„Rolf Schmidke, so habe ich schon immer geheißen!“
„Geboren?“
„1958, Beruf Finanzbeamter, das wissen sie doch alles schon“, maule ich erschöpft.
Hauptkommissar Voigel lässt sich nicht beirren.
„Sie sehen das Mikrophon? Ihre Aussage wird aufgezeichnet. Sie dürfen einen Verteidiger hinzuziehen, wenn sie möchten.“ „Brauch ich nicht“, schnarre ich trotzig.
„Ich habe ein reines Gewissen.“
Ich gebe zu, das stimmt nicht ganz.
„Also dann: gestern Abend waren sie in der Petroleumfunzel, richtig?“
„Wo soll man in diesem Kleinkaff sonst hingehen, wenn man noch ein wohlverdientes
Bierchen trinken will?
Das ist doch der einzige Saftladen in diesem Kuhdorf.“
Der Kuhdorfkommissar runzelt verärgert die Augenbrauen.
„Weiter im Text. Um 22.31Uhr sind sie dann gegangen?“.
„Na, so um herum, was weiß ich?“
„Wir haben die Aussage von Herrn Meier. Der hat auf die Uhr geschaut.“
„Na klar, das gute Meierlein, natürlich. Diesem Bauerntrampel bin ich auf die Spur gekommen. Was meinen sie, was der an der Steuer gemauschelt hat. Ich brauch nur noch etwas Zeit, dann krieg ich den Kerl.“
„Erst einmal sind wir hier beim Verhör, oder?“
Ich schlucke.
Und dann sind sie heimgefahren. Direkt.“
„Ja.“
„Herr Schmidke, direkt, keinen Umweg?“
„Ich habe die Abkürzung durch den Wald genommen.“
„So spät abends? Nicht auf der Landstraße, sondern durch den Wald? Diesen kleinen Feldweg? Und dieser Feldweg ist nicht zufälliger Weise um genau 5 Kilometer länger?“ „Weiß' nich’.“
„Kann es sein, dass sie was getrunken und deshalb den Umweg bevorzugt haben? Und zwar deshalb, weil es da keine Kontrollen gibt?“
„Nein, ich wollte halt ruhig in mich gehen und wollte entspannt nach Hause, ohne dass mich ein Fahrzeug blenden kann.“
„Aha.“ Pause.
„Wie viel haben sie denn getrunken?“
„Ein Bier.“
Er blättert.
„Meier ist da anderer Ansicht. Er sagt 5 Bier.“
Pause.
„Plus 3 Schnäpperchen! Und der muss es doch wissen, schließlich ist er der Wirt der Petroleumfunzel.“
„Der hat’s mir doch förmlich aufgedrängt! Immer wieder ermuntert! Ich wollte ja gar nicht! Und er hat mich immer wieder gewarnt vor Kontrollen. Und er hat gesagt, dass ich den Waldweg nehmen soll!“
„Um die Sache mit dem Alkohol kümmern wir uns sowieso noch, Herr Schmidke.
Das lässt sich nämlich rückwirkend
nachrechnen. Vorerst bleiben wir mal bei der Heimfahrt. Und im Wald ist es dann passiert?“
Ich biss die Zähne zusammen und nickte.
„Alles nur wegen Meier!“
„Wir lassen Meier und seine Steuer und das alles mal weg. Wie wäre es, wenn wir uns vornehmlich mal mit Herrn Moosbauer befassen. Der ist nämlich tot. Und dieser Moosbauer lag im Wald. Und dieser Moosbauer hatte winzige Spuren ihres Autolacks anhaften. Und er hatte schwere Prellungen. Und noch viel witziger, Herr Schmidke, er hatte ein Loch. Und dieses Loch hatte er einer 9 mm Luger, einer Glock 17 zu verdanken, die ebenfalls im Wald gefunden wurde. In der Nähe des Verblichenen!
Und wissen sie was, Herr Schmidke, ich habe allmählich die Schnauze voll von ihren frechen Lügen! Und, Herr Schmidke, es ist gar nicht gut, wenn ich grimmig werde! Sie sind in meinen Augen ein dreckiger, kleiner Mörder, nichts anderes! Und Meier hat auch ausgesagt, dass sie es mit Moosbauers Frau getrieben haben.“
„Nein, nein“, brülle ich wie ein Löwe, „alles gelogen!“
„Und Moosbauer ist nicht zufällig der reichste Bauer im ganzen Bezirk? Und die Witwe, die gute Helga, die sie so nett betreuen, außersteuerlich wohlgemerkt, erbt nicht zufällig ein Haufen Land, den riesigen Hof? Zu gut deutsch, ein Vermögen?
Und wäre es nicht denkbar, dass ein gewisser Herr Schmidke der armen Witwe dann tatkräftig hilft das Vermögen auszugeben?“
„Ich weiß nicht mal was eine Glock ist!“
„Freilich“, lehnt sich Voigel genüsslich zurück.
„Glock ist natürlich eine kleine Glocke und ich bin aus Kirschmarmelade für Vögel und heiße deshalb Voigel. Sie waren doch vor einem Jahr im Kosovo unterwegs, nicht wahr?“
„Steuerfahndung war es!“ Ich zeige mit dem Finger auf ihn.
„Da bekommt man doch so eine Waffe für ein Bananeneis, oder?“
Er grinst sabbernd vor Vergnügen.
„Alles nur ein Komplott“, schreie ich
verzweifelt.
„Ich habe gar nichts gemacht!“
„Sie haben ein Fahrzeug bewegt, richtig?“
„Klugscheißer“, denke ich.
„Sie sind einen einsamen Waldweg gefahren. Und nicht nur gefahren. Sie haben einen Mann überrollt! Dann haben sie zur Sicherheit Moosbauer noch eine Kugel verpasst. Von vorne! Praktisch aufgesetzt. Herz! Nicht mittig, aber doch ziemlich gut durchschossen. Dann haben sie den Leichnam ins Gebüsch gezerrt und sind weiter gefahren. Und das alles, damit sie an das Vermögen von Helga Moosbauer heran kommen. Über dieses Vermögen wissen sie als Finanzbeamter natürlich genauestens Bescheid. Das Beamtengehalt reicht ihnen
nicht. Aber mir reicht’s jetzt!“
Voigel richtet sich drohend auf.
„Nein, nein“, weine ich, „so war’s nicht! Er muss schon tot gewesen sein. Und irgendeiner hat ihn dann vor mein Auto geschmissen. Ich hab gar nicht gesehen, dass er eine Schussverletzung hatte. Er hatte doch so einen dicke, undurchlässige Daunenjacke an. Und die hatte kein Loch, das weiß ich genau. Und ich hab auch kein Blut gesehen. Es war doch außerhalb von den Scheinwerfern stockdunkel!“.
„Natürlich wissen sie über die Daunenjacke Bescheid. Sie haben sie ja danach erst zugemacht, oder glauben sie, dass der Tote Moosbauer noch den Reißverschlusszipper gefunden hätte? Toll, dieser Moosbauer,
finden sie nicht? Stiefelt im Wald herum mit einem Löchlein im Herzen. Nach dem Motto: mit einem Messer im Rücken gehe ich noch lange nicht nach Hause. Dann wartet Moosbauerlein ab, bis endlich Schmidke vorbei kommt. Dann, denkt sich Moosbauer, jetzt wäre es günstig auch noch etwas Reifenprofil zu schnuppern.“
Voigel trieft vor Häme.
„Ich steh allein im Walde ganz still und stumm
und dann fällt der Tote, der Moosbauer um.
Natürlich nur vor Schmidkes Reifen,
das tun dann die Raben pfeifen.
Es reicht Schmidke! Wache! Raus mit diesem Dreckskerl!“
„Aber Herr Kommissar“, mahnt der Wachhabende!
„Schon gut“, schnauft Voigel erregt.
„Führen sie ihn einfach ab! Ich kann den Kerl nicht mehr ertragen!“
Ja, Leute, so oder so ähnlich war es. In meiner Zelle habe ich lange gegrübelt. Morgen, nach einem dreiviertel Jahr Untersuchungshaft, ist der Prozess. Der Einzige, der mich besucht hat, war der Dorftrottel Jens. Der hat mir so Einiges erzählt. Das ganze Dorf hätte mich schon von Anfang an auf dem Kieker gehabt.
„Ein Steuerprüfer, frisch aus der Stadt, da war was los“, meinte er.
„Mit dem alten Jonas sind sie alle prima ausgekommen, aber leider war er pensioniert worden. Und dann kamen sie und wühlten!“
Jens schüttelte den Kopf.
„So blöde muss man sein!
Meier und Helga sind übrigens jetzt verlobt. Das Land ist Baugrund.
Das hat der Gemeinderat beschlossen.
Die haben alle einen Teil abgekriegt. Übrigens auch Voigel.“
Mir blieb der Mund offen stehen.
„Warum hast du denn keinen Ton gesagt“, fragte ich niedergeschlagen.
„Ich bin nicht so blöde, wie sie“, grinste er frech.
„Ich muss nichts mehr bezahlen in der Petroleumfunzel, hat Maier gesagt. Nie wieder! Toll was?“
Ich verkniff mir ihn zu beglückwünschen.
„Aber wer hat nun Moosbauer erschossen? Und wie konnte er zufällig vor mein Auto fallen“, fragte ich.
„Zufällig“, lachte Dorftrottel Jens lauthals.
„Zufällig, hihi!“
Er bekam einen Lachkrampf. - Ich lachte nicht.
„Das war doch alles geplant! Klar wie Kloßbrühe! Meier hat sie auf den Weg geschickt, dann hat er sein Handy ans Ohr geschmissen und angerufen -Er kommt -.“
Wieder kollerte ein Lachanfall heraus.
„Zwei haben dann den Moosbauer aufgerichtet und ihn dann direkt vor deine Kühlerhaube fallen gelassen. Die haben sich schon gedacht, dass sie weiterfahren. Wegen dem Alkohol. Meier hat gute Arbeit
geleistet.“
„Und vorher haben die Zwei ein wenig das Blut gestockt und den Anorak zugemacht“, ergänzte ich, schlau wie Hercule Poirot.
„Klar“, schniefte Jens kichernd und klagte über Bauchschmerzen.
„Und wer hat ihn nun umgelegt?“
„Helga natürlich!“
„Und woher weißt du das?“
„Ich war doch dabei! Ich habe ihr auch geholfen. Allein hätte sie das gar nicht geschafft. Und ich krieg doch mein Leben lang Bier umsonst. Schon vergessen? Außerdem hat Helga mir 100 Euro gegeben. Für die Arbeit.“
Da ist es mit mir durchgegangen! Ich habe Jens gepackt und geschüttelt.
„Wie hätte ich denn Moosbauer erschießen sollen? Fällt dieser Schwachsinn denn niemanden auf? Wie, du dreckiges Schwein, turnt denn der reiche Moosbauer ausgerechnet im Wald herum und das nachts kurz vor 10 Uhr? Und woher hätte ich das wissen sollen? Woher?“
Bevor die Wache eingreifen konnte stammelte Jens noch:
„Du hast ihn doch selbst dahin bestellt, wegen der Steuer!
Und dass du gegen Geld ein Auge zudrückst, heimlich, im Wald, sagt zumindest Helga.
Als sie ihm die Kugel reinjagte, da konnten wir ihn schließlich nicht noch meilenweit
schleppen.“
So kurz vor dem Prozess habe ich gedacht, dass ich das alles meinem Verteidiger erzähle. Und er soll Jens zur Wahrheit zwingen.
Aber ich glaube, das kann ich mir schenken.