Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs
steht.
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Die Sonne stand mittlerweile bereits tief am Himmel und tauchte endlosen Felder und Wiesen um sie herum in rotes Licht. Das Land hier war flach wie ein Spiegel und Kellvian hatte das Gefühl, Meilenweit sehen zu können. Ab und an flogen einige Vögel aus den Getreidefeldern auf und verschwanden am Himmel und einige vereinzelte Rinder und Schafe standen auf den Wiesen. Trotzdem schien so spät am Tag niemand mehr hier draußen zu sein. Aber hinter einem kleinen Wald stiegen vereinzelte dünne Rauchfäden in die
Luft. Es war nicht mehr weit. Jiy hatte während des ganzen Weges seit sie den Fluss verlassen hatten geschwiegen und kaum auf seine Fragen reagiert. Auf eine Art konnte Kell das verstehen. Sie hatte sich dagegen entschieden ihn in eine Falle laufen zu lassen. Und auf eine Art war er nicht nur froh darum, noch am Leben zu sein. Er hatte sich nicht in ihr getäuscht. Aber was das für die Gejarn bedeutete… ,, Ich wollte dir nur noch einmal danken.“ , sagte Kell. ,, Danken ?“ Sie schüttelte den Kopf. ,, Ich wüsste nicht wofür.“ Kell zuckte mit den Schultern. ,, Sieh es mal so. Ohne deine Warnung wäre ich
vielleicht so oder so über den Fluss gegangen. Ob du dabei gewesen wärst oder nicht.“ ,, Ich fürchte, ich habe ein ziemlich schlechtes Bild von meinem Volk vermittelt.“ ,, Einer meine Lehrer sagte einmal, wir sollten niemals den Fehler machen, alle wegen der Taten Einzelner zu verurteilen.“ ,, Lehrer ?“ ,, Einer der Gründe, aus denen ich weg bin. Auch wenn manche noch so klug gewesen sein mochten, respektiert habe ich die wenigsten. Ich glaube die wenigsten haben die Stadt…“ Kell unterbrach sich selbst. Jetzt hätte er fast
fliegende Stadt gesagt, ,, die Stadt wo ich aufgewachsen bin, je verlassen.“ ,, Ich war bisher selten in den Städten der Menschen. Auch wenn es einigen von uns dort zu gefallen scheint, mir war das immer zu hektisch. Woher kommst du denn?“ ,, Ähm… man könnte sagen meine Heimat war schon überall. Ich bin bisher nie lange an einem Ort geblieben. Aber es ergab sie nie die Gelegenheit für mich wirklich zu Reisen. Es gibt ein paar Dinge, die ich wissen muss und ich fürchte, meine Antworten erhalte ich weder von Gelehrten noch aus Büchern.“ ,, Also freier Zauberer und Scholar. Und die Antworten die du
suchst…“ ,, Tja… Beispielsweise wieso manche Leute gerettet werden können und manche nicht. Ich kann Verletzungen heilen, das weißt du ja. Aber… ich habe einmal versagt. Ich weiß nicht warum.“ ,, Vielleicht war es für denjenigen an der Zeit zu gehen.“ ,, Es war ein Kind.“ Jiy schwieg einen Moment und schien tatsächlich darüber nachzudenken. Mittlerweile hatten sie den kleinen Hain erreicht, hinter dem Kell den Rauch entdeckt hatte. Das restliche Sonnenlicht malte Muster aus tiefschwarzen Schatten und roten Lichtbanden auf den
Waldboden. ,, Die Alten haben immer behauptet, das nichts jemals wirklich sterben könnte. Wir sind letztlich alle nur Teile des Ganzen, ob Kaiser oder Bauer. Und wir alle haben eine Rolle zu spielen. Nur wenn diese erfüllt ist, selbst wenn wir niemals erfahren, was diese ist, dann kommt der Tod um uns für eine Weile zu sich zu holen. Bis die entsprechende Seele wieder gebraucht wird. Und manche glauben auch, das alle Seelen ein großes Ziel haben, eine Existenz, in der sich ihre ganzen Schicksale erfüllt haben werden.“ ,, Und was passiert dann ?“ ,, Ich habe ihnen nie zugehört.“ ,
gestand Jiy. ,, Unsere Legenden sind recht… langwierig.“ ,, Das soll heißen, wenn ich dir glaube, dann gab es nie eine andere Möglichkeit. Egal wie schnell ich gewesen wäre, egal, was ich getan hätte, der Tod hätte das Kind gefordert. Und wozu ?“ ,, Vielleicht als Teil deines Schicksals Kell.“ Sie lachte. ,,Wie immer das auch aussehen soll.“ ,, Wie einer der wenigen Lehrer vor denen ich Respekt habe einmal sagte, wir mögen alle Fäden in einem Spinnennetz und unsere Bahnen vorgeben sein. Aber auch ein Faden kann schwingen. Und wenn er reißt nimmt er das ganze Netz mit sich. Ich glaube also nicht, das es so
einfach ist.“ ,, Dann musst du wohl weitersuchen.“ Kell nickte. Langsam machte sich doch die Erschöpfung eines ganzen Tags auf der Straße bemerkbar. Seine Füße schmerzten. Auf der einen Seite war er es nicht gewohnt, so weit zu laufen. Aber daran würde er sich schon gewöhnen. Auf der anderen… Kell wollte gar nicht wissen, wie seine Füße grade aussahen. Er seufzte. Er würde irgendwann finden, was er suchte. Dann würde er auch in die fliegende Stadt zurückkehren können. Und eines Tages Kaiser sein… Kell schob den Gedanken so weit von sich wie irgendwie möglich. Das lag noch Jahre in
der Zukunft. Er sah sich vorsichtig nach Jiy um. Wenn sie wüsste wer er war, würde sie vermutlich bereuen, ihn nicht in eine Falle geführt zu haben. Aber irgendwie hoffte er, da falsch zu liegen. Wie auch immer, die Gejarn würde nie herausfinden, wer er war. Wenn sie die Siedlung erreichten, trennten sich ihre Wege. Seltsam, die Vorstellung ab Morgen wieder alleine zu Reisen gefiel ihm nicht. ,, Sobald wir dort sind, suche ich mir als aller erstes ein Gasthaus und werde die Stiefel los. Die bringen mich langsam um.“ Er ließ sich auf einen weißen Marmorblock nieder, der ohne Erkennbaren Grund direkt am
Straßenrand lag. Der Stein kam ihm seltsam vertraut vor…. Wo hatte er so etwas schon einmal gesehen oder davon gehört? Während Kell noch darüber nachdachte, zog er vorsichtig den Stiefel aus. Nichts gravierendes, dachte er. Lediglich eine übel aussehende Blase. Das würde heilen, auch wenn es unangenehm war. Die Schuhe waren zwar stabil, aber eben nicht dafür Gedacht, lange Strecken zu laufen. Wieder etwas, das auf die Liste der Dinge kam, die er Besorgen musste, bevor er seinen Weg fortsetzen konnte. ,, Und deshalb tragen Gejarn keine Schuhe. Lass mal sehen.“ Er machte eine abwehrende
Handbewegung. ,, Deshalb und weil die Schuhmacher dabei ein Vermögen verdienen könnten.“ , meinte Kell. ,, Eure Krallen würden jede Sohle schnell genug unbrauchbar machen.“ Rasch suchte er einen Stoffstreifen und Band diesen um den Fuß. ,, Du kannst das nicht einfach heilen ?“ , fragte Jiy. Kell hielt inne. Machte sie sich wegen dem Kratzer wirklich grade Sorgen um ihn? ,, Schön wäre es.“ , antwortete er, während er den Stiefel wieder anzog. ,, Meine Gabe hat genau diese eine Beschränkung. Ich kann mich unmöglich selbst heilen.
Und…“ Etwas zu seiner rechten zog Kells Aufmerksamkeit auf sich. Weiß schimmerten weitere uralte Steine zwischen den Zweigen hervor. Ein Baum war umgestürzt und in seinen Wurzeln hatten sich mehrere Marmorblöcke verfangen. Er stand auf. Die Schmerzen beim Laufen waren vergessen. ,, Kell ? Alles in Ordnung ?“ ,, Ich will mir das nur kurz ansehen.“ , erwiderte er und sprang von der Straße. Kleinere Steinsplitter waren über den ganzen Boden im Laub verteilt. Die Überreste waren erst vor kurzem, vielleicht von einem Sturm freigelegt
worden, der den Baum entwurzelt hatte, unter dessen Wurzeln die Ruinen verborgen gewesen waren. Jiy folgte ihm zögerlich. ,, Was ist das hier ?“ ,, Das“, sagte Kellvian, ,, ist was vom alten Volk geblieben ist. Ein Haufen moosbewachsener Steine.“ Er trat ein Stück vor und sah sich weiter um. ,, Das gefällt mir nicht.“ , bemerkte die Gejarn. Kell konnte ihr nur zustimmen. Seine Füße kribbelten, und das war nicht dem Umstand zu verdanken, dass er sie Wundgelaufen hatte. Etwas war hier, schwach, aber deutlich spürbar. Ohne Vorwarnung schoss ein Blitz aus dem Himmel über ihm und schlug keine
zehn Schritte entfernt im Boden ein. Flammenzungen und Lichtbögen sprangen über das Laub. Blätter und Erde wirbelten auf. Jiy war zurückgesprungen, nur Kell verharrte wo er war. ,, Wundervoll.“ , flüsterte er fasziniert. ,, Wir sind grade fast draufgegangen.“ ,, Es heißt sie ziehen Blitze an, wenn sie dicht unter der Oberfläche liegen. Sieht so aus, als wäre das kein Gerücht gewesen.“ ,, Was zieht Blitze an ? Die Ruinen ?“ Die Gejarn spähte zwischen den Ästen der umstehenden Bäume in Richtung Himmel. Keine Wolke war zu sehen. Nichts, das auf ein Gewitter hindeutete.
Und auch sie spürte das unangenehme Gefühl, wie als ob ihre Füße eingeschlafen wären. ,, Nein, aber das, was sie beherbergen.“ Selber Vorsichtig geworden trat er an die verbrannte Stelle im Boden, wo der Blitz eingeschlagen war. Wenn sich das wiederholte, bevor er fand, was dafür verantwortlich war… Er ließ sich auf ein Knie nieder und fegte vorsichtig die lose Erde mit der Hand beiseite. Jiy hatte sich nun auch näher gewagt und sah ihm neugierig über die Schulter. Etwas glitzerte Schwach im Sonnenlicht. Ein etwa daumennagelgroßer, tiefgrüner Kristall. Die Erde fiel davon ab, als würde er nicht schon für Äonen hier
Ruhen, sondern hätte grade erst die Hände eines Edelsteinschleifers verlassen. Kell konnte die verborgene Macht darin spüren, sobald er das Juwel in der Hand hielt. Das war kein simples Zierwerk. ,, Ein Speicherkristall.“ , stellte die Gejarn fest. ,, Über so etwas stolpert man normalerweise nicht mehr einfach so.“ ,, Nein. Eigentlich nicht, das hier scheint mir aber nur ein Bruchstück zu sein. Unmöglich zu sagen, wie lange das schon in der Erde lag.“ ,, Ich habe nie verstanden, wieso der Sanguis-Orden so hinter Kristallen des alten Volkes her ist. Ich meine… sie
können die doch selber herstellen, oder?“ ,, Das können sie, aber von dem was ich weiß, sind ihre Schöpfungen minderwertig.“ , erklärte er. ,,Die Kristalle des alten Volkes laden sich mit der Zeit wieder auf, wenn sie Energie verlieren. Die Kopien des Ordens hingegen zerbröseln, sobald ihnen die Kraft ausgeht. Was den betreffenden Zauberer praktisch machtlos zurücklässt, sofern er nicht seien eigene Lebenskraft opfern will. Das gleiche gilt für jegliche magischen Artefakte, die sie damit betreiben. So gesehen ist wohl auch die fliegende Stadt ein riesiges Artefakt.“ Nur was betrieb sie ? Kell verbannte die Frage wieder, sobald sie auftauchte.
Darüber hatten sich schon ganze Generationen von Magiern und Forschern den Kopf zerbrochen. Und er würde die Lösung nicht in einem Waldstück finden. ,, Warst du schon einmal dort ?“ , wollte die Gejarn wissen. ,, Wo ?“ ,, In der fliegenden Stadt.“ Kell zögerte. Er entschied sich für einen Teil der Wahrheit. ,, Einmal.“ , sagte er. ,, Es ist ein schöner Ort aber… mir persönlich zu eintönig.“ Er ließ den grünen Stein in der Tasche verschwinden und stand auf. ,, Komm, ich würde ungern erst im Dunkeln ankommen.“ ,, Du bist hier derjenige, der fast hinkt.“ , bemerkte die Gejarn. ,, Und du scheinst
mir ja ziemlich viel über Magie zu wissen. “ ,, Ich kenne die Macht, die von den Artefakten des alten Volkes ausgeht. Und die Gefahren. Belassen wir es dabei. Allerdings ist das das erste Mal, das mir ein Kristall in die Hände gefallen ist. Tyrus schien immer darauf bedacht, mich möglichst davon fernzuhalten.“ ,, Und dieser Tyrus ist…“ ,, Einer meiner alten Lehrer.“ ,, Offenbar hat man es nicht dem Zufall überlassen, was du lernst.“ ,, Die meisten der größeren Städte haben Schulen und Vara besitzt eine Universität für die hellste Köpfe des Imperiums.“ Sobald sie den Wald hinter sich gelassen
hatten, konnte Kell einen ersten Blick auf die Siedlung werfen. Die beiden Wanderer standen auf dem Gipfel eines kleinen Hügels. An dessen Fuß lag eine lose Ansammlung von vielleicht drei Dutzend Hütten, die von einem Bretterzaun umlaufen wurden. Rauch stieg aus den Schornsteinen der Häuser auf, deren mit Ziegeln gedeckte Dächer in der Abendsonne rot zu funkeln schienen. Kell konnte Stimmen und Lachen hören. Einige Leute waren noch auf den Straßen, manche brachten Karren mit Werkzeugen in ihre Wohnungen, andere unterhielten sich auf den staubigen Straßen. Ein friedliches Bild, dachte
er. Ein einziger großer Baum ragte in der Mitte des Dorfes auf. Kellvian ging langsam einen gewundenen Pfad an der Seite des Hügels hinab. ,, Guten Abend Fremder.“ Ein Mann mittleren Alters und in abgetragener Kleidung kam ihnen entgegen. Er zog kurz einen geflochtenen Strohhut zu Gruß vom Kopf. ,, Guten Abend.“ , erwiderte Kell. Der Mann schien freundlich. Vermutlich wollte er nur wisse, wer so spät abends noch hier vorbeikam. Seine Augen blieben kurz an Kellvian hängen, wanderten dann aber weiter zu Jiy und verharrten dort einen Augenblick zu
lange. Wenn die Siedlung so nah an Clangebiet lag, wie Kell vermuten durfte, dann waren sie entweder gute Nachbarn oder das genaue Gegenteil. Aber der Mann sagte nichts. Stattdessen fragte er : ,, Verzeiht meine Neugier, Herr, aber zumindest ihr seht nicht so aus, als würdet ihr aus der Gegend kommen.“ ,, Das stimmt auch, ich bin nur auf der Durchreise. Mein Name ist Kellvian. Und das ist…“ ,, Jiy.“ , antwortete die Gejarn. ,,Ich bin Aron. Nun, viele von eurer Sorte sind hier in letzter Zeit nicht durchgekommen. Zumindest nicht seit die kaiserlichen Garden Lore weiter im Osten bis auf die Grundmauern
abgebrannt haben. Wir hatten hier nie Probleme aber jetzt…. Manche der Leute haben Angst. Seit also vorsichtig.“ ,, Keine Sorge, das bin ich.“ , sagte Jiy. ,, Gibt es hier ein Gasthaus, jemanden bei den ich Vorräte erstehen kann und… vielleicht einen Schuhmacher ?“ Aron lachte herzhaft. ,, Wenn es sonst nichts ist der Herr. Ich glaube Vorräte können euch die meisten hier verkaufen. Wir sind größtenteils Bauern. Die meisten werden froh sein, sich den Weg zum Markt zu sparen. Und unser Gasthaus könnt ihr nicht verfehlen. Direkt unter dem Baum in der Dorfmitte. Was Schuhwerk angeht… fragt euch rum. Ich bin mir sicher, jemand hat was
in eurer Größe übrig, das er loswerden will.“ Kell nickte. ,, Danke.“ ,, Keine Ursache. Es ist schön, mal jemand anderes als Gardisten oder Wandernde Händler hier durchkommen zu sehen. Wobei mir letztere Lieber sind. Die Garde zahlt nicht unbedingt immer für Kost und Loge, wenn ihr versteht.“ ,, Ich glaube, das kann ich nachvollziehen.“ , sagte Jiy. ,, Ihr haltet euch den Kaiser ja auch schön vom Hals.“ , erwiderte Aron wieder lachend. ,, Sollten wir auch versuchen.“ ,, Das ist nicht lustig.“ ,, Ich finde es lustig. Eine Hand voll
Clans gegen das Imperiums. Aber ich bewundere euren Mut.“
Jiy trat ohne ein weiteres Wort an Aron vorbei und lief zielstrebig auf den Baum zuhielt.
Kell zuckte kurz mit den Schultern. Dann folgte er ihr.