Vorwort
Beitrag zum Forumsbattle 31
Thema: Umwege
Pflichtwörter:
Schürzenjäger,
straucheln,
Schnupfen,
Zauberzone,
gewichtig,
welk,
Krieg und Frieden,
Klangspitzen,
Sturm,
Kirschblütenblatt,
Sahnehäubchen,
Philosophie
Da es sich um einen Brief handelt, den die Autorin hier nur wiedergibt, sind die evtl. Fehler in G/O nicht der Autorin, sondern der Briefschreiberin anzulasten, die über kein Abitur verfügt.
Ringfrei
Meine liebe Usch,
lange habe ich nichts von mir hören lassen, das letzte Jahr war recht turbulent. Aber nun komme ich zur Ruhe, bin auf dem Wege der Genesung und meine Scheidung von Gregor ist endlich durch!
Du wirst nie drauf kommen, von wo aus ich dir schreibe – ich sitze in einer Fastenklinik am Baikalsee und habe Gelegenheit, diesen Brief morgen meiner Mitpatientin Molly mit nach Deutschland zu geben. Denn die Postwege hier sind lang ... Internet ist für Patienten leider nicht zugänglich, sonst hätte ich mich schon längst mal gemeldet. So musst
du nun also meine krakelige Schrift entziffern, doch ich bin froh, dass ich überhaupt wieder schreiben kann. Eine zeitlang war mein Gelenkrheuma so schlimm, dass ich keinen Stift halten konnte. Deshalb bin ich ja hier, nicht etwa zum Abnehmen … Davon halte ich nichts, bin ja schließlich nicht übergewichtig.
Aber nun mal alles der Reihe nach:
Meine Ehe mit Gregor welkte schon lange dahin, habe mich ja so manches Mal bei dir ausgeweint … Aber was er sich Anfang vorigen Jahres geleistet hat, war der Gipfel. Gesoffen hat er ja immer mal gerne, doch mit seinen russischen Geschäftspartnern nahm das irgendwie überhand. Er traf sich mit
denen immer häufiger in russischen Bars, von denen es ja etliche gibt in Berlin…
Stell dir vor, als ich eines Morgens aufwachte, schnarchte im Bett neben mir ein riesiger stinkender Bär! Keine Ahnung, wo mein Göttergatte geschlafen hat, seine Sachen lagen im Schlafzimmer auf dem Fußboden verstreut. Vielleicht hatte er sich im Keller, im Hobbyraum auf die Couch gelegt, ich habe nicht nachgesehen. Habe nur in Windeseile und ganz leise, um den Bären nicht zu wecken, ein paar Sachen zusammengepackt, um mich bei meiner Freundin Heidi einzuquartieren. Aber zuerst bin ich zum Anwalt und habe die Scheidung eingereicht. Die war schon lange überfällig!
Bald danach bekam ich einen Anruf, dass Gregor nach einem Autounfall in die Charlottenklinik eingeliefert worden war. Ich brachte ihm ein paar Sachen hin, ging aber nicht in sein Zimmer. Es hieß, dass er nur am Arm verletzt war, nichts Lebensgefährliches.
Danach muss er in der Klinik eine Art „Nervenzusammenbruch“ bekommen haben …. Wenn du mich fragst, war’s das Säuferdelirium – schließlich kein Wunder! Wie besoffen muss er gewesen sein, dass sie ihm den ausgewachsenen Bären mit nach Hause geben konnten! Und dieses Vieh hat mir das ganze Haus verunreinigt, hat auf die Vorleger gepinkelt, die Fußböden vollgesch… - einfach ekelhaft!
Na ja, Gregor ging es dann ziemlich dreckig, dieser Russenschnaps muss wohl sein Nervensystem stark angegriffen haben, vielleicht hatten sie ihm da auch Drogen reingemischt … – keine Ahnung! Jedenfalls bekam er irgendwelche Lähmungen und wurde in die Charité verlegt. Auch dort waren die Ärzte ratlos. Schließlich hat sein Bruder Viktor ihn in seine Privatklinik mitgenommen. Ja, mein Herr Schwager besitzt eine Schwarzwaldklinik, der abgehobene Snob! Und statt mein Gregor sich dort eine flotte Krankenschwester schnappt, wie es ja sonst immer und überall seine Art ist, lässt der sich von einem russischen Schamanen beduseln und von dessen seltsamer Philosophie
verblöden!
Stell dir mal vor, die glauben nicht an Gott, sondern an eine „Herrin der Tiere“, und die hätte ausgerechnet ihn, das Weichei, zum Schamanen auserwählt! Tzz …!
Er glaubte jedenfalls diesen Humbug und flog nach Burjatien, das liegt in Sibirien, am Baikalsee. Dort wollte er sich von einem Schamanen ausbilden lassen. Der Alte ist wohl Russe, doch seine Tochter ist von einer burjatischen Frau, so eine Art Mongolin – lieblich wie ein Kirschblütenblatt, und in einem noch so zarten Alter, wo sie sich ihre Zauberzone noch nicht rasieren muss …. Ausgerechnet in die hat sich mein Schürzenjäger Hals über Kopf verknallt, und
der Alte war natürlich außer sich und hat ihn aus dem Haus gejagt. Allerdings sieht diese „Taigablume“, wie er sie nennt, viel jünger aus, als sie ist, sie soll schon mit dem Medizinstudium fertig sein. Stell dir mal vor, die haben hier auch richtige Universitäten in Sibirien, wer hätte das gedacht!
Er ist dann im Herbststurm in einem Naturreservat herumgeirrt und wurde von Rangern aufgegriffen, wahrscheinlich hielten sie ihn für einen Wilderer. Was da genau passiert ist, habe ich nicht ganz verstanden, ein Bär muss ihn wohl plötzlich angegriffen haben, was ihn zum Straucheln brachte. Jedenfalls schossen sie mit einem Betäubungsgewehr auf den Bären und
müssen stattdessen Gregor getroffen haben …
Der fiel sofort ins Koma, hatte aber Glück im Unglück. Seine Liebste, das Mongolenflittchen, hatte ihren Herrn Papa überredet, „Grischa“, wie sie ihn nennen, gemeinsam zu suchen. Sie müssen ihn in genau diesem Moment gefunden haben und ließen ihn mit einem Rettungshubschrauber nach Ulaan-Ude in eine Klinik fliegen. Da hat der Unglücksrabe dann wochenlang im Koma gelegen, sein „Sonnenwind“, wie ihr Name Daarsuren übersetzt wird, ist nicht von seiner Seite gewichen.
Sie war es auch, die mir eine E-Mail in mein Restaurant geschickt hat, er musste ihr offensichtlich von mir erzählt haben. Na ja,
wenn ich auch die Scheidung wollte, so doch nicht seinen Tod, da bin ich eben hingeflogen…
Als ich ankam, war er gerade aus dem Koma aufgewacht, aber im Kopf muss er doch erheblich was zurückbehalten haben … Er glaubt, dass er selbst ein Bär war – was für ein Quatsch! Und den Schuss von den Rangern muss er auch noch gehört haben. Awdeijitsch (das ist der Schamane) soll ihn und das mongolische Kirschblütenblättchen angeblich in den Himmel geschossen haben, wo sie dann als Sternbilder geleuchtet haben …
Wie blöd ist das denn! Diese Sternbilder vom großen und kleinen Bären gibt es doch schon
seit tausenden oder Millionen Jahren! Er scheint an Selbstüberhöhung zu leiden, kommt gleich nach Brüderchen Vic, dem Chef der Schwarzwaldklinik. Der hält sich auch für den lieben Gott, kann aber nicht wirklich einen Schnupfen kurieren! Lachhaft!!!
Wie auch immer, Greg hat sich inzwischen körperlich wieder aufgerappelt und sitzt vermutlich schon mit seinem mongolischen Kirschkuchen im Flieger von Ulaan-Ude nach Moskau und weiter nach Berlin.
Unser Haus im Kamillenweg, das ich nach der Scheidung zugesprochen bekam, habe ich ihm vermietet, bis er was Neues gefunden hat. Ich bleibe noch einige Zeit hier in der
Klinik, und danach hat mich Alex eingeladen … Jawollja, du liest richtig, Usch! Der ist noch gar nicht so ein alter Zausel, wie es auf den ersten Blick scheint, und hat dringend eine weibliche Hand nötig ... Der Mann ist hier an diesem atemberaubenden Baikalsee wirklich d a s Sahnehäubchen! Also – ringfrei in die nächste Runde!
Aber nun muss ich zur Klangspitzentherapie, da werden so Gongs und Klanghölzer angeschlagen, bis sie das erkrankte Körpergewebe in Vibrationen versetzen … Muss wohl aus dem Buddhismus stammen, der hier Staatsreligion ist. Es tut mir jedenfalls sehr gut, und das ist doch die Hauptsache, oder?
Und am Abend probt die Theatergruppe eine Szene aus *Krieg und Frieden*. Da muss ich hin, um russisch zu lernen, denn ein bisschen reden muss ich schließlich auch mit Alex. Sein voller Name ist Alexej Awdeijitsch Sokolow - der Schamane! Vorname, Vatersname, Familienname. Sokol heißt Falke – na, ist das nix? Der Umweg an den Baikal hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt!
Do swidanja, moja podruga
twoja Edel
(Edeltraud Samsa aus Berlin)
PS.
Aber heiraten werde ich nie wieder, ich mache es wie du und bleibe RINGFREI.
NebenstehendeGrafik: Andrea Minutillo