Kapitel 6
Nach dem Essen machten sich Jayden und ich auf den Weg zu meinem Umkleidezimmer, in dem eine Fee namens Anabelle wartete. Sie würde von nun an meine persönliche Fee sein. „Jayden?“ Er sah mich an. Das Blau seiner Augen schienen flüssig zu sein. „Mikael ist nicht tot, hab ich recht?“ Er nickte bedauerlich. „Leider nein. Wenn es so einfach wäre, bliebe uns viel Ärger erspart. Mikael ist so gut wie Unsterblich und er wird immer mächtiger...“ Wie um himmels Willen sollten wir ihn nur aufhalten?! „Und was meintest du, als du sagtest, ich sei ein
Mischling?“, fragte ich und blieb stehen. „So nennen wir die Elfen, die sowohl ein sterbliches Elternteil haben, wie auch eine Elfe.“ Ich nickte. „Verstehe, aber weder mein Dad noch meine Mom sind beziehungsweise  waren Elfen.“, sagte ich nachdenklich. „Dein Dad... Phil, der Mann, der dich großgezogen hat, war nie dein richtiger Vater. Dein Vater hieß Ian. Er war ein großer Held, doch er starb kurz nach deiner Geburt.“ Da konnte etwas nicht stimmen. „Und warum ist dann Whyatt keine Elfe?“ Jayden zuckte die Achseln. „Vielleicht hat er einen anderen Dad oder das Gen deines Vaters hat sich nicht druchgesetzt. Es gibt viele Gründe,
warum es so sein könnte.“ Mein geliebter, chaotischer Bruder war womöglich nur mein Halbbruder? Nein, das konnte nicht sein. Oder doch? „Egal was der Grund ist, er wird immer dein Bruder bleiben.“, sagte Jayden tröstend, als er mein Gesichtsausdruck sah. „Da hast du recht. Ich vermisse meine Familie.. Und doch fühle ich mich wie eine Verräterin, wenn ich nur daran denke, niemals wieder zurück zu wollen. Niemals wieder weg von dir...“ Jayden lächelte. „Uns wird so schnell nichts mehr trennen. Selbst wenn du deine Familie besuchst.“ Er reichte mir seine Hand und ich nahm sie. Wir gingen weiter, bis wir vor der großen Tür zu
meinem Ankleideraum standen. „Ich hasse Kleider..“, sagte ich und drehte mich zu ihm. „Damit wirst du leben müssen.“, sagte er und lächelte mich entschuldigend an. „Für jemand so besonderen wie Euch, überwinde ich mich sogar zum Kleider tragen, Eure Hoheit.“, sagte ich, stellte mich auf die Zehnspitzen und legte meine Arme um seinen Hals. „Ihr schmeichelt mich, Mylady.“, murmelte er, während  seine Lippen die meinen suchten. Ich fuhr zusammen, als plötzlich die Tür zu meinem Ankleideraum aufschlug und die Fee von heute Morgen herausgeflattert kam. Sie bedachte mich mit einem mörderischen Blick, dann wandte sie sich
an Jayden. „Eure Hoheit, ihr werdet bereits erwartet. Eurer Vater wünscht es nicht, wenn Ihr ihn warten lasst.“ Jayden lächelte mich an uns sagte: „Tut mir Leid, die Pflicht ruft. Mein Vater wird unausstehlich, wenn er sauer wird. Wir sehen uns nacher, ich hole dich ab.“, sagte er, gab mir noch einen flüchtigen Kuss und verschwand und mit ihm verschwand auch die Fee.
Ich atmete tief durch, straffte die Schultern und betrat den Raum. Er war größer als erwartet und durch und druch mit Kleidern gefüllt. Fast hätte ich die kleine Flatterfee vor mir ganz übersehen. „Ich bin Anabelle“, sagte sie mit der schönsten Stimme, die ich je
gehört hatte. „Aber ich bevorzuge es, wenn man mich einfach Belle nennt. Ich bin deine persönliche Fee und ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Bitte hier entlang, ich zeige dir, welches Kleid ich für den heutigen Tag herausgesucht habe.“, sagte sie und flatterte voraus. Ich folgte ihr. An einer Stange hing ein prunkvolles Kleid. Viel zu prunkvoll, für meinen Geschmack. Doch ich hatte Jayden mein Wort gegeben. Anabelle sah mich abwartend an. „Es ist wunderschön!“, sagte ich rasch. „Du findest es zu übertrieben, habe ich recht?“, fragte sie und sah mich ernst an. Schuldbewusst nickte ich. „Ich kann es nicht haben, wenn man mich
anlügt. Ich spüre es und ich erwarte von dir, dass sich das ändert. Ich lüge dich doch auch nicht an. Glitzerfeen lügen nie und wenn ich mit dir zusammenarbeiten soll, brauche ich die Gewissheit, dir vertrauen zu können. Sonst läuft das zwischen uns nicht. Ist das klar?“, sie klang herrischer, als ich einem so kleinen Wesen, mit einer so bezaubernden Stimme zugetraut hätte und doch hatte sie einfach recht. „Ja, es tut mir Leid. Ich wollte nicht unhöflich sein.“ Sie lächelte kurz. „Ist schon gut. Ich suche dir schnell ein anderes Kleid.“
Wir probierten einige druch, ehe wir ein passendes gefunden hatten. Ich mochte es garnicht, wenn mir jemand beim
umziehen zuschaute, geschweigen denn hilft, aber diese Kleider würde ich ohne Hilfe niemals anbekommen. Gerade als Anabelle mich fertig frisiert und geschminkt hatte, klopfte es an der Tür. Jayden stand davor. Ich stand auf und ging auf ihn zu. Er starrte mich mit offenem Mund an. „Wow!“, sagte er sprachlos. „Es wird Zeit, dass mein Vater dich kennenlernt.“, sagte er und hielt mir seinen Arm hin. Unsicher sah ich ihn an, griff jedoch trotzdem nach seinem Arm. „Und was, wenn er mich nicht mag?“
„Er wird dich mögen. Er muss dich mögen! Und selbst wenn er dich nicht mag, ist mir das herzlichst egal, uns
kann keiner trennen.“, versicherte er mir. Gemeinsam gingen wir zum Thronsaal. Vor der Tür blieben wir stehen. Jayden öffnete sie und zog mich hinter sich her. Der König musterte mich mit abschätzigem, wachsamen Blick. Dann lächelte er zufrieden. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mich dieser Stein belastet hatte. „Paps, ich möchte dir Jacinda, meine Geliebte, vorstellen.“ Ich fiel in eine tiefe Referenz. „Es freut mich sehr Euch kennen zu lernen, Eure Hoheit.“, sagte ich und hörte mich fremd an. Noch nie hatte ich so auf meine Ausdrucksweise geachtet. „Ganz meinerseits, Jacinda. Du bist also das
Mädchen, das meinem Sohn die Unterhosen derart verdreht hat... Ich bin sicher, dass mein Jayden bei dir in guten Händen ist.“, sagte er und lächlte. „Darauf könnt ihr Euch verlassen.“, versicherte ich ihm. „Nun gut. Ich erwarte, dass du bei der nächsten Sitzung dabei bist, Jacinda. Außerdem wird Anabelle dir Unterricht in Sachen Anstand geben, wobei ich nicht glaube, dass sie dabei noch viel Arbeit mit dir hat.“  Ich nickte. „Ihr dürft nun gehen.“ Wieder fiel ich in eine Referenz und Jayden führte mich aus dem Raum. Als wir außer Hörweite waren, stieß ich den Atem aus. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihn angehalten hatte. „Er mag mich,
oder?“, fragte ich und lächelte. Ich war so stolz auf mich, dass ich hätte könn platzen! Er nickte. „Mein Vater lässt kaum jemanden an sich heran, seit meine Mom und mein jüngerer Bruder Nicklas tot sind... Aber ich finde, du hast das super hinbekommen!“, sagte er stolz.
Es begann bereits zu dämmern und ich war total müde. Jayden führte mich in unser gemeinsames Gemach. Er half mir, das Korsett des Kleides zu öffnen und ich verschwand mit einem Pyjama bewaffnet im Bad. Als ich wieder herauskam, war Jayden schon eingeschlafen. Ich schlüpfte ins Bett und kuschelte mich an ihn. Ebenfalls
dauerte es bei mir nicht lange, ehe ich einschlief.