Baumreise
Linnea stapfte durch den Wald. Wütend trat sie gegen den Schnee. Sie war stinksauer und gleichzeitig traurig, weil ihre beste Freundin Annika vor einer Woche wegziehen musste. Und das gerade vor der Weihnachtszeit. Dabei hatten sich die beiden Mädchen schon so auf das Plätzchenbacken, das viele Basteln und natürlich die gemeinsamen Abende gefreut. Aber grade am ersten Advent waren alle Kisten gepackt und Linnea musste ihrer besten Freundin Auf Wiedersehn sagen. Schuld daran war Annikas Vater. Er hatte in Bayern eine neue Arbeitsstelle bekommen und
Annikas Mutter war ganz begeistert von der Idee, jeden Mittag Bier und Weißwurst zu essen. Nur Annika hatte dagegen protestiert, doch es half nichts. Wenn sich Eltern erst was in den Kopf gesetzt hatten... ´Jetzt ist sie weg“, dachte Linnea,“und ich sehe sie bestimmt erst an Ostern wieder“. Betrübt kletterte sie auf einen Baum und setzte sich auf die schneebedeckten Äste. Das tat sie öfters. Dort konnte sie immer über alles nachdenken, ohne gestört zu werden. Plötzlich hörte sie ein Krächtzen. Ein großer schwarzer Vogel flog direkt auf sie zu. Der Vogel kam immer näher und erweckte nicht den Eindruck, als hätte er vor, zu bremsen. Vor lauter Schreck
verlor Linnea das Gleichgewicht. Mit den Armen rudernd kippte sie hinten über. Zum Glück war sie nicht so hoch geklettert und außerdem lag ja noch Schnee. Sie landete weich auf dem Rücken. Trotzdem pochte es in ihrem Kopf. Als Linnea sich aufsetzte, sah sie sich verwirrt um. Sie befand sich nicht mehr im Wald sondern saß auf einer großen Wiese neben der großen Buche, auf die sie zuvor im Wald geklettert war. Aber wie konnte das sein? Verunsichert sah sie sich um. „Hallo?“, rief sie, „ist da wer?“. Keine Antwort. Linnea wurde mulmig. Wie konnte so etwas sein? Vorsichtig machte sie ein paar Schritte um den Stamm der gewaltigen Buche.
Auf der anderen Seite fiel ihr Blick auf ein kleines Dorf mit unzähligen Fachwerkhäusern.“Was solls“, dachte sie,“ vielleicht kann mir da ja jemand helfen“. Also stapfte sie auf das Dorf zu. Auch hier lag überall Schnee, aber es schneite nicht mehr. Am Rand des Dorfes angekommen blickte sie sich erstaunt um. Vor jedem Haus standen mehrere Paar Schuhe. Und da, vor einem Haus, sogar Kinderschuhe. Kinderschuhe? Linnea sah sie sich näher an. Das waren ja Annikas Schuhe! Aufgeregt betrachtete sie das Türschild. Dort stand: Jeden Tach ne Wurst und Bier, Jörg, Ute und Annika Fischer wohnen hier! Linnea musste schmunzeln.
Das konnte nur Annikas Mutter geschrieben haben. Aber wie kam Linnea plötzlich hierher? Annika wohnte doch jetzt in Bayern, bestimmt vier Stunden mit dem Auto von Zuhause entfernt! Mit zittrigen Fingern drückte Linnea auf den Klingelknopf. Von drinnen war ein Rumoren zu hören. Dann öffnete sich die Tür und Annikas erstauntes Gesicht erschien. „ Linnea?“; rief sie, „Was machst du denn hier?“ Linnea lachte glücklich. Dann sprang sie Annika entgegen und drückte sie so feste wie sie konnte. „So genau weiß ich das auch nicht“, begann Linnea zu erzählen, „Da war der Baum und der Vogel und dann...Ach komm einfach mit, ich zeigs
dir!“ Ohne ein weiteres Wort aber mit ziemlich verwirrter Miene kam Annika auf Socken rausgelaufen und zwängte ihre Füße in die Schuhe vor der Tür. "Warum stehn eure Schuhe eigentlich vor der Tür?", wunderte sich Linnea. Annika lachte. "Hast du etwa vergessen, dass morgen Nikolaus ist?!" Linnea schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Natülich! Das hatte sie voll vergessen. Annika schloss noch schnell die Haustür. Dann zog Linnea ihre Freundin aus dem Dorf, auf die Wiese bis hin zur großen Buche. Dort angekommen fragte Annika ganz außer Atem: „Ja und, wie bist du denn jetzt nach hier hin gekommen?“ „Komm mal mit hoch!“, rief
Linnea und kletterte auf die Buche. Annika folgte ihr. Als beide Mädchen gemütlich saßen, packte Linnea aus und erzählte ihrer Freundin alles. Annikas Augen wurden immer größer und ihr Mund ging schon gar nicht mehr zu. „Meinst du“, fragte Annika als Linnea fertig war, „Meinst du wir kommen von hier aus auch wieder zu dir?“ „Keine Ahnung“, meinte Linnea, „aber ich denke, Ausprobieren kostet nichts“ Gemeinsam fassten sich die Mädchen an den Händen und schlossen die Augen. „Eins…“, zählte Linnea, „zwei…DREI!“ Dann kippten die Mädchen rückwärts vom Baum. „Wahnsinn!“, hörte Linnea ihre Freundin rufen, „Es funktioniert
tatsächlich!“ Sie hatte recht. Annika und Linnea saßen wieder im eingeschneiten Wald. Begeistert sahen sich die Mädchen an. „Jetzt können wir uns jeden Tag besuchen kommen!“, sagte Annika. „Ja, voll cool!“, stimmte ihr Linnea zu, „aber sollen wir Mama und Papa was davon erzählen?“ „Auf keinen Fall!“, rief Annika wie aus der Pistole geschossen, „sonst verbieten sie uns das noch, weil sie das zu gefährlich finden“ Annika grinste. „allerdings…“, sagte sie und schaute zu der Buche hinauf, „… sollten wir vielleicht eine alte Matratz unter den Baum legen. Wenn der Schnee weg ist, könnte es sonst wirklich wehtun“ "Stimmt!", grinste Linnea, "und jetzt
gehen wir zu mir. Mama und Papa sind grade nicht zu hause und wir können uns mit Mamas frisch gebackenen Plätzchen vollstopfen!"