Soll ich oder soll ich nicht?
Ein Schritt war sie noch von der Erlösung entfernt, noch einen Schritt und sie würde all die quälenden Gedanken und die schmerzlichen Erinnerungen hinter sich lassen können. Doch es fehlte ihr der Mut zum letzten, aber sie war doch schon so weit gekommen, wieso war der letzte Schritt so schwer. Stufe für Stufe, Etage für Etage in denen sie sich so sicher war das dieser Weg, der Richtige für sie war. Ist sie nicht genug verletzt, nicht genug gedemütigt worden um diese letzten Schritt in die Freiheit zu wagen, um zu springen. Sie wollte doch so gerne den Wind in ihren Haaren spüren, dieses Gefühl in der Magengegend beim freien Fall und um zu sehen wie der Boden, die Erlösung des Aufschlages immer näher kommt. Diese Grenze, zwischen Leben und Tod, zwischen Qual und Erlösung, wieso war sie sich nicht mehr so sicher wie vorher. Diese Grenze schien sich als schier endlos hohe Mauer vor ihr aufzubauen, irgendetwas tief in ihr schien sie zu zwingen sich mit ihren Problemen auseinander zusetzen, sich ihrem Leben zu stellen. Sie sah hinunter und neben ihr fiel ein Regentropfen in die Tiefe und sie verfolgte ihn bis zum Aufprall in eine Pfütze. Der Regentropfen machte sie auf die Menschenmassen aufmerksam, die ungehindert ihrem Alltag folgten und sie nicht weiter beachteten. Wieso auch, wieso sollte sie jetzt auf einmal beachtet werden, nur weil sie vorhatte sich das Leben zu nehmen. Sie werden sie aber beachten, sie wird die Anerkennung bekommen die sie verdiente, alle werden sie von ihr Notiz nehmen.
Sie hasste sie, sie hasste für ihre Zufriedenheit, sie hasste sie dafür, dass sie mit ihrem Leben zufrieden waren. Sie fühlte sich so alleine und konnte nicht verstehen warum sie die Einzige zu sein schien, die nicht mit ihrem Leben klar kam.
Doch sie hatte es schon viel zu lange versucht sich anzupassen, sie hatte sich schon zu lange verbiegen lassen. Die Enttäuschungen waren einfach zu groß geworden, jetzt reichte es ihr. Der Tod kann auch nicht viel schlimmer sein, als die psychische Gewalt derjenigen die sich für besser als andere halten, derjenigen die sie seit Jahren schikanieren. Es hatte in der Kindheit angefangen, als mittleres Kind hatte sie nie viel Aufmerksamkeit bekommen und dann auch noch den vergeigten Schulabschluss, das hatte ihre Eltern ganz davon überzeugt, dass sie das schwarze Schaf der Familie war. Von da an wollte sie nur noch den Erwartungen ihrer Eltern genügen und somit begann ihr Untergang. Doch jetzt nach all dem, warum konnte sie nicht springen, war sie zu feige? Nein, sie musste soviel Leid ertragen sie musste es doch können oder vielleicht war sie zu mehr bestimmt? Eine Windböe riss sie aus ihren Gedanken, sie wurde rum gerissen und jetzt hielt sie nur noch der Saum ihres Pullovers von dem nahenden Aufprall ab. Der Riss begann sich zu vergrößern. Der Stoff würde nicht mehr lange durchhalten. Sie wollte es nicht, jetzt war sie sich sicher, sie wollte Leben, sich den Herausforderungen stellen, doch konnte sie es noch. Würde ein Wunder sie retten. Tränen quollen in ihre Augen. Der Pullover war den reißen nahe, doch dann wurde die Tür des Daches aufgestoßen und sie vernahm Schritte.