Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand
eines Bürgerkriegs steht.
Bildquelle : Jochen Pippir / pixelio.de
Die fliegende Stadt bewegte sich nur langsam über den Himmel. Zumindest für einen flüchtigen Beobachter hätte es so ausgesehen, als Stünden die schwebenden Gebäude und Inseln still in der Luft. Ein endloser Tross aus Karren, Pferden und Männern und Frauen zu Fuß folgte dem Zentrum des Canton-Imperiums auf seinem Weg, ohne das die meisten von ihnen die eigentliche Stadt, die über ihren Köpfen schwebte, jemals betraten. Nur wenn die Stadt auf ihrer Wanderung die See erreichte riss der Strom aus Glücksrittern, Handwerkern,
einfachen Arbeitern und Söldnern ab. Doch im Moment hatte Syle Müh, sich an den ganzen Menschen vorbei zu drängen und dabei Walter nicht aus den Augen zu verlieren. Wenigstens sorgten ihre Bewaffnung und die neuen Gardeuniformen dafür, dass ihnen die meisten aus dem Weg gingen. Sobald sie die fliegende Stadt erreicht hatten, hatten sie einige der kaiserlichen Gardisten, welche den Tross begleiteten erkannt. Zu erklären, was sie hier machten und wieso sie aussahen, als hätten sie sich zwei Tage durch die Wildnis geschlagen hatte hingegen etwas länger gedauert. Natürlich war Kellvians Fehlen mittlerweile aufgefallen, aber
bisher hatte sich offenbar niemand ernsthafte Sorgen um ihn gemacht. Die fliegende Stadt war weitläufig genug, um eine Weile nicht gefunden zu werden, wenn man das vermeiden wollte. Nur der Kaiser war nicht begeistert, wie es hieß. Und jetzt, wo er wusste, das Kellvian nicht länger in den Mauern der Stadt, sondern irgendwo in den Herzlanden unterwegs war, würde sich das kaum geändert haben. Und jetzt wollte Konstantin Belfare sie beide sehen. Syle musste sich zum Weitergehen zwingen, als er sah, wie eine große Gondel von den über ihnen Schwebenden Plattformen heruntergelassen wurde. Ein einfaches Holzgestell, das über mehrere
schwere Seilwinden betrieben wurde. Normalerweise würde das ganze benutzt werden, um Waren vom Boden in die Stadt zu bringen, aber heute würden nur zwei Personen damit aufsteigen. Mit einem mulmigen Gefühl trat Syle in die offene Gondel und wartete darauf, dass Walter ihm folgte. Der junge Adelige wirkte noch nervöser, als er sich fühlte. Kein Wunder. Er hatte auch einiges mehr zu verlieren… Soweit er wusste kontrollierte de Immersons Familie fast die ganze nach ihnen benannte Immerson-Provinz. Kein besonders fruchtbares Land, aber die gewaltigen Erzvorräte in den Bergen und Tälern dort hatten das einstmals
unwichtige Adelshaus zu einem der mächtigsten innerhalb der Grenzen des Imperiums werden lassen. Aber das würde ihn nicht vor dem Zorn eines Kaisers schützen. Wenn der Mann auf dem Bernsteinthron etwas sagte, war das Gesetz. Nur langsam setzte sich die Gondel in Bewegung und stieg in die Höhe. Unter ihnen blieben die Menschen langsam zurück und auch die Wipfel der umliegenden Bäume lagen rasch unter ihnen. Dafür konnte er die Stadt jetzt besser sehen. Silberne Brücken und Bögen, welche die einzelnen Stadtteile verbanden glänzten im Sonnenlicht. Marmorpavillons und weitläufige Gärten
zierten einige der kleineren Inseln, welche die großen Plattformen umringten, auf denen sich Paläste, und weitläufige Gebäude und gepflasterte Plätze erhoben. Viel jedoch war auf den Wegen nicht los. Nur ein gutes Dutzend bunt gewandeter Gestalten und einige blau Uniformierte Gardisten zogen durch die Straßen der fliegenden Stadt , als die Kabine mit Syle und Walter an Bord zu einem abrupten Halt an der Kante einer der größeren Plattformen kam. Vorsichtig trat Syle auf das Pflaster hinaus. Dutzende von Fahnen und Bannern, die das Doppelsiegel des Kaisers zeigten, wehten im Wind, der in dieser Höhe
schlicht allgegenwärtig war. Auf den äußeren Plattformen lagen größtenteils Wohnhäuser, Villen und kleinere Paläste, für die wichtigsten Adeligen in ganz Canton. Auch, wenn die wenigsten dauerhaft in der fliegenden Stadt lebten, wenn der Kaiser seine Räte aus den Provinzen einberief, kamen sie alle. Dann quoll die Stadt aus allen Nähten und mehr als einmal war schon jemand in den Tod gestürzt, weil er im Gedränge von den schwebenden Inseln gefallen war. Momentan jedoch war das Herz von Canton ruhig und wirkte fast zu friedlich. Friedlich, aber eindrucksvoll, dachte Syle, während sie sich einen Weg zwischen Palästen, Plätzen mit
Springbrunnen, Statuen und ausladenden Säulengängen hindurch zum Zentrum der uralten Anlage suchten. Den goldenen Hallen und dem Kaiserpalast ganz im Zentrum des unsymmetrischen Rings aus Plattformen und Inseln, die, fast einem Spinnennetz gleich, über die unzerstörbaren silbernen Brücken verbunden waren. Der Palast selbst hob sich deutlich von den übrigen Gebäuden ab. Hier war die Architektur des alten Volkes größtenteils noch nicht verschwunden. Die Außenmauern bestanden aus hellem, in der Sonne strahlenden Stein. Fas hätte man meinen können, der gesamte Bau sei von einer Barriere aus Licht umgeben.
Nur ein einziges, vergoldetes Tor führte ins Innere des Komplexes, der für sich allein schon als Stadt hätte zählen können. Soweit Syle wusste, waren diese Tore seit Jahrzehnten nicht geschlossen worden. Es gab keinen Grund dazu, denn die Macht hinter diesem Porta fürchtete kaum mehr Gegner von außen. Türme, Gebäude und filigrane Minarette erhoben sich in einem undurchsichtigen Durcheinander dahinter. Nur die goldenen Hallen mit dem Thronsaal des Kaisers stachen deutlich aus dem zahlreichen Bauten hervor .Statuen und Bildhauerarbeiten zierten Bauwerke wie Mauern und erzählten eindrucksvoll die zahlreichen Geschichten der einzelnen
Kaiser, gleichwelcher Dynastie. Vom Anbeginn des Imperiums, als die fliegende Stadt weit im Norden zum ersten Mal von einem der Anführer der Nomadenstämme dort in Anspruch genommen wurde, über die langsame Erweiterung der Grenzen und der erste Versuch der Eroberung der Herzlande durch den ersten Ordeal-Kaiser bis hin zu Konstantin Belfare. Auf dem Boden vor dem Tor waren, in einem Ring angeordnet, hunderte von Symbole eingelassen. Wappen, von Fürsten, Gejarnclans , Königen, Stammesoberhäuptern, Städten und Stadtstaaten. Und über jedem der Symbole war ein
Flaggenmast errichtet worden, an dem das Banner des Kaiserreichs wehte. Auch wenn ihm der Anblick vertraut war, ein wenig Ehrfrucht konnte sich der Gejarn nicht erwehren, als er unter den Bannern auf das Tor zutrat. Und genau das, erinnert er sich selbst, sollte dieser Ort auch auslösen. Ein unverkennbares Zeichen für jeden, der den Palast betrat, was ihn in dessen Mauern erwartete und wer hier über das Schicksal der Welt herrschte. Ein mit Marmor ausgekleideter Weg führte vom Tor über einen großflächigen Innenhof. Eine Alle aus niedrigen Birken warf ihre Schatten über die Straße und hielt so im Hochsommer, wenn nicht einmal er ewige Luftzug ihr
etwas entgegensetzen konnte, die Sonne fern. Eine Gruppe von etwa zwei Dutzend kaiserlichen Gardisten marschierte an ihnen vorbei, ohne sich groß um die beiden Neuankömmlinge zu kümmern. Es gab dutzende, wenn nicht hundert verschiedene Regimenter, die dem Kaiserreich dienten und sie alle unterschieden sich. Von der ehrlosen schwarzen Garde, die sich nur aus dem Zusammensetzte, was der strengen Disziplin der übrigen Truppe nicht gerecht wurde bis zu den goldenen Dragoner-Regimentern die ihre Reiter ausschließlich aus der Provinz Hasparen rekrutierten und die ihre Gründung auf
die Zeiten des Bürgerkriegs und der Unruhen unter den Marionettenkaisern zurückführten. Doch allein die kaiserliche Garde, mit ihren markanten blauen Uniformen und goldenen Knöpfen war der Schutz des Kaisers persönlich anvertraut. Sie waren der Gegensatz zur schwarzen Garde. Die besten der besten, die sich in ihren Regimentern hervortaten, egal wer das war. Gejarn, Menschen, Männer, Frauen… Während manche Garden fast fanatisch darauf achteten, wie sich ihre Truppe zusammensetzte, galt für die Leibwache des Kaisers nur eines: Loyalität und Können. Und er war stolz darauf, zu ihnen zu zählen. Egal, was
heute passieren würde… Und doch schien zumindest Walter nicht ganz in dieses Bild zu passen, dachte Syle. Er hatte ihn erlebt. Und auch wenn Walter alles andere als ein schlechter Kerl war, die nötige Arroganz dazu hatte er. ,, Wieso seit ihr eigentlich bei der Garde ?“ , wollte er wissen. ,, Solltet ihr nicht auf irgendeinem Gutshof in Immerson sein ?“ ,, Ratet mal.“ , antwortete Walter nur kurz angebunden. ,, Was treibt einen Adeligen zum Militär ?“ Syle zuckte mit den Schultern. ,, Wenn ihr nicht darüber reden wollt…“ ,, Was treibt einen Gejarn zum Militär ?“
, fragte Walter seinerseits. ,, Wir dienen jetzt lange genug zusammen, aber nach all den Vorgängen im Herzland stellt ihr euch lieber gegen euren Clan, als die Seiten zu wechseln oder zumindest… ich weiß nicht… euch neutral zu verhalten ?“ ,, Hatte ich euch das nicht erklärt ? Vielleicht fühle ich mich dem Haus Belfare auch einfach nur Verbundener, als einem Clan, der mich töten würde, anstatt mir auch nur zuzuhören. Nur weil ich diese Uniform trage. Hingegen der Kaiser lädt ihre Boten sogar an den Hof ein. Er sucht wenigstens eine friedliche Lösung…. Ich bin kein Mann der Politik. Die Streitigkeiten zwischen Clans und Kaiser kümmern mich wenig. Aber
ich weiß ohne Zweifel, auf welcher Seite ich stehen will, auch wenn ich hoffe, die Waffe nie gegen meine Brüder erheben zu müssen. Also ? Was ist mit euch?“ ,, Ich… sagen wir einfach, was mir geblieben ist, ist kaum mehr als mein Name. Nein, nicht mal das. Ich bin ein enterbter Adeliger, der nicht mal mehr genug Besitz hat, um damit über die Runden zu kommen.“ , sagte er wütend. ,, Genügt euch das?“ ,, Das wusste ich nicht. Wirklich.“ Vielleicht hätte er lieber nicht fragen sollen, überlegte Syle. Es ging ihn wenig an. Oder besser, es ging ihn überhaupt nichts an. Offenbar ging es Walter nicht besser als ihm. Fast, dachte er, tat es
ihm jetzt leid, dass er den Mann schlicht für arrogant gehalten hatte. ,, Ich gehe auch nicht damit hausieren.“ , sagte Walter. Aber die kalte Wut war aus seiner Stimme gewichen. ,, Es war ohnehin allein meine Schuld.“ Syle glaubte nicht, das der junge Adelige weiter darüber sprechen würde. Möglicherweise war das auch besser so. Eine kurze Treppe aus Marmor führte herauf zum Haupteingang der Palastanlagen. Baumgroße Säulen stützten ein Vordach, das den Eingangsbereich vor Sonne oder Regen schützte. Drei große, doppelflüglige Holztore waren am Ende des Aufstiegs in die
Wände eingelassen. Nur zögerlich trat Syle durch eine der Pforten. Der Gang dahinter bestand aus kaltem Marmor, der nur durch Fenster und einige kunstvoll gewebte Wandteppiche unterbrochen wurde. Die Decken waren hoch genug, das sich selbst er, der die meisten Menschen ein gutes Stück überragte, plötzlich winzig vorkam. Aber er würde sich davon jetzt nicht einschüchtern lassen, sagte Syle sich. Der Thronsaal war von hier aus nicht mehr weit und wenn er dem Kaiser zitternd gegenübertrat… Nein, so viel würde wollte er sich behalten, egal was geschehen würde. Kells leere Drohung würde den Kaiser kaum
besänftigen… ,, Wenn ihr es wissen wollt, ich habe einen Fehler gemacht.“ , sagte Walter neben ihm plötzlich. ,, Ich bin der mittlere Son der Familie de Immerson . Auch wenn ich nie damit rechnen durfte, die komplette Macht und den Besitz meines Hauses zu erhalten, ein guter Teil hätte mir zugestanden. Ich habe mir selten um etwas wirklich Sorgen machen müssen.“ ,, Wie ich schon sagte, wenn ihr mir nichts sagen wollt…“ ,, Nein, Nein. Eigentlich sollte ich mich glücklich schätzen.“ Er sprach in einem Tonfall, der deutlich achte, das er das anders sah. Aber da war neben der
altvertrauten Ungeduld und Arroganz… auch etwas wie versteckte Trauer. ,, Meine Familie wäre zwar nicht grade glücklich mich zu sehen, aber sie würden mich wenigstens nicht umbringen. Ich kann mich nicht wirklich beschweren.“ ,, Und was hat euch den Zorn eures Hauses eigebracht ?“ ,, Eine für einen Gardisten ziemlich ungewöhnliche Eigenschaft. Feigheit.“ ,, Wie bitte ?“ Syle blinzelte verwirrt. Nein, für einen Feigling hielt er Walter sicher nicht. ,, Es ist ein paar Jahre her. Der Sitz der de Immersons ist seit jeher in Silberstedt, direkt hinter den Bergen zwischen Herzland und Nordprovinzen.
Wie sich aber ehrausstellte, war der jüngste Spross unserer Familie mit dem Blut des alten Volkes geboren worden. Das ist in unserem Stammbaum zwar ein paar Mal Vorgekommen, aber…. Seit 100 Jahren nicht mehr. Vermutlich dachten wir alle, die Gabe sei in unserer Familie ausgestorben. Aber so kann man sich täuschen.“ ,, Was ist passiert ?“ ,, Was immer passiert, wenn irgendwo ein Magier mit signifikanter Begabung geboren wird. Kaum war der arme Kerl acht stand der Sanguis-Orden vor den Hallen in Silberstedt und verlangten, dass man den Kleinen ihrem Orden übergab.“ ,, Und eure Eltern haben das einfach
zugelassen ?“ Walter zuckte mit den Schultern. ,, Ein unkontrollierter Zauberer ist eine Gefahr für alle. Und wer war ich, mich diesem Urteil zu wiedersetzen? Jedenfalls, sollte Ich zusammen mit einigen Begleitern den Jungen zur Festung des Ordens bringen. Wir kamen jedoch nie dort an. Unser Gefolge wurde in den Pässen überfallen. Ob Banditen oder Meuchler einer rivalisierenden Familie, das habe ich nie erfahren. Sie wurden alle niedergemacht… “ ,, Und ihr ?“ ,, Ich bin geflohen Syle. Ich habe sie alle einfach zurück gelassen, sobald ich sah, dass es keine Chance mehr gab. Und
ich habe nicht einmal versucht, wenigstens den Jungen zu retten. Ihr könnt euch vorstellen wie… begeistert diese Nachricht aufgenommen wurde.“ Er schwieg einen Moment. ,, Es ist seltsam wirklich, anfangs war ich schlicht wütend. Es war nicht gerecht, versteht ihr? Hatten sie wirklich erwartet, dass ich lieber dort bleiben und sterben würde? Aber heute… Wäre ich geblieben, vielleicht hätte es doch noch eine Chance gegeben. Der arme Zachary.“ ,, War das sein Name ?“ Walter nickte. ,, Mein Bruder. Zachary de Immerson. Ich hab ihn einfach immer Zac genannt. War ein ziemlich stiller
Bursche und… verdammt ich hab ihn nie richtig leiden können. Im Nachhinein tut mir alles nur noch leid.“ Der junge Adelige fasste sich wieder und grinste breit. ,, Aber das ist alles Vergangenheit. Kommt, lassen wir den Kaiser nicht warten. Wie es aussieht, kann es für uns beide kaum viel schlimmer kommen.“