Vorgeschichte:
Gerhard und ich, Martin, hatten den gemeinsamen Entschluss gefasst, drei Jahre auf Pilgerschaft nach Spanien begeben. Wir folgten den Spuren am Camino Frances. Unterschiedlicher und Vielfältiger konnten die Abdrücke auf dem Weg nicht sein. Und gerade deswegen fanden wir gleichgesinnte und glückliche Menschen aus aller Welt und alle mit dem gleichen Ziel vor Augen.
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PAMPLONA
Am 15. April vormittags entfliehen wir gerade noch der Aschewolke aus Island um am frühen Abend in PAMPLONA, unserem Ausgangsort anzukommen. Es ist trüb und nass bei höchstens 10 Grad C.
Unser Pilgernest „Refugio JESUS E MARIA“ ist mit Stadtplan bald gefunden. Mit Abstempelung unseres Pilgerpasses erhalten wir ein Stockbett in einem langen Gang zugeteilt. Insgesamt zählt die Herberge rd. 150 Betten und ist schon recht voll. Bald ist ein Platz gefunden – Oben Gerhard unten ich. Links eine junge Bulgarin, rechts eine übergewichtige Spanierin; beide in Pflege ihrer Blasen auf den Füßen. Gerhard wird schon ganz anders, wie er die Spanierin watscheln sieht. Darum wohl der Name der Herberge: Jesses
Maria! Wir flüchten in eine gemütliche TAPAS-Bar. Dort bessern wir unsere nicht vorhandenen Spanischkenntnisse mit einem oder zwei CERVEZAS (d.h. Bier) auf. Und bei jedem SALUD (d. h. Prost) machen wir gewaltige sprachliche Fortschritte.
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PAMPLONA – PUENTE LA REINA, 22KM Gegen 8:00 queren wir durch die Stadt und treffen auf eine Schwedin aus der Herberge, die uns sofort erkennt. MIRIAM; Künstlerin, gebürtige Iranerin, schätze Ende 40, schließt sich uns an. Sie ist sehr redselig und schafft es keine Minute, still zu sein. So erfahren wir einiges über ihren Lebensweg. Mir wird ihr andauerndes Geplapper bald zuviel und ich halte mich absichtlich zurück, um nicht mit ihr im Dialog zu stehen. Gerhard muss dafür dran glauben, er ist ja auch nicht auf den Mund gefallen. In der Ferne sehen wir schon einen langen Bergkamm mit mächtigen Windrädern, den es zu überqueren gilt. Der Weg beginnt sich in einzelnen Hainen zu verlaufen und steigt behutsam durch die Weiten aus Weizen- und
Grünland zum Pass empor. Ein ultrastarker Kontrast zwischen satten Blau-, Grün- und Gelbtönen, richtig kitschig. Miriam hat ihrem Reden Attribut gezahlt und ist erstmals abgeschüttelt.
PUENTE LA REINA – ESTELLA, 20KM
7 Uhr Tagwache, das Wetter ist leicht bewölkt und angenehm frisch. Wir verlassen die enge Hauptgasse des Städtchens über die malerische PUENTE DE LA REINA, die im gleichnamigen Fluss spiegelt - wirklich beeindruckend, diese alte Baukunst. Nach einem steilen Anstieg muss meine 2. Blase abgepickt werden. Über hügeliges karges Gebiet, später Trampelpfaden wird´s wegen der lädierten Füße recht beschwerlich, doch wir kommen trotzdem flott voran. Sehenswert ist das kleine Örtchen CIRAUQI (ZIRAUKI), mittelalterlich mit engen Gässchen, die steil bis zum höchsten Punkt, der romanischen Kirche SAN ROMAN ansteigt. Der Klosterdurchgang führt an einer Stempelstelle vorbei, wo sich Pilger anstellen.
Wir ignorieren den Stempel und ziehen weiter. Ein junger Deutscher, Anfang 20, ruft uns ganz entsetzt nach: „Stamp!!“ Aber wir winken ab und gehen weiter. Mir fällt sofort die Biefke-Saga mit der goldenen Wandernadel ein. Die letzten Meter der Etappe sind wie immer beschwerlich, jeder Fußtritt soll sanft ausfallen, denn die Sohlen schmerzen. Gegen 14:00 Uhr ist die Herberge in ESTELLA erreicht und Körperpflege angesagt. Zum zweiten Mal habe ich das Duschgel verlegt, diesmal das vom Gerhard, meines hab ich bereits der letzten Herberge überlassen. Als Greenhorn versuche ich mein Glück beim Kanastern. Natürlich ist Gerhard im Vorteil, obwohl die Probläufe ganz gut verlaufen sind. Wahrscheinlich hat er geblufft. OK Spielschulden sind Ehrenschulden, ab sofort
trage ich die Klorolle.
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ESTELLA – LOS ARCOS; 21KM
Um ½ 8 starten wir im Dunkeln. Es ist sau kalt. Ich freue mich schon auf den berühmten Weinbrunnen von IRACHE (IRATSCHE), habe darüber bereits im Führer gelesen. Aber leider, die Quelle ist versiegt, der Weinhahn abgedreht. Trotz mehrmaliger Versuche gibt’s heute leider kein Frühschoppen. Umso flotter machen wir uns auf den Weg. Ein Tipp meines Bruders wirkt Wunder – habe die Blasen mit Nadel und Faden behandelt, - es funktioniert, die Schmerzen sind gut erträglich. Der Weg wird immer Menschen loser und führt durch Steineichen bis zum höchsten Punkt des Tages – VILLAMAYOR DE MONJARDIN: In einer Herberge, betreut von einem Deutschen Ehepaar, wärmen wir uns bei einem spanischen
Kaffee. Mit am Tisch sind alte Bekannte: der 19 kg-Rucksack-Mann Ernst aus Oberösterreich und die zwei Römer Alex, ein Antiquitätenhändler und Roman, ein Carabinierie, die uns immer noch dankbar sind, dass wir ihnen eine in der letzten Herberge liegen gebliebene Regenhose nachgetragen haben. Auch ein streunender Hund darf in diesem Weiler nicht fehlen. Von hier beginnt der Abstieg in das eindrucksvolle schokoladebraune Rioja-Weinanbaugebiet. Gegen 13:00 erreichen wir LOS ARCOS. In der österreichischen Pilgerherberge der Jakobsbruderschaft „CASA DE AUSTRIA“ kommt das erste Mal Heimweh auf. Gerhard fightet schon ums heiß umkämpfte Internet. Rüstige Golden Girls aus Kanada und zwei Mitte 20iger Mädels aus Deutschland und ein besonders wichtig machender Wiener beteiligen sich beim PETERMAX –
Würfelspiel. Ab sofort trage ich auch das Duschgel von Gerhard.
LOS ARCOS – LOGRONO 27,5KM
Der Weg ist lang, es gilt Kräfte zu sparen. Heute wars ein roter Faden für Blase Nummer 5. Morgen werde ich wohl blau nehmen. Am nächsten Tag geht’s weiter nach NAJERA, wieder um die 28km. Ewig zieht sich die Stadt LOGRONO ehe man endlich einen kleinen Erholungsraum, einen Stausee, erreicht. Pensionisten tummeln sich zum Fischen. Es herrscht eine wunderbare Idylle in der aufgehenden Morgensonne. Über Föhrenwälder gelangen wir in die Weinberge. Jetzt führt der Weg durch nicht sehr einladende Ortschaften, meist parallel zur Autobahn. Nur ein Maschendrahtzaun, der die Autobahn absperrt; ist kilometerweit von kleinen Kreuzen
verziert. Jeder hat sich verewigt. Der Vielfalt ist kein Ende gesetzt. Der letzte Abstieg in die Industriestadt NAJERA ist für Gerhard´s Knie sehr schmerzvoll. Gerne greift er auf meine Treckingstöcke zurück. Was kann es da schöneres geben, als in der Stadt in den Brunnen zu springen – es zischt so richtig! Aber natürlich gibt’s noch eine Steigerung: Eine Herberge mit einem 70 Personen Schlafsaal und einer einzigen Kaltdusche. Jetzt weis ich, wie das Jodeln erfunden wurde.
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NAJERA – STO DOMINGO DE LA CALZADA 21,5KM
Die Nacht war kurz, dafür beginnt der Tag schon aufregend. Ich habe soeben meinen Automatenkaffee im engen Aufenthaltsraum verschüttet. Darum gibt’s das lebenswichtige Getränk in der nächsten Kneipe. Wir betreten ein Geisterdorf, ausgestorben, obwohl die Häuser höchstens 2 Jahre alt sind. Überall Schilder EN VENTA; die Immobilienkrise lässt grüßen. Im Dorf CIRUENA, einem zerfallenen Bauerndorf kommt Gerhard auf die glorreiche Idee, seine Bergschuhe gegen die Flip-Flops zu tauschen – Es funktioniert! Der Abstieg in die Hühnerstadt STO DOMINGO DE LA CALZADA ist
beeindruckend. Über hügelige Felder ragt nur der schmucke Kirchturm heraus, in deren Kirche sich der legendäre Hühnerstall befindet. Wer es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, glaubt es nicht. Die Herberge ist reiner Luxus, wohl die beste bis jetzt. Wir treffen eine alte Bekannte, Maleika aus Deutschland.
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STO DOMINGO DE LA CALZADA – BELORADO; 24KM
Frühstück in der Albergue um 6:30 Uhr. Es ist noch dunkel, die Straßenlampen leuchten in den Gassen. Der nächtliche Regen hat aufgehört, aber Regen ist angeblich angesagt. Wir haben keine Zeit zu verlieren und starten los. Gerhard wagt es mit der Flip Flop Bereifung. Er kämpft sich recht tapfer durch die Regenlacken. In der Herberge treffen wir einen, ich schätze knapp 80 Jährigen Nordiren aus der Nähe von Belfast. Er möchte den ganzen Weg bis Santiago de Compostella schaffen - meine Hochachtung!
Das Verlieren beim Kartenspiel habe ich satt, darum gibt’s zur Abwechslung eine Runde Billard.
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BELORADO – S JUAN DE ORTEGA 24KM
Heute geht´s in die Oca-Berge, zumindest auf 1200m Seehöhe. Die Landschaft ändert sich stündlich.
Nach ausgiebiger Wanderung durch den Wald ist das aus weißem Marmorstein gebaute MONASTERIO S JUAN DE ORTEGA endlich erreicht. Ein beeindruckender Anblick diese Einsiedelei. Über einen alten Innenhof gelangen wir in alte Zimmer. Die Herberge ist sehr einfach mit alten eisernen Stockbetten und einem Waschraum, wie man es sich halt im Kloster vorstellt. Um 18:00 feiern wir die heilige Messe in der hellen uralten Kirche mit einer Krypta aus den 8 JH. Die romanische Iglesias ist sehr einfach aber gibt wieder neue Kraft. Eine schöne Geste bietet die anschließende Einladung zum gemeinsamen
Knoblauchsuppenessen. Dabei werden alle Pilger nach ihren Herrenländern mit Applaus begrüßt Am Abend gibt’s in der Klosterhosteria noch eine Spezialität, zu der wir uns überreden lassen. MORCILLA; ein Blutwurstgericht , das recht gut schmeckt. Wir machen auch Bekanntschaft mit einem interessanten Paar aus Bordeaux. Er handelt mit Fertighäusern, sie ist eine Esoterikerin. Eine „Hexe“, wie sie Gerhard nennt.
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S JUAN DE ORTEGA – BURGOS; 26KM Nach einer kalten Nacht mit wenig Schlaf brechen wir auf. Im Innenhof des Klosters höre ich von einer versperrten Türe her eine monotone gregorianische Choralmusik. Ich bin begeistert und zücke meine Kamera, um vor der Tür ein paar Tonaufnahmen zu machen. Es dauert nicht lange und Gerhard beginnt hellauf zu lachen. „Hörst du das nicht?“, frag ich den Gerhard. „Freilich hör ich das!" er grinst und zeigt gleichzeitig auf den Kassettenradio, der auf der Stufe des Stiegaufgangs steht!“
Wie peinlich!
Wir ziehen weiter ins Dorf ATAPUERCA; der Wiege der europäischen Menschheit. Hier in der näheren Umgebung sind die ältesten
Menschenknochen von Europa gefunden worden (800.000 Jahre alt). Bei einer kurzen Rast lernen wir eine junge Bayrin aus der Nähe von Regensburg kennen, die ihren Sklaventreiber – ihren Freund oder Mann –vorausgehen hat lassen. Nun wandert sie mit einer gemütlicheren Gruppe weiter. Auch ein uns bekannter Wiener, namens Alex ist dabei. Er ist bereits den Tiroler Jakobsweg gegangen und hat von seiner Einkehr in Stams erzählt.
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BURGOS Der Dom in Burgos ist riesig, den Besuch der Kathedrale ist es wirklich wert. Der ganze Komplex beinhaltet etliche Unterkirchen. Weil Burgos unser vorläufiges Ziel der Reise ist, suchen wir nach einem geeigneten und passenden Platz für den Pilgerstein, besonders den vom P. Clemens. Aber überall befinden sich Kameras und Besucher, sodass das Unternehmen nicht leicht wird. In einer prunkvollen Marienkapelle finden wir auf einer Säule einen unauffälligen aber passenden Ort. Gerhard schleicht sich auf das Gesims und ich stehe Schmiere. - GESCHAFFT
BURGOS
Weiter geht’s ins Weltliche, auf den Domplatz. Die nächste TAPAS-Bar ladet uns freundlich ein. Mit direktem Blick auf die Kathedrale genießen wir nochmals den letzten Tag unseres Pilgerwegs. Zu uns gesellt sich ein alter Bekannter, Liom, 66 Jahre, pensionierter Lehrer aus Nordirland. Ein lustiger Geselle der uns erzählt dass er vor 100 Jahr einmal einen kurzen Fußball-Europacupauftritt mit seinem Club CARDIFF-WELLS gegen eine franz. Mannschaft gehabt hat. Er war Mittelstürmer. Wie das Spiel ausgegangen ist, hat er uns nicht verraten. Der Domplatz ist voller Hochzeitsgäste. Ein Paar ums andere wird in Burgos abgefertigt –
unsere Hochzeitsmetropole².
Liom erzählt uns, dass in Nordirland die Hochzeiten stink langweilig ablaufen. Nach der Trauung ist das Fest vorbei. Viel besser gefallen ihm die Begräbnisfeiern, denn die feiern sie mindestens zwei Tage durch. Gerhard ist in seinem Element und spickt sich die elegant gekleideten Halbinselschönheiten, eine nach der anderen für einen gemeinsamen Schnappschuss heraus. Die SENORITAS lassen sich auch nicht lange betteln. Wobei die SENORES wie Mafiosi eher misstrauisch zu zuschauen. Gut mit Gerhard seinem Outfit hält sich die Eifersucht in Grenzen. Aber auch die frisch vermählten Paare kommen nicht ohne Fotoshooting an uns vorbei.
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Wie kleinBURGOS Gegen ein kurzes Schäferstündchen in der Kirchenherberge habe ich nichts einzuwenden. Und auf heiligem Grund schläft man viel besser. Wie ich wieder aufwache, hat sich die 16-Bettenherberge bereits zur Gänze gefüllt. Im Stockbett neben mir bekomme ich mit, dass sich ein hübsches Mädchen aus Bozen einquartiert hat. Uns so kommen wir Tiroler zum reden. Evi, schätze Anfang 20, Krankenschwester vom Beruf, beginnt ihren Jakobsweg hier in Burgos – alleine, versteht sich. Vertrauenswürdig schauen wir aus und Evi lässt sich zum Essen gehen in die Stadt überreden. Dort erfahre ich, dass ihr Schwager aus dem Ötztal und zwar aus Tumpen stammt. Ich kann
ihr darauf nur bestätigen, dass meine künftige Schwägerin auch aus Tumpen kommt und Viktoria heißt. Evi schaut mich ganz verdutzt an und fragt mich: „Sie ist aber nicht die Schwester von mein Schwager? Und mir sein miteinander verwandt! - sozusagen Schwipschwager – wie das so heißt!“ Gerhard kann sich vor Lachen nicht halten. Habe ich doch mit ihm vor der Reise gewettet, dass der erste, der auf dem Weg jemanden Bekannten trifft, eine Runde schmeist. Gut, dann her mit der Flasche Rioja, das muss gefeiert werden. Es ist wohl mehr als ein Zufall, dass man einen so langen Weg geht und in den wenigen Minuten bei so vielen Pilgern und Herbergen ausgerechnet eine so nette Verwandtschaft findet, von der man vorher noch überhaupt nicht gewusst hat, dass es sie gibt.
ANREISE Von Innsbruck via Frankfurt nach Madrid erreichen wird das heißeste Pflaster Spaniens – mind. 15° Unterschied. Mit einem 50-Sitzer-Bus weiter aus der enge Ausfahrt aus der Tiefgarage. Beim ersten Mal will’s nicht ohne Touchieren klappen, ein zweiter Versuch mit mehr Schwung. Das rechte Ohr des Busses muss nun endgültig dran glauben – und bei den Fahrgästen wird’s sofort mucksmäuschen still. Provisorisch den Spiegel gerade gebogen geht’s zum dritten Versuch – 48 schwitzen und halten kurz die Luft an – und – siehe da – er hat den Alkotest positiv bestanden!! Ein erleichtertes Ausschnaufen geht die
Runde. Die Fahrkünste werden immer besser und wir kommen heil froh aber nach 4 Stunden auch verschwitzt in der uns bereits bekannten Kathedralenstadt BURGOS an. Alle möglichen Herbergen sind pumpt voll. Nur die Möglichkeit, ein Quartier in einer 2km entfernten Turnhalle am harten Boden zu schlafen, bestünde. Entweder unterm Baskeballkorb oder am 7m-Punkt. Soviel Hardcore muss es am 1. Tag nun auch nicht sein, drum entscheiden wir uns für ein luxuriöses 1-Sterne-Hotel.
BURGOS – HONTANÀS 29KM
Geschädigt vom Schlaf im Stundentakt setze ich die ersten morgendlichen Schritte ins Freie. Denn als SPÄTBETTGEHER und FRÜHLANGSCHLÄFER funktioniere ich noch ferngesteuert. Die Straßenlampen lassen die engen Gassen in der Morgendämmerung in spannenden Gelbtönen wirken. Es dauert recht lange, bis sich die Sonne am Horizont durch einen kleinen Glockenturm zeigt. Sie wärmt und unsere Schatten werden immer kürzer. Spätestens mit Eintritt in die Meseta, so wird das Hochplateau aus sanften Hügeln und endlosen Getreidefeldern genannt, beginnt für uns der Hochsommer. Auf staubigem Schotterweg hat uns der Camino wieder in seinen Fängen. Erbarmungslos geht’s mit
brennenden Fußsohlen in Richtung Westen, ehe wir unser Ziel – HONTANAS – am späten Nachmittag erreichen. Die Iglesias aus dem 14. JH ist ein Foto wert, denke ich und zupfe meine Kamera um eine Innenaufnahme zu machen. „sch-sch–sch“ wie ein Schlangengeräusch zischt es hinter mir im Gestühl. Die Kirchenwächterin winkt mit ihrem Zeigefinger mit bösem Blick – „NO NO!“. OK denke ich, pack die Kamera wieder ein. Wie ich aber die Kirche verlassen will, stellt sich mir dieselbe Person zwecks Kirchenspende in dem Weg. Auch ich hebe unmissverständlich meinen Finger: „NO NO!“ und gehe.
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HONTANÀS – BOADILL(j)A; 28KM
Wir beginnen im Dunkeln, um der Hitze der Meseta ein Schnäppchen zu schlagen. Das einzige Licht kommt von unzähligen Sternen im Himmel, und nur bei den Kreuzungen wird die Stirnlampe zur Orientierung kurz eingeschaltet. Es ist ein gutes Gefühl, endlich ausgeschlafen zu sein. - Zum heutigen Ziel BOADILLA erklimmen wir mustergültig 100 HM und wandern durch Weizen-, Rüben und Sonnenblumenfelder Endlich angekommen in Boadilla erwartet uns eine paradiesische 5-Sterne-Herberge. Was wir hier erleben, hätten wir nie erträumt. Eine Sonnenterrasse mit kalten Getränken zur ABKÜHLUNG, die grüner Liegewiese wieder
zum AUFHEIZEN, ein kleines Swimmingpool zur ABKÜHLUNG, und wieder zum AUFHEIZEN eine attraktive Amerikanerin, die in aller Öffentlichkeit mit schmalem Bikini alle erdenklichen Yogastellungen bietet.
Während ich beim Tagebuch schreiben sitze, stupft mich Gerhard ganz nervös am Arm: „Schau was die da macht!“ Ich erkläre ihm – schlau, wie ich aus meinen drei Jogastunden geworden bin - wie diese oder jene Verrenkung heißt „Sonnengebet, Hundestellung, Schildkröte, Taube u.s.w". Für Gerhard sah das eher aus wie „Kamasutra für Fortgeschrittene“
Ein recht sportlicher Mitpilger erregte diese Vorführung wohl dermaßen, dass er seine Liegestützne aus taktischen Gründen umgestalten musste, er behielt sein Becken
vorsichtshalber am Boden!
BOADILLA – CARRION; 27KM
Wir starten bei der gotischen Gerichtssäule und suchen akribisch nach den Wegweisern und gelben Pfeilen. Im Stockfinsteren wandern wir kilometerweit entlang, dem früher schiffbaren „Canal de Castilla“. Der Vollmond spiegelt sich im ruhigen Wasserlauf. Im Dorf POPLAC(s)ION DE CAMPOS trennen sich dann die Wege des Caminos. Entweder auf gerader Landstraße mit Asphalthitze und Auspuffgestank oder viel besser - wie wir uns entscheiden - in die Naturlandschaft, einem kaum begangenen ruhigen Pfad am Bachverlauf im Schatten. Wir filmen, knipsen, horchen und staunen – Landschaften, Blumen, Tiere, kleine Kapellen, aber am meisten gibt’s gegenseitige Ablichtungen in allen Posen. Eindrücke ohne Ende begleiten uns auf der Hochebene der
„Tierra de Campos“.
Ich spüre meine maroden Punkte mit jedem Abdruck am sandigen Boden. Vor mir die Spuren der Pilger – völlig unterschiedlich und doch alle mit dem gleichen Ziel vor Augen. Jeder setzt ein Zeichen in den Sand. Aber eine Fußsohle fällt mir sofort auf, die sich von allen anderen abweicht! Kurzes Foto vom Abdruck und die Fährtensuche nach dem Aschenputtel beginnt.
Das Zeitgefühl geht total verloren, nur die Länge und Richtung der Schatten verraten die Tageszeit. Erst als wir vor der Ortschaft „Villacázar“ 12 Klöppelschläge auf irgend einer billigen Blechglocke vernehmen, wissen wir, das Mittagszeit ist. Aber 10 Minuten später dröhnt es wieder in der Nachbarortschaft, und die bimmelt noch metallischer und übler. Und immer wieder klöppeln ringsum Kirchenglocken von den unzähligen Türmen am Jakobsweg.
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CARRION D.L.C – CALZADILLA; 17KM
Das kleine Städtchen - einen Besuch wert – gemütliche Atmosphäre, gute Restaurants und nette Einkaufsgassen. Unsere Unterkunft in einer 4m² Zelle im Kloster „Santa Clara“ in Carrion war einfach aber sehenswert.
Neben seiner eigenen Fußoperation ist Gerhard auch einer Brasilianerin namens Marie-Suelee als Sanitäter beim Verarzten behilflich. Gerhard erzähle! Gerhard als erfahrener Bergretter desinfiziert mit 50% Tiroler selber gebrannten Schnaps, Schmerzhaft aber effektiv. Nach einem Schuss auf die Wunde benötigt sie gleich eine orale Betäubung – dabei stellt sie ihre Augen heraus wie eine spanische
Weinbergschnecke. Über die heutige Etappe ist nicht viel zu vermelden, nur, dass wir 18 km schnurstrags geradeaus gelaufen sind. In Calzadilla beziehen wir eine einfache Pension. Weil wir unsere lädierten Füße schonen und eine kürzere Etappe eingelegt haben, bleibt uns viel Zeit, die vorbeiziehenden Pilger nach ihren Fußsohlen zu orten. Große Freude kommt auf, als unser Märchen wahr wird und der passende Schuh zum Schuhabdruck, wie erwähnt, gefunden ist. Aber mehr verraten wird noch nicht!
CALZADILLA – SAN NICOLÀS DEL REAL CAMINO; 15KM Der Wegabschnitt ist mit reizvollen Erdhäusern, Bodegas und Adobe-Bauten bespickt. Die handgemachten Lehmziegel aus natürlichen Materialien sind in der Luft getrocknet und kaum gegen Regen resistent. Da aber relativ wenig Regen fällt, sind die Bauten zum Teil mehrere hundert Jahre alt. Trotz schönen Wetters ist bei uns ein gehöriges Tief eingetroffen. Unsere Schienbeine sind geschwollen und jeder Schritt sticht. Erstmals kommen mir die Gedanken: Warum du ich mir das an? Da hilft nur eine Pause einlegen und die Schwellung mit Eiswürfel zu behandeln. Um den langweiligen Tag herumzuschlagen, wird
endlos Karten gespielt. Lustig wird’s dann erst, wie sich eine Kanadierin aus Vancouver zu unserem Tisch gesellt. Sie ist sehr redselig, wie ich es von Lehrerinnen so gewohnt bin. Aber sie fuchtelt auch noch mit Händen und Füßen! Ihre Frage an uns: „Are you Father and Son?
SAN NICOLÀS DEL REAL CAMINO – EL BURGO RAN(j)ERO; 26KM
Es geht entlang der A231. Halbwüchsige Ahornbäume wurden am Wegesrand eingepflanzt und bieten nur etwas Schatten. Eintönig trotte ich dahin, den Kopf leicht gesenkt. Die Gedanken ganz woanders. Bis Gerhard plötzlich etwas sagt: „buenos dias!“ Ehe ich aufschaue hechtet ein kleiner schmächtiger Spanier nur eine Nasenlänge vor mir in die Wiese – Um ein Haar hätte ich dem Entgegenkommenden einen gehörigen Bodycheck verpasst. Nach dem Pilgersegen in der Kirche geht’s ab zum Abendessen. Diesmal gibt´s gar 3 Pilgermenüs aber ohne geschriebene Speisekarte. – Unser aus dem Nachbarland besetzter Tisch ist
beim Ordern sehr kritisch. Die EDELPILGER, so nennen wir zwei die organisierte Art von Urlauben mit motorischem Rucksacktransport, mit vorgebuchtem Hostal, mit täglich neuer Garderobe und abendlichem Galadinner. Ihr Spanisch ist mindestens so gut wie das unsere und so behelfen sie sich mit einem Spanisch-Wörterbuch. Der Kellnerin wird´s schließlich zu bunt, sie wendet sich uns zu. Gerhard ordert: „ el menü dos e tres“ Freundlich nimmt sie unsere äußerst souveräne Bestellung auf – Eigentlich wissen wir aber nicht, was wir tatsächlich bestellt haben. Aber wie heißt es so schön: Hunger ist der beste Koch!
Ganz anders beschweren sich die Edelpilger über so ziemlich alles was auf den Tisch oder eben nicht auf den Tisch kommt. Nur eine Flasche Wein für 6 Personen, während wir den Liter zu
zweit genießen – das ist eine bodenlose Frechheit. Die Senorita lässt sie trotz Protest eiskalt abblitzen. Zu allem Überdruss bringt sie uns noch eine BOTELLA VINO TINTO, und das auf Kosten des Hauses, was die EDELPILGER am Nebentisch endgültig zum Schäumen bringt und diese verärgert abziehen lässt. Mit einem "Salut" auf die anspruchslose Pilgerschaft schließen wir den heiteren Abend ab.
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EL BURGO RANERO – MANSILLA DE LAS MULÀS ; 19KM
Beim Start ist der Mond noch so hell, dass die Bäume Schatten werfen. Auch die gestrige Bekanntschaft, die Kanadierin folgt uns. Wie wir bei einer Abzweigung kurz halten und ein cooles Sonnenaufgangsfoto schießen, zweigt diese ganz entschlossen in die falsche Richtung ab. Bis wir ihren Fehler bemerken ist sie schon über alle Berge. Orientierung ist eben Männersache. Eine Erzählung einer Pilgerin (der Name wird hier nicht verraten) darf auch nicht fehlen. Auch sie ist im Dunkeln auf der verkehrsarmen Landstraße unterwegs. Wie dann plötzlich eine riesige schwarze Schlange vor ihr den Weg versperrt, ist es aus mit Lustig. Zuerst schreckt sie einige Meter zurück und versucht dann, das
Reptil mit kleinen Steinen zu vertreiben -– vergeblich – Mit respektvollem Abstand harrt sie geduldig mindestens 10 Minuten aus – es passiert nichts - Genervt nähert sie sich langsam, berührt das Reptil vorsichtig mit ihrem Stock –es passiert weiter nichts – ist die Schlange schon vom Auto überfahren?- oder vielleicht doch nicht? – sie geht noch etwas näher ran – bis sie erkennt dass es sich um einen Gummischlauch handelt. In unserer Herberge in der römischen Festungsstadt Mansilla de la Mulas treffen wir auf Marie Suelee, die Brasilianerin, die uns sensationell Makkaroni mit Tunfisch u. Erbsen zubereitet. Ihre Füße sind ganz offen, sodass wir sie in den folgenden Tagen aus den Augen verlieren und nicht wissen, wieweit ihr Camino noch gegangen ist.
MANSILLA DE LAS MULÀS - LEON ; 19KM
Der Abschnitt beginnt gefährlich am engen Streifen neben einer stark frequentieren Bundesstraße. Erstmals erwischt uns eine plötzliche Gewitterfront und wir flüchten in eine offene Werkshalle, um unsere Schlechtwetterutensilien auszupacken. Aber bereits in der Vorstadt von Leon kommt wieder die Sonne durch. Die geschäftige 135.000 Einwohnerstadt lädt nicht nur zum Einkauf sondern sie ist ein kulturelles Schmuckkästchen. Leon ist eine lateinische Abwandlung des Wortes „Legion“ und war im 1. JH n.C. römisches Armeelager. Neben der mächtigen gotischen Kathedrale mit unzähligen bunten Fenstern, beeindrucken das römische Festungsgemäuer, die starke romanische Basilika „San Isidoro“ mit Mausoleum und das von
Antonio Gaudi entworfene Handelshaus „Casa de Bontinés“ im neugotischen Stil.
Im Benediktinerinnenkloster stehen wir beim Einlass Schlange. Die Aufnahme erfolgt durch eine geschminkte Frau mit Haufen weise goldenem Klunker behangen – eigentlich nicht so, wie man sich die Angestellten im Nonnenkloster vorstellt. Nicht nur das Lager mit riesigen Schlafsälen ist unbehaglich, auch beim Schuhdepot gilt es die eigene Bereifung wieder zu finden. Vorsichtshalber knüpfe ich mein Paar zusammen. Pilgersegen erhalten wir in der Kirche durch eine zierliche Nonne um halb 10 Uhr nachts. Die Hitze im Saal ist unerträglich, da nützen auch die vielen Ventilatoren nichts – ist reine Geruchsverteilung!
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LEON - VILLAR DE MAZÁRIFE; 22KM
Gerhard weckt mich früh, damit wir dem großen Gerangel bei den 2 Waschbecken und 2 Klos entgehen können. Wir verzichten auch auf das angebotene Frühstück, müssen dafür lange lange auf die Öffnung der Klostertüren warten. Ein letzter Rückblick von einer Anhöhe auf die Stadt Leon, ehe eine völlig neue Landschaft beginnt. Am Camino begleitet uns eine schwarze Gewitterfront mit Blitz und Donner und zwingt zur kurzen Einkehr bei einem Kaffe Americano in einer einfachen Bar – das war ein perfektes Timing. Der wohl schönste Abschnitt des heurigen Caminos beginnt in der blühenden Heidelandschaft „Páramo del Leon“. Besonders zur Geltung kommen die Farben erst, als sich die Morgensonne durchsetzt.
Im winzigen Dörfchen „Villa de Mazàrife“ beziehen wir ein feines und sauberes Quartier. Samstag ist und im einzigen Dorfgasthof geht die Post ab. Das ganze Dorf, mindestens 35 Männer (Jung bis stein Alt) spielen Karten und Domino. Wir beobachten die Männerriege ganz konzentriert von der Bar aus. Unser Interesse belustigt die Spanier dermaßen, dass sie sich über uns amüsieren. Aber was uns besonders beeindruckt: – Es gibt weder Alkohol noch Raucher in der Spielhölle!
Der Messner, selbst ein begnadeter Spieler, sperrt eigens für uns die kleine Dorfkirche auf. Wir erhalten eine Gratisführung –, und mit Gerhard hat er endlich ein Opfer gefunden, dem sämtliche Heiligenfiguren auf Spanisch erklärt werden.
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VILLAR DE MAZÁRIFE – HOSPITAL DE ORBIGO; 14KM
Die Tagesration bleibt kurz, damit Gerhards Entzündung endlich abklingen kann. Meine Fußleiden sind schon verheilt, aber Gerhard hat noch einige Sünden abzubüßen. Unser heutiges Ziel „Hospital de Orbigo“ wird über eine langgezogene mittelalterliche Steinbrücke betreten – nur der zugehörige Fluss ist ausgetrocknet. Von dieser Brücke gibt’s die berühmte Sage vom „Tapferen Ritter Suero de Quinjonès“ zu erzählen: "Quiñonés hatte seiner großen Liebe geschworen, im Duell 300 Lanzen zu brechen. Auf der Brücke des Orbigo forderte er dabei die vorbeiziehenden Pilger zum ritterlichen
Zweikampf auf, und gewann." Wenn man heute die Pilger beobachtet, die mit Sack und Pack über die Brücke humpeln, dann war sein Duellieren auch damals wohl keine große Herausforderung. Die heutige Herberge gleicht einer Galerie. Papierbögen und Malerutensilien laden zur Betätigung ein. Jeder künstlerisch begabte Pilger kann seinen Ideen freien Lauf lassen. Die schönsten Kunstwerke werden dann aufgehängt. Eine junge Australierin z.B. künstelt an einem Spruch, während ihr Freund sie mit Gitarre rockig begleitet.
HOSPITAL DE ORBIGO – SANTA CATALINA DE SOMÓZA; 23KM Wieder als Erste verlassen wir das Lager im Dunkeln. In der nächsten Ortschaft jubeln uns noch die letzten Überlebenden einer Fiesta zu. Weiter geht’s auf Pfaden durch Wiesen und Wälder. Gerhard hat zum Schutz seiner Blasen die Schuhe gegen Crocs gewechselt. Aber zu seinem Leidwesen läuft er immer wieder auf größere Steine auf, die im Weg liegen – eine wirklich schmerzhafte Angelegenheit! Am Plateau vor „San Juso“ campiert ein Standverkäufe im Zeltverschlag – er schläft noch – aber fürs Zukehren wäre es sowieso zu früh. Die beeindruckende Stadt „Astorga“ liegt gethront am Hügel im ersten Sonnenstrahl – Ein imposanter Anblick! Beeindruckend ist die Altstadt mit ansehnlicher Kathedrale und
auffallendem Gaudi – Bischofspalast. Wir haben beim Gaudi –Palast keine Gaudi damit, dass die Kulturgüter noch geschlossen sind. Aber eine moderne Kirche entschädigt uns dafür mit faszinierender Glasmalerei. Nach Astorga geht’s endlich in die Berge – Nicht nur die Vegetation wandelt sich vom Bild der ockerfarbenen Weizenfelder ins Smaragdgrün des Heidelands mit Zwerg-Eichenbewuchs. Auch die Ortschaften werden kleiner und ärmer. Die Landflucht hat im Bauerndorf „Santa Catalina de Somoza“ voll zugeschlagen. Zerfallene Trockensteinhäuser prägen das armselige Bild des Bergdorfes auf 1000 m Seehöhe – großteils unbewohnt - nur wo Camino draufsteht, sind Menschen drin.
SANTA CATALINA DE SOMOZA – CRUZ DE FERRO Durch den keltischen Ort „Foncebadón“, der auch nur mehr wenige Einwohner zählt, steigt der Weg zum Höhepunkt der heurigen Pilgerschaft – dem „Cruz de Ferro“ auf 1.500m an. Das kleine Eisenkreuz auf langem Baumpfahl ist der höchste Punkt des spanischen Jakobswegs. Es befindet sich auf einem alten Kultplatz, an dem schon seit mehreren tausend Jahren Steine und Gaben abgelegt wurden. Viele Pilger nutzen das „Cruz de Ferro“ auch, um am Baumstamm des Kreuzes persönliche Dinge, Briefe oder gar Votivgaben anzubringen. Ehrfürchtig und berührend begegnen wir dem Platz. Mir fährt es kalt über den Rücken, wie bei -20°C. Die Begegnung geht tief und bei den
ankommenden Pilgern bleibt kaum ein Auge trocken. Ein kanadischer Landsmann, den ich mit Kreuz fotografiert habe, umarmt mich dankend und fällt in Tränen aus. Eine symbolische Ablage von Last – bewusst oder unbewusst – man spürt die Befreiung.
CRUZ DE FERRO – MANJARIN
Vom Cruz de Ferro geht es ca. 5km bergab zu unserer Herberge „Manjarin“. Die ist was ganz Besonderes! An diesem verlassenen Ort – Ortsanfang und Ortsende liegen gerade einmal 3 Meter auseinander - lebt der angeblich letzte Tempelritter Tomás. Die Herberge ist einfacher als so manche Berghütte. Es gibt keinen Strom, kein Wasser und die biologische Letrina ist rd. 100 Meter entfernt. Da kann man schon mal Füße bekommen. Alles ist ganz einfach gehalten - Waschen mit etwas lau warmem Wasser aus einem Kanister und gegessen wird gemeinsam in der schummerigen Küche, die einer Rumpelkammer gleicht. Dem scharfen Nudelgericht folgen als Nachspeise: Äpfel aus
Südtirol. Erst richtig spannend wird der Aufenthalt, als sich noch ein männliches spanisches Paar und ein französischer Freimaurer dazugesellen. Jener lässt uns mit einem Kartentrick x-Mal verlieren, bis es uns reicht.
Vor Bettruhe wird zum Ritual des Tempelritters eingeläutet. Dabei erfolgt die feierliche Anbetung der Madonna von Fatima im eigens eingerichteten Hüttenaltar. Die abschließende Segnung erfolgt mit dem Ritterschwert.
MANJARIN – PONFERRADA; 23KM Der letzte Abstieg ins Tal führt wieder zur Zivilisation. Siedlungen in der neuen Provinz sind völlig anders gebaut. Schwarze und flache Granitplatten lösen die roten halbrunden Dachziegel ab. Trockenmauern werden durch Betonsteinmauern abgelöst und schmücke Holzbalkone zieren das gepflegte Ambiente. Die kolossale Templerburg in der Industriestadt Ponferrada grüßt bereits von Weiten. Die Altstadt ist Treff von vielen bekannten und lieben Pilgern aus aller Welt. Nun heißt es Lebe wohl sagen, auch zu Steffi, unserer charmanten Wegbegleiterin. Trotz aller Wehmut des Abschiednehmens überwiegt der Frohsinn zur Heimkehr und keimt
die Vorfreude - in naher Zukunft noch ein Stück Camino vor sich zu haben.
ANREISE
Mit einem Regionalzug bummeln wir 11/2 h von „Gare de Bayonne“ durch ein einsames Tal. Diesesmal haben wir Frankreich als Ausgangspunkt gewählt. Das Tal liegt im völligen Nebel. Erst kurz vor St. Jean PdP reißt ein Sonnenfenster auf – es erwartet uns wunderbares Bergwetter.
Gleich beim Einschreiben in der Informationsstelle erfahren wir, dass sich bereits 350 Pilger auf dem Weg gemacht haben und versuchen uns über die Bergrisiken Respekt einzuflößen. Sie erzählen von kürzlich Verunglückten auf Wege, die man unbedingt meiden sollte. Als erfahrene Bergretter können unser Schmunzeln nicht verbergen.
ST JEAN PIED DE PORT – RONCESVALLES, 27KM
Vom geschäftigen Ort geht’s bereits steil in die unberührte Natur. Nur mehr vereinzelt finden wir Gottverlassene Bergweiler. Nach und nach überholen wir kneistende und dehydrierte Pilger. Da wundert es uns nicht, dass plötzlich eine ganze Schar von Geiern über unseren Köpfen kreist. Ich zähle mindestens sieben Stück - eine ganze Familie auf Beutezug. Unter der erschöpften Pilgerkolonie werden sich wohl ein oder zwei Opfer für die „Geier“ finden. Aber irgendwie ist es auffällig, dass die Vögel permanent über uns schweben. Sehen wir so fertig aus und sind wir als Nachmittagsschmaus gedacht – vielleicht als schmackhafte Tiroler Speckjause! Verzweifelt versucht Gerhard ein paar Ablichtungen zu
schnipsen, damit zumindest für die Nachwelt ein Täterbild für die Kripo vorliegt.
Wir rätseln lange, was das wohl für Greifvögel sind – kommen vom Bussard, Adler, Geier, Kondor bis zum Milan. Es dürfte sich um Bartgeier gehandelt haben, die eine imposante Spannweite bis zu 2,9 Meter erreichen. Die Größe können wir erst so richtig einschätzen, wie ein ausgewachsenes Tier knapp über einen Pilger hinweg schwebt und diesen Menschen richtig winzig erscheinen lässt.
Nach ORISSION, der letzten bewirtschafteten Unterkunft, beginnt eine völlig neue Landschaft. Sie gleicht den Moor- u. Heidelandschaften in Südengland. Auf teils kahlen Wiesen mit vielen Wasserläufen grasen riesige Schafherden, aber auch Rinder und Pferde und „alle“ mit Schellen bestückt. Nach 21 km Anstieg ist die Passhöhe „Col de Leparder“ im spanischen Territorium
erreicht. Mühselig wie immer gestaltet sich der steile Abstieg über Schotterstraße zur großen Klosteranlage „Rossevalle“. Die „holländisch geführte Kommunalherberge“ ist völlig neu renoviert. Es gibt Lifte zu den riesigen Schlafsälen. Aufwändig wurde neuer Stil in die alte Baukultur eingebracht – natürlich EU-gefördert!
RONCESVALLES
Ein ausgezeichnetes Pilgermenü bestehend aus „Kartoffelcremsuppe – Forelle mit Pommes und Jogurt sowie köstlichem Tropfen Vino Tinto aus der Weingegend Navarra – Pilgerherz was willst du mehr?
Lustig und gesellig geht’s zur Sperrstunde um 22:00 zu Bett. In der modernen Herberge standen jeweils zwei Kojen mit je 2 Stockbetten zur Verfügung, alle durchnummeriert. Unsere Nachbarn, ein Geschwisterpaar aus Tschechien, hießen Hanka und Roskit.
..und nun meine unvergessliche Geschichte:
Ich fühlte mich völlig relaxt und das Einschlafen mit Oropax funktionierte ausgezeichnet. Erst um ca. 4:00 Uhr früh schoss ich wie eine Rakete
auf. „Scheibenkleister, mein Wecker am Handy ist vom Vortag noch auf 5 Uhr 30 gestellt!
"Wo ist die Handtasche? Im Restaurant ?
Nein, da hab ich sie vom Stuhl mitgenommen. Im Stiftshof? Ja natürlich, da muss sie sein.
Da sind wir vor der Pforte auf einer Bank gesessen wo Gerhard eine Verdauungszigarette geraucht hat. Ich hatte meine Tasche an die Banklehne gehängt."
Mit Unterhose und Stirnlampe recht spärlich bekleidet startete ich vom 2. Stock zum Eingangsbereich, der glücklicher Weise nicht versperrt war. Beim Verlassen der Herberge stolpetre ich in der dunklen Notbeleuchtung über etwas ins Freie. "Autsch, was war das, dachte ich mir?"
Im Klosterinnenhof schien der Vollmond hell vom Firmament und ich hob den Stolperstein, einen Holzkeil auf und schmetterte ihn ins Weite. Mein Blick auf die Holzbank gerichtet,
überraschte mich mein Irrtum.
"Aber wo ist die Handtasche? Scheiße – sie fehlt – hat sie jemand gestohlen? Oder vielleicht beim Portier abgegeben!"
Ich hoffte es zumindest. Egal, im Moment nutzte es mich eh nichts. Ab ins Bett, dachte ich. Denn im schlimmsten Fall würde sich der Dieb mit dem Wecker ja selber verraten, denn mein Weckton war einzigartig.
Der Eingang, der von Außen mit Druckknopf zu bedienen war, war versperrt! Ja versperrt!. Nochmals Scheiße fluchte ich. Eine Glocke gab es auch nicht. Klopfe und schreien war sinnlos!
"Halb 4, das waren noch mindestens 2 Stunden bis die Ersten aufbrechen würden!" – was nun! Der klare Sternenhimmel war nur ein schwacher Trost. Es ist kalt und windig auf über 1000m Seehöhe mitten in der Nacht, nein saukalt! Ich
versuche mich durch Bewegung warm zu halten, da kommt noch ein unangenehmes Gefühl dazu. "Wo finde ich einen passenden Platz um meine Notdurft zu verrichten?" Ich suche sie eilend im Gebüsch.
Auf der angesprochenen Holzbank zusammen gekauert, fiel mir ein, dass ich im Bett nochmals ein SMS nach Hause verschickt hatte. Das hieße, die Tasche musste also dort irgendwo liegen.
Die Turmuhr hat gerade 5 Uhr geschlagen, als überraschend ein Kettenraucher mit Kaffee, Feuerzeug und Zigarette bewaffnet die Eingangstür öffnete. Dieser sah mich genauso verwundert an. Ich quälte mich, meine steifen Glieder wieder zu bewegen, winkte ihm zu und versuche dem Ausländer zu erklären, wie mir geschehen war. Er lacht mich aus und entgegnet mir: „You know, there must be a wedge (Keil)!“ und suchte vergeblich nach dem Keil.
„ Have you seen the wedge?“ „Wedge, no, i don´t know!“ ich zucke die Achseln. Frierend lief ich zu meiner Koje, und bestieg das Stockbett. Ich griff zum Öffnen des Schalfsacks, Aber da liegt schon einer. Ich hatte mich im Dunkeln im Schlafplatz vertan. „Entschuldigung, Sorry!“
Mein Opfer, glaubte wohl zum Glück noch zu träumen, sah mich benommen an, war aber sprachlos.
Ich sprang von der Leiter und hörte einen unausstehlichen Klingelton, mein Klingelton. Ich sprinte zur richtigen Koje wo meine Tasche unter dem Kopfpolster auch leicht zu finden war. Während manche murrt, hörte ich Gerhard genüsslich weiterschnarchen. Natürlich hatte er nichts von meinem Missgeschick mitbekommen.
Fortsetzung folgt
Letzten Endes kam ich zu der Überzeugung, dass es so etwas gibt wie die Physik der Suche, eine Kraft in der Natur, die von so realen Gesetzen regiert wird, wie das der Schwerkraft. Das erste physikalische Gesetz der Suche lautet ungefähr so: Wer mutig genug ist, alles Vertraute und Wohltuende hinter sich zu lassen, egal was, vom Haus bis zu alten Verletzungen, und sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, sei es nach innen gewandt oder nach außen, und wer wahrhaft gewillt ist, alles, was ihm auf
dieser Reise passiert, als Schlüssel zu betrachten, und jeden, der ihm unterwegs begegnet als Lehrer zu akzeptieren, und vor allem, der dazu bereit ist, sich unangenehmen Realitäten, die einen selbst betreffen zu stellen und diese zu verzeihen, dem wird sich die Wahrheit offenbaren. Text der Autorin von ("Eat, Pray, Love"), Elizabeth Gilbert