Dunkle Wolken verdeckten den Mond. Bei klarem Himmel hätte man die kreisrunde Scheibe deutlich am Himmel erkennen können. Zwischen all den Sternen, hätte sie gefunkelt, wie ein Diamant. Vor mehr als vier Stunden war die Sonne untergegangen. Mitternacht. Das Dorf nahe am Waldrand schlief tief und fest. Kalter Wind legte sich über die Häuser und Straßen. Die Kälte zog sich bis in das Unterholz des Waldes hinein, wo kleine Tiere wuselten und eilig ihre Nester aufsuchten. Vom Instinkt angetrieben. Sie flüchteten vor den Herrschern der Nacht. Nur eine Eule saß mutig im Geäst und spähte in die
undurchsichtige Ferne. Starr und unbeweglich. Irgendwo zwischen den hochgewachsenen Sträuchern und Holzstämmen, brannte ein kleines Feuer. Behaglich züngelten die Flammen an den Holzscheiten entlang und wehten eine kleine Rauchschwade hoch in den Himmel. Rings um die kleine Feuerstelle herum saßen vier Jugendliche. Zwei Mädchen. zwei Jungen. Hinter ihnen waren zwei Zelte unbeholfen aufgestellt und festgebunden worden. Die jüngste von Ihnen, Hanna, hatte den älteren Bruder wochenlang angebettelt, dass sie auch zelten gehen wollte. Wie die Großen. Jetzt saß sie stolz zwischen ihm und den anderen Beiden, knabberte an den Fingernägeln und hörte zu. “Wenn du die
Wölfe heulen hörst, dann lauf weg und dreh dich nicht um bis du den Waldrand weit hinter dir gelassen hast.“, erzählte Vincent. Er hielt eine Taschenlampe unter sein Kinn und wedelte mit dem anderen Arm aufgeregt herum. „Denn um diesen Wald rankt die uralte Legende von einem noch älteren Wolfsstamm. Sie sind die Götter dieses Waldes. Und wenn die Wölfe dich hier in ihrem Wald sehen, dann kommen sie zusammen und verfolgen dich. Sie schlitzen dich mit ihren scharfen Krallen auf. Und dann nehmen sie dir deinen wertvollsten Schatz und bringen ihn zu ihrer Höhle. So hat er sich über die Jahre zusammengesammelt der Schatz des Wolfrudels. Viele Jäger wollten ihn finden, aber keiner kam jemals lebend
zurück.” Rau hallte seine Stimme durch das Unterholz. Umschlossen von einer bedrückenden Stille. Bis Jessica laut anfing zu lachen. „Du solltest lieber leise sein, sonst kommen sie dich zuerst holen.“, grinste Vincent. Ein Knacken im Geäst und ein Rascheln ließ die Gruppe zusammenfahren. Dann plötzlich lachten sie alle. Nur Hanna hatte die Augen weit aufgerissen. Das unwirkliche Rascheln hatte sie eingefangen und wie hypnotisiert zurückgelassen. „Was war das?” Vincent zuckte mit den Schultern. Lukas, der zweite Junge in der Runde, stocherte seit etlichen Minuten mit einem dünnen Stock in das Feuer. “Das waren die Wölfe.“ Er blickte auf und schaute Hanna eindringlich an. „Sie holen sich deine Kette.
Die mit dem glitzernden Herzanhänger. Die Wölfe lieben es nämlich wenn ihr Schatz im Mondlicht glitzert.” “Du bist doof“ Die Jüngste verschränkte missmutig die Arme. Wirklich wohl war ihr bei der Sache trotzdem nicht. Jessica neben ihr zitterte. Sie hatte also eine Verbündete, dachte Hanna zufrieden. Tatsächlich war Jessica kalt. Fürsorglich legte Lukas einen Arm um ihre Schultern und gab ihr die Decke, die er hinter sich gelegt hatte. Hanna seufzte. Sie schaute nachdenklich in das knisternde Feuer vor ihren Füßen. “Du glaubst aber auch wirklich alles Schwesterchen.”, stöhnte Vincent. Er stützte sich nach hinten auf die Hände ab. “Hier im Wald gibt es doch überhaupt gar keine Wölfe.” „Wirklich nicht?“ Nicken.
Jessica grinste. “Mach dir mal keine Sorgen. Das einzige was uns heute Nacht gefährlich werden kann, sind die Versuche deines Bruders etwas Schlaues von sich zu geben.” Hanna gluckste. Die Anderen stimmten ein. Nur Vincent rollte die Augen. “Ich lach dann später.”, sagte er beleidigt und schaltete die Taschenlampe mit einem leisen Klicken aus. Stunden verstrichen. Stunden in denen das Lagerfeuer langsam niederbrannte und die Sterne am Nachthimmel Millimeter um Millimeter weiter wanderten. Bis die vier Jugendlichen in die Zelte krochen und sich schlafen legten. Behütet in ihren Schlafsäcken. Der Mond war unter den Wolken hervorgekommen. Wolfsgeheul betete seinen Gott an, kaum dass die letzte
Schwade sich verflüchtig hatte und sein goldgelber Glanz den Wald erhellte. Laut und donnernd, hallte ihr Gesang von den Baumwipfeln bis ins Tal. “Jessica. wach auf. Jessica.“ Hanna saß kerzengerade und rüttelte an der Schulter des Mädchens. Jessica legte den Arm über die Ohren und versuchte die Jüngere zu ignorieren. Es gelang ihr nicht. „Was ist denn los?“ “Wölfe. Es gibt hier doch Wölfe!”, wimmerte Hanna. „Unsinn“ “Doch. Ich habe sie Heulen gehört. Ich habe sie ganz deutlich gehört Jessica.“ „Du hast geträumt.“ Die Ältere von Ihnen nuschelte verschlafen. Sie drehte sich auf die Seite. „Nicht wieder einschlafen.“, flehte Hanna. Ihr Herz verkrampfte sich. „Da sind überall Wölfe und sie werden kommen und
uns aufschlitzen. Und meine Kette klauen. So wie Vincent gesagt hat.” Jessica schnaubte. Sie setzte sich im Schlafsack auf. “Dein Bruder ist ein Idiot. Es gibt keine Wölfe hier im Wald. Ich glaube es gibt nicht mal hier im ganzen Land Wölfe, außer im Zoo.“ Hanna neben ihr blinzelte. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht. „Und selbst wenn es hier doch Wölfe geben sollte, dann ist denen deine Kette doch egal. Und die werden auch nicht herkommen und uns auffressen. Die haben bestimmt besseres zu tun. Den Mond anheulen oder sich paaren oder so.” Hanna nickte vorsichtig. Im selben Moment rauschte erneut ein Heulen durch den Wald. Es zerriss die Nacht. Es zerriss alles, was Jessica gerade gesagt hatte. Sie schluckte. Sekunden
später rüttelte es am Zelt. Hanna schrie. Immer noch ein Wenig genervt schlug Jessica die Decke zurück und krabbelt aus dem Zelt. Hinaus an die eisige Luft. Es hatte sich abgekühlt. Und auch die Dunkelheit hatte den Wald eingeschlossen, dass man die Hand vor Augen kaum sehen konnte. Nur der helle Lichtkegel einer Taschenlampe strahlte dem Mädchen direkt ins Gesicht. Lukas und Vincent hatten das Wolfsgeheul also auch gehört. “Komisch.” Das war das Einzige was sie sagten. Vincent war sichtbar irritiert. Es war ja nur eine Gruselgeschichte gewesen. Er hatte sie irgendwo aufgeschnappt. In der Bibliothek. Sie hatte in einem dicken Buch gestanden zusammen mit tausenden anderen Anekdoten und Legenden. Jessica zuckte wie
immer mit den Schultern. “Ich sehe mich mal ein bisschen um.”, murmelte Lukas. Ein richtiges Abenteuer. Klasse. Kaum hatte er zu ende gesprochen, drehte er sich schon auf dem Absatz um und schlenderte davon. “Muss das denn sein?” Jessica seufzte laut auf. “Warte doch- Ich komme mit. Ich lass dich da nicht alleine durch die Gegend latschen, Lukas. Du findest doch nie zurück.” Vincent sah ihnen nach. Er musste da bleiben und auf seine Schwester aufpassen. Immer tiefer liefen Jessica und Lukas in den Wald. Etwas verloren zwischen den Ästen und Blättern, glaubte Jessica schon nach ein paar Minuten nicht mehr daran, dass es eine wirklich gute Idee war. Sie wussten doch nicht einmal wonach sie suchten.
Geschweige denn was sie tun wollten, wenn sie tatsächlich auf irgendetwas stoße würden. Genau das gab sie ihrem Freund auch zu bedenken. Lukas schnalzte mit der Zunge. Das tat er immer, wenn er sich irgendwie unverstanden oder beleidigt fühlte. Getrieben von einer gewissen Neugier ging Jessica ihm trotzdem weiter hinterher. Geleitet vom Mondlicht. Es war tatsächlich auch ein wenig romantisch. Nach einer ganzen Weile und weil Jessica erneut anfing zu zetern, drehten sie um und gingen zurück zu ihrem kleinen Zeltlager. „na prächtig.“, stöhnte Jessica auf, als sie nacheinander in die beiden Zelte lugte. Vincent und Hanna waren verschwunden. Ein Knacken. Es durchfuhr ihren Körper wie ein Blitz. Dann meinte sie eine Bewegung von
rechts auszumachen. Nichts geschah. „Das ist nicht lustig. Kommt raus.“ Lukas verzog das Gesicht. Er wollte wieder schlafen. Natürlich blieb eine Reaktion aus. Diese Mal war es Jessica die vorging. Sie stapfte an den Zelten vorbei und dahinter ins Gestrüpp. Dann sprang sie von Stein zu Stein über den Bachlauf, der sich dahinter befand. Sie hatten sich extra einen Platz nah am Wasser ausgesucht. „Ist das Blut?“ Lukas hatte sich hingehockt und leuchtete ungläubig auf eine Stelle an den feuchten Steinplatten. Seine Freundin fasste sich an die Stirn. Sie bekam Kopfschmerzen. Sie bekam den kurzen Anflug von Wahn, dass sie nie hätten her kommen sollen. Oder dass zumindest Vincent sich seine Gruselmärchen hätte verkneifen
sollen. Ohne weitere Worte liefen sie nun doch wieder tiefer in den Wald. Ein ungutes Gefühl krümmte Jessicas Magen zusammen. Sie sagte sich selbst immer wieder, wie absurd das alles war. Es half nichts. Nur den Lichtstrahl der Taschenlampe hatten sie als Waffe. Der Gedanke kam ihr unwillkürlich. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Lukas die Lampe fest umklammerte. Ein Heulen schreckte sie zusammen. Es klang näher, als die anderen Male. Außerdem klang es viel echter. Lukas zog Jessica am Ärmel runter. Er hielt ihr einen Finger vor die Lippen- Dann deutete er mit demselben Finger an einem Busch vorbei. Es geschah so schnell, dass das Mädchen keine Zeit hatte sich zu sortieren. Es war nur noch eine Abfolge von
Bildern in ihrem Kopf. Ihre Augen flogen panisch seiner Hand hinterher und sahen, was er entdeckt hatte. Einen Felsvorsprung. Lukas schaltete die Taschenlampe aus. Nur noch vage konnte Jessica in der plötzlichen Dunkelheit etwas erkennen. Eine Silhouette. Vierbeiner. Wölfe. Sie streiften drohend im Kreis. Ihre Pfoten scharrten über die Erde. Die Schnauzen waren witternd in die Höhe gestreckt. Jessica biss sich auf die Lippen. Zwang sich, die Luft anzuhalten, weil sie befürchtete, die Tiere könnten es hören. Gute Jäger hatten ein gutes Gehör. Da war sie sich sicher. Jetzt kam sie sich albern vor, dass sie Hanna erzählt hatte, es gäbe in der Nähe keine Wölfe. Ein unbestimmter Schmerz durchzuckte sie. Wo mochten Hanna und
Vincent sein? Jessica spürte, wie ihre eigene Hand sich an Lukas klammerte. Sekunden verstrichen, dann liefen drei Wölfe zurück in den dichten Wald. Es waren alle, die sie von hier aus ausmachen konnte. Stille legte sich um das Unterholz. Jessica atmete beherzt aus. Dann, von derselben Neugier gepackt, die sie überhaupt bis hier her getrieben hatte, stand sie auf. Lugte über das Gestrüpp hinweg. Lukas tat es ihr gleich. Aber sein Wissensdurst trieb ihn weiter. Er schaltete die Taschenlampe wieder an, den Lichtkegel behutsam auf den Boden gerichtet, und stapfte aus den Blättern heraus auf die Felswand zu. “Bist du Wahnsinnig?” Jessica kreischte entsetzt auf. Sie sah sich nach allen Seiten um, stand wie verwurzelt und schickte
Stoßgebete in den Nachthimmel. Erst als Lukas sie wild mit den Armen wedelnd zu sich rief, schlich sie ihm hinterher. Im Boden, direkt vor der Felsenwand, war eine tiefe Mulde gegraben. Lukas leuchtete hinein, als seine Freundin dicht neben ihm stand und seine Hand genommen hatte. “Das ist ja Schmuck. Das gibt es doch gar nicht. Dann hat Vincent die Geschichte also doch nicht erfunden.”, sagte das Mädchen. Lukas neben ihr sagte nichts. Ihr Blick wanderte zwischen seinen Augen und der Mulde hin und her. Dann erst begriff sie. Pupillen weiteten sich. Ihr wurde schlecht. Die Kette, die ihr ganz oben aus dem Haufen entgegenglitzerte war Hannas. Kein Zweifel. Der Herzanhänger war in dunkelrotes frisches Blut getränkt. Jessica
schlug beide Hände vors Gesicht. Ein tonloser Schrei entfuhr ihrer Kehle. „Wir müssen das sofort der Polizei melden.“ Lukas sprach überraschend ruhig. Seine Stimme drang aber nur wie durch einen Wattebausch zu Jessica. Alles drehte sich- Dann ein Heulen. Und ein Schrei. Ein richtiger Schrei. Laut und Erbarmungslos. Lucas wirbelte auf den Boden. Zwei Wölfe waren auf ihn losgegangen. Einer stand auf seinem Brustkorb und drückte ihn schmerzhaft zu Boden. Übel riechender Atem stieß ihm entgegen. Viel mehr aber beunruhigten ihn die fletschenden Zähne. Sie blitzten nicht weiß, sondern waren blutgetränkt. Und seit wann waren Wölfe überhaupt so riesig. So groß wie Autos. Von der Entfernung hatten sie
viel kleiner auf ihn gewirkt. Jessica schluchzte auf. Sie verfluchte Vincent für seine dummen Geschichten. Das war das Letzte was sie tat. Gleich darauf spürte sie nur noch einen unheimlich stechenden Schmerz am Rücken, dort wo eine Planke mit Krallen sie einfach zerriss. Und dann war da nichts mehr. Nur noch Stille. Zwei Wölfe heulten heißblütig auf. Ihr Gesang füllte die Nacht mit Wärme. Irgendwo in dem beschaulichen Dorf am Waldrand, saß ein Vater mit seinem Sohn und erzählte ihm die Legende vom Wolfsrudelschatz. „Und in manchen Nächten kannst du sie den Mond anheulen hören.“, sagte er. Der Junge legte den Kopf schief. „Und gibt es sie denn wirklich hier diese Wölfe?“ -„Sicher. Wenn du
daran glaubst, dann gibt es sie auch wirklich. So ist das mit Legenden. Sie existieren, wenn wir Menschen glauben.“ Am nächsten Morgen hörte er in den Nachrichten von vier Jugendlichen, die tot im Wald aufgefunden wurden. Sie hatten unerlaubt dort gezeltet, waren in der Nacht mit nur einer Taschenlampe umhergestreunt und dabei wohl eine Felsklippe heruntergestürzt. Sein Sohn, der neben ihm seinen Kakao schlürfte, fragte sich, ob die vier wohl einen Schatz dabei gehabt hatten, und grinste dabei etwas.
©Fiona Wicka, 2014
Helden1960 Die Geschichte lebt von den Bildern und Farben die du in uns erzeugt hast:)))))) Danke dafür:))) Uwe |
Wolfspfote Uah, Gott ist das gruselig!! Aber echt genial geschrieben! :)) Und mit Wölfen ^^ Gefällt mir sehr gut, verdient ein paar coins :) Lg Wolfspfote |