Dossier - alphA
CHRONIKEN EINER GEGENWART,
DIE NIE SEIN WÜRDE...
INTRO
Zärtlich fuhr der Mann über den Lenker seiner stehenden 1990er Heritage Softail.
Sanft spiegelte sich das Sonnenlicht eines späten Nachmittags in opalfarbenen Augen.
Es war wirklich schade, sinnierte er, dass dieser herrliche Tag demnächst Geschichte sein würde, zumal er das Gefühl nicht loswurde, dass heute die
Sonne früher unterging als sonst. Aber das gehörte wohl dazu. Denn so wie der heutige Tag, so würde bald auch seine Reise zu Ende gehen. Und mit dem Anbrechen eines neuen Tages, erwartete ihn morgen ein komplett neuer Lebensabschnitt.
Er seufzte schwermütig und sah von seinem Motorrad auf.
Obwohl die Luft an der Tankstelle erwartungsgemäß nach Motorenbenzin, Fahrzeugabgasen und Müll stank, konnte man dennoch unterschwellig eine angenehme, belebende Nuance von sommerlichen Blumendüften ausmachen. Wenngleich das Aroma von Salz und Meer alles
überlagerte.
Ein mattes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
Abgesehen von der Straße und der Tankstelle, war hier draußen keine Spur von Zivilisation auszumachen. Man musste bloß ein paar Schritte weit gehen und befand sich in der Wildnis.
Hier ließ es sich leben und die Freiheit genießen - in dieser lebendigen und natürlichen Umwelt. Denn hier hatten Asphalt, Zement und Glas Mutter Natur nicht besiegt, und standen ihr gegenüber immer noch auf verlorenem Posten. Was auch der Grund war, weswegen ihm der goldene Staat so am Herzen lag, er nie genug von den offenen Weiten
Kaliforniens bekommen konnte.
Der sportliche Mann zog eine Sonnenbrille aus der Innentasche seiner schwarzbraunen Lederjacke und hielt beim Anblick der urwüchsigen Küste inne. Verträumt lauschte er dem Heranrollen der Wellen des Pazifiks.
Bis ein violettblauer Greyhound vorbeifuhr und ihm einen Moment lang die Aussicht versperrte. Er erinnerte ihn daran, dass er eigentlich auf den Weg zu einem solchen Ort aus Asphalt, Zement und Glas war, wie er ihn stets verabscheut hatte.
Aber das war schnell verdrängt, denn ihm waren – trotz der Kürze des Augenblickes - unter den Fahrgästen des
Linienbusses zwei Schönheiten aufgefallen, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Während die erste eine Dunkelheit barg, die weit über die Schwärze ihrer Haut hinausging, schien die Blässe der anderen förmlich aus sich heraus zu leuchte. Hoffentlich waren sie auch an den gleichen Ort wie er unterwegs ...
Nachdenklich sah er dem Fahrzeug hinterher, bis es hinter dem nächsten Hügel verschwand. Vielleicht war doch nicht alles so übel, was ihn in dieser Richtung erwartete.
Er streckte sich ausgiebig und wandte sich dann dem Motorrad zu.
„Nun, mein altes Mädchen, ist dein Durst
mittlerweile gelöscht? In dem Fall lass uns aufbrechen - ein Ort namens Sun City erwartet uns!“
Als er die Ray Ban aufsetzte, entblößte er zierliche und auffällig spitz zulaufende Ohren unter der silberblonden Haarmähne. „Ein wenig musst du dich aber noch gedulden, denn jetzt hab ich Durst bekommen. Geh´ nur rasch was holen.“
Er wollte sich gerade in Bewegung setzen, als ihn ein herzliches Miauen innehalten ließ. Neugierig ging er in die Hocke.
Die geschmeidige, langbeinige und muskulöse Katze sah wie die Miniaturversion eines Pumas aus und
wäre nicht ihr knalliges, blutrotes Halsband gewesen, er hätte sie für eine echte Wildkatze gehalten.
Ihr Fell war von einem warmen rötlichen Braun mit ausgeprägter, rußfarbener Stichelung und dunklem Aalstrich, während ihre Fußballen und Sohlenstreifen schwarz, Bauch und Innenseite der Beine dunkelorange schienen. Außerdem besaß sie ein neckisches, ziegelrotes Näschen mit schwärzlicher Umrandung und ihre weit auseinander stehenden Ohren wiesen sogar noch Ohrbüschel auf. Aber vor allem ihre mandelförmigen, smaragdgrünen Augen waren einfach nur
betörend.
Sie ließ ihren Charme spielen und schmiegte sich verspielt an seine Volllederstiefel. Dabei genoss sie die ausgiebigen Liebkosungen. Mit einem heiteren Lächeln spielte der Bezirzte mit und erfreute sich gedankenversunken an der Gesellschaft. „Prächtige, wärst du menschlich ... die Männer, würden dir zu Füßen liegen!“
Leicht verschämt blickte er zu seinem Motorrad hinüber und hielt inne, während ihn die Katze verständnislos ansah.
„Sorry, meine Herzdame könnte eifersüchtig werden.“
Ein enttäuschtes Miauen war die
Antwort.
Er streichelte sie noch einmal sanft am Köpfchen und wurde mit einem genüsslichen Schnurren belohnt.
Dann erhob er sich endgültig. „Tut mir wirklich Leid! Ich habe gerade nichts bei mir. Wenn du aber hier wartest, finde ich drinnen sicherlich irgendetwas Feines für dich!“
Die Katze legte nur den Kopf fragend zur Seite, als er sich umdrehte und zum heruntergekommenen Tankstellenhäuschen ging.
Beim Eintreten musste er feststellen, dass es im Innern ordentlicher war, als er angenommen hatte. Es wirkte sauber und gepflegt, sah irgendwie schon fast zu
aufgeräumt auf.
Plötzlich spürte er eine unbeschreibliche Traurigkeit, die ihn wie ein Dolchstich aus dem Nichts ins Herz traf.
Der Mann blieb stehen und blickte verwirrt zu dem Motorrad. „Das war jetzt unheimlich, mein lieber Connor.“
Schließlich zuckte er mit den Schultern, schüttelte sich kurz und sah sich dann suchend um.
Ihm fiel auf, dass das Sortiment des Drogerieartikelregals um einiges größer war als üblich. Er sah vor allem Schmerzmittel, Psychotonika … und was zum Teufel war ein MAO-Hemmer?
Während er das Kühlregal ansteuerte, hörte er das leise Flüstern zweier
weiblichen Personen, die sich im Hinterzimmer über sein Aussehen unterhielten. Auf was für Dinge Frauen achteten.
Er sah zum knapp fünfzigjährigen, braunhaarigen Betreiber - ein Bär von einem Mann - der momentan mit dem Nachfüllen von Zigarettenpäckchen beschäftigt war und musste grinsen.
Denn zumindest der Tonfall der Frauen war ihm vertraut. Und trotz der Probleme, die dieser ihm seit der Schulzeit eingebracht hatte, empfand er ihn weiterhin als extrem schmeichelnd und irgendwie herausfordernd.
Obwohl hier vielleicht nicht der richtige Ort dafür
war.
Vor allem nicht, wenn er seine ein Meter vierundsechzig Körpergröße in Relation zu der des Bären setzte.
Aber solange die Damen nicht noch seine Augen zu Gesicht bekamen…
Er rückte sich die Sonnenbrille zurecht und entdeckte endlich, wonach er Ausschau gehalten hatte.
Also schnappte er sich eine Flasche Clear Choice Sparkling Water mit Schwarzkirschen-Aroma und ging damit zur Kasse.
Derweil die beiden nur über ihn sprachen, und sich nicht heraus trauten, hatte er gute Chancen wieder einmal ohne Probleme davon zu
kommen.
Als der Bär ihn auf sich zukommen sah, hob er nachdenklich eine Augenbraue und blickte unschlüssig in Richtung des Hinterzimmers. Der Hispanic mit offensichtlich indianischen Wurzeln wirkte übernächtigt und sah ausgebrannt aus. Es musste heute wohl ein stressiger Tag gewesen sein.
Connor stellte die Flasche auf dem Tresen ab. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er im ganzen Laden kein Katzenfutter gesehen hatte.
„Die Harley ist ihre?“, fragte der Bär hinter der Kasse. Connor nickte.
„Ja!“
„Eine wunderschöne Maschine! Hatte
auch mal eine.“ Meinte der Bär wehmütig.
„Dafür haben sie eine wirklich bezaubernde Katze!“
Schlagartig schlug die Stimmung um.
Abrupt weiteten sich die Augen des Bären, während im Hinterzimmer etwas klirrend zu Bruch ging. Gleichzeitig schoss eine junge Frau panisch durch die halboffene Tür des Zimmers hervor. „Oh mein Gott! Da draußen ist eine Katze? Sie haben eine Katze gesehen?“
Sie wirkte ebenfalls übermüdet und machte einen geradezu bemitleidenswerten Eindruck.
„Ich …“, setzte Connor verdutzt
an.
„NEIN!“
Donnernd unterbrach ihn die Stimme des Riesen hinter der Theke. Eine unangenehme Pause folgte.
Dann schlüpfte eine ältere Frau durch die Tür, legte der jüngeren beruhigend die Hände auf die Schultern und zog sie langsam zurück. Dabei bedachte sie Connor mit einem vernichtenden Blick. Ihre Augen waren feucht, schaffte sie es kaum noch, ihre Tränen zurückzuhalten. Sogar ihre Stimme klang seltsam gebrochen. „Keine Angst, Mayre, meine Liebe. Es war keine Katze. Hier gibt es keine Katzen … nicht mehr!“
Und während Connor verunsichert nach
draußen blickte und dort nur das Motorrad vorfand, sprach der Bär erneut.
„Das stimmt“, sein Tonfall sollte wohl beschwichtigend klingen, hatte jedoch mehr von einem Befehl als von einer Feststellung, „es war keine Katze. Denn es gibt keine Katzen hier!”
„Tut mir wirklich leid, ich ...“ Begann Connor, wurde aber von Neuem brüsk unterbrochen.
„Nehmen Sie bitte ihr Zeug und gehen Sie!“
Als er bezahlte und sich die Flasche schnappte, wirkte der Bär für einen Augenblick versöhnlich. Er beugte sich zu ihm vor. „Glauben Sie mir, Sie haben sich vermutlich getäuscht.“ Dann richtete
sich der Hispanic wieder zu seiner vollen Größe auf und blickte traurig zum Hinterzimmer. „Denn es ist eine unabwendbare Tatsache, dass es keine Katzen in Sun City gibt!“
Connor nickte nur und beeilte sich, nach draußen zu kommen.
Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, holte er tief Luft und ging zu seiner Harley Davidson 1990er Heritage Softail ohne sich noch einmal umzudrehen.
„Mädchen, du glaubst mir nicht, was …“
Ihm fiel irgendetwas auf. Deswegen blickte er an sich herunter und blieb stehen.
Mit einem Schmunzeln bückte sich
Connor und entfernte etwas von seinen auffälligen Bikerstiefel.
Nachdenklich betrachtete er hierbei das rotbraune Katzenhaar.
„Willkommen in Sun City.“ Murmelte Connor Rhys Maxwell.