(Um)weg zur großen Liebe
Tina saß, wie so oft, im Herbst auf ihrer Lieblingsbank im Park ihrer Heimatstadt. Das Wetter war ihr völlig egal. Egal ob ein Sturm tobte, der welke Blätter von den Bäumen herunter wehen ließ, oder ob die Sonne schien. Für Tina gab es nichts Schöneres als in diesem Park zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen. Besonders gerne mochte sie dicke Bücher, das letzte welches sie gelesen hatte, war Krieg und Frieden.
Tinas Kolleginnen bewunderten sie sehr, besonders auch weil sie sehr abgehärtet war, denn durch ihren ständigen Aufenthalt im Freien, egal bei welchem Wetter, war Schnupfen für sie ein Fremdwort. Sie liebte ihre Arbeit in einer Eventagentur sehr. Es machte ihr großen Spaß Veranstaltungen zu organisieren. Sie war selber manchmal etwas schräg und anders als die anderen, und sie hatte die Erfahrung gemacht, dass unter den Künstlern viel mehr schräge Vögel waren als unter den Menschen, die man so gemeinhin als normal bezeichnete. Warum das so ist, dass ausgerechnet im künstlerischen und kreativen Bereich mehr Menschen anders waren als die
Mehrheit, und warum diese auch viel toleranter waren als die anderen, darüber dachte sie oft stundenlang nach, ja man konnte dieses eifrige nachdenken durchaus auch philosophieren nennen. Eine Antwort fand sie allerdings nicht. Tina philosophierte ohnehin sehr gerne.
Besonders gerne sah sie sich einen etwas unbekannteren Film an, in welchem aufgezeigt wurde wie sich das Leben eines Menschen ändern konnte. Alleine dadurch, dass dieser einmal die U-Bahn verpasste, und einmal sie gerade noch erreichte.
So kam es, dass auch Tina oft nicht den
kürzesten Weg nahm. Oft nahm sie einen Umweg ohne zu wissen was auf sie zukommen würde. Doch genau das fand sie besonders spannend. Natürlich war ihr klar, dass sie möglicherweise auch dadurch, dass sie nicht immer denselben Weg nahm, die eine oder andre Chance in ihrem Leben verpasste. Im Grunde war das Leben ihrer Ansicht nach ohnehin wie ein Lottospiel, und Tina wollte sozusagen nicht jedes Mal die gleichen Zahlen ankreuzen. Sie hoffte auf den großen Gewinn, in dem sie des Öfteren auch mal einen kleineren, und manchmal auch einen größeren, Umweg nahm. Schon sehr lange war sie alleine und hoffte sehr darauf ihre große Liebe zu
finden, DAS wäre dann wirklich das Sahnehäubchen in ihrem Leben gewesen.
Manchmal hoffte sie auch, dass unter den Künstlern für die sie die Veranstaltungen organisierte ihre große Liebe sein würde. Mittlerweile ging sie immerhin straff auf die 40 zu, und sie war ein Mensch, der sehr ungern alleine war. Sie dachte ein wenig darüber nach welcher der Künstler wohl am ehesten für sie in Frage kam. Ein kleines bisschen schwärmte sie für Olaf, Olaf war Schlagzeuger einer Band, deren Logo einem Kirschblütenblatt ähnelte, und oft hatte sie schon Gigs für diese
Band organisiert. Andererseits hatte dieser Olaf den Ruf eines Schürzenjägers und wenn sie schon nach so vielen Jahren wieder eine Beziehung eingehen würde, dann sollte das auf keinen Fall ein Schürzenjäger sein. Und wenn sie erst an die Musik dieser Band dachte. Nein, da hörte sie doch lieber den ganzen Tag Volksmusik, denn die Band hatte zwar einen eigenen Techniker, der aber anscheinend ziemlich wenig bis gar nichts von seinem Job verstand. Denn die Klangspitzen, die da manchmal aus den Lautsprechern drangen, klangen einfach unerträglich. Auf ein Konzert dieser Band war sie schon lange nicht mehr gegangen.
Schräge Töne machte sie lieber selbst, wenn sie sich zuhause an ihr Keyboard setzte.
Wie sie so auf der Bank saß, und über alles nachdachte, fiel ihr ein, dass sie auf dem Heimweg noch dringend ein Medikament für ihre Mutter in der Apotheke besorgen musste. Das war ein gewaltiger Umweg, aber die Medikamente waren für ihre Mutter lebenswichtig.
Sofort machte sie sich auf den Weg zur Apotheke. Da der Weg zur Apotheke doch recht weit war und sie nur noch wenig Zeit hatte bis diese schloss musste
sie sich beeilen. Sie schnappte sich ihr Fahrrad, das neben der Bank stand auf der sie gesessen hatte, und fuhr so schnell sie konnte. Denn sie hätte es sich nie verziehen wenn ihre Mutter wegen der fehlenden Medikamente gestorben wäre.
Plötzlich, so ganz ohne Vorwarnung, stand ihr ein Mann im Weg den sie sofort als den schönsten Mann identifizierte der ihr in ihrem ganzen Leben begegnet war. Fast hätte sie ihn über den Haufen gefahren, doch irgendetwas sorgte dafür dass sie nur etwas ins straucheln geriet. Der Mann schien etwas irritiert und etwas flapsig meinte er: „Du weißt schon
dass Du hier in Zauberzone 4 eindringst“ und dabei grinste er nicht einmal, so dass man fast denken konnte, dass er es ernst meinen würde. Natürlich glaubte Tina nicht daran dass sie in eine Zauberzone eingedrungen war, zumal sie zwar gerne Märchen las, aber noch nie etwas von einer Zauberzone gehört hatte. Was sollte das auch sein?
Schnell kam sie mit dem Mann ins Gespräch der sich als Karl vorstellte, und man sah förmlich die Herzen fliegen, so verliebt war Tina schon lange nicht mehr gewesen. Karl und Tina suchten sich einen Platz in einem Kaffee und aßen Schwarzwälder Kirschtorte und sie
lachten noch darüber dass der Kuchen dafür sorgen würde, dass Tina noch gewichtiger werden würde, als sie es ohnehin schon war. Karl war das egal, er hatte sich auf den ersten Blick so in Tina verliebt, und er liebte sie genauso wie sie war. Erst als sie sich darüber unterhielten wieso Tina diesen Weg genommen hatte, fiel es ihr wieder siedend heiß ein, dass sie ja dringend noch die Medikamente für ihre Mutter besorgen musste. Als sie auf die Uhr sah stellte sie mit Entsetzen fest, dass die Apotheke schon geschlossen hatte. Wie es der Zufall wollte war der Mann, in den sie sich verliebt hatte, der Besitzer einer Apotheke und da sie die Rezepte
dabei hatte fuhren sie in die Apotheke von Karl, holten die Medikamente und brachten sie gemeinsam Tinas Mutter, die sie schon sehnsüchtig erwartete.
Man sah förmlich die Fragezeichen aus dem Kopf von Tinas Mutter steigen. Tina erklärte alles und als sie zu dritt am Tisch saßen sagte Tinas Mutter: „Da sieht man wieder wie ein Umweg das Leben verändern kann“ Schon bald heirateten Tina und Karl, und falls sie nicht gestorben sind leben sie noch heute glücklich und zufrieden. Und wenn jeder der diese Geschichte liest ein bisschen darüber nachdenkt wie schnell sich das Leben durch Kleinigkeiten ändern kann
ist das Ziel dieser Geschichte erreicht.
Bis Bald
Eure Jeanne