Kurzgeschichte
Frida

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"Frida"
Veröffentlicht am 01. März 2014, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: yuliaglam - Fotolia.com
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Frida

Frida

Frida

Vor sieben Jahren. Meine Frau und ich wollten nach Rom. In Südtirol wollten wir Pause machen.

Vom Brenner aus schauten wir auf eine kleine Stadt, die sich hinauf in die Berge ausdehnte. Die Häuser klebten an den Hängen. Sattgrüne Wiesen säumten die Höfe. Jedes der Häuser hatte Gott vielleicht persönlich dort hingestellt.

Wir fädelten uns aus der Autolawine heraus. Bogen ab in die Stadt Chiusa. Hoch hinauf führte uns die Serpentinenstraße. An jeder Kehre wies uns der uralte Toyota meiner Frau

stöhnend darauf hin, dass es nicht unbedingt seine Wunschregion sei.

Dennoch hielten wir erst am letzten erreichbaren Haus. Dem abgelegensten von allen. Ich glaube, es stand direkt im Himmel und … es war ein Zimmer frei. Wir vergaßen Rom.

Stattdessen eroberten wir die höchsten Berge. Besuchten entlegene Sennerhütten und schlichte Wallfahrtskapellen.

Und immer erlagen wir ehrfürchtig dem Zauber der Almwiesen und den Blumen darauf. Die van Goghche Farbenpracht füllte unsere hungernden Seelen mit Frieden und Stille.

Ein Tag gehörte dem Besuch des nahe

gelegenen Kloster Säben.

Ihm zu Füßen liegend fanden wir einen kleinen, scheinbar verwilderten Garten, an dessen Ende ein unscheinbares Häuschen stand.

Der Wildwuchs entpuppte sich als liebevolle Ansammlung exotischster Kräuter.

Vor dem Haus saß ein Mütterchen. Ihr faltiges, sonnengebräuntes Gesicht ließ ein langes Leben mit einer endlos scheinenden Erfahrungsspirale vermuten.

Sie war 98. Vor zehn Jahren starb ihr Mann. Sie verkaufte das gemeinsame Haus. Zog in dieses Kleinidyll. Das übrige Geld ging an ihre Töchter und die Klosterverwaltung. Frida, so hieß das Mütterchen

sie sprach auch deutsch begnügte sich seitdem nur mit dem Nötigsten.

Da meine Frau der Kräuterkunde recht kundig ist, hatten die zwei sich viel zu erzählen.

Mir wurde gestattet, mich im Haus umzuschauen. Dies bestand aus zwei Räumen. Im ersten standen ein kleiner Herd, ein winziges Schränkchen und ein Tisch mit drei Stühlen daran. Ein kleines Fenster ließ spartanisch Licht herein.

Die vielen Blumen im Raum, hüllten diesen in ein freundliches, angenehmes Ambiente.

Mein Blick fiel auf einen Hausaltar. Ruhte darauf. Zweiundvierzig Kerzen

hüllten ihn in warmes Licht. Frida achtete argusäugig darauf, dass keine der Kerzen lange erloschen blieb. Jede einzelne stand für ein gemeinsames Jahr mit ihrem Mann. Den Altar hatte dieser liebevoll aus einer Platanenwurzel geschnitzt.

Im angrenzenden Raum verbargen sich ein winziges Sieben-Zwerge-Bettchen und ein Handwaschbecken. Darüber ein halbblinder Spiegel. An einer Wand ein Bild ihres Mannes. An einer anderen Bilder ihrer Töchter, die unten in der Stadt verheiratet sind.

Als ich wieder heraus kam, saßen Frida und meine Frau beim Kräuterschnaps und ließen es sich gut gehen.

Mir aber lag die Frage auf der Zunge, wie man mit diesem doch sehr eingeschränkten Lebensstil Zufriedenheit erlangt.

Ich stellte die Frage nicht. Die vielen Gespräche, die wir im Laufe der verbleibenden Zeit noch mit ihr führen durften, waren mir Antwort genug.

Viel mehr stellte sich mir nach unserem Urlaub die Frage, warum ich, in scheinbar viel günstigeren Umständen lebend es nicht schaffe, auch nur annähernd so zufrieden zu sein.

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Zentaur Eine sehr schöne Geschichte aus dem realen Leben.
Manch hektische Mitmenschen verstehen nicht, wenn man ihnen ein ruhiges Wochenende wünscht. Nicht nur einmal bekam ich zur Antwort "dumme Kuh".
lg Helga
Vor langer Zeit - Antworten
Lyrus ... ja, solche enschen gibt es wohl - man darf sie nicht zu ernst nehmen- danke für deine Worte ...
LG Ralf
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek Gut beochatet, Lyrus:

Wahrer Frieden ruht in dir,
Wer sonst soll dich Freiheit lehren,
Glück verspürst du jetzt und hier,
Bist du frei von dem Begehren.

heißt es in der letzte Strophe meines Gedichtes "Von der Freiheit"

Die Zufriedenheit erschaffen wir uns selbst.

VLG Roland
Vor langer Zeit - Antworten
Lyrus ... weise und wahre Worte, Roland - ich dank dir ...
LG Ralf
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Eine Erzählung, die mir sehr gefällt!
Ja, es ist erstaunlich, mit wie wenig man glücklich leben kann!
Es ist einfach die Sichtweise. Mancher muss eben alles haben, legt Wert auf Statussymbole etc. ... Meinem Sohn hatte ich den Link zu deiner Seite geschickt. Er schrieb zurück, auf deinem Hof würde er gern Esel sein, um mal Ruhe zu finden ;-)) ...
Bei uns hat sich im Rentenalter alles relativiert. Stress und Hektik gibt es nicht mehr, höchstens Reisefieber ;-))

LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Lyrus ... seit dem wir die Esel haben, hat sich unser Leben auch radikal geändert - wir haben viele Gewohnheiten überdacht und noch viel mehr einfach weggelassen - unser Leben ist einfacher, unkomplizierter, schöner, intensiver geworden - vielen Dank für deine Worte, liebe fleur ...
Vor langer Zeit - Antworten
Darkjuls Unsere Zeit ist schnelllebig geworden. Irgendwie schwimmen wir doch alle im Strom mit, ohne es zu wollen. Wir suchen Ruhe und Zufriedenheit. Wir sollten unsere Ansprüche und Ziele überdenken und Abstriche machen, denn im Wenigen liegt oft mehr. Ein Spaziergang bringt oft neue Eindrücke und Entspannung, anders als Shopping. Eine schöne Geschichte von Dir. LG an Dich Ralf, Marina
Vor langer Zeit - Antworten
Lyrus ... ganz vielen Dank, Marina ...
LG Ralf
Vor langer Zeit - Antworten
Feedre zurück zur Wurzel!
Ich stelle mir manchmal die Frage, was ist in hundert Jahren noch wichtig, dabei kommt immer dieselbe Antwort heraus:
Nichts ..:-)))
schöne Geschichte, so lebensnah!
liebe Grüße ins Wochenende
Feedre
Vor langer Zeit - Antworten
Lyrus ... auch heute ist Nichts wirklich wichtig - wir nehmen nur vieles, vor allem uns selbst viel zu wichtig - leider - ich dank dir für dein hiersein ...
LG Ralf
Vor langer Zeit - Antworten
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