotos und Text:
Gabriele Busch