Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand
eines Bürgerkriegs steht.
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Kellvian und die anderen blieben stehen. Die kleine Truppe bewaffneter Soldaten hatte sie mittlerweile bemerkt, kümmerte sich aber anscheinend wenig um sie. Die gut drei Dutzend bewaffneten hatten genug damit zu tun, einige heruntergekommen wirkende Gejarn-Gefangene in Schach zu halten.
Aron ließ das Werkzeug sinken und die übrigen Dorfbewohner taten es ihm gleich. Sie musterte die Gardisten mit einer Mischung aus misstrauen und Erleichterung. Sie waren nicht
unmittelbar in Gefahr. Oder ? Wo war nur Jiy ? Wenn sie etwas Dummes tat… ,, Kaiserliche Soldaten. Was machen die denn hier?“ , wollte Aron wissen und sprach damit genau Kellvians Gedanken aus. ,, Das werden wir wie ich fürchte bald rausfinden.“ , entgegnete er und suchte die Gruppe der Gardisten ab. Nach der rostfarbenen Uniform zu urteilen, waren es vor allem Söldner, Berufssoldaten, die für Geld eigentlich jedem dienten und kein fester Teil der Garden waren, die direkt dem Kaiser unterstanden. Nur ein einziger Mann stach etwas daraus hervor. Er trug einen breitkrempigen Hut mit blauer Feder und
war als einziger der Truppe nur mit einem Degen bewaffnet. Vermutlich ein Offizier. Und er war ein Gejarn. Das schien bei der Natur ihrer Gefangenen seltsam, aber Kell wusste nur zu gut, wie die Kaisertreuen von den Abtrünnigen Clans dachten. Im ersten Augenblick hätte Kell den Offizier fast für Syle gehalten, aber der Mann war sogar noch ein gutes Stück größer als sein Freund und Leibwächter. Der Gejarn-Hauptmann wartete, bis seine Leute die Gefangenen in einer Reihe vor dem Baum in der Dorfmitte aufgestellt hatten. Dann erst wendete er sich den mittlerweile herbeigelaufenen Dorfbewohnern zu. Langsam, einer nach
dem anderen, trauten sie sich wieder aus ihren Häusern und schlossen sich Arons Leuten an. ,, Bürger. Heute, statuieren wir ein Exempel an denjenigen, die sich gegen den Schutz und die Sicherheit die uns der Kaiser zusichert auflehnen. Anarchisten und Wilde, die keine Gnade zu erwarten haben und die eure Sicherheit gefährdet haben.“ Das schöne Wetter schien so gar nicht zu der unwirtlichen Szenerie passen zu wollen. Langsam, fast zeitlupenartig stellten sich die Gardisten parallel zu der Reihe aus Gefangenen auf. Kellvian wusste, was folgen würde. ,, Was haben die vor ?“ , fragte eine
vertraute Stimme neben ihm. Jiy schien aus dem nichts neben ihm aufgetaucht zu sein. Kell atmete erleichtert auf. Er hatte sich tatsächlich kurz Sorgen um sie gemacht. Aber die Erleichterung hielt nicht lange an. ,, Was glaubt ihr, sie werden sie erschießen….“ , beantwortete Aron die Frage der Gejarn. Kellvian konnte ihm ansehen, das auch ihm die Aussicht nicht gefiel. Die Gefangenen sahen nicht wirklich wie Unschuldige aus, aber erschossen zu werden wie ein… streunender Hund. Das hatte niemand verdient. Kellvians Verstand arbeitete. Er hatte den Siegelring in der Tasche. Ein Wort von ihm und dann wäre alles
vorbei. Aber… Er sah zu Jiy. Er hätte keine Möglichkeit, dann noch die Wahrheit zu verschweigen. Es musste doch einen Weg geben… Jiy sah ihrerseits nervös zu den Gefangenen herüber. Ihre Rute fegte wie ein Pendel über den Boden. ,, Kennst du diese Leute ?“ , wollte Kellvian wissen. ,, Nein, aber, er hat nicht einmal gesagt, was sie getan haben.“ ,, Wir können nichts tun.“ , unterbrach Aron sie. ,, Nein aber… Kellvian, das…“ Ihre Stimme wurde ein leises Wimmern. Das war so ziemlich das Letzte, was er von der sonst so Willensstark wirkenden Jiy
erwartet hatte. Kell hatte geglaubt, die Gejarn mittlerweile gut genug zu kennen, dem schien aber nicht so. Was konnte er tun? Kell musste zumindest sichergehen, dass diese Leute wirklich schuldig waren. Und dann etwa unternehmen. Aber wie ohne sich zu verraten ? Es ging nicht anders. Seine Hand schloss sich um den Ring in der Tasche. ,, Jiy. Geh ins Gasthaus.“ ,, Was ? Das werde ich ganz sicher nicht!“ , erwiderte sie entschieden. ,, Wenn wir nichts tun können, sollte ich zumindest zusehen. Das bin ich ihnen schuldig.“ ,, Ich bitte dich nur darum.“ , erwiderte
Kellvian ruhig. ,, Ansonsten müsste ich etwas furchtbar dummes tun.“ Die Gejarn sah ihn entsetzte an: ,, Was hast du vor?“ ,, Ich kann sie vielleicht retten. Oder auch nicht. Das kommt darauf an, was diese Männer getan haben.“ Er würde keine Mörder schützen. Aber er konnte die Verzweifelte Wut, die Jiy befallen zu haben schien nicht ertragen. ,, Du bist verrückt. Das sind leicht über dreißig Gardisten. Wie willst…“ ,, Vertrau mir. Dieses eine Mal weiß ich was ich tue. Vielleich kann ich heute etwas zurückzahlen.“ ,, Kellvian ?“ Jiy sah ihn besorgt an. ,, Wie meins du das
?“ ,, Im Augenblick kann ich dich nur bitten, mir zu vertrauen.“ Die Gejarn nickte stumm. Dann trat sie jedoch dicht vor ihn. Nah genug, dass er ihren Atem auf dem Gesicht spüren konnte. Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen, in der sie ihm einfach nur direkt in die Augen starrte. Schließlich beugte sie sich ein Stück vor und gab ihm sanft einen Kuss auf die Stirn. Leicht, kaum zu spüren drückten ihre Lippen auf seine Haut. Sofort trat Jiy einen Schritt zurück. ,, Ich hoffe, du weißt was du tust.“ , mit diesen Worten drehte sie sich um
und ging in Richtung des Gasthauses davon, wo sich nun ebenfalls Leute versammelt hatten und entweder Neugierig oder Verängstigt zu der Gruppe Soldaten sahen. Völlig perplex konnte Kell sich einen Augenblick nicht dazu überwinden, irgendetwas zu tun. Erst Arons Stimme holte ihn zurück in die Wirklichkeit. ,, Hey , wolltet ihr diesen Leuten jetzt helfen oder nicht ? So viel Zeit bleibt euch nicht mehr, fürchte ich.“ Er sah zu den Bewaffneten Gardisten hinüber. Der Offizier war dazu Übergegangen, seinen Soldaten Befehle zu geben, die daraufhin auf ihre Gefangenen
anlegten. Kellvian zog den Silberring aus der Tasche. Das Symbol darauf war fast fälschungssicher. nicht nur durch unendliche Kunstfertigkeit, welche den Wappentieren, Alder und Löwe, etwas fast lebendiges gab, sondern auch durch eingewobene Magie. Niemand würde die Autorität eines Kaiserlichen Siegels anzweifeln. ,, Was immer geschieht, ist nie geschehen.“ , sagte er noch leise zu Aron. ,, Bitte.“ Dieser nickte. ,, Irgendetwas ist seltsam an euch. Und ich mische mich da erst gar nicht ein.“ ,, Passt einfach auf euch auf.“ Kellvian
streifte den Ring über und trat aus den Reihen der Schaulustigen. Die Gardisten hielten tatsächlich inne, als sie sahen, dass einer der Schaulustigen oder Gezwungenen auf sie zukam. Der Offizier gebot den Schützen kurz innezuhalten, während sich seine Augen misstrauisch zu schlitzen verengten. Die Gardisten wendeten ihre Aufmerksamkeit größtenteils von den Gefangenen ab und richteten die Musketen nun in seine Richtung. ,,Stopp.“ Kellvians Stimme konnte laut sein, wenn er es wollte. Seine Wortemussten auf dem ganzen Platz zu hören
sein. ,, Seit ihr Lebensmüde, Bauer ?“ , fragte der Gejarn-Hauptmann und legte demonstrativ eine Hand auf den Schwertgriff, während er auf Kellvian zutrat. ,, Zurück mit euch. Geht wenn euch das hier nicht passt. Das letzte was ich jetzt brauche is ne Moralapostel, die Ärger macht.“ ,, Oh, ich mache euch sicher keinen Ärger.“ , sagte Kell nun wieder ruhig und gedämpft. Die wenigsten Leute würden jetzt hören, was er sagte. Und das war wichtig. ,, Aber vielleicht kenne ich jemanden, der euch Probleme machen könnte, wenn ihr nicht sofort die Gewehre
runternehmt.“ ,, Große Worte.“ Ohne etwas zu erwidern zog Kellvian den Siegelring vom Finger und warf ihn dem Hauptmann zu, der das Schmuckstück grade noch auffangen konnte. ,, Was soll das…“ , setzte er an, während er den Ring vor sein Gesicht hob. Dann jedoch brach er mitten im Satz ab. Wäre er ein Mensch, wäre er jetzt vermutlich bleich geworden, dachte Kell. ,, Waffen weg.“, wiederholte Kellvian weiterhin ruhig. Er war es nicht gewohnt, Befehle zu geben, aber den Umgang mit mürrischen Adeligen hatte zumindest Tyrus immer
mit dem Befehligen einer Truppe verglichen Diesen musste man Befehle lediglich so verkaufen, das sie sie für ihre eigene Idee hielten. Kellvian hatte dieses Spiel aus Höflichkeiten und versteckten Drohungen immer gehasst. Jetzt konnte es sich aber einmal auszahlen. Einige der Soldaten, die näher bei ihm und den Hauptmann standen mussten das Sigel auch gesehen haben. Und ein paar warfen tatsächlich ihre Musketen von sich, ohne auch nur zu zögern. ,, Ihr…“ Der Gejarn Hauptmann wirkte weiterhin misstrauisch. ,, Woher habt ihr diesen Ring ?“ ,, Woher werde ich den wohl herhaben.
Vom Kaiser höchstpersönlich. Wenn ihr das in Frage stellen möchtet, können wir gerne einen Boten zur fliegenden Stadt schicken, der meine Angaben überprüft. Und der kann dann auch gleich eure fristlose Entlassung zurück bringen.“ Der Hauptmann machte eine Wegwerfende Handbewegung. ,, Schön, der Ring ist echt.“ Er warf ihm das Stück Silber zurück. ,,Was wollt ihr hier und wer seit ihr?“ ,, Wer ich bin, geht euch wenig bis gar nichts an.“ Er deutete auf die nach wie vor in einer Reihe stehenden Gefangenen. ,, Was ich will ist, wissen, was diese Männer getan haben, wofür sie den Tod
verdienen.“ ,,Herr, das sind Abtrünnige.“ , erklärte sein gegenüber. ,, Die verdienen es nicht besser.“ ,, Das habe ich nicht gefragt. Die Clans mögen glauben sie könnten sich einfach lossagen, aber solange das Kaiserreich existiert, sind sie Bürger desselben und unterstehen dessen Recht. Also, was wirft man ihnen genau vor ?“ ,,Wir habe sie zufällig bei einer Patrouille in der Nähe der dieser Siedlung aufgegriffen Herr.“ , sagte jemand. Es war einer der Soldaten, die vorhin ihre Gewehre weggeworfen hatten. ,, Bewaffnet, möchte ich
hinzufügen.“ Kellvian dachte nach. Das konnte alles bedeutend. Sicher die Gruppe Gejarn sah alles andere als friedliebend aus. Gleichzeitig war das kein Grund diese Leute zu töten. Jetzt fand er sich in genau der Position wieder, die er nicht wollte. Er musste entscheiden… Wenn er die Leute einfach gehen ließ, wer weiß, ob sie nicht wirklich jemanden Angriffen. Wenn er sie töten ließ wäre das zwar sicherer…. Aber es würde den Hass den der Gejarn offenbar auf seine rebellischen Brüder empfand nicht wirklich mindern. Und Jiy… Nein, davon durfte er sich nicht beeinflussen lassen. Was tat er hier? Es gab nur diese zwei
Wege. Oder doch nicht… Eine Idee begann sich in seinem Kopf zu formen. Er lächelte, als er wieder aufsah. Es war nicht perfekt, aber es musste reichen Ein dritter Weg. ,,Nun, soweit ich weiß gibt es kein Gesetz, das den Bürgern verbietet, Waffen zu führen.“ , sagte Kellvian. ,,Wir sind nah an den Grenzen zu den Clans. Wollt ihr wirklich ein paar Jäger hinrichten, die das Pech hatten, die nur euch über den Weg zu laufen? ,,Aber Herr…“ , setzte der Hauptmann zu einem Protest an. ,,Freilassen, jetzt.“ Er wusste, dass er gewonnen hatte. Egal, was ihr Anführer noch sagen mochte, Kellvians Wort und
das kaiserliche Siegel wogen schwerer als alle anderen Befehle. Alle senkten die Waffen und traten von den Gejarn-Häftlingen zurück. ,, Noch sind wir nicht so weit, das wir Bürger auf Verdacht hinrichten.“ Aber Kellvian war noch nicht am Ende. Die Gefangenen sahen sich verirrt um, als suchten sie eine Antwort darauf, warum sie noch lebten. ,, Die verstehen mich ?“ , wollte Kellvian vom Hauptmann wisse. Längst nicht alle Gejarn beherrschten neben ihren jeweiligen Clandialekten auch die Amtssprache von Canton. Der Hauptmann nickte. Kellvian trat an ihm vorbei, auf die Gejarn
zu. ,,Dann jetzt zu euch. Wenn ich noch einmal höre, dass ihr oder euer Clanbrüder, euch bewaffnet einer Siedlung nähert, werde ich es persönlich sein, der jagt und doch noch hinrichtet. Und sagt das ruhig allen! Ich bin der Mann, der Lore bis auf die Grundmauern niederbrannte. Ich habe es nicht nötig, leere Drohungen auszusprechen. “ Er konnte ihnen ansehen, dass sie wussten, wovon er sprach. Und auch wenn sie sich nicht sicher sein konnten, dass er die Wahrheit sprach, die Drohung des Kaisersiegels reichte aus. Sie wussten, dass Kellvians Worte Gewicht hatten und er über die
nötigen Mittel verfügte, sie wahr zu machen. Auch wenn die Männer versuchten es nicht zu zeigen, er konnte ihre Angst spüren. Und es tat ihm leid. Hatte er wirklich gehofft etwas Schuld abzubauen? Eine Handvoll Leben für eine ganze Kleinstadt. Das war keine Antwort. Aber sie würden Leben. Das war etwas. ,, Lasst diese Leute ziehen.“ , wies Kell die umstehenden Soldaten an, die auch prompt Beiseitetraten. Auch sie hatten ihn gehört und auch wenn nicht offiziell bekannt war, wer Lore angegriffen hatte, einige schienen zu erraten, wer vor ihnen stehen
könnte. Auf den Gejarn-Hauptmann traf das leider nicht zu. ,, Ihr lasst sie einfach so ziehen ?“ , fragte der Mann entsetzt. ,, Kaiserliche Siegle hin oder her…“ Seine Hand fuhr zum Degen an seiner Hüfte. Kellvian hörte das Geräusch welche die Klinge und der Futteraal verursachten. Er wäre niemals schnell genug, die eigene Waffe noch zu ziehen. Musste dann alles immer in Gewalt enden… Er machte sich bereit, dem Mann auszuweichen, sollte er ihn wirklich angreifen. Wenn es Kell gelang, den Hauptmann aus dem Gleichgewicht zu bringen… Der Gejarn führte einen Stoß auf seine
Brust. Kellvian wollte grade zur Seite springen um dem Schwertstreich zu entgehen, als ein Schuss über den Platz hallte. Der Hauptmann erstarrte in der Bewegung und kippte dann in einer komisch anmutenden Bewegung zur Seite. Blut durchtränkte den Stoff seiner Hose. Eine Kugel hatte ihm das Knie zertrümmert. Kellvian sah auf. Aus einer Gasse, keine zwanzig Schritte entfernt trat eine Gestalt, eine Muskete in der Hand, aus deren Lauf noch Rauch aufstieg. Offenbar eine der Waffen, welche die Soldaten eben Weggeworfen hatten… Auf dem Rücken trug die Gestalt ein
Breitschwert, dessen Griff etwas über ihre Schulter hinausragte und ein altmodisches Rundschild. Und unter der Kapuze eines schmutzigen Mantels ragten ein paar Ohren hervor, die Kellvian an einen Wolf oder Fuchs denken ließen. Noch ein Gejarn… Der Fremde ließ die Waffe fallen. ,, Schwefel und Gestank, so kämpft man nicht. Jetzt versteht ich die Verbote der Archonten.“