Biografien & Erinnerungen
Der Koffer

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"Der Koffer"
Veröffentlicht am 14. September 2008, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Der Koffer

Der Koffer

Beschreibung

In den letzten Kriegstagen soll es in unserer Heimat besonders schlimm gewesen sein, Geschichten darüber werden von den älteren Menschen noch heute oft erzählt, eine davon habe ich aufgeschrieben...


 

Es war in den letzten Kriegswochen. Die Alliierten verstärkten mit ihrer Luftwaffe die Angriffe auf unser Land und flogen Einsatz um Einsatz. Oft bis zu dreimal an einem Vormittag heulten die Sirenen, die Menschen wurden aufgefordert die Schutzräume aufzusuchen. Eine Tasche mit dem Notwendigsten war stets gepackt: Die wichtigsten Dokumente, eine Gasmaske, nach Möglichkeit eine Decke, eine Flasche Wasser, ein Stück trockenes Brot, mehr besaßen die meisten ohnehin nicht mehr. An den Hunger und die Kälte in den feuchten Kellern waren sogar schon die Kinder gewöhnt und fanden nichts dabei, dort stundenlang still zu sitzen..

So war es auch an diesem denkwürdigen Freitag. Und doch war alles anders, ganz anders. Entgegen ihrer Gewohnheit kamen sie viel zu spät, Herr und Frau Vimetal. Alle mussten auf die beiden warten, denn Leo, der Brandwart, ließ niemand vorher in den Luftschutzkeller. Es würde nicht möglich sein, den Koffer in die hinterste Nische zu tragen, wenn schon Leute in dem engen Kellergang wären, erklärte er immer wieder, doch alle waren schon ganz aufgebracht und schimpften laut. Endlich kamen sie daher mit ihrem Handwagen, auf dem der Koffer lag. Herr von Vimetal, ansonsten immer in würdevoller Haltung, wie es eben einem Sparkassendirektor im Ruhestand geziemt, war diesmal sehr nervös. Sein grauer Mantel stand offen, der hellblaue Schal - sonst immer sorgfältig gebunden - hing lose über seine Schultern, sein Haar war ungekämmt und er trug noch seine Hausschuhe. Frau von Vimetal, diesmal ohne Hut, nur in ihrem schwarzen Pelz, trippelte aufgeregt hinter ihrem Mann und trieb immer wieder zur Eile. Leo half, den schweren Koffer in den Keller zu tragen; der Handwagen blieb neben der Kellertür unter einem Mauervorsprung stehen. Es war jedes Mal das gleiche Ritual. Leo stellte den Koffer auf und bückte sich etwas, dann schulterte er den Koffer und hielt ihn mit beiden Händen über dem Kopf. Herr von Vimetal stützte ihn links und Frau von Vimetal versuchte rechts zu helfen. So ging es über die Stiegen in den Keller. Es war ein sehr schöner Koffer mit messingfarbenen Beschlägen und vielen bunten aufgeklebten Bildern. Namen der feinsten Hotels aus allen Teilen Europas konnte man darauf lesen. Paris, London, Berlin, Cannes, Nizza, Madrid, überall war dieser Koffer schon gewesen. Was wirklich in diesem Koffer war, wusste niemand. Herr von Vimetal ist ein sehr gebildeter Mann, in dem Koffer sind sicher wertvolle Bücher, sagten die einen. Da ist sicher unrecht erworbenes Gut versteckt - in der Sparkasse hat früher öfters Geld gefehlt - munkelten die anderen, doch Herrn von Vimetal zu fragen, getraute sich keiner. Auf den letzten Stiegen ist es dann passiert: Herr von Vimetal stolperte – wahrscheinlich fand er in seinen Hausschuhen nicht genügend Halt – und riss auch Leo und Frau von Vimetal mit zu Boden. Durch die Erschütterung sprang der Koffer auf und gab seinen Inhalt frei. Weißbrot , geräuchertes Fleisch und Dauerwurst,

Kaviar in Dosen, Silberbesteck mit der Aufschrift „Grand Hotel“, unzählige Kekspackungen und wertvoller Schmuck lagen - nebst zwei kleinen Goldbarren - jetzt auf dem schmutzigen Kellerboden. Eine Flasche Rotwein war zerbrochen und ihr Inhalt ergoss sich auf eine Mappe mit Dokumenten. Es gab ein heilloses Durcheinander, da die Leute vom Eingang nachdrängten. Man konnte schon die feindlichen Flugzeuge hören, und jeder wollte noch in den schützenden Keller kommen. Irgendwie hat es Leo dann doch geschafft, den Koffer nach hinten vor die Nische zu bekommen, wo er ihn zwischen Kisten und Gerümpel niederstellte. Herr und Frau von Vimetal versuchten verzweifelt ihre Habseligkeiten, soweit sie ihrer habhaft werden konnten auf dem alten Sofa zu sortieren. Lautstark beklagten sie ihr Pech und räumten alles schnell wieder in den Koffer. Als Frau von Vimetal einen kleinen Jungen sah, der eine angebrochene Kekspackung in seinen Händen hielt, schrie sie seine Mutter an, doch ihr Kind besser zu erziehen. Im übrigen war sie der Meinung, Leo müsse als Brandwart für die Ehrlichkeit der Leute in diesem Keller bürgen.

 Gerade als Leo bemüht war wieder Ordnung zu schaffen, schrie jemand: „Rauchgas! Rauchgas! Wir müssen sofort raus, sonst ersticken wir!“ Alle liefen so schnell sie konnten zu den Stiegen und drängten durch den dichten Rauch ins Freie. Gerade noch rechtzeitig, denn das Nachbarhaus war von einer Bombe getroffen worden und brannte lichterloh.

Am nächsten Morgen, als der Brand längst unter Kontrolle war, stand der Handwagen noch immer unter dem Mauervorsprung.

„Der Koffer war verkeilt, sie hatten keine Chance“, sagte Leo.

„Sie müssen verzweifelt versucht haben, herauszukommen. Ihre Finger waren ganz blutig“,  sagte ein Feuerwehrmann. Irgendjemand sprach von einer gerechten Strafe.

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ulla

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mukk liebe Ulla, DIE Erzählung ist SPITZE!!!
Leider gibt es diese Vimetals noch immer, aber damals war das fast unverständlich....
Liebe Grüße
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Da hat es wohl mal die - Richtigen getroffen? Es scheint also doch eine höhere Gerechtigkeit zu geben! Ja, die Gier hat oft schon zu unüberlöegtem Handeln verleitet. Du hast die Geschichte gut erzählt, liebe Ulla.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
pekaberlin Bomben und Orden ... - ... treffen meist die Falschen!
Die Ausnahme scheint nur die Regel zu bestätigen.
Aber ist das wirklich so? Oder sind Bomben und Orden einfach nur perverse Symptome derselben Krankheit?
Diese Fragen zu provozieren, ist Dir großartig gelungen, ganz ohne Zeige-oder Stinkefinger!
Chapeau Ulla, und liebe Grüße Peter
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR sie hatten keine Chance, - weil in ihren Herzen nur Habgier und Kälte wohnten.....

Wunderbar, liebe Ulla, das ist mal eine Geschichte, die gerecht ausgeht und keine Trauer zurück lässt, jedenfalls nicht um diese von Vimetals.

GlG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
NStellaObuz Re: Re: Klasse liebe Ulla -
Zitat: (Original von ulla am 18.09.2008 - 20:48 Uhr)
Zitat: (Original von nstella am 14.09.2008 - 20:11 Uhr) ich glaube Krieg hat nicht aufgehört, Kinder verhungern immer noch mit Hartz v. Sehr schön geschrieben. Mit mir 6 Sterne und Favo.
mfg Stella

hallo stella,
danke für die sterne und den favo
du hast recht, es gibt immer irgendwo einen krieg, immer hungern kinder, weinen mütter und werden mit waffen geschäfte gemacht, leider...
schön, dass du da warst
lg
ulla




ja, leider.......
gernegeschen

mfg Stella
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Der Koffer -
Zitat: (Original von Meryl am 18.09.2008 - 16:57 Uhr) ich gehe sogar noch einen Schritt weiter als Chrissy, der Tod dieses Paares berührt mich nicht...
toll geschrieben, liebe Ulla, wenn das nicht aufrüttelt, hilft nichts mehr !

5 Sterne aus meinem Koffer :-)
und herzliche Grüße zu dir
Meryl


hallo meryl,
danke für den sternenregen,
dass du die geschichte gut findest, freut mich ganz besonders
liebe grüße und eine gute nacht
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: In dieser Geschichte hat mich die Szene -
Zitat: (Original von Chrissy55 am 14.09.2008 - 22:04 Uhr) mit dem kleinen Jungen besonders berührt. Ist das nicht irgendwie makaber? Der Tod dieses Paares berührt mich weniger als eine angebrochene Kekspackung, die ein kleiner Junge in seiner Hand hält? Bin ich vielleicht gefühlskalt? Oder sehe ich da eine Verbindung zu unserer heutigen Zeit, in der Reiche einer Champagnerflasche mehr abgewinnen können als einem Kinderlächeln?
Aber ehrlich, eine tolle Geschichte.
LG Chrissy

hallo chrissy,
der tod dieses paares hat wohl auch damals niemanden berührt, wenn man den alten erzählungen glauben darf, war damals nur jeder auf sich selbst bedacht, es wurde viel gestohlen, nicht einmal die wäsche auf der leine im garten war sicher...
gott sei dank, dürfen wir heute in einer besseren zeit leben, hoffen wir, dass es auch so bleibt
danke für deinen kommi
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: ;-) -
Zitat: (Original von seelchen am 14.09.2008 - 21:25 Uhr) ja, irgendwie war sie ein bisschen gerecht, zwar grausam aber gerecht... schöne geschichte, schön geschrieben, schön gelesen, ähh, das geht ja nicht. ne, im ernst: hab ich gerne bis zum ende gelesen... ;-)

dankt schön.
seelchen


hallo seelchen,
auch dir danke schön,
das traurige ist, dass es solch gierige menschen immer und überall gibt, hilfslieferungen in kriegsgebiete müssen von soldaten bewacht werden und kommen trotzdem oft nicht an ihr ziel usw...
es ließe sich endlos viel über dieses thema schreiben...
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Re: Klasse liebe Ulla -
Zitat: (Original von nstella am 14.09.2008 - 20:11 Uhr) ich glaube Krieg hat nicht aufgehört, Kinder verhungern immer noch mit Hartz v. Sehr schön geschrieben. Mit mir 6 Sterne und Favo.
mfg Stella

hallo stella,
danke für die sterne und den favo
du hast recht, es gibt immer irgendwo einen krieg, immer hungern kinder, weinen mütter und werden mit waffen geschäfte gemacht, leider...
schön, dass du da warst
lg
ulla
Vor langer Zeit - Antworten
Meryl Der Koffer - ich gehe sogar noch einen Schritt weiter als Chrissy, der Tod dieses Paares berührt mich nicht...
toll geschrieben, liebe Ulla, wenn das nicht aufrüttelt, hilft nichts mehr !

5 Sterne aus meinem Koffer :-)
und herzliche Grüße zu dir
Meryl
Vor langer Zeit - Antworten
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