Gedichte schreiben
oder sogar einen Roman trotz einer Rechtschreibschwäche?
Ich sage Ja!
und dieser Roman ist der Beweis.
Ich hatte meinen Roman schon
lange im Kopf, nur der Mut fehlte mir, ihn zu veröffentlichen.
Ich sage Danke im voraus fürs Lesen und hoffe, der Roman spricht euch an, denn ich habe mein Herzblut in diesen Roman gelegt. Ich würde mich über eure Meinungen,Kommentare freuen...
Viele Grüße an Euch
alias lachmal
........Vorwort:
Die Dunkelheit der Vergangenheit hat gesiegt, zu viel hat er riskiert. Er kann nicht mehr, er gibt auf, lässt dem Schicksal seinen Lauf. Er hört, dass sie immer eindringlicher werden, diese Stimmen. Er kennt sie aus seinen Erinnerungen. Wenn er doch nur diese schrecklichen Rückblenden aus seinem Gedächtnis streichen könnte! Aus der Dunkelheit tauchen nicht nur die Stimmen auf. Bilder kommen hinzu - erst einzeln -, dann läuft es wie ein Film vor seinem inneren Auge ab.
Es sollte ein Familienurlaub werden,
den man nie vergisst.
Er hat ihn auch bis heute nicht vergessen! Es ist, als wäre es erst gestern gewesen.
Noch immer gefriert das Blut
in Henrys Adern,
wenn die Erinnerungen aus der Vergangenheit zurück kommen.
Kapitel 1:
DIE REISE BEGINNT
Zu siebt kamen sie in Port Royal auf Jamaika an. Eine Yacht für sie war schon angemietet, nur der Proviant musste noch verstaut werden. Danach sollte ihre Reise beginnen. "Barbara, haben wir alles
zusammen, können wir bald los? Hast du an die Leuchtpistole gedacht? Die lag doch hier irgendwo?", fragte Tom. "Ja, ich habe alles zusammen in Henrys Kabine gebracht, wir müssen nur noch die Lebensmittel unterbringen." "Okay kommst du, Barbara? Wir gehen mal auf Deck und schauen, wo Vivian und Christian abgeblieben sind?", meinte Tom, "die beiden wollten ja noch John und Uta abholen. Wenn sie da sind, dann geht es ab - auf unsere mysteriöse Reise. Ich kann es kaum noch erwarten, bis wir auf dem Meer sind." Die einzigen, die sich mit Booten auskannten und auch etwas von Navigation verstanden, waren Christian und Henry, der Stille.
"Endlich!
Jetzt kann es losgehen! Sind alle an Bord? Gut, noch den Check-Up. Ich übernehme das Bordbuch, okay? An Bord sind Vivian, Christian, John und Uta, Tom, Barbara und ich." Henry wurde jetzt ungeduldig: "Wir sollten uns auf den Weg machen, solange es noch hell ist. Christian, mach die Taue los. John, hilf ihm, sonst kommen wir nie in Fahrt und ich bin müde, bevor wir losgefahren sind." In diesem Moment sah Vivian aus den Augenwinkeln einen jungen Mann, der auf die Yacht zulief und rief: "Hallo Leute, ich habe leider eine schlechte Nachricht für Tom. Sein Vater hat einen Schlaganfall erlitten, Tom soll sofort
nach Hause zurückkehren. Nehmt mich dafür mit. Ich bin Jürgen!" "Mensch Jürgen! Was machst du denn hier? Ich dachte, du kannst nicht mit und jetzt stehst du hier!", rief Barbara. Sie freute sich sehr, dass ihr Bruder doch mitfuhr. Natürlich bedauerte sie, dass Tom zurück fliegen musste. Aber als Jürgen seine Sachen an Bord brachte, beruhigte sie sich. Trotz der freudigen Erwartung fiel ein Schatten auf die Reisegruppe, denn Tom tat allem Leid. Das hatte er nicht verdient. Er hatte sich doch so auf diesen Törn gefreut. Und nun noch die Sorge um seinen Vater! "He, wollen wir ein Lied anstimmen? Ich hab meine Gitarre dabei, mein Klavier war leider zu schwer."
Typisch Jürgen, immer ein Scherz auf den Lippen, dachte Barbara. "Weiß einer von euch, wo es genau hingehen soll?" "Ja, der Henry weiß es, ich habe ihn gefragt! Er meinte nur, kleine Mädels sollen nicht so neugierig sein. Was für ein Scherzkeks!", wunderte sich Barbara. "Na, ich weiß nicht, Barbara. Der Henry hat wohl einen trockenen Humor. Christian, weißt du, wer den Trip in die Karibik eigentlich organisiert hat?" "Nein, frag mal Vivian, denn ich weiß es wirklich nicht." Und Vivian wusste es auch nicht wirklich. "Was mich nur wundert, ist, dass Henry so ein Geheimnis daraus macht. So eine Fahrt ins Ungewisse... Na, ich weiß nicht!"
"Nehmt es nicht so schwer, ich werde euch beschützen, wo immer wir sind. Ich sollte nicht Jürgen heißen, wenn das nicht klappt." "Sag mal, Christian, wo stecken denn eigentlich John und Uta?", fragte Vivian und hörte die beiden im selben Moment. "Hi, da sind wir doch, wer sucht uns? Wir waren bei Henry in der Kabine. Das ist aber ein Geheimniskrämer. Als wir kamen, hat er was versteckt." "Henry hat wohl seinen Rumvorrat versteckt. Aber sagt mal, ich habe auch schon Christian und Vivian gefragt, wer hat euch eigentlich zu dieser Reise eingeladen?" "He Barbara, so nachdenklich?" "Ja. Ist euch schon aufgefallen, dass Tom und Henry
dasselbe Muttermal haben? Vielleicht sind sie verwandt und wissen es gar nicht." "Wir können die beiden ja mal darauf aufmerksam machen. Oder wir radieren bei einem der beiden das Muttermal einfach weg!", lachte Jürgen. "Ja, das von Henry, denn Tom ist ja nicht mehr hier", scherzte jetzt Christian. Kurze Zeit später trafen sich alle an Deck. "So", sagte Henry, "es wird Zeit, dass wir uns mal vorstellen. Das ist Christian. Er ist der Eigner der Yacht und für mich unentbehrlich. Ich bin euer Kapitän, der sein Schiff sicher ans Ziel bringen wird." "Wohin?", fragte Barbara. Ohne auf diese Frage zu reagieren, verschwand Henry rasch unter Deck.
Barbara zuckte mit den Schultern und meinte: "Dann eben nicht!" "Okay", bemerkte nun Jürgen, "Barbara ist meine kleine Schwester." "Echt?", meinte Uta, "ist ja lustig! John und ich sind auch Geschwister. Jetzt sagt nur nicht, dass Christian und Vivian auch Geschwister sind?" "Nein, das sind wir nicht", erwiderte Christian. "Aber wie ist denn diese Reise in die Karibik überhaupt zustande gekommen?", warf Vivian ein. "Ja, das gibt es doch gar nicht! Alle seid ihr von Tom eingeladen worden?", stellte Jürgen ganz erstaunt fest. "Und wer kennt Tom?" Keiner hatte eine Ahnung, wer Tom wirklich war. Die sechs plauderten noch über dies und jenes.
"Wisst ihr eigentlich, dass ich vor ein paar Tagen Geburtstag hatte? Darauf gebe ich noch einen aus!", sagte Christian und als alle leicht beschwipst waren, gingen sie schlafen.
Kapitel 2:
INSEL IN SICHT
Am frühen Morgen rief Barbara: "Kommt mal alle her! Was für eine schöne Insel. Das ist doch nicht möglich!" Im Nu standen alle fünf hinter ihr und staunten nicht schlecht. Nur von Henry war wieder weit und breit nichts zu hören und zu sehen. "Henry verpennt die schönste Idylle. Oder sagen wir lieber, er grübelt mal wieder." "Wollen wir ihn mal
erschrecken? Wer macht mit? Ich hätte da schon einen guten Einfall!" "Ja, Jürgen, gute Idee! Aber lass uns erst mal was essen. Wer zaubert heute das Frühstück her?" "Ich!", sagte Uta und machte sich auf dem Weg in die Kombüse. Kaum dort angekommen, schrie Uta schrill: "Henry!". Alle drehten sich um und liefen zu ihr. "Was ist denn passiert?", rief John. Als sie bei Uta standen, sahen sie Henry bewusstlos am Boden liegen. Vivian bahnte sich den Weg zu ihm mit den Worten: "Lasst mich mal durch. Ich bin hier die Krankenschwester, sogar eine ausgezeichnete!" "Und? Was ist mit Henry, Vivian?" "Ich weiß es noch nicht,
Uta. Er hat eine blutende Wunde am Hinterkopf. Und was ist das? Ist das eine Kette in seiner Hand?" Uta rief ganz aufgeregt dazwischen: "Oh nein, unser Proviant ist weg! Der Schrank ist leer!" "Lass mal die Witze, Uta, wir haben gerade genug Probleme", meinte Vivian. Christian kam näher und nahm die Kette an sich, an der ein Medaillon hing. Er öffnete es und erblickte ein Familienfoto, auf dem zwei kleine Jungen mit drei weiteren Personen zu sehen waren. "Aber was ist mit den Lebensmitteln?" "Um die machen wir uns später Sorgen, Uta. Erst müssen wir uns um Henrys Wunde kümmern und ausfinden, was passiert ist!", sagte
Vivian. Sie fühlte Henrys Puls, versorgte seine Platzwunde und legte ihn in die stabile Seitenlage. Als Henry wieder zu sich kam, zeigten sie ihm das Bild im Medaillon. Was er nun erzählte, war kaum zu glauben. "Das Foto zeigt meinen Zwillingsbruder Howard, der andere bin ich. Das ist seine Frau und die beiden Jungs sind meine Neffen. Jedoch sind alle verschollen." "Dann muss wohl der Eindringling dieses Medaillon verloren haben", stellte Christian fest. Henry fiel das Sprechen immer noch schwer. Jürgen hatte sich schnell wieder im Griff und merkte gleich, dass da etwas nicht stimmte: "Mensch Henry! Jetzt aber raus mit der Sprache. Was ist damals
passiert?" Nach kurzem Zögern begann Henry zu erzählen und je länger er sprach, desto klarer wurde, was er vor ihnen hatte verbergen wollen. Die Familie seines Bruders - verschollen! Das musste wohl an die vierzig Jahre her sein. Jeder versuchte, sich im Einzelnen vorzustellen, was damals Unglaubliches abgelaufen war. "Trotzdem habe ich die Hoffnung nie aufgegeben, sie eines Tages wieder zu finden." Henry wirkte noch immer eine wenig durcheinander. Nach langem Schweigen bemühte sich Jürgen, das Thema zu wechseln. "Wir müssen unbedingt diese Insel ansteuern, um etwas Essbares zu finden. Barbara, Vivian und Uta, ihr bleibt auf dem
Schiff. Kümmert euch um Henry!" "Nein, nein!" wehrte dieser ab, "wir sollten immer zusammen bleiben, nach dem was gestern Nacht passiert ist. Ich habe einen kleinen Vorrat an Lebensmitteln im Beiboot in einem Seesack verstaut. Das machte ich als junger Mann schon und habe es auf jeder Reise beibehalten." Jürgen nickte: "Christian, kannst du mit Vivian den Seesack herbringen?" Vivian war nicht begeistert davon, was im Sack an Essbarem war. Sie fragte Henry, wie es ihm ginge und ob er morgen die Insel ansteuern könnte. Henry meinte, dass das nicht das Problem sei, er könne es. "Aber, so wie´s aussieht, stimmt was mit dem Motor nicht." Christian schaltete
sich ein: "Für mich ist das ein Leichtes, ich habe Schiffsmechaniker gelernt. Ich werfe mal ein Auge drauf, ich kenne mein Baby sehr genau." "Okay, vier Augen sehen mehr als zwei. Dann komm ich mal mit", meinte Henry. Jürgen drehte sich um und rief: "He Leute, wisst ihr, dass auf der Insel Tiere leben? Ich habe eben Vögel durchs Fernglas gesehen." "Prima", meinte Barbara, "gebratene Täubchen!" "Nicht schlecht, Barbara. Soll ich mal zwei für dich bestellen? Nichts leichter als das!", rief Jürgen und lachte vor Vergnügen. "Nein, das finde ich gar nicht gut. Du weisst, dass ich kein Fleisch esse. Wenn du das machst, dann spring ich ins Wasser und
du weisst, ich kann nicht schwimmen und werde ertrinken! Willst du, dass ich ertrinke?" "Na, wenn du ertrinkst, haben wir einen Esser weniger!", meinte Jürgen, fing wieder an zu lachen und erntete umgehend einen bösen Blick von seiner Schwester. "Jetzt mal Spaß beiseite! Vielleicht finden wir auf der Insel ja wirklich ein paar nützliche und essbare Sachen!", meinte Uta. "Genau", stimmte Henry zu, der gerade mit Christian aus dem Maschinenraum kam. "Und?", fragte Barbara, "was ist mit dem Motor?" "Alles wieder fit!", antwortete Christian und hielt eine tote Ratte hoch, "das war der Übeltäter!" "Das?", kreischte Uta, "igitt!" "Uta, reg dich ab,
das ist nur eine verendete Ratte. Die hätte mehr Angst vor dir, wenn sie noch leben würde!" "Also können wir die Insel jetzt ansteuern, oder?" "Ja, können wir, Vivian, aber nicht von dieser Seite aus. Ich muss auf die andere Seite der Insel fahren." "Woher weißt du, dass man nur von der nördlichen Seite auf die Insel gelangt?", fragte Christian nun misstrauisch. "Ach, ein Freund von mir war vor vielen Jahren schon mal hier, es ist lange her. Er erzählte es mir einmal. Morgen früh ankern wir an der nördlichen Seite", überspielte Henry die für ihn unangenehme Situation. "Gut", meinte Barbara, "also Leute, packen wir unsere Sachen zusammen!"
Kapitel 3:
IN DER BUCHT
Am nächsten Morgen wurden sie unsanft aufgeweckt, denn Henry machte Krach. "Auf, auf, wir sind schon in der Bucht!" Alle waren in Kürze an Deck und waren begeistert. "Diese Bucht ist ja wunderschön!", rief Uta. "Wow, das ist ja herrlich - Natur pur. Hier ist es gar nicht tief, wir können bis zur Insel schwimmen", stellte Vivian fest. Henry mischte sich ein: "Müsst ihr auch, weil Christian und ich das Beiboot für unseren Proviant und den ganzen anderen Kram brauchen!" "Wie jetzt, schwimmen? Da gibt es bestimmt Fische, ich hasse Fische!", beschwerte sich Uta.
"Ach, hab dich nicht so", entgegnete John, "du bist als kleine Schwester schon anstrengend. Und wenn du noch länger wartest, Uta, rufe ich noch ein paar Haie nur für dich ganz allein. Dann kannst du bestimmt schneller zur Insel schwimmen und schon mal ein Feuer machen." "Blödmann!", zischte Uta."Habt ihr alles zusammen?", fragte Henry. "Ja, ich werde nur noch den Notfallkoffer kontrollieren. Oder noch besser, ich nehme den zweiten auch gleich mit. Sicher ist sicher!", meinte Vivian. Jürgen warf jetzt einen Rettungsring ins Wasser und sagte zu seiner Schwester: "Barbara, nur für dich alleine. Damit du auch auf der Insel ankommst und nicht auf den
Meeresboden sinkst." Barbara hüpfte gleich ins Wasser, schnappte sich den Rettungsring und rief: "He Leute, das Wasser ist so warm, kommt ihr? Wir veranstalten ein Wettschwimmen!" "Nein!", protestierte John. “Und wieso nicht?", wollte Uta verwundert wissen. "Na, die Haie sind noch nicht da!" Alle grinsten, nur Uta nicht. "Schluss mit dem Blödsinn!", verlangte Henry barsch. "Schwimmt lieber schon mal zur Insel. Wir werden das Boot noch sicher verankern." Nach einer Weile waren John, Uta, Barbara, Jürgen und Vivian auf der Insel angekommen. Henry und Christian ließen das Beiboot zu Wasser, nachdem sie alles, was sie brauchten,
darin verfrachtet hatten. Henry sagte noch zu Christian, er solle schon mal ins Boot einsteigen. Er wolle eben noch nachschauen, ob die Yacht gut gesichert sei. Christian rief ihm zu: "Henry, beeile dich mal ein bisschen, die anderen stehen schon alle am Strand und warten!" Aber Henry meinte ganz locker: "Lass sie mal warten, ohne uns werden sie eh nicht weiter gehen!" Jürgen rief zu den beiden rüber: "Vergesst bloß nicht die Buschmesser. Ich hab mich schon mal ein paar Meter umgesehen. Hier kommen wir ohne sie nicht weiter ins Inselinnere." "Henry, hast du gehört? Bring die Macheten mit. Jürgen sagt gerade, dass wir ohne die hier nicht weiter kommen!"
"Christian, die habe ich schon mit ins Boot verfrachtet", erwiderte Henry und kletterte endlich ins Beiboot. "Dann wollen wir die anderen nicht länger mehr warten lassen." Schon nach kurzer Zeit waren alle auf der Insel. Die Männer trugen das Beiboot ein ganzes Stück an Land, sodass sie leichter an ihre Sachen ran kamen. Dann meinte Henry: "Es ist wohl besser, meine Damen, das Badeoutfit gegen lange Hosen und Stiefel zu tauschen. Wer weiß, was alles im Gestrüpp kreucht und fleucht." Christian, der von Natur aus ein offener Typ war, wirkte jetzt in sich gekehrt. Er holte sich eine Machete aus dem Beiboot und schritt auf das Unterholz zu. "So, Leute",
meinte Christian, "wir müssen diesen Dschungel überwinden, um ins Innere der Insel zu kommen. Wir haben zwar noch Proviant, doch so gut wie kein Trinkwasser mehr. Es gilt also so schnell wie möglich eine Quelle zu finden." Henry verteilte die Aufgaben: "Vivian, du kümmerst dich um die Arztkoffer. Pass auf den Kram bloß gut auf, du bist mir dafür verantwortlich. Wir werden die bestimmt noch brauchen. John, der Proviant ist für uns lebenswichtig. Den übernehmen du und deine Schwester! Christian, du bleibst an der Spitze und Jürgen wird dir helfen. Ihr seid die Geschicktesten und könnt bestimmt auch gut mit den Macheten umgehen. Versucht
euch durch´s Unterholz zu schlagen. Barbara und ich bilden dann das Schlusslicht und nehmen den Rest der Sachen mit!"
KAPITEL 4:
DER FUßMARSCH
Es stellte sich bald heraus, dass das Buschwerk das kleinere Problem war. Viel schlimmer waren die Moskitos. Jetzt, wo die Sonne schon ziemlich tief stand, wurde das unangenehme, hohe Summen immer intensiver. Diese ausgehungerten Blutsauger schienen wohl überall zu sein. Und es wurde deutlich, dass die Gruppe für eine solche - man konnte es fast als "Expedition"
bezeichnen - nicht richtig ausgerüstet war. Vivian suchte in den Arztkoffern nach Mückenspray oder Ähnlichem. Leider fand sie nichts dergleichen. Sie sahen sich alle ein wenig betreten an, da meldete sich völlig überraschend Barbara zu Wort. Sie erklärte den anderen, in ihrer Jugendzeit viele Bücher über Botanik und über Wald und Natur gelesen zu haben, weil sie das Thema sehr faszinierte. In einem dieser Fachbücher wurde eine Pflanze beschrieben, die, wenn man ihre Blätter zerrieb und den so gewonnenen Saft auf die Haut auftrug, vor Insektenstichen schützte. Diese Pflanze war auch abgebildet gewesen und Barbara zeigte auf einen Strauch mit
fleischigen Blättern. "Die sieht genauso aus wie in dem Buch." Uta ging sofort los, um einige Blätter zu pflücken. Aber als sie gerade die Hand nach einem Blatt ausstreckte, erstarrte sie. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet. Dann bückte sie sich und hob etwas auf: Eine leere Bierdose! Die Dose sah noch recht neu aus. Sie hielt die Nase über die Öffnung und konnte das Bier noch riechen. Barbara konnte sich das Lachen nicht verkneifen: "Oh Mann! Das habe ich allerdings noch nie gelesen, dass Pflanzen auf Bier stehen." "Aber ich!", meinte John, "und klauen können sie auch. Ich hatte einen kleinen Vorrat in meiner Kabine. Das war wohl meine
letzte Dose. Ich habe sie aus Frust weggekickt. Sorry, Uta, ich wollte dich nicht so erschrecken!" "John, du Spaßvogel!", lachte Barbara und pflückte schon ein paar Blätter von der Staude. "Halt", rief Vivian, "nicht gleich damit einschmieren. Erst mal testen, wie man darauf reagiert. Wer weiß, was das überhaupt ist!" "Genau", stimmte Henry zu, "wir sollten hier auf der Insel sowieso etwas umsichtiger sein!" In diesem Augenblick rief Jürgen: "Können wir jetzt los? Seid ihr fertig mit euren Kosmetiktipps, Mädels? Ich hab das Zeug schon längst drauf, es kühlt und ich sehe noch normal aus!" Nach etwa zwei Stunden erreichten sie eine Art Lichtung.
Jürgen, der den Weg frei gehauen hatte, ließ sich erschöpft auf den Boden fallen, sah die anderen an und meinte lapidar: "Auf´s Geratewohl einfach durch´s Gebüsch zu laufen, bringt doch nichts." Alle sahen sich an und man konnte deutlich erkennen, dass sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht hatten. In das allgemeine Grübeln hinein ertönte Jürgens Stimme erneut. "Hier ist ein etwas höherer Baum. Ich werde versuchen, hinaufzuklettern. Von oben kann man mehr von der Umgebung sehen und vielleicht gibt es hier in der Nähe einen Wasserlauf oder eine Quelle." "Lass mich das lieber machen, im Klettern bin ich ganz gut", schlug John
vor. Wenig später sahen alle zu, als er den Baum hinauf kletterte. Es war nicht ganz einfach, er rutschte immer wieder ab. John rief gerade, dass er auf der südlichen Seite der Insel einen Felsvorsprung sähe. "Mir scheint, als ob Wasser…", setzte er an, dann ertönte ein Schrei. John hatte den Halt verloren, versuchte sich noch krampfhaft festzuhalten, aber es gelang ihm nicht. Er schlug hart auf und lag mit verzerrtem Gesicht am Boden. Man sah gleich, dass er sich wohl den Arm gebrochen hatte. Jedenfalls sah der so verdreht aus."Vivian, bring den Koffer!", sagte Jürgen mit fester, ruhiger Stimme. Beide liefen schnell zu John. Die anderen
starrten währenddessen nur geschockt zu der Stelle, an der John lag. "Welcher Tag ist heute?", wollte Vivian wissen. John antwortete. "Mittwoch! Und aus der Felswand kommt Wasser, ich sah es! Vielleicht haben wir Glück, dass in der Nähe eine Quelle ist, denn das Wasser will ja ins Meer." Vivian begann ganz vorsichtig, den Arm zu untersuchen. Sie wollte wissen, ob er außerdem noch irgendwo Schmerzen hätte. "Nein, es ist nur der Arm, aber das reicht ja auch, oder?" John war leicht angesäuert, kein Wunder bei den Schmerzen. "Zum Glück ist es kein offener Bruch und es scheint sich auch nichts verschoben zu haben. Wenn wir den Unterarm mit einer
Schiene fixieren und dir etwas gegen die Schmerzen geben, müsste es gehen."
KAPITEL 5:
DIE SUCHE NACH TRINKWASSER
Jürgen blickte in die Runde und dann zum Himmel: "Leute, heute können wir nicht mehr weiter. In spätestens einer Stunde ist es dunkel. Lasst uns hier für die Nacht ein Lager aufbauen. Denkt bitte daran, dass unser Trinkwasser sehr knapp ist. Ihr braucht euch also nicht vor dem Essen die Hände zu waschen". Henry schaute ihn an und meinte: "Du hast Nerven, du kannst immer noch scherzen." Ein erbärmliches Stöhnen riss alle aus ihren Gedanken. Es war
natürlich John, der nicht etwa eine Schmerz-attacke hatte. Nein, sondern eine alte männliche Angewohnheit, durch Stöhnen die Aufmerksamkeit zu erregen, kam bei ihm voll durch. Er fühlte sich nicht so beachtet, wie er es in seiner Situation für selbstverständlich hielt. Hatte er doch heldenhaft den Baum bestiegen! Die Freunde waren aber mit anderen Dingen beschäftigt. Sie brauchten ein Feuer, schon wegen der Insekten und um ein wenig die Furcht vor dem Unbekannten in Grenzen zu halten, die in jedem von ihnen - wenn auch nur ansatzweise - steckte. Für ein Feuer brauchte man Holz. Sie schwärmten also aus, um im letzten Licht
des Tages nach Brennbarem zu suchen. Urplötzlich durchbrach ein gellender Schrei die Stille. Es war Vivian, die ihn ausgestoßen hatte. Und schon hielt Vivian ihre linke Hand: "Mich hat was gebissen! Es brennt so furchtbar!" Henry war schon bei ihr und sah, dass sie verletzt, aber doch nicht gebissen worden war, denn die Wunde blutete zu stark für einen Biss. Barbara legte Vivian rasch einen Druckverband an: "Kannst du schauen, woran Vivian sich so verletzt hat, Jürgen? Sei aber vorsichtig, ja!" "Was sonst? Wo war es denn genau? Dort?" Mit einem Stock bewaffnet verschwand Jürgen im Gebüsch, dann hörte man einen blechernen Ton. Eine
alte, total verrostete Dose kam zum Vorschein. "Was haben wir denn hier? Oh, es gibt Cornedbeef oder es gab es vor vielen Jahren. Nach der Prägung zu urteilen, liegt die schon an die fünfdreißig Jahre hier!", stellte Jürgen fest. "Und was ist das? Schau mal, Henry! Das ist doch nicht etwa ein...?" "So", meinte Barbara, "ich habe Vivian versorgt und ihr auch eine Tetanusspritze gegeben. Die Wunde ist doch recht tief. Zum Glück blutete sie, sodass sie sich selbst reinigen konnte. Jürgen, was habt ihr noch gefunden?" Sie bekam aber keine Antwort. Uta, die sich bis jetzt bewusst zurückgehalten hatte und dies auch weiterhin tun wollte, bewunderte
Jürgen insgeheim, der mit der rostigen Dose in der Hand mehr zu sich selbst als zu den anderen sagte: "Verdammte Killerinsel! Wenn das so weitergeht und jeden Tag etwas passiert, dann sind wir in einer Woche ein Lazarett!“ Jürgen blickte zu Uta. Sie wollte wegsehen, aber seine graublauen Augen schienen sie zu hypnotisieren. "Komm zu mir, Uta. Hilf mir bitte mit dem Feuer. Und pass diskret ein wenig auf Vivian auf. Sie scheint mit ihren Nerven ziemlich fertig zu sein.“ "Mache ich!“, versprach Uta. Als das Feuer brannte und sie sich auf die Nacht vorbereiteten, ging Jürgen zu Uta und erklärte ihr, dass er den Vollmond nutzen wollte. Er gäbe genügend Licht, um die
Umgebung etwas genauer zu erkunden, damit sie morgen früh nicht irgendwelche bösen Überraschungen erleben und wieder einer von ihnen zu Schaden kommen würde. Schließlich waren John und Vivian schon zwei Verletzte zu viel.
Kapitel 6:
UNHEIMLICHE NACHT
Uta flüsterte: "Warte Jürgen, ich komme mit!“ Schnell verschwanden die beiden in der Dunkelheit. Schon nach kurzer Zeit hörten sie das Plätschern von Wasser. Doch da war noch ein Geräusch, das sie aufhorchen ließ. Es war ein Schaben und eine Art Grunzen. Dann sahen sie es: Ein Wildschwein! Und noch
etwas nahm Jürgen wahr, einen Speer, der aus der Dunkelheit auf das Schwein zuflog und es nur knapp verfehlte. Daraufhin verschwand es laut quiekend im Gebüsch. Da war aber noch ein anderes, undefinierbares Geräusch aus der Richtung zu hören, aus der der Speer geflogen war. Uta zupfte an Jürgens Jacke: "Komm, lass uns schnell zurück gehen! Wer weiß, was hier auf der Insel noch alles lauert!" Als sie zurück am Lagerplatz waren, schliefen zum Glück alle tief und ruhig. Während die beiden sich über die seltsamen Umstände unterhielten, die ihre Reise mit sich gebracht hatte, hielten sie den Rest der Nacht noch Wache. Dabei achteten die
beiden auf jedes kleinste Geräusch. Sie fragten sich, wie es überhaupt zu dieser Reise gekommen war, dass Tom von der Fahrt zurückgetreten und Jürgen dazu gekommen war, was die Muttermale, die Tom und Henry an der gleichen Stelle im Nacken hatten, bedeuteten und wer wohl Henry niedergeschlagen hatte. Uta warf ein: "Was ich auch sehr komisch finde, ist das Medaillon, das Henry in der Hand hatte und genauso, dass er wusste, aus welcher Richtung man die Insel anfahren musste." Mitten in diesen Gesprächen bemerkten sie nicht, dass der Morgen schon angebrochen war. Jürgen hörte Uta nur noch mit einen Ohr zu. Ihn beschäftigte immer noch dieser Speer,
den jemand geworfen hatte. Das ändert jetzt alles, dachte er. Wäre dieser Unbekannte uns freundlich gesonnen, hätte er sich längst zu erkennen gegeben. Dass er es nicht getan hatte, machte Jürgen sehr nachdenklich und er wusste, dass sie sich in Gefahr befanden. Jetzt ging es darum, den anderen die neue Lage zu erklären und das so, dass keiner von ihnen in Panik ausbrach. Denn das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten. Er war immer noch mit den Gedanken bei der letzten Nacht, als Uta ihn anschubste. "Du siehst nicht gut aus, Jürgen." "Ja, du hast Recht. Ich fühle mich auch kotzübel, Uta. Komm, die anderen sind alle schon fit." Henry sah
sie zuerst. "Mensch, wie seht ihr denn aus?" "Ja“, meinte Uta, "wenn ihr das Gleiche erlebt hättet wie wir heute Nacht, säht ihr auch nicht besser aus." "Was war denn? Lasst euch nicht bitten!“ In kurzen Sätzen hatten sie ihnen das Wichtigste erzählt. Henry hatte die Situation als erster begriffen und fragte: "Was meinst du, Jürgen, findet ihr den Weg von letzter Nacht wieder?" Alle wirkten ein wenig ängstlich, als sie die Tragweite der letzen Geschehnisse richtig wahr genommen hatten. Jeder hing den eigenen Gedanken nach. Kein Wunder! Es war nicht angenehm zu wissen, dass da ein Unbekannter auf der Insel war, der sie vielleicht jetzt - in
diesem Augenblick - beobachtete. Wie so oft in letzter Zeit ergriff Jürgen die Initiative. Er erhob ein wenig seine Stimme, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und erklärte ihnen, dass das Wichtigste im Moment sei, dass keiner die Gruppe weiter als auf Sichtweite verließ. "Noch etwas", sagte Jürgen. Gespannt sahen sie ihn an: "Wir haben gestern Nacht tatsächlich Wasser plätschern gehört. Aber jetzt haben wir in der Hektik gar nicht bemerkt, dass sich der Himmel verdunkelt hat. In Kürze wird es hier wie aus Eimern schütten. Nehmt rasch eure Sachen auf. Wir müssen noch vor dem Regen den Felsvorsprung erreichen, den John
gesehen hat." So als wolle die Natur die Gruppe antreiben, fegte der erste Wind über sie hinweg. Zum Glück lichtete sich jetzt das dichte Unterholz und sie kamen schneller voran. Leider nicht schnell genug. Urplötzlich war das Unwetter über ihnen, es stürmte unaufhörlich. Sie waren schon durchnässt bis auf die Haut, bevor sie den Felsvorsprung erreicht hatten. Dort war auch die Quelle, die Jürgen und Uta in der Nacht gehört hatten. Der Felsvorsprung entpuppte sich als eine Höhle und aus dem Unwetter war ein Orkan geworden. So etwas hatten sie noch nicht erlebt. Der Sturm trieb die Regenmassen vor sich her, sodass sie das Gefühl hatten, die Welt würde
untergehen. Total durchnässt, missmutig, hungrig und erschöpft drängten sie sich in die Höhle und kauerten sich in der Runde auf den Boden. Sie vermieden es, sich anzusehen, wohl wissend, dass in ihrer Situation ein einziges Wort genügte, um einen Streit vom Zaun zu brechen. Christian schaute sich in der Höhle um und sagte mit leiser Stimme: "Leute, wir müssen irgendwie ein Feuer anmachen und die nassen Klamotten ausziehen." Sein Blick erfasste Vivian, die zitternd in einer Ecke kauerte. Sie blickte auf, sah Christian an und in ihren Augen war nackte Angst: "Womit, Christian, sollen wir ein Feuer machen? Sag es uns. Womit, Christian?" Ihre
Stimme wurde schriller und jetzt schrie sie Christian an. Die anderen drängten sich enger zusammen. Nur Jürgen, der sich scheinbar mit solchen Situationen auskannte, blieb ruhig. Er ging auf Vivian zu, murmelte so etwas wie: "Es tut mir leid!" Und dann nahm Jürgen die weinende Vivian in den Arm. Er hielt sie fest, strich ihr übers Haar und langsam beruhigte sie sich. Mit verweinten Augen sah Vivian Jürgen an, der aber auch die anderen aufmerksam beobachtete. Sie standen noch immer wie angewurzelt auf ihren Plätzen beieinander und waren sehr betroffen von Vivians Nervenzusammenbruch. Vertrauens erweckende Züge huschten über Jürgens
Gesicht. Er nahm Vivian an die Hand und sagte zu ihr so laut, dass es alle hören konnten: "Wir gehen jetzt tiefer in die Höhle. Vielleicht finden wir etwas Brennbares an." "Etwa diese Steinen hier?", Vivian begann hysterisch zu lachen. Ihre Nerven lagen blank. Schaurig klang das Echo von den Wänden.
Kapitel 7:
DAS GEHEIMNIS DER HÖHLE
Vorsichtig gingen alle zusammen in die Höhle hinein, aufmerksam, alle Sinne angespannt. Vivian drückte sich an Jürgen, der einen Arm um sie gelegt hatte. So gingen sie zögernd weiter.
Plötzlich blieb Jürgen stehen, weil vor ihm in der Dunkelheit ein schwacher Lichtstrahl zu sehen war. In dieser gespenstigen Situation erklang eine raue Stimme, die sagte: "Ihr seid in jeder Hinsicht weit genug in die Hölle gegangen." Das Licht kam näher, die Höhle wurde heller. Jetzt sahen sie einen Mann, langhaarig und bärtig. Er trat auf sie zu, verneigte sich ein wenig linkisch vor Vivian, sah Jürgen an und fragte: "Was wollt ihr hier?" Zu Vivian gewandt, meinte er: "Du siehst ja wirklich krank aus, hast du etwa Fieber?" Im gleichen Moment stellte Jürgen fest, dass sich Vivian richtig heiß anfühlte und zitterte. Er antwortete an ihrer Stelle: "Ja, sie hat
hohes Fieber!" Der Fremde ging auf Vivian zu. Im diesem Augenblick sackte sie lautlos in sich zusammen. Schnell entnahm er dem Lederbeutel, den er an der Seite trug, etwas Dunkles, kaute darauf herum und schob es Vivian in den Mund. Henry schrie ihn an: "Sag mal, spinnst du? Das ist ja ekelhaft! Warum hast Du das gemacht?" Die Antwort kam prompt: "Das ist ein fiebersenkendes Kraut!" Der Mann schaute mitleidig in die Runde und stellte eine zweite Öllampe mit den Worten auf den Boden: "Hier habt ihr erstmal Licht. Und nun seht zu, dass ihr ein Feuer anmacht. Ihr habt ja klatschnasse Klamotten an. Trocknet sie und wärmt euch auf, sonst
gibt es hier noch mehr Kranke. Dort hinten ist trockenes Holz. Davon könnt ihr euch nehmen, was ihr braucht!" Nun beugte er sich über Vivian, entfernte sofort den Verband und sah sich die verletzte Hand genauer an. Was sie alle da sahen, war wirklich nichts für schwache Nerven. Die Wunde war sehr stark entzündet. Wahrscheinlich war es eine Blutvergiftung, ganz bestimmt sogar! Alle Symptome sprachen dafür, Vivian hatte Schüttelfrost. Nun war guter Rat teuer. "Dass dieses Kraut da noch was bringt, das glaube ich nicht", meinte Henry, "aber wir probieren es mal, vielleicht geht das Fieber zurück." "Ihr solltet euch erst mal ein Feuer machen!"
"Ja, er hat recht, sonst werden wir noch kränker in diesen nassen Sachen", bestätigte Henry. So langsam hatten sich alle wieder unter Kontrolle. Henry machte sich auf den Weg, um tiefer in die Höhle zu gelangen. Er keine Wahl hatte und musste den Worten des Fremdens, dass dort trockenes Holz wäre, vertrauen. Der Alte schaute Henry argwöhnisch nach. "So, das reicht, das Holz liegt auf der anderen Seite der Höhle. Eins stelle ich gleich mal klar: Ihr könnt im vorderen Teil der Höhle bleiben, solange, bis der Sturm vorbei ist. Das kann eine Weile dauern. Aber jeder, der meint, weiter in die Höhle zu müssen, der wird es bereuen. Ihr habt da
nichts zu suchen! Mehr kann ich für euch nicht tun! Wenn das Unwetter vorbei ist, dann geht ihr wieder dorthin, wo ihr hergekommen seid. Aber die junge Frau tut mir leid, sie bräuchte ärztliche Hilfe und sollte so schnell wie möglich in ein Krankenhaus." Henry kam jetzt wieder mit Holz zurück. Er machte sich sofort daran, ein Feuer zu entfachen und es brannte gleich beim ersten Versuch. "Endlich ein wenig Wärme", atmete Barbara auf, "damit unsere nassen Klamotten trocknen." Jeder war jetzt mit sich selbst beschäftigt. Niemand bemerkte deshalb, wie der Alte verschwand, so still und leise wie er gekommen war. Barbara sah als erste,
dass der seltsame Bewohner dieser Insel seinen Beutel liegen gelassen hatte. Sie nahm ihn auf und schaute vorsichtig hinein. "Ach, Leute, hier ist was Essbares drin! Getrocknetes Fleisch und was weiß ich noch alles!" Mit dem Beutel in der Hand setzte sie sich zu den anderen ans Feuer. Ihnen allen sah man die Erleichterung an. Endlich was zu essen! John äußerte sich mit Ironie in der Stimme: "Was wollen wir noch mehr? Feuer haben wir und was zum Essen haben wir auch. Jetzt noch zwei Gipsbinden und die Welt wäre halbwegs in Ordnung, wenn ich diese höllischen Schmerzen nicht hätte. Ich glaube, mein Bruch hat sich verschoben. Ist noch
Morphium im Koffer?" Aus der Richtung, wo Vivian lag, erklang ein klägliches Stimmchen: "Ja, noch fünf Ampullen müssten da sein! Und ich habe einen riesigen Durst. Habt ihr noch Wasser für mich?" Jürgen gab Uta ein Zeichen, nahm seine Regenjacke und sie verließen die Höhle. Sie breiteten zusammen die Jacke aus, die im Nu mit Quellwasser gefüllt war und gingen damit zurück. Christian warnte sie eindringlich, das Wasser aus der Quelle einfach so zu trinken. "Wir sollten es mit Wasseraufbereitungs-Tabletten steril machen. Wer weiß, woher das Wasser wirklich kommt. Es könnte nicht in Ordnung sein. Doch um die Tabletten wirkungsvoll einzusetzen zu
können, brauchen wir einen größeren Behälter." "Ich gehe jetzt weiter in die Höhle hinein!", tat Jürgen mit einem bestimmenden Ton kund, "ich werde mir diesen unfreundlichen Alten zur Brust nehmen. Er wird uns wohl helfen müssen, ob er will oder nicht." Ohne weitere Kommentare von den anderen abzuwarten, schnappte er sich die Petroleumlampe und ging tiefer in die Höhle hinein.
Kapitel 8:
DER HÖHLENBEWOHNER
Jürgen tastete sich vorsichtig weiter in das Höhleninnere vor. Er zweifelte immer mehr an sich selbst, weil er
merkte, dass jener Jürgen, der er einst gewesen war, wieder in ihm hoch kam. Jener Wilde, Unbeherrschte, der keinem Konflikt aus dem Weg gegangen war, der seine Probleme immer alle ausgefochten hatte. Jürgen hatte genug. Er blieb einfach stehen und sagte nicht mal laut: "Komm, zeig dich, du Feigling. Ich weiß, dass du hier bist." Nicht weit von ihm hörte er jetzt den Fremden atmen. "Komm schon!", Jürgens Stimme klang richtig zornig, "du hast uns kommen sehen, dich versteckt. Sicher bist du auch ein Knastbruder. Doch das ist mir jetzt sowas von egal. Du musst uns helfen! Wir haben zwei Freunde, denen es schlecht geht. Auch sonst brauchen wir
deine Hilfe und ein paar Dinge. Also, zeige dich!" "Da bin ich. Warum Feigling? Warum nennst du mich einen Feigling? Der bin ich wirklich nicht. Also überlege dir gut, was du sagst!" "Warum bist du dann so einfach wieder verschwunden?", fragte Jürgen. Er wollte seinem Gegenüber zeigen, dass er keine Angst vor ihm hatte. Das gelang ihm sehr gut. "Ich will hier meine Ruhe haben, so wie seit Jahren", sagte der Alte, "und mehr kann ich für euch sowieso nicht tun. Also verlasst meine Insel so bald wie möglich!" Jürgen merkte, dass sein Gegenüber sehr menschenscheu war und die Dunkelheit bevorzugte. Wie lange er wohl sein Leben hier schon fristete? Der
Höhlenbewohner fragte mit einem seltsamen Unterton in der Stimme: "Was wollt ihr eigentlich auf meiner Insel?" "Deine Insel? Wieso deine Insel?" Der Alte antwortete mit Nachdruck: "Ja, meine Insel!" "Ach, was soll es", murmelte er dann und zündete ein Feuer an. Im Nu war er sichtbar. Jürgen schaute sich in der Höhle um. Er sah alles Mögliche, was ein Mensch zum Überleben brauchte. Doch bevor Jürgen das Gespräch fortsetzen konnte, hörten die beiden Männer Barbara rufen: "Jürgen, ist alles in Ordnung?" "Ja klar, alles okay! Ich komme. Bleib dort, wo du bist!" Dann wandte sich Jürgen wieder an den Bärtigen. "So, was ist?", meinte
Jürgen, "kannst du uns weiter helfen?" Er zeigte nach hinten und sagte: "Wir könnten zum Beispiel dieses Fass sehr gut gebrauchen!" "Was willst du damit machen?" Anstatt zu antworten, stellte Jürgen wieder eine Frage: "Sag mal, wie heißt du eigentlich?" Jürgen machte zwei Schritte auf ihn zu und streckt ihm die Hand entgegen: "Ich heiße Jürgen." Im selben Augenblick sah Jürgen ein Amulett an ihm, das er nur zu gut kannte. "Du starrst mich ja an, als ob hinter mir noch ein Monster steht! Übrigens, ich heiße Howard." Howard? Howard?, dachte Jürgen, irgendwie sagt mir der Name was. Ich habe den doch schon in einem anderen Zusammenhang gehört.
Das Amulett... Ja, das hatte er auch schon gesehen und er wußte auch, wo. Er beschloss, dass er Howard einfach fragen musste, wie er zu dem Amulett gekommen war. Das ließ ihm nun keine Ruhe mehr. Howard ergriff Jürgens Hand und sagte: "Ich bin schon sehr lange auf der Insel. Ich weiß gar nicht mehr, seit wann. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren." "Aber wie ich sehe, hast du es dir hier ja sehr gemütlich gemacht und hast alles, was man so für ein einfaches Leben auf einer Insel braucht", stellte fest Jürgen, "und darum bist du auch wahrscheinlich so sehr menschenscheu geworden, weil du schon so lange hier alleine lebst." Während des Gesprächs
fand Jürgen Howard immer sympathischer und fragte sich, wie es möglich war, dass Howard nicht durchgedreht war, wo er doch so lange allein auf dieser Insel lebte. "Hallo Jürgen, wo bleibst du? Kann ich dir helfen?", hörte er Barbara erneut. Als Howard jetzt Barbaras Stimme hörte, zuckte er merklich zusammen. Etwas zu hastig drehte er sich um. Er sah über die Schulter noch mal zurück, sagte zu Jürgen, er solle das nehmen, was sie bräuchten und verschwand eilig in der Dunkelheit. Mist, dachte Jürgen, ausgerechnet jetzt muss Barbara sich bemerkbar machen. Aber nun kann ich Howards Reaktionen auf unser
Erscheinen auf dieser Insel besser verstehen. Das Leben schien zurzeit nur aus unvorhergesehenen Einzelheiten zu bestehen, die keinen Zusammenhang ergaben.
Kapitel 9:
DIE GLEICHEN AMULETTE
Etwas atemlos kam Barbara bei Jürgen an, sah sich um und bemerkte, dass er allein da stand. Sie wollte ihn fragen, warum es so lange gedauert hatte, blickte aber in Jürgens Augen und ließ es lieber sein. Irgendetwas war in seinem Gesichtsausdruck, das ihr nicht behagte. Ja, sogar eine Art Unsicherheit beschlich sie. Ihre Gedanken schlugen
Purzelbäume. Sie fragte sich, was wohl in ihn gefahren war. Sie konnte ja nicht wissen, dass Jürgen gerade dieses Medaillon gesehen hatte. Sonst wäre ihr klar gewesen, warum er so irritiert schaute. Ihm war regelrecht die Luft weggeblieben. Er sah die gleiche Gravur auf dem Amulett, das Howard an sich trug, in Barbaras Genick. Er hatte gewusst, dass seine Schwester sich aus einer Laune heraus vor Jahren dieses Tattoo hatte stechen lassen, dachte aber schon lange nicht mehr daran. Jetzt konnte Jürgen auch Howards Flucht nachvollziehen. Er mußte das Tattoo bei Barbara gesehen haben. Als Jürgen sich wieder einigermaßen gefangen hatte,
sprach er: "Gut, Barbara, dass du nachgekommen bist. Nimmst du gleich mal das leere Fass da hinten? Das ist ja nicht schwer. Und ich nehme noch das mit, was wir am Nötigsten brauchen. Howard hat es uns erlaubt." "Wer?" "Ja, der Fremde heißt Howard." Also packten die Geschwister alles zusammen und machten sich auf den Weg zurück in den vorderen Teil der Höhle. Dort warteten alle schon gespannt auf ihre Rückkehr. Jürgen setzte sich ans Feuer und sagte: "So, Leute, wir sollten jetzt mal alle Klartext reden, denn mich beschleicht so langsam ein ganz mulmiges Gefühl. Hier stimmt so einiges nicht. Warum sind wir eigentlich auf dieser Insel? Hat jemand
eine Erklärung dafür?" An Henry gewandt, meinte er: "Sag mal, Henry, wie kommst du denn in unsere Gruppe? Du passt vom Alter her ja überhaupt nicht zu uns. Eher wohl mehr zu dem Inselbewohner! Übrigens, er heißt Howard! Und noch etwas, Henry! Warum hast du ausgerechnet diese Insel angesteuert? Wieso kanntest du dich hier so gut aus? Du wusstest genau, dass man nur an der nördlichen Seite der Insel anlegen kann. Und gib mir bitte mal das Medaillon, das du nach dem Überfall in der Hand hattest." Dass Henry Jürgen das Medaillon nicht gleich gab, war egal, denn Jürgen war schon bei Barbara: "Sorry, Schwesterchen, darf ich mal?"
Jürgen packte sie an der Schulter und fragte: "Seit wann genau hast du eigentlich dieses interessante Tattoo im Genick? Was für eine Bedeutung hat es für dich?" Und schon schob er ihre Haare beiseite. Alle konnten es jetzt gut sehen und verstanden nun auch Jürgens Aufregung. Barbara sagte verärgert: "Was soll das denn?" Gerade nahm Henry wortlos die Kette mit dem Amulett aus seiner Brusttasche und meinte verblüfft: "Das gibts doch nicht!" Er trat ganz nah hinter Barbara, verglich das Amulett mit dem Tattoo in ihrem Nacken und fragte Jürgen: "Wie heißt der Fremde in der Höhle, sagtest du Howard?" Jürgen ignorierte die Frage. Er erhob die
Stimme, denn er war jetzt richtig in Rage: "Ich habe heute das gleiche Symbol zum dritten Mal gesehen. Das bei dir, Barbara, das kannte ich ja. Es hatte bis jetzt nur keine Bedeutung für mich. Dann, Henry, auf dem Amulett, das du nach dem nächtlichen Überfall in der Hand hattest. Und ich sah das gleiche soeben in der Höhle wieder." Er nahm Henry den Anhänger aus der Hand, reichte ihn in die Gruppe und meinte: "Das Zeichen gleicht diesem wie ein Ei dem anderen." Christian schaute Jürgen ganz verwundert an und fragte: "Jetzt erzähl doch mal, Jürgen!" John warf ein: "Genau, also raus mit der Sprache!“ "Na“, sagte Jürgen, "das soll uns dann
doch mal der Henry erklären. Der sollte wohl mehr darüber wissen." "Ja, mach mal, Henry! Laß uns nicht so zappeln. Schließlich sind wir alle davon betroffen!“, meinte nun auch Barbara und fuhr fort: "Meines habe ich zu Roberts Geburt stechen lassen, aus Liebe zu seinem Vater." Stockend fing Henry an zu berichten: "Ich muss hierbei viele Jahre weit in die Vergangenheit zurückgreifen. Was ich euch darüber erzählen kann, ist auch nicht so viel. Mir ist noch vieles rätselhaft. Ich war schon mal auf dieser Insel und ich wollte unbedingt noch mal hierher, um endlich meine Vergangenheit aufarbeiten zu können", sprach Henry, "aber zu dieser
Reise wurde ich genauso wie ihr eingeladen." "Schön, dass du uns das auch mal sagst. Und du setzt dabei unser aller Leben auf´s Spiel? Das darf doch nicht wahr sein!", meinte Jürgen zornig." "Also, sei doch nicht gleich so aufgebracht! Ich werde euch erzählen, was ich weiß und ihr könnt mir dabei alle ein wenig helfen", erwiderte Henry, "wie gesagt, war ich hier
schon mal." Er sprach weiter: "Ihr müsst wissen, wir sind eine sehr reiche, angesehene Familie mit einem eigenen Wappen. Und das", er zeigte auf das Medaillon, "ist unser Familien-Wappen. Worüber ich mir noch nicht ganz im Klaren bin, ist, Barbara, wieso trägst du
dasselbe Zeichen?" Und der Fremde wohl auch, dachte Henry laut. "Da muss es doch eine Antwort drauf geben. Das kann doch kein Zufall sein!", vernahmen nun alle Vivian klägliche Stimme, denn sie war immer noch vom Fieber geschwächt. "Ganz bestimmt nicht!", meinte sie abschließend. "Wir müssen das jetzt herausfinden", sagte Henry sehr ernst, "und das werden wir auch! Das, was ich noch weiß, liegt sehr viele Jahre zurück. Also, mein Zwillingsbruder, seine Frau mit den beiden Buben und ich planten eine Schiffsreise in die Karibik. Im Normalfall waren unsere Eltern und die Schwiegereltern meines Bruders immer mit von der Partie. Nur dieses Mal waren
sie nicht mit dabei. Denn mein Vater erholte sich von einer großen OP. nur langsam und meine Mutter wollte nicht ohne ihn mit. Howards Schwiegereltern waren daraufhin lieber mit Freunden in Südafrika auf eine Safari. So sind wir also alleine losgesegelt. In der Nacht überraschte uns ein heftiger Sturm, der uns genau auf diese Insel verschlug. Wir hatten großes Glück, dass wir mit dem Leben davon gekommen waren, denn unser Schiff hatte so manches abbekommen. Das einzig Gute an der Sache war bei diesem Unglück, dass mein Bruder Howard bei der Navy gewesen war, als Kapitän zur See. Er verstand viel vom Schiffsbau und behielt
immer die Nerven." Jürgen musste sich richtig zusammennehmen, um Henry nicht zu unterbrechen. Aber er konnte sich nicht verkneifen, zu ihm zu sagen: "Henry, jetzt kommt endlich mal zur Sache!"
Kapitel 10:
SPURLOS VERSCHWUNDEN
Allen merkte man die Anspannung an. "Ja, ja, nur mal langsam", meinte Henry, "ich begreife es ja bis heute selbst nicht, was damals geschehen ist. Wir fanden durch Zufall diese Höhle und konnten uns so vor dem schrecklichen Sturm schützen. Als alles vorüber war, machte sich mein Bruder an die Arbeit, um das
Schiff wieder seetauglich zu kriegen." Henry starrte gedankenverloren zu Barbara hinüber und schwieg. Utas laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: "Ja, und was weiter? Erzähl!" "Ja, wie soll ich das jetzt so erklären?
Wir sassen schon einen Monat fest.
Kein Funkkontakt, kein Mensch wusste, wo wir waren! Wir waren einfach von der Welt abgeschnitten. Ich weiss bis heute noch nicht einmal, ob in dieser Gegend nach uns gesucht wurde oder wo sie uns überhaupt vermuteten. Wir waren ohne bestimmtes Ziel auf´s Geratewohl losgefahren." Henry verstummte erneut. "Was? Sag schon!", rief John ungehalten.
In diesem Moment sah er, dass Henrys Augen glasig geworden waren und es tat ihm leid, dass er ihn so barsch von der Seite angemacht hatte. Henry räusperte sich und redete weiter: "Ja, als ich an diesem verfluchten Tag wach wurde, waren mein Bruder, meine Schwägerin und auch einer meiner Neffen spurlos verschwunden. Nur der Neffe, der neben mir schlief, war noch da. Ich habe zwei Tage lang meinen Bruder und seine Familie verzweifelt auf der ganzen Insel gesucht."
(Das, was niemand von ihnen wissen konnte, war, dass Henry bewusst log und einen Teil davon, was in dieser Nacht
wirklich geschehen war, verschwieg.)
"Dann ging ich mit dem Kleinen auf´s Schiff und kam mehr schlecht als recht irgendwann nachts in einem fremden Hafen an. Sofort telefonierte ich mit meinem Vater. Er meinte, ich solle mich ruhig verhalten, er würde mit unseren Anwälten sprechen und mir dann Bescheid geben. Vater sagte, dass ich ihn nach einer Stunde wieder anrufen sollte, bis dahin wüsste er mehr. Ich solle auf keinen Fall auffallen, mich am besten unsichtbar machen. Eine Stunde später rief ich ihn an. Die Anwälte meiner Familie waren zu dem Entschluss gekommen, dass es das Beste wäre,
meines Bruders Familie als verschollen zu melden. Meinem Vater würde es gerade noch fehlen, dass die Polizei und das Auswärtige Amt in den Familienangelegenheiten herumschnüffelten, wegen seiner Verbindungen mit der Politik. Und wer weiss, in welche Machenschaften er noch verwickelt war. Er entschied, dass es besser sei, wenn manches nicht ans Licht kommt. Ich wäre nicht mit meinem Bruder auf dieser Reise gewesen, sondern hätte mich im Auftrag der Familie im Ausland aufgehalten und sollte nun unverhofft heimkehren. Ich sollte so tun, als ob ich von allem nichts wüsste und dass ich von diesem Drama
erst nach meiner Rückkehr erfahren hätte. So lauteten Vaters Befehle und es war besser für mich, sich seinen Wünschen unterzuordnen. Was war ich doch für ein erbärmlicher Feigling, dass ich mich nicht gegen Vaters Lügen und Intrigen gestellt habe. Ich kann bis heute nicht begreifen, warum ich damals das alles tat, sogar meinen kleinen Neffen auszusetzen..."
Kapitel 11:
AUSGESETZT
Uta fragte ganz aufgelöst: "Was ist mit dem Jungen? Wo ist er? Wie alt war er damals genau?" Henry schaute verschämt nach unten: "Ich mag es gar nicht sagen.
Aber ich habe den Kleinen, er war gerade vier geworden, vor einer Hafenkneipe abgelegt." "Vor einer Spelunke?", schrie Barbara entsetzt. "Ja", sagte Henry schuldbewusst, "ich hatte meine Befehle von Vater. Dem durfte man nicht widersprechen. Er erlaubte kein eigenes Denken oder Handeln, von Gefühlen ganz zu schweigen! Also wartete ich, bis es dunkel wurde und bis der Kleine tief und fest schlief. Dann legte ich ihn mit einer Decke vor einer Kneipe ab. Ich nahm mein Amulett und hängte es dem Kleinen um seinen Hals. Und dann reiste ich wieder in meine Heimat auf unseren Landsitz zurück." (Henry hatte aber nur die halbe Wahrheit erzählt.) Nach diesen
Eröffnungen waren alle sprachlos. Jeder versuchte, seine Gedanken zu sortieren, um sich ein eigenes Bild zu machen von dem, was er gerade gehört hatte. John hatte sich als erster wieder gefangen und schaute Barbara erwartungsvoll an. Aber noch bevor er etwas sagen konnte, drehte sich Barbara zur Gruppe um und meinte: "Ja, ich weiß, dass ich euch jetzt auch erzählen muss, wie ich zu dem Tattoo gekommen bin." "Ja", sprach Vivian, "jetzt tu mal nicht so geheimnisvoll!" "Ich habe euch ja schon gesagt, dass ich einmal in einen Jungen verliebt war und im Grunde immer noch bin. Als ich zehn Jahre alt war, Jürgen ist drei Jahre älter, haben wir unsere Eltern bei einem
Autounfall verloren. Wir kamen zu verschiedenen Pflegeeltern und so wurden wir getrennt." "Ja, aber was hat das mit deinem Tattoo auf sich?", warf Christian in die Runde. Barbara sah ihn verärgert an und meinte: "Kann ich weiter erzählen?" "Ja, mach schon", murmelte er. "Ich lebte also fünf Jahre bei den Pflegeeltern. Von meinem Bruder habe ich in der Zeit nie mehr etwas gehört. Mit fünfzehn wurden die Pflegeeltern nicht mehr mit mir fertig, deshalb kam ich in ein Waisenhaus. Dort traf ich meinen Bruder wieder. Unsere Freude war riesengroß." "Ja, und wie", lachte Jürgen und sah seine Schwester liebevoll an. "Komm zu Sache", sagte
jetzt auch Henry. "Ja, ich komme ja schon zum Schluss. Mein Bruder hing immer mit einem Tom ab. Ich habe mich gleich in ihn verguckt. Dieser Tom hatte eine Kette mit einem Anhänger um. Das war diese Gravur. Wir trafen uns hin und wieder und dabei hängte er mir immer sein Amulett um den Hals. Aus Liebe zu Tom ließ ich mir das Tattoo stechen. Aber die Liebe war nur von kurzer Dauer. Weil Tom und mein Bruder volljährig waren, mussten sie das Waisenhaus verlassen. Tom war weg und ich war schwanger. Ja, ich habe einen 17-jährigen Sohn. Er ist mein Ein und Alles."
Kapitel 12:
WEITREICHENDE MACHT
Barbara hatte vorher schon erwähnt, dass sie das Tattoo zur Geburt von Robert stechen gelassen hatte. Jetzt mischte sich auch Uta in das Gespräch mit ein: "Was? Du hast einen Sohn? Das habe ich gar nicht mitbekommen! Und, kennt er seinen Vater? Hat er nie nach ihm gefragt?" "Wir kommen auch so ganz gut klar, erwiderte Barbara. "Das Gefühl kenne ich auch, ohne Vater aufzuwachsen. Ich kenne ihn bis heute nicht. Es wird ein großes Geheimnis draus gemacht", warf John ein. "Wie heißt denn dein Sohn?", hörte man Henry fragen. "Sein Name ist Robert und er ist
ein sehr anständiger, junger Mann. Ich bin sehr stolz auf ihn." "Also, ich würde meinen Vater ganz gerne kennen lernen und werde auch alles dransetzen, ihn zu finden! Er kann ja nicht vom Erdboden verschwunden sein." "Hast du denn einen Anhaltspunkt, Uta?", fragte Henry. "Ich weiß nur, dass meine Mutter ein paar Jahre in England gearbeitet hat. Vor meinem Studium, bevor ich nach Amerika ging, hat sie mir das erzählt", antwortete Uta, "und ich glaube, dort sind meine Wurzeln. Ich habe schon immer sowas vermutet." "Das, was mich jetzt so stutzig macht, ist die Tatsache, dass Henry auch aus England kommt. Oder sind das hier alles nur Zufälle?",
meinte Barbara. "Wie heißt du denn eigentlich? Wenn du schon so eine angesehene Familie hast, hat sie dann doch bestimmt auch einen schönen, klangvollen Namen?", fragte jetzt John. "Mein Vater war Sir Edward of Dettbourgh, ein sehr angesehener Mann aus altem Adelsgeschlecht", sprach Henry. "Dettbourgh? Das sagt mir auch was. Mir ist, als hätte ich diesen Namen schon mal irgendwo gehört - im Zusammenhang mit meiner Mutter. Wenn mich nicht alles täuscht, hat sie bei den Dettbourghs als Hausmädchen gearbeitet. Das war vor meiner Zeit!", sagte Uta ganz aufgeregt. "Sag mal, Henry, hast du denn Kinder?", wollte Christian nun
wissen. "Nein", antwortete Henry, "ich habe mit der Frau, die ich heiraten musste, keine Kinder! Aber Kinder habe ich. Ich weiß nur nicht, wo sie sind. Der Junge war damals zwei und ich habe gehört, dass ich noch ein Mädchen bekommen haben soll." Alle schauten Henry erwartungsvoll an und er meinte: "Ja, ist schon gut, ich erzähle euch alles! Ich war damals verlobt, sie hieß Judith. Für meinen Vater war Judith nicht aus gutem Hause. Ich durfte sie nicht ehelichen, sondern musste mich von ihr trennen. Vielmehr gesagt, sie war eines Morgens nicht mehr auf unserem Anwesen zu finden. Ich habe Detektive engagiert, um Judith zu suchen. Ohne
Erfolg! Ich weiß genau, da hatte mein Vater die Hände im Spiel. Ihr habt gehört, was ich mit meinem Neffen machen musste. So war das damals. Sir Edward hat dafür gesorgt, dass sie aus England verschwand. Alles andere haben seine Anwälte geregelt. Für mich wurde danach eine Ehe mit Fiona von Haysenberg arrangiert." Nun mischte sich zum ersten Mal Vivian ins Gespräch ein: "Wie hieß diese Frau, deine große Liebe? Sagtest du Judith?"
Kapitel 13:
ZUR ADOPTION FREIGEGEBEN
Christian stand ein wenig abseits. Er spürte, dass er irgendwie nicht
dazugehörte. Er war nur der Skipper, ein notwendiges Übel sozusagen. Da er erst vor kurzem das Rauchen aufgegeben hatte, war er innerlich nervös und ein wenig unduldsam. Er wandte sich ab und verließ die Gruppe, denn er wollte und musste eine Weile allein sein. Schon deshalb, um, durch die Gespräche der anderen animiert, über sein Leben nachzudenken. Die Erinnerung an seine Jugendliebe ergriff ihn, die schnell entflammt und noch schneller erkaltet war. Christian stellte wieder mal fest, dass noch so viel Zeit vergehen konnte, es tat immer noch weh. Und es würde auch immer weh tun. Seine Gedanken gingen weiter in die Kindheit zurück.
Seine Mutter hatte ihn mit acht Tagen einem jungen Paar zur Pflege überlassen und schließlich zur Adoption frei gegeben. Er dachte an den brutalen, jähzornigen Stiefvater, der ihn und auch seine Ziehmutter schlug und demütigte. Sie war eine liebevolle Frau, die er vergötterte, die aber nicht den Mut hatte, sich gegen ihren gewalttätigen Mann aufzulehnen. Christian dachte daran, wie froh er gewesen war, als er eine Lehrstelle als Koch bekommen hatte und dadurch von zu Hause weg konnte. Sobald es möglich war, hatte er jene Stadt verlassen, die ihn geprägt hatte. Er war kräftig, vorsichtig und misstrauisch, er hatte schon so manches erlebt. Er
hatte schon seit Längerem bemerkt, dass er nicht der Typ Mann war, der bodenständig sein und etwas aufbauen wollte. Nein, er wollte die Welt sehen und die Welt auch ihn. In jener Zeit standen einem jungen Mann im wahrsten Sinne des Wortes alle Türen offen. Die beste Möglichkeit, aus seinem Dilemma zu entkommen, war zur See zu fahren. Als Smutje war es für ihn überhaupt kein Problem, auf einem Schiff anzuheuern. Damals hatte er gemerkt, dass es eine wunderbare Sache war, von etwas zu träumen, ein Ziel zu haben und einen Traum zu verwirklichen. Doch dass sich mancher Traum als Albtraum entpuppte, konnte er nicht erahnen. Er hatte zwölf
bis achtzehn Stunden täglich gearbeitet und nur in jedem zweiten Hafen konnte er an Land gehen. Viel hatte man nicht unternehmen können. Die Zeit hatte er meist in Bars verbracht, Bordell-besuche mit eingeschlossen. Irgendwann hatte er eine große Leere in sich verspürt. Er heuerte ab und versuchte sein Glück an Land. Anfangs schien es zu funktionieren. Er fand eine gute Stelle und lernte die große Liebe seines Lebens kennen. Christian schnürte es immer noch den Hals zu, wenn diese Erinnerungen in ihm hoch kamen. Seine große Liebe war bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Das hatte ihn vollkommen aus der Bahn
geworfen. Irgendwann fand er sich in der Fremdenlegion wieder. Dass alles seinen Sinn im Leben hatte, merkte er, als er eines Tages einen älteren Mann davor bewahrte, von Jugendlichen ausgeraubt zu werden. Der alte Herr, der mehrere Yachten besaß, bot ihm aus Dankbarkeit eine Lehrstelle an und so lernte er das Skippern von der Picke auf. Er machte alle nötigen Patente und als der Besitzer zu alt wurde, übernahm er dessen privaten Marina. Nun saß er hier und dachte über sein Leben nach. Auf dem Rückweg zur Höhle hörte er, dass die Diskussion immer lauter wurde. Leider ging es im Moment nicht um die Sache, sondern um persönliche Eitelkeiten.
Muss das sein?, dachte er und ging zur Gruppe zurück.
Kapitel 14:
GEFÜHLE PUR
Christian sah in die Runde und sagte: "Wir brauchen etwas zu essen. Wer versucht mit mir, unseren Speiseplan aufzupeppen? Ich habe in der Höhle eine Angelrute gesehen. Wer geht mit mir runter zum Meer, angeln?" Alle waren so sehr in das Gespräch zwischen John und Henry vertieft, dass sie nicht wahrnahmen, was Christian fragte. Er nahm ohne weitere Worte das Angelzeug an sich und verließ die Höhle. Nach kurzer Zeit sagte Uta leise: "Ich muss
mal an die frische Luft!" Das wurde genau so wenig zur Kenntnis genommen, wie vorher Christians Fragen. Schon war Uta aus der Höhle und sah gerade noch, wie Christian hinter einem Felsvorsprung verschwand. Uta schlich ihm nach und musste sich dabei eingestehen, dass sie ihn schon die ganze Zeit sehr faszinierend fand und sich eigentlich schon von Anfang an zu ihm hingezogen gefühlt hatte. In der vergangenen Nacht hatte sie sich heimlich gewünscht, er würde sie vor dem Sturm beschützen und sie würde sich in seinen Armen sicher und geborgen fühlen. Während sie ihm weiter folgte, kamen noch so manche Gefühle in ihr hoch. Christian hatte sie
schon längst bemerkt, tat aber so, als wäre er allein unterwegs. Er balancierte auf dem Felsvorsprung weiter abwärts .Auf einmal rutschte er ab und es sah aus, als würde er in die Tiefe stürzen. Uta erschrak heftig. Nicht schon wieder, dachte sie, wir haben weiss Gott schon genügend Verletzte. Sie eilte zu der Stelle, wo Christian verschwunden war. Als sie dort ankam, sah sie Christian bewegungslos unten liegen. Aber so tief war der Fall doch gar nicht! Sie kletterte schnell zu dem Verunglückten, um ihm zu helfen, sah aber keine äußeren Verletzungen. Als Christian nicht reagierte, beugte sich Uta tief über ihn, um zu spüren, ob er atmete. In diesem
Augenblick umfassten sie zwei starke Arme und ihr Mund wurde von Christians Lippen verschlossen, bevor sie irgendetwas sagen konnte. Sie ließ es einfach geschehen und dann erwiderte sie den Kuss. Die Gefühle der beiden fuhren Achterbahn. Was konnte es in diesem Augenblick Schöneres geben als Sonne, Sand und Meer und zwei Menschen, die sich endlich gefunden hatten? Keiner der beiden konnte die Hände vom anderen lassen. Was dann geschah, sah nur die Sonne und die schwieg. Uta und Christian vergaßen Zeit und Raum und alles um sich herum, bis die Stimme von John sie aus ihrer Zweisamkeit zurück holte. Die anderen waren nun auch alle
dazu gekommen und schauten die beiden fragend an. John sagte recht ungehalten zu seiner Schwester: "Was macht ihr denn hier? Wir haben uns Sorgen gemacht. Wieso habt ihr nicht Bescheid gesagt, wenn ihr euch von der Gruppe trennt?" "Das haben wir doch, aber ihr habt nicht zugehört. Ihr ward so in eure Gespräche vertieft. Aber schön, dass ihr jetzt hier seid, denn ich wollte Christian gerade einige Fragen beantworten."
Kapitel 15:
UTAS KINDHEIT
Als alle sich wieder beruhigt hatten, fragte Christian: "Uta, sag mal, dein Bruder war ganz erstaunt, als Henry den
Namen Judith nannte. Heisst eure Mutter so?" "Ja, sie heißt so! Und wo ihr jetzt alle schon mal hier seid, könnt ihr gleich ein paar Stationen aus meinem Leben erfahren. Einiges habe ich selbst erst vor einem Jahr erfahren. Also, ich bin Englischlehrerin mit Schwerpunkt auf deutsch-englischer Geschichte!" Vivian unterbrach sie: "Schön und gut, aber wo bist du eigentlich geboren und aufgewachsen?" "Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Ich bin im Süden von Brasilien geboren und aufgewachsen. Genauer gesagt, auf einer Tabakplantage in Santa Cruz. Das ist eine Universitätsstadt im Tal von Rio Pardo. Ich hatte eine sehr schöne Kindheit und
eine unbeschwerte Jugend, bis vor einem Jahr mein Leben total umgekrempelt wurde, und das nicht nur, weil unser Vater starb. Ich habe erfahren, dass er gar nicht mein leiblicher Vater war!" Henry fragte ganz neugierig: "Weißt du denn jetzt, wer dein Vater ist?" "Nein, meine Mutter sagte nur, dass mein Ursprung und der meines Bruders in England seien." John verzog sein Gesicht und wandte sich an Uta: "Kannst du dich noch an den dünnen Vorarbeiter erinnern?" "Ja, warum fragst du? Das war schon ein sehr seltsamer Vogel. Ich mochte ihn überhaupt nicht!" "Ich weiss, Schwesterchen. Erinnere Dich! Als er tot war, habe ich doch seine Bude
ausgeräumt und seine Habseligkeiten eingelagert. Du wirst es nicht glauben, was ich dort unter seinen Papieren gefunden habe. Briefe, die regelmäßig aus England kamen! Einen habe ich sogar gelesen. In diesem Brief wurde was über Judith und ihren Sohn geschr..." John schwieg auf einmal. "Ja, und weiter", drängte Barbara. "Nichts weiter, denn der Brief war zerrissen. Ich habe dem keine Bedeutung beigemessen und habe alles nur zusammengeräumt. Bis zum heutigen Tage habe ich keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Aber wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich allem auf den Grund gehen, auch die Briefe suchen und lesen. Jetzt verstehe ich so einiges."
Uta fuhr fort: "Als wir vor sechs Wochen den Brief erhielten, in dem wir zu dieser Schiffsreise eingeladen wurden, erzählte mir meine Mutter, dass sie damals als junges Mädchen in England in Diensten stand, bei der Familie des Lord Edward of Dettbourgh." Vivian ging rasch auf Henry zu und sagte zu ihm: "Hast du einen Geist gesehen? Du bist so was von blass! Setz dich mal, bevor du umfällst!" Vivian fühlte seinen Puls und stellte fest: "Mein Gott, was ist denn los? Dein Herz rast ja!" Henry erwiderte mit Mühe: "Ist schon in Ordnung, Vivian! Mir geht´s gut!" Dabei schaute er die ganze Zeit Uta und John an. Uta ging zu Henry, der sich auf einen Stein gesetzt hatte, nahm seine
Hand, schaute ihn an und sagte: "Denkst Du auch, was ich denke?" Henry antwortete gar nichts, er war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Kapitel 16:
DIE WAHRHEIT KOMMT ANS LICHT
Henry saß da - kalkweiß und mit versteinerter Miene. Er erinnerte sich an ein Erlebnis aus früherer Zeit, nämlich in seines Vaters Arbeitszimmer, an dessen heiligem Sekretär, an den niemand, wirklich niemand, Hand anlegen durfte. Aber nach Lord Edwards Tod hatte Henry so manche Schubladen und Türen aufgebrochen, weil es schien, dass sein Vater wohl die Schlüssel des Sekretärs
mit ins Grab genommen hatte. Was Henry dort alles fand, war ungeheuerlich. Dass sein Vater eine solche Macht besessen hatte, das konnte er damals erst langsam begreifen und einordnen. Nun hörte er Utas Stimme, die weiter erzählte: "Während meines Studiums habe ich auch zwei Jahre in England verbracht. Als ich wieder nach Hause kam, verliebte ich mich an der Universität Estadual do Centro-Oeste in einen Kollegen. Mit ihm war ich acht Jahre verheiratet." Jürgen meinte: "Und, hast Du Kinder?" Uta meinte: "Nein, leider nicht. Und daran ist unsere Ehe auch gescheitert, was ich damals sehr bedauert habe. Mein Mann hat gleich wieder geheiratet und hat jetzt
vier Kinder!" Henry wandte sich an Udo und fragte: "Wie alt bist du? Wann bist du eigentlich geboren?" "Ich werde Siebenunddreißig", erklärte Udo. Auf die zweite Frage blieb er Henry die Antwort schuldig. "Bei mir gibt´s nicht viel zu erzählen. Ich habe Agrar-Wissenschaften studiert und habe schon von Kindesbeinen an auf der Plantage meines Vaters gearbeitet und sie auch übernommen. Ich muss mich jetzt verbessern, bei meinem Adoptivvater. Für mich gab es aber keinen besseren Vater, er war perfekt. Ich konnte zu ihm aufschauen und er war immer für mich und Uta da." "Da hast du recht, Bruderherz!" John schaute jetzt Vivian
an und sprach weiter: "Ja, Vivian, ich weiß! Tausend Mal verliebt, ein Mal verlobt, kein Mal verheiratet und nicht geschieden!" Vivian wollte noch mehr wissen: "Und wie viele Kinder?" Uta lachte und meinte: "Na, Bruderherz, das ist wohl noch nicht bekannt! Wir werden es erfahren! Aber lasst uns jetzt wieder zurück gehen, wir müssen heute noch was Essbares organisieren." Gesagt, getan! Die ganze Gruppe war jetzt fest entschlossen, etwas Essbares aufzutreiben, denn der Hunger war doch bei allen schon ganz schön groß. "Das hatte ich ja eigentlich vor", erklärte Christian, "es hörte ja keiner auf mich. Also jetzt ab zum Fische fangen oder
eine Meerjungfrau! Was auch immer!" Uta knuffte ihn in die Seite und meinte: "Haha, das hättest du wohl gerne!" "Wer denn nicht?", sagte Jürgen. Barbara wandte sich an Jürgen: "Wenn wir schon bei den Wahrheiten sind, was hast du noch gefunden außer dieser alten Dose, an der sich Vivian verletzt hat?" In diesem Augenblick ging Henry auf Barbara zu und zeigte ihr einen Teil eines SOS-Armbandes mit der Namensaufschrift Dettbourgh. "Was? Das! Das ist ja nicht zu fassen! Was ist das?" "Das ist ein medizinisches SOS-Armband. So was haben die Zwillinge meines Bruders getragen, weil in unserer Familie eine Blutkrankheit vorhanden
ist."
Kapitel 17:
ÜBERRASCHUNGEN
"Wo ist denn dieser Howard abgeblieben, der kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben", sprach Uta. Henry steuerte zielstrebig auf die Höhle zu: "Jetzt macht schon, lasst uns mal schauen. Er kann nur in der Höhle sein. Mal sehen, was es hier noch alles für Überraschungen gibt. Ich bin auf alles gefasst!" In der Höhle war es nicht gerade hell, aber umso stickiger. Man musste schon aufpassen, um sich hier zurecht zu finden. Vivian verschwand in einem Seitengang. Dann rief sie laut vor
Entzücken: "Oh, schaut mal, was hier ist! Hier sind einige Dosen, die sind noch nicht mal geöffnet!“ "Warte, ich komme!", hörte Vivian Henry sagen, "wir schauen gleich mal, was du da entdeckt hast." Es waren wirklich Dosen, die Lebensmittel enthielten. Keiner konnte es begreifen, noch dazu, weil alle mit neuerem Haltbarkeitsdatum versehen und somit noch lange zum Verzehr geeignet waren. "Das ist ja wie im Schlaraffenland!", rief John total begeistert, "aber wo mögen die denn her sein? Ist ja unglaublich!" "Es ist hier einfach alles sehr dubios. Wir müssen jetzt erst einmal nach Howard suchen. Der kann uns das bestimmt alles
erklären. Aber er ist ja nicht gerade redselig", warf jetzt Henry ein, "doch ohne ihn kommen wir hier nicht weiter." "Können wir nicht erst mal ein paar Dosen öffnen? Ich habe furchtbar großen Hunger!", meinte Vivian. "Nix da, wir haben alle Hunger. Erst mal suchen wir weiter nach Howard. Oh je, die Höhle ist riesig “, bemerkte Henry, "wir müssen weiter rein." "Vielleicht stoßen wir am Ende noch auf eine Goldader?" "Jürgen, lass deine Scherze. Einer angelt nach Meerjungfrauen und du willst als Goldgräber in die Geschichte eingehen. Typisch Männer!", meine Uta. Weit und breit war kein Howard zu sehen, nur in der Ferne schimmerte es etwas heller.
Was konnte das sein? Langsam tastete sich die ganze Gruppe weiter in Richtung des Lichtes. Jeder musste auf sich selbst achten, damit er keinen verkehrten Schritt machte, weil der Boden sehr zerklüftet war. Es hätte gerade noch gefehlt, sich in der Dunkelheit ein Bein zu brechen. Es waren noch viele Schritt nötig bis zum scheinbaren Ausgang dieser Höhle. Allein hätte man sich dort glatt verlaufen können. "Alle hinter mir bleiben!", rief Henry, "wir gehen weiter in Richtung Licht. Sieht so aus, als ob das ein zweiter Eingang wäre!" Als sie endlich im Freien waren, standen sie auf einem kleinen, liebevoll gepflegten Fleckchen Erde, auf dem zwei
aufgeschüttete Hügel mit Holzkreuzen zu sehen waren. Henry sackte vor den Gräbern auf die Knie und flüsterte: "Oh Howard, verzeih mir. Was hast du erlitten! Verzeih mir!" Christian trat zu Henry, berührte ihn an der Schulter und sagte: "Glaubst du, das sind die Gräber von deinem Neffen und deiner Schwägerin?" Henry nickte stumm und verbarg sein Gesicht in den Händen. Keiner sagte mehr ein Wort, weil alle mit den Tränen kämpften.
Kapitel 18:
HOWARDS ERINNERUNGEN
Howard hörte die Gruppe, laut genug waren sie allemal. Aber seine Gedanken
waren in der Vergangenheit. Er fühlte sich in eine Zeit zurück versetzt, von der er den Eindruck hatte, sie würde eine Ewigkeit zurückliegen. In eine Zeit, in der er und ein paar Nachbars-Jungs begannen, die Welt zu entdecken, die Weiten des südlichen Englands. Doch fast im gleichen Augenblick verdunkelten sich Howards Züge. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater ihn ständig darauf hingewiesen hatte, wie ernst und pflichtbewusst sein Zwillingsbruder wäre und was er selbst für ein Paradebeispiel an Verantwortungslosigkeit darstellte und somit eine Schande für die Familie war. Was Sir Edward nicht ahnte, war, dass
Howard wusste, was im Testament stand. Denn er hatte es schwarz auf weiß lesen können, als sein Vater einmal für einen Augenblick sein Büro verlassen musste, nämlich -, dass sein um einige Minuten älterer Zwillingsbruder Henry der Alleinerbe des gesamten Vermögens und der Titel sowie aller Ländereien der Dettbourghs war und Howard selbst sich dann mit einer monatlichen Apanage zufrieden geben musste. So beschloss er schon als junger Mann, dem Ganzen aus dem Weg zu gehen und in die Kriegsmarine einzutreten. Howard konnte sich noch daran erinnern, wie er regelmäßig seine Privatlehrer zur Verzweiflung gebracht hatte. Nicht, weil
er das zu lernende Pensum nicht schaffte, nein, er hatte eine sehr gute Auffassungsgabe und einen wachen Verstand. Doch er ließ sich von allem und jedem viel zu leicht ablenken. So war er, Howard, freiheitsliebend und der ewige Lausbub, der, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, nach der Devise "Ich bin nicht dazu geboren, um so zu werden, wie ihr mich haben wollt" lebte. Deshalb wunderte sich halb England, als er freiwillig in die Royal Navy eintrat. Viele Mädchen blieben mit gebrochenen Herzen zurück. Nur der kaltherzige Sir Edward, wegen dem er eigentlich geflüchtet war, zeigte kein Bedauern. Es sah nun so aus, als ob Howard in der
Royal Navy die Bestimmung seines Daseins gefunden hätte, war sie doch eine Institution für´s Leben, auf die man sich berufen konnte. Man musste nur die Regeln - die geschriebenen und die ungeschriebenen - beherrschen. Im Dienst war er ein korrekter Captain zur See, außerhalb des Dienstes fand man ihn in den diversen Clubs. Er war ein guter Unterhalter und Spielpartner sowie einer wegen seiner absoluten Diskretion gefragter Liebhaber, von dem man hinter vorgehaltener Hand von seiner legendären Einfühlsamkeit bei Frauen und den damit einhergehenden Erfolgen bei denselben erzählte. Sein Leben wäre bis zu seiner Pensionierung so weiter
gegangen, wäre ihm nicht ein schwarzhaariges Etwas namens Roxanne über den Weg gelaufen. Dieses zauberhafte Geschöpf war eine Frau mit Klasse, in die er sich sofort Hals über Kopf verliebte, ohne Wenn und Aber. Ein Jahr später war er mit dieser Rassefrau verheiratet und es dauerte auch nicht lange und sie bekamen Zwillinge. Nun verlief sein Leben in geregelten familiären Bahnen. Er war einfach glücklich und zufrieden, so wie es war, bis sich sein Zwillingsbruder Henry verzweifelt und für Howard völlig überraschend bei ihm meldete.
Kapitel 19:
FAMILIEN ANGELEGENHEITEN
Mit diesem einen Anruf begann das ganze Übel für Howard, der eigentlich nichts anderes wollte, als mit seiner Familie ein ruhiges Leben zu führen. Ja, Howard wurde von seinem Vater zurück befohlen. Sein Großvater war gestorben und sein Vater kam mit den großen Ländereien nicht mehr zurecht, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte. Und weil auch sein Zwillingsbruder mit den Kräften am Ende war, beschloss Howard - nicht auf den väterlichen Befehl hin -, sondern seinem Bruder zuliebe, auf den Familienbesitz zurückzukehren. Henry war schon immer derjenige gewesen, der dem Vater nicht Paroli bieten konnte.
Unter diesen Umständen trat Howard aus der Royal Navy aus und kehrte mit den Kindern und seiner Frau auf das Landgut zurück, wo er einen Seitenflügel bezog. Nun war er gezwungen, sich mit den Familienangelegenheiten zu befassen. In der Bibliothek traf er am nächsten Vormittag seinen alten Herrn an. Es kam jedoch zwischen ihnen kein richtiges Gespräch zustande, sein Vater war so starrsinnig wie eh und je. Dann trat der Butler ein und bat zu Tisch. Damit rettete er Howard aus der prekären Situation. Nach vielen Jahren war dies das erste Mal, dass die Familie zusammen zu Mittag aß. Ganz verwundert fragte Howard seinen Bruder:
"Sag mal, wo steckt denn Judith? Ich dachte jetzt, dass ich sie und John hier antreffe." Bevor Henry antworten konnte, räusperte sich der alte Herr und sagte, dies sei kein Thema für ein Tischgespräch. Über gewisse Personen und deren Namen sollte hier in seiner Gegenwart und in seinem Haus nicht gesprochen werden. Howard war ganz irritiert und schaute seinen Bruder fragend an. Henry erwiderte leise: "Nach dem Essen treffen wir uns bei den Stallungen und machen zusammen einen Ausritt. Dann werde ich dir alles erklären." Nachdem die Brüder sich bei dem Pferden getroffen hatten, erklärte Henry: "Bruderherz, es gibt ja eigentlich
nicht viel zu erzählen. Denn ich weiß bis heute noch nicht, wo Judith mit meinen Kindern geblieben ist. Meinem Sohn John kennst du und als Judith weg war, habe ich durch den alten Williams erfahren, dass ich noch Vater einer Tochter geworden bin. Er hat zufällig ein Telefonat mitbekommen, wo sich unser Vater ganz entrüstet äußerte: "Was? Jetzt hat Henry auch noch eine Tochter! Das darf er nie erfahren!" Aber Williams hat mir das im Vertrauen erzählt. Vater hat dafür gesorgt, dass sie aus meinem Leben verschwanden. Du weisst ja, wen ich heiraten musste und du weißt auch, dass ich unseren alten Herrn hasse. Wenn Vater und seine Anwälte was in ihre
Hände nehmen, machen sie keine halben Sachen. Dass du dich gegen die Familie gestellt und dein Leben selbst bestimmt hast, indem du zur Navy gegangen bist, darum beneide ich dich!" Howard antworte: "Jetzt verstehe ich auch, dass du so alt und leer aussiehst. Hast du nie versucht, Judith zu finden?" "Doch", sagte Henry, "aber ohne jeglichen Erfolg! Du kennst doch unseren Vater. Was der macht, macht er richtig." Howard Gedanken passierten noch weiter Revue: Henrys Bestürzung darüber, dass sein Vater die Macht besessen hatte, seine beiden Kinder und seine wahre Liebe Judith aus dem Land zu verweisen, dann die arrangierte Heirat seines
Bruders, die zwar schon etwas länger zurücklag, aber nie eine harmonische Ehe geworden und kinderlos geblieben war. Howard erklärte damals seinem Bruder: "Ich bin froh, dass ich meinen eigenen Weg gegangen bin und Vater nichts von meiner Heirat und den Kindern wusste. Wer weiss, was er sich hätte einfallen lassen! Aber Henry, um dich und deine Judith tut es mir leid. Hätten wir doch früher über das Ganze gesprochen. Und was ist jetzt mit deiner erzwungenen Ehe?" "Sie hat nicht lange gehalten! Fiona geht ihre eigenen Wege. Wir sind zwar noch verheiratet, aber nur auf dem Papier." Als beide wieder zurück auf der Veranda waren, fragte Howard:
"Was meinst du, wollen wir in zwei Monaten eine Segeltour machen? Mit der ganzen Familie? Wir haben so viel zu bereden." Noch ganz in der Vergangenheit versunken, kam Howard lautlos aus der Höhle. Er ging langsam auf die Gruppe zu, mit leeren Augen und traurigem Gesicht. Er sah seinen Bruder vor den Gräbern knien. Durch ein Geräusch erschreckt, schaute Henry auf und erblickte plötzlich wie aus dem Nichts Tom neben seinem Vater stehen.
Kapitel 20:
ENDLICH GEFUNDEN
Sie starrten mich alle an, als ob ich ein Geist wäre. Ich sagte aber nur: "Kommt
bitte alle mit runter an den Strand. Ich habe viel zu erzählen und zu klären." Schweigend gingen wir durch die Höhle zurück, hinunter zur Bucht. Keiner wusste, was er von dieser Situation halten sollte. Als wir alle am Strand angekommen waren, sagte ich: "Es war ein langer Weg, bis ich meinen Vater hier auf dieser Insel fand. Nachdem ich gründlich recherchiert hatte, in welchem Waisenhaus ich als erstes war, habe ich alle Inseln abgefahren. So fand ich meinen Vater. Ich wollte ihn zu mir nehmen, aber er wollte das nicht. Er wollte hier bleiben, weil für ihn diese Insel zu seinem Zuhause geworden war und hier seine Familie begraben lag.
Sorry, aber erst einmal muss ich mich bei euch allen entschuldigen. Vivian, Mensch, das tut mir so leid, dass du dich so verletzt hast. Ihr müsst wissen, Vivian ist Ärztin. Ich hätte euch niemals auf diese Reise geschickt ohne ärztliche Versorgung. Und dir, Jürgen, muss ich nochmals danken. Ohne deine Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, dass wir uns jetzt alle hier auf der Insel befinden. Ich sollte wohl noch erwähnen, dass ich Jürgen vor sieben Jahren wieder getroffen habe. Es war ein reiner Glücksfall, dass du ausgerechnet bei meinem Adoptivvater einen Reiseführer in Auftrag gegeben hast. Und, sorry Onkel Henry, ich wollte dich nicht KO
schlagen. Ich dachte, ihr schlaft alle tief und fest, als ich an Bord kam, um die Lebensmittel mitgehen zu lassen. Schließlich solltet ihr keine andere Wahl haben, als auf die Insel zu kommen, um etwas Essbares zu suchen. Du Onkelchen, wusstest ja, dass es auf der Insel Früchte und Pflanzen zum Essen gibt." Barbara unterbrach - an Tom gerichtet: "Ich habe dich nicht erkannt mit Bart und Brille, Tom!" "Das war auch so gewollt, sonst wäre ja alles aufgeflogen", erwiderte Tom.
"Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr", meinte Uta, "bist du Tom, Henrys Neffe? Ist dann Howard dein leiblicher Vater?" "Ja Uta, so ist es! Ich bin in
verschiedenen Waisenhäusern aufgewachsen. Als ich fünfzehn war, kamen zwei Geschwister in das Heim, in dem ich seit zwei Jahren lebte. Sie hießen Barbara und Jürgen und wurden schnell meine besten Freunde. Barbara war und ist immer noch meine große Liebe. Als Jürgen und ich einundzwanzig waren, mussten wir das Waisenhaus verlassen und ich sah Barbara nie wieder. Auch Jürgen verlor ich aus den Augen, weil ich von einem bekannten Schriftstellerpaar und Verlagsbesitzern adoptiert wurde. Von da an ging es bei mir nur noch bergauf. Mein größtes Hobby wurde damals die Ahnenforschung. Denn in mir war der
Wunsch, etwas über meine Herkunft zu erfahren. Durch das Medaillon war ich immer neugierig zu erfahren, woher es stammte und woher ich komme. Studiert habe ich Journalismus und Medienwissenschaften und zwar in Europa. Dort habe ich noch längere Zeit verbracht, bis ich krank wurde und mein Adoptivvater mich nach Hause zurückholte. Die Ärzte stellten fest, dass ich eine angeborene Blutkrankheit habe, die Hämophilie. So erfuhr ich, dass diese Krankheit immer nur auf die männlichen Nachkommen vererbt wird. Eines Tages fiel mir ein Zeitungsartikel in die Hände, der berichtete, dass der alte Sir Edward of Dettbourgh verstorben war. Einer
seiner Söhne samt Familie galt seit Jahrzehnten als verschollen. Der Bericht erwähnte weiter, dass nur noch ein Sohn als Erbe lebte. Weitere Nachkommen dieses Adelsgeschlechts gäbe es nicht. Ging das mit rechten Dingen zu? Das in dem Bericht abgebildete Wappen der Familie war das gleiche wie das auf dem Anhänger meiner Kette. Das konnte wohl kein Zufall sein und so machte ich mich auf die Suche nach meiner Vergangenheit. Meine Adoptiveltern überstützten mich dabei von Anfang an auf jede erdenkliche Weise. So, das reicht mal fürs Erste. Aber eines möchte ich euch noch sagen. Ich fand mit der Zeit heraus, dass mein Onkel Henry zwei
Kinder hat, von denen er nicht wusste, wo sie aufgewachsen waren und wo sie lebten. Denn jeder Kontakt war rücksichtslos unterbunden worden. Ich habe auch meinen leiblichen Vater
gefunden, der seit sechsunddreißig Jahren verschollen war. Sogar Jürgen habe ich wieder gefunden und wir konnten in unserer Freundschaft wieder da anknüpfen, wo sie vor vielen Jahren geendet hatte. Ich sagte zu mir selbst: "Jetzt ist die Zeit gekommen, um alles ins rechte Licht zu rücken."
Kapitel 21:
DIE FAMILIE WIEDER VEREINT
"So erfuhr ich von Jürgen, dass Barbara
einen 17-jährigen Jungen mit Namen Robert hat. Wie´s aussieht, kann eigentlich nur ich sein Vater sein. Was noch zu erwähnen wäre, ist, dass ich durch meine Kenntnisse in der Ahnenforschung alle Verwandten von Lord of Dettbourgh gefunden habe. Daraufhin habe ich alle angeschrieben und - der Wahrheit und der Aufklärung wegen - zu dieser Fahrt eingeladen." In diesem Augenblick fing Uta an, heftig zu weinen, starrte Henry an und sagte ungläubig: "Dann bist du mein Pa!" Alle unterhielten sich nun über das, was sie gerade gehört hatten. Howards Gedanken kehrten währenddessen in die damalige Zeit zurück. Ihn schauderte innerlich, als
ihm seine Gefühle wieder bewusst wurden. Er war in der Höhle aufgewacht und sein Sohn und seine Frau lagen tot neben ihm. Er hatte dann die ganze Insel abgesucht, um seinen Bruder und Tom zu finden. Vergebens! Warum hatte er nicht eher bemerkt, dass die Yacht weg war? Hatte sie sich losgerissen, hatte sich das Meer seinen Bruder und Tom geholt? Oder lebten die Beiden noch und Henry war abgehauen, im Glauben, dass die Drei tot waren? Howard haderte völlig verzweifelt mit seinem Schicksal. Was sollte er ohne seine Familie, ohne seine Frau und seine Kinder tun? Ihn
widerte der Gedanke an, allein zu seinem alten Herrn zurückzukehren, den er in
seinem Schmerz für den Teufel in Person hielt. Nie hatte er ein warmes Gefühl oder Respekt und Zuneigung für ihn entwickeln können. Zwischen seinem Vater und ihm bestand keine zwischenmenschliche Beziehung, er wollte und hatte nie Kontakt mit ihm. Deshalb hielt er es damals für das Beste, auf der Insel zu bleiben. Diese Erinnerungen gingen Howard durch den Kopf, als in der Ferne ein Motorboot zu hören war. Die Geräusche kamen immer näher und alle anderen horchten ebenfalls auf. Ich sagte nun: "So, ich denke, jetzt ist es an der Zeit, dass wirklich alles geklärt wird über die letzten Sechsunddreißig Jahre
Vergangenheit der Familie Dettbourgh." Und zu Barbara gewandt, sagte ich: "Warum hast du mir nie erzählt, dass ich einen Sohn habe? Das Boot, das ihr hört, ist von meinem Adoptivvater. Er bringt die Presse mit. Alle Welt soll erfahren, was mein Großvater, der alte Lord of Dettbourgh, für ein Mensch war - ein Teufel in Menschengestalt! Wie er die Menschen verachtet und manipuliert hat! Es wird Zeit, dass unser Name wieder rein gewaschen wird und jetzt mit Stolz getragen werden kann. Alle Welt soll das endlich erfahren!“ Ich drehte mich noch mal zu Barbara um und sprach weiter: "Robert ist auch auf dem Boot, Barbara!" In diesem Augenblick konnte auch
Barbara ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. John fragte hoffnungsvoll: "Sag mal, Tom, dann bist du ja unser Cousin?" Henry kam dazu, schaute Uta und John an und schluckte schwer. Er blieb stumm, ging auf die beiden zu und nahm sie einfach in seine Arme. Jetzt brach es aus ihm heraus: "Dann seid ihr meine Kinder! Ich habe euch gefunden! Wir haben uns gefunden!" Howard stand etwas abseits. Er konnte sein Glück nicht fassen: Sein Sohn, sein Bruder, seine ganze Familie war bei ihm. Endlich konnte er diese Insel verlassen - mit seiner Familie.
von Bärbel Bö
alias lachmal