Kapitel 2
Das schrille Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Träumen. Mühsam quälte ich mich aus meinem Bett. Meine Mutter war schon auf der Arbeit. Wie spät war es denn? Ich sah auf meinen Wecker und stellte fest, dass ich den ganzen Samstag verschlafen hatte. Ich nahm das Telefon aus der Ladestation und ging ran. "McGowan?", meldete ich mich. "Corrine, hi." Meine Gehirnzellen begannen zu arbeiten. "Hey, Taylah." Taylah war eine Freundin von mir. Ich mochte sie zwar, aber ich würde nicht behaupten, sie sei meine beste Freundin. "Wir wollen uns heute alle treffen. Wir bekommen einen neuen Mitschüler und
dachten, es sei eine gute Idee, ihn schon mal eher kennen zu lernen. Er kommt mit seinen Geschwistern aus den Staaten. Er hat zwei jüngere Schwestern, zwei jüngere und einen älteren Bruder. Der älteste soll etwas komisch sein. Er war auch der Einzige, der nicht kommt. Kommst du?", fragte sie noch einmal. "Nein. Sorry Tay aber mir geht's nicht so gut." Ich konnte beinahe hören wie sie die Augen rollte. "Okay. Kommst du wenigstens morgen wieder?", fragte sie mit Mühe ihre Genervtheit zu unterdrücken. "Mal schauen." Ohne sich zu verabschieden legte sie auf. So war Taylah. Alles musste nach ihrer Pfeife tanzen. Sie ging mir oft auf den Geist.
Kopfschüttelnd ging ich die Küche um mir einen schwarzen Tee mit Milch zu machen.
Genüsslich trank ich ihn und ging wieder in mein Zimmer. Dort zog ich mich an und machte dem Chaos auf meinem Kopf ein Ende. Als ich fertig war, ging ich wieder runter. Es war so still im Haus. Ich öffnete leise die Zimmertür von Conner. Er lag nicht in seinem Bett. Das getribbel von Chipsys Krallen auf dem Parkett fehlte auch. Ob er mit ihr spazieren war? Normalerweise ging ich um diese Zeit mit ihr Gassi. Ich brauchte diese morgendliche Bewegung. Also ging ich ohne Chipsy spazieren.
Der Himmel leuchtete Azurblau. Er war wolkenlos. Hier in Inverness kam das fast nie vor. Meistens war es kalt. Von einem Sturm war keine Spur. Ich ging zu unserem sagenumwobenen See Loch Ness. Auf halben
Weg kam mir ein Junge entgegen. Sein Alter war schwer einzuschätzen, aber ich würde auf ein Jahr älter als ich tippen - also 18. Er lächelte mich an und erwiderte es. Alles in mir begann zu kribbeln. Solche Gefühle hat noch keiner in mir ausgelöst. Vorallem kein Fremder. Jungen hinterher zu Himmeln fand ich immer albern, doch jetzt begriff ich, das es keinen Ausweg gab. "Du musst Corrine sein. Ich bin Daniel.", sagte er mit einer tiefen, männlichen Stimme. Damit geschah es dann endgültig um mich. Er streckte mir seine Hand entgegen und ich griff danach. Die Berührung sendete elektrische Stöße durch meinen Körper. Ob er das auch fühlte? In meinem Bauch tobten die Schmetterlinge. Woher kannte er eigentlich meinen Name? "Ja
bin ich, aber woher kennst du mich?", fragte ich verwundert. "Meine Familie ist aus den Staaten hierher gezogen. Meine kleiner Bruder Lucas geht bei dir in die Klasse. Ich habe mich mit ein paar Jungs aus meiner neuen Klasse unterhalten und da haben ein Paar für dich geschärmt. Das konnte ich erst nicht verstehen, aber jetzt wo du so vor mir stehst, weiß ich was sie meinen.", sagte er und lächelte mich gutmütig an. Prompt wurde ich rot. "Danke.", murmelte ich verlegen. "Gehst du heute auf diese 'Feier' die irgendsoeine Taylah veranstaltet? ", fragte er und grinste spöttisch. Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Mir geht es zurzeit nicht so gut und da habe ich keine Lust auf Party." Warum erzählte ich ihm das? Ich hatte das Gefühl, er
würde es verstehen. Keine Ahnung warum. "Was hast du denn, wenn ich das fragen darf?" Ich nickte wieder. "Ich weiß nicht so richtig. Ich fühle mich in letzter Zeit so schlapp. Wie wenn man Fieber hätte. Meine Mutter, sie ist Krankenschwester, hat aber gesagt es sei kein Fieber." Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht nur eine blöde Phase." Seine Augen verengten sich. "Ja, womöglich.", sagte er knapp. "Ich muss jetzt weiter. Bis morgen." Ich kam garnicht dazu mich zu verabschieden, so schnell war er weg. Doch sein letzter Blick hat sich bei mir eingebrannt. Alle Freundlichkeit war verschwunden. Mit hängendem Kopf machte ich mich auf den Heimweg. Kurz vor der Auffahrt zu unserem Haus wurde mir
schwindelig. Ich hielt an und warte bis es aufhörte. Alles was ich noch mitbekam war, das ich fiel, nachdem mir schwarz vor Augen wurden, aber nie aufprallte.