frühlingsmelodien
Die Sonne, die die Nacht vertreibt und gerade über den Horizont lugt, wirft einen langen Schatten von mir auf den Gehweg. Es ist noch etwas frostig, doch in den Vorgärten sprießen bereits die ersten Frühlingsboten. Und die Sonne verspricht ihre geballte Kraft zur Erde zu senden, um neues Leben entstehen zu lassen. Bald schon erreiche ich den Feldweg, der in den Wald führt. Meinen Wald, den ich so lange missen musste. Einen ganzen harten Winter lang.
Natürlich ist es nicht mein Wald. Ich besitze ihn nicht. Aber ich nenne ihn so, weil es mich immer wieder hier her zieht. Nur nicht im Winter. Da ist es zu gefährlich, wegen dem Schneebruch.
Aber irgendwie ist er ein Teil von mir, von meinem Leben. Er ist wie eine Kathedrale für Gläubige.
Die Tankstelle, für meine Seele.
Die Blätter auf dem Weg, die die Bäume im Herbst abgeworfen haben und die der Winter unter einer dicken, weißen Decke verbarg, sind noch mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Es knirscht unter meinen Füßen bei jedem Schritt. Unwillkürlich muss ich lächeln. Ich sehe
einen alten Bekannten wieder. Ein Eichhörnchen. Ich weiß natürlich nicht, ob es das gleiche ist, das ich im Herbst hier gesehen habe, doch der Gedanke daran ist schön. Es hat den Winter überlebt. Die ganze Arbeit, die es sich mit dem Futtersammeln gemacht hat, war nicht umsonst.
Das Leben geht weiter, die Welt ist nicht verloren.
Ich gehe den Weg weiter. Vorbei an dem kleinen Bach, der immer noch gefroren ist. Es dauert lange, hier im Wald, bis alles auftaut. Doch der warme Südwind verspricht einen nahenden Sommer. An den Sommer Wochenenden bin ich nicht gerne hier im Wald. Da sind dann ganze
Völkerwanderungen von Menschen unterwegs. Nichts gegen etwas Geselligkeit, doch sie hasten durch den Wald und sehen seine Schönheit nicht und auch nicht seine Eichhörnchen.
Der Wind trägt den Klang der Glocken der St. Andreaskirche zu mir, die zur Morgenandacht rufen. Ich denke an die Gläubigen, die jetzt zur Kirche gehen, um ihren Herrn zu loben. Auch ich danke ihm für diese herrliche Natur, die ich erleben darf.
Mit den Glocken stimmen auch die Vögel des Waldes ihren Gesang an. Zuerst ein paar wenige und dann immer mehr. Vögel, die von ihrer weiten Reise aus dem Süden zurückgekehrt sind. Sie
haben viel zu erzählen. Zusammen mit den Glocken hört es sich an, wie eine Sinfonie der Natur, wie sie kein Komponist der Welt schöner schreiben könnte.
Dann erreiche ich die Lichtung, die so schön nur im Frühling ist. Ein Meer aus Märzenbechern.
Die weißen Blüten wiegen sich im Wind zur Sinfonie aus Glockenklang und Vogelgesang.
Ich bin froh, dass ich so früh aufgestanden bin. Nur eine Stunde später und dann kommen sie, die Märzenbecherwaldtouristen.