Ganz langsam, beinahe behutsam öffnete er die Augen. Völlige Dunkelheit umschloss ihn. Für einen Moment war er orientierungslos, doch dann fiel ihm wieder ein, was gestern Nacht passiert war. Er schien in seinem eigenen Bett zu liegen, ein Wunder, dass er in seinem gestrigen Zustand überhaupt noch nach hause gefunden hatte. Sein Kopf fühlte sich so an, als würde die ganze Zeit jemand ihn gegen die Wand schlagen. Stöhnend griff er neben sein Bett und suchte blind nach der Wasserflasche, die er, so hoffte er, den Abend bevor er losgezogen war zur Vorsorge dort platziert hatte. Nach einigen Sekunden schlossen sich seine Finger um den
Flaschenhals. Mit einem lauten Zischen öffnete er diese. Gierig trank er davon, denn er war völlig dehydriert. Als er absetzte lies ihn die Kohlensäure einmal kräftig aufstoßen, dann stellte er die Flasche wieder beiseite. Langsam kamen seine Erinnerungen zur gestrigen Nacht wieder. Verdammt, hatte er viel getrunken. Bier, Wein, Schnaps, alles durcheinander. Sie hatten bei ihm mit ein paar Freunden vorgeglüht und waren dann losgezogen. An den Weg konnte er sich allerdings nicht mehr ganz erinnern. An das hübsche blonde Mädchen mit dem er getanzt hatte allerdings schon. Es war eine perfekte Partynacht, eine von vielen. Jede Woche
das gleiche: Einen Tag das Wochenende verfluchen, drei Tage auf das Wochenende warten, zwei Tage feiern was das Zeug hält und dann einen Tag Bettruhe. Es war ein wöchentlicher Zyklus, beinahe ein Ritual, welches jede Woche durchlaufen wurde. Naja zumindest früher, heute gab es für ihn kein Wochenende mehr, jeder Tag war Wochenende. Er hatte ja momentan sonst nichts zu tun als feiern zu gehen. Wo war da eigentlich der Sinn? Carpe Diem, so lebte er. Und das schon eine längere Zeit, vor mehr als einem Jahr hatte er in seinem Heimatstädtchen sein Abitur bestanden, danach nur noch gejobbt. Mal hier mal da. In ein paar Wochen
würde der Ernst des Lebens aber wieder losgehen: Studium. Neues Leben, neue Stadt, neue Leute. Seine Gedanken schweiften wieder zu dem Mädchen aus der Disko ab. Sie hatten eng umschlungen getanzt und sich geküsst. Ein Erlebnis für eine Nacht, mehr nicht und das war auch gut so. Das einzige was ihn ärgerte war, dass er scheinbar zu betrunken war, als dass er die Blondine noch mit zu sich genommen hatte. Aber nächstes Wochenende würde sich ja schon eine neue Chance ergeben und gewiss auch ein neues Mädchen. Partys kommen und gehen, die einzige Gewissheit ist aber, dass es immer eine nächste geben wird.
Er liebte sein Leben. Frei, unbekümmert und keinen Gedanken an morgen verschwenden, sondern das Heute leben. Carpe Diem oder wie es heutzutage hieß „yolo“. You only live once. Da blieb er doch lieber beim altbewährtem. Diese ganzen Hipster, die sich von ihrem Auftreten und Äußerlichem doch so sehr vom Mainstream der Gesellschaft abheben wollten. Seine Gedanken schweiften weiter ab. Der Restalkohol legte einen Schleier um seine Gedanken. Jeden Moment erwartete er eigentlich, dass seine Mutter ins Zimmer platzen würde, um ihm vorzuhalten, dass es
schon fast Mittag sei und er noch nichts geschafft hätte und er sich doch bitte auch mal am Haushalt beteiligen könne. „Wer saufen kann, kann auch arbeiten“, sagte sie immer zu ihm nach einer durchzechten Nacht. Doch niemand kam, denn er wohnte nun in seiner eigenen Wohnung. Nunja, fast eigenen Wohnung, er teilte sich diese noch mit einem Freund, aber der war auch nicht da. Er war meistens nicht da. Viel lieber zog es ihn zu seiner Freundin, die eine eigene Wohnung nicht weit von hier hatte. Die kurze Zeit, in der sie bislang zusammen wohnten, war er meist abwesend gewesen. Seit sie zusammen wohnten, lebten sie aneinander vorbei. Als sie sich
noch nur an Wochenenden zum Feiern sahen, war ihr Verhältnis noch erheblich besser gewesen. Auf einmal durchfuhr es ihn. Er rollte sich zur Seite und öffnete hektisch die Schublade des Nachttischs. Taschentücher, Handy, Schlüssel, aber wo war sein Portmonee?! Schnell knipste er die Lampe über seinem Bett an. Blitze zuckten durch seinen Schädel als das grelle Licht den Raum erfüllte. Blinzelnd saß er kerzengerade in seinem Bett und wartete angespannt darauf, dass seine Augen sich an das Licht gewöhnten. Endlich! Im ganzen Zimmer lag sein Outfit der gestrigen Nacht
verstreut. Die Hose achtlos auf den Boden geworfen, das Hemd auf der Rückenlehne seines Schreibtischstuhls, in einer Ecke eine Socke, in der anderen die andere. Doch von seinem Portmonee fiel jede Spur. Er warf die Sachen auf dem Boden achtlos im Raum umher, doch auch dort lag es nicht. Unter dem Bett? Fehlanzeige. Langsam machte sich ein ungutes Gefühl in ihm breit. Glücklicherweise hatte er alles bis auf sein Geld und den Personalausweis vorbeugend herausgenommen. Dennoch, es musste ja irgendwo sein. Er nahm die Hose vom Boden hoch, um sie auf den Stuhl zu legen, da merkte er in der hinteren Tasche eine Ausbeulung. Ein
Lächeln überkam ihn, als er seinen Geldbeutel hervorholte. Was war noch drinnen? Etwas Kleingeld und der Ausweis. Viel mehr hatte er auch nicht erwartet.
Albatros99 Gut formuliert, das macht Interesse auf Kommendes. Christine |
Gaenseblume Interessant geschrieben. Gern gelesen. LG Marina Gaenseblume |