Wenn Schmetterlinge weinen
... dann so sagt man, spürst du ihre Tränen als Regentropfen auf deinem Gesicht.
Einst erblühte an einem Rosenstock eine zarte kleine Knospe. An kalten Tagen hielt sie sich versteckt, als wenn sie Kräfte sammeln wollte für all die Tage, an denen sie sich ihrer Schönheit bewusst werden würde.
Doch die Zeit stand nicht still und die Tage wurden wärmer. Die Sonne spendete Kraft und Wärme. Die
Rosenknospe drehte sich dem Sonnenlicht entgegen und öffnete ihre Blütenblätter.
Einem kleinen Schmetterling entging ihr Streben nach Wärme nicht. Zaghaft näherte er sich der jungen Rosenblüte. Er umschwirrte sie, vorsichtig nur, denn er wollte sie nicht bedrängen.
Aus der Ferne zog es den Schmetterling immer wieder zur Rosenblüte, die mit jedem Tag mutiger wurde und ihre Blütenblätter reckte.
Des Schmetterlings Flügel schimmerten im Licht der Sonne. Schön und stolz sah er aus und doch so zerbrechlich. Er erhob sich in die Lüfte, hoch hinaus in die Freiheit, denn er kannte keine Grenzen, die ihn banden an nur einen Ort, wie die Rosenblüte, die still im Abendlicht der Sonne
weilte.
Die stolze junge Rose sah oft dem Schmetterling hinterher. Träumte sich zu ihm, sie wollte genau so frei sein, wie er. Doch was wusste sie von ihm, Sie sah ihn fast jeden Tag, die Flügel noch schwer von der Nässe der Nacht. Sie sah ihm zu, wie er die anderen umschwirrte und sich an süßem Nektar stärkte für den Tag und bewunderte den stolzen Schmetterling.
Eines Tages ließ sich der Schmetterling auf des Rose's zarter Blüte nieder. Wie ein Wunder kam es der Rose vor. Hatte sie es sich doch lange schon gewünscht, den stolzen Schmetterling
zu spüren und ihm von ihrem Nektar zu geben.
Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, nicht um des Stolzes willen, nicht um des Namens willen.
Es war eine vollkommene Verbundenheit zwischen Ihnen, so dachte sich die Rose und blühte vollends auf. Sie genoss jeden Tag, den sie gemeinsam verbrachten, jede Stunde, in der sie sich miteinander in der lauen Abendluft sanft
wiegten.
Der Schmetterling freute sich auf jeden Tag, doch bald spürte er etwas in der Nähe seines Herzens, was ihn unruhig werden ließ. Und er wusste, was es war. Was würde sein, wenn sich der Sommer seinem Ende entgegen neigt, was, wenn die Tage wieder kälter würden und sich der Jahreskreis schließen würde? Es gab soviel ungesagte Worte und ungelebte Träume, doch er wollte sich nicht von der Rose trennen müssen.
Die Rose verstand den Schmetterling. Seine Unruhe erfasste auch sie, hat sie
doch nie die Freiheit des Schmetterlings erleben können. Sie war eingebunden im Kreis der Ihrigen, wartend auf den Tag, an dem ihre Blütenblätter fallen würden. Es tat ihr weh, niemals dem Schmetterling folgen zu können, hoch in die Lüfte,
dorthin, wo man Träume leben kann.