Anshale ist ein Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit. In einem Land, zerrissen von einem Religionskrieg zwischen der Numen-Kirche und den Geisterbeschwörern der Kal’ban bleibt ihm jedoch kaum Zeit, seine verlorenen Erinnerungen aufzuspüren. Lediglich Grauer ,der mysteriöse Anführer der Kal’ban, scheint etwas über ihn zu wissen. Als dieser ihn bittet , ihm dabei zu helfen , einige Gefangene zu befreien findet er sich plötzlich direkt zwischen den verfeindeten Fronten wieder. Und auf dem alles entscheidenden
Schlachtfeld von Ebenwald offenbart sich ihm schließlich eine Wahrheit, die ihn zur Entscheidung zwingt.
,, Ebenwald liegt genau hier.“ Der überlebende Madrekai legte den Zeigfinger auf die Karte. Ein Ort irgendwo inmitten der Wälder des Kernlands. Anehlas musterte die Karte stirnrunzelnd. Ovit hatte den Madrekai direkt zu ihm in die Garnison gebracht und nun standen sie in einem großen Kartenraum im zweiten Stock des Hauptgebäudes. Ein Inquisitor in voller Rüstung bewachte die Tür. Der Boden bestand aus schweren Eichendielen, die bei jedem Schritt knarrten, irgendwie empfand
Anehlas dieses Geräusch immer als beruhigend. Sofern irgendetwas seinen brennenden Geist Ruhe bringen konnte. ,, Was könnt ihr mir über den Ort sagen ?“ , wollte er wissen und beugte sich über den großen Tisch, der fast ein Drittel des Raums einnahm. ,, Das ganze Tal ist ziemlich offen, ihr könnt euch also kaum unbemerkt mit einer Streitmacht nähern. Außerdem ist es durch einen Zauber geschützt, der es von außen mit den Wäldern verschmelzen lässt. Achtet einfach auf den Lichteinfall und ihr erkennt, wenn ihr richtig seid. Ziemlich in der Mitte gibt es eine Siedlung, ein paar dutzend Häuser, Holz und Steinhütten. Nichts, was man zur
Verteidigung nutzen könnte. Euer einziges großes Hindernis dürfte die Burg über der Siedlung sein. Aber ich habe die Anlage gesehen… Die Steine verwittern und das Holz der Tore ist alt. Alles in allem sind sie nicht darauf vorbereitet, angegriffen zu werden. Und…“ Er brach ab und sein Blick fokussierte sich auf Ovid. ,, Ich kann annehmen, das ihr euer Versprechen halten werdet ?“ ,, Ich habe es euch dreien geschworen. Madrea gehört euch.“ , sagte Anehlas. Ovid hätte am liebsten dagegen aufbegehrt, aber etwas riet ihm zu schweigen. Geduld. Mit etwas Glück würde sich das Problem Anehlas noch früh genug selbst erledigen…noch früh
genug selbst erledigen. ,, Die Erwählten halten ein Treffen ab. Es sind mindestens drei von ihnen dort, darunter der Wanderer selbst. Wenn ihr sofort zuschlagt, könnt ihr sie alle auf einen Schlag vernichten.“ Anehlas Gesicht wurde plötzlich düster. ,, Darauf habe ich fast siebzig Jahre gewartet.“ Er wendete sich an den Posten an der Tür. ,, Macht alle Truppen bereit.“ ,, Herr ?...“ , setzte der Mann an. ,, Alle. Und wenn ich alle sage meine ich auch wirklich alle. Jeden einzelnen Soldaten, jeden dreckigen ungewaschenen Söldner, jeden Bauer der hier ankommt und weiß, an welchem
Ende er ein Schwert packen muss. Sie sollen auf dem Hof Aufstellung nehmen und marschbereit sein. Ich will morgen da sein. Und ihr Madrekai werdet uns führen. Dann habt ihr euch eure Insel wirklich verdient.“ ,, Ihr Narr.“ Grauer klang nicht tadelnd oder enttäuscht. Auf eine Art schien es Gwenth… War das etwa Stolz in der Stimme des Alten? Ein Tag war vergangen, seit er den Spion hatte entkommen lassen. Einen Madrekai, einen Fanatiker… Nevis, Anshale, er, Lina und El hatten sich bei grauer eingefunden, der sie alle
in die Burg bestellt hatte. El war wegen Grauers halbherziger Schelte für den jungen Priester offenbar enttäuscht, sagte aber nichts. Das Obergeschoss des Wohnhauses der Burganlage wirkte düster. Der Abend hatte Wolken gebracht, welche die restlichen Sonnenstrahlen fast vollständig verdeckte. Grauer ließ sich am schweren Tisch nieder und stützte den Kopf in die Hände. ,, Sie sind bereits auf dem Weg hierher.“ , erklärte Nevis. Trotz der allgemeinen Anspannung blieb der Herr von Dralyn ruhig. ,, Das spüre ich in den Knochen.“ Winter neben ihm nickte. ,, Sie sind
nahe.“ , war alles, was der Luchs zu sagen hatte. ,, Also, was tun wir ?“ , wollte El wissen. ,, Wir haben nur die Möglichkeit zu fliehen oder uns zu stellen.“ ,, Können wir die Leute denn alle Sicher rausbringen ?“ , wollte Anshale wissen. ,, Vielleicht, aber sie nach Dralyn zu schaffen wird der schwierigere Teil.“ , erklärte Nevis. ,, Die Berge sind selbst in den wärmsten Sommertagen kein Terrain um dort hunderte von Menschen durchzuschleusen.“ Das ständige Lächeln war von seinen Lippen verschwunden. ,, Wenn wir…“ , setzte Gwenth an, als die Tür zum Raum geöffnet wurde. Allerdings war es kein Mensch, der den
Raum betrat. Ein gewaltiger weißer Wolf, der Gwenth fast bis an die Schultern reichte trat durch die Tür. Das Fell des Tieres, wenn es überhaupt eines war, war gesträubt. Anshale konnte seinerseits spüren, wie Nevis sich neben ihm anspannte. Er trug nach wie vor den Messergürtel und den Degen. ,, Kor ?“ , fragte Grauer. In seiner Stimme klang so etwas wie Hoffnung und… zum vielleicht aller ersten Mal seit Anshale ihn kannte Angst mit. Der Wolf sah zu dem alten Kal’ban herüber. ,, Kor kümmern eure kleinen Streitigkeiten nicht. Er ist nicht bereit seine Meditation für solche
Belanglosigkeiten zu unterbrechen.“ ,, Belanglosigkeiten ?“ Nevis war aufgesprungen, seine Handruhte am Griff seines Schwerts. ,, Sagt diesem Narren auf seinem Berg, wenn er zu abgehoben ist um mit uns zu sprechen, prügle ich ihm gerne bei nächster Gelegenheit wieder etwas Vernunft ein.“ ,, Nevis.“ , rief El. ,, Nein verdammt. Ich werde….“ Grauer brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. ,, Ihr wisst doch, das er es nicht so meint. Kor ist… anders.“ ,, Ich habe diesen Namen jetzt schon ein paar Mal gehört. Wer ist das?“ , fragte
Anshale. ,, Ein Erwählter.“ , knurrte Nevis und musterte den Wolf, als wollte er das Tier mit Blicken töten. ,, Der älteste von uns und er hat seinen verdammten Berg seit Beginn des Kriegs nicht mehr verlassen. Warum auch immer… Aber er tötet zumindest jeden Inquisitor, der dumm genug ist zu Versuchen über die Pässe nach Dralyn zu gelangen. Und leider kehren auch viele unserer eigenen Boten erst gar nicht zurück.“ ,, Er ist einfach völlig verrückt.“ , erwiderte El. ,, Von ihm hätten wir ohnehin keine Hilfe zu erwarten.“ ,, Ich werde sicherstellen, dass er eure Gedanken erfährt.“ , sagte der Wolf und
trottete seelenruhig davon. Anshale konnte der Kreatur nur einen Augenblick nachsehen. Schweigen senkte sich über die Runde. Draußen zogen sich nur noch mehr Sturmwolken zusammen. Worauf warteten sie eigentlich? ,, Also keine Verstärkung.“ , stellte Gwenth fest und brach damit endlich das schweigen. Nevis schüttelte den Kopf. ,, Was haben wir ?“ El lachte düster. ,, Ihr meint, was wir einer Armee entgegenzusetzen haben ? Wenn ich alle Kampffähigen Leute zusammenrufe vielleicht dreihundert oder knapp vierhundert Krieger. Und dazu weitere fünfzig Reiter der
Sturmgarde.“ ,, Und wo steht die Inquisition ?“ , wollte Nevis wissen. ,, Ich habe nichts dagegen mich ihnen zu stellen , auch wenn ich nicht sehe, wie wir das Gewinnen sollten.“ Wie zur Antwort ertönte plötzlich ein Donnerschlag. Anshale sah aus dem Fenster. Der Sturm war noch weit weg und das war nicht das dumpfe Grollen eines Gewitters gewesen… Ein gewaltiger Schlag erschütterte den ganzen Saal, als irgendetwas die Scheibe des Fensters durchschlug. Gesteinssplitter wurden über die ganze Länge des Raums verteilt und Anshale konnte grade noch einem schweren
Wandteppich ausweichen, der Aufgrund der Erschütterung herabrutschte. Was war grade passiert? Langsam richtete er sich wieder auf. ,, Sind alle in Ordnung ?“ , wollte Nevis wissen. ,, Sieht aus, als hätte die Kirche sich einen besonderen Spaß bis zuletzt aufgehoben.“ Aus einer Wunde an der Stirn des Erwählten sickerte langsam Blut, das auf seinen weißen Umhang tropfte. ,, Was war das ?“ , fragte Gwenth, der Lina schützend beiseite genommen hatte. ,, Was wohl ?“ , erwiderte El grimmig, die sich ebenfalls wieder aufrappelte und den Schaden begutachtete. Was immer die Burg getroffen hatte, die Rückwand
des Raumes fehlte fast vollständig. Dort wo eben noch eine massive Wand gestanden hatte, war jetzt nur noch ein Abgrund, der hinab auf den Burghof führte. Regenwasser vom ebenfalls zerfetzten Dach strömte in Bächen herein und durchtränkte den kompletten Saal. Grauer sah mit zusammengekniffenen Augen über das Tal hinweg in Richtung Waldrand. ,, Ruft jeden zusammen, der bereits ist Ebenwald zu verteidigen.“ ,wies er El an. ,, Alle anderen sollen sich sofort in die Burg zurück ziehen. Ich fürchte unsere Zeit ist abgelaufen.“ ,, Was kann ich tun ?“ , fragte Nevis. ,, Wir brauchen Zeit.“ , erklärte Grauer. ,, Soviel wie ihr uns geben könnt. Wenn
El die Truppen versammelt hat, unterstelle ich sie eurem Kommando. Die Inquisitions-Armee muss direkt am Waldrand lagern. Wenn wir sie frontal angreifen und überraschen….“ ,, Und ihr lasst das Land um die Siedlung ganz außer Acht ?“ , fragte Anshale. ,, Wie meint ihr das ?“ , fragte El. ,, Sie rechnen genau damit. Mit einem Frontalangriff gegen ihre Hauptstreitmacht. Und wenn ich da drüben das sagen hätte, würde ich einen kleinen Truppenteil abkommandieren und Ebenwald damit umgehen. Dann könnte ich einem eventuellen Angreifer von zwei Seiten in die Zange nehmen.“ ,, Sie sind uns Haushoch überlegen, das
ist euch klar ?“ , fragte El. ,, Sie haben keinen Grund, sich aufzuteilen.“ ,, Und grade, weil ihnen das klar ist werden sie es tun.“ , antwortete er scharf. Es erschien ihm einfach so logisch. Und wenn El auf einen reinen Angriff bestand… dann würden sie gewaltige Verluste hinnehmen müssen. ,, Und seit wann wisst ihr, wie die Inquisition denkt ?“ ,, ich weiß es einfach. Hört zu, wenn es uns gelingt, diesen zweiten Trupp abzufangen, werden sie das ziemlich schnell merken. In dem Fall werden sie ganz sicher Boten schicken um befehle zu übermitteln und zu erfahren was los
ist.“ ,, Und ?“ , fragte Nevis neugierig. ,, Wenn wir dieser habhaft werden können, dann können wir das blanke Chaos auslösen. Wir ersetzen die Boten und streuen neue Befehle. Diesmal aber unsere eigenen.“ ,, Das ist völlig verrückt.“ ,, So verrückt, das es funktionieren könnte.“ , sagte Nevis. ,, Mit eurer Erlaubnis Grauer, El kann ihren Leuten befehlen was sie will, aber meine Sturmgarde steht euch zur Verfügung Anshale.“ Grauer nickte. ,, In diesem Fall“ , sagte er und zog die Klinge. ,, Werde ich gehen und ihren Angriff schon einmal
etwas hinauszögern.“ ,, Das könnt ihr ?“ ,, Achtet auf die Flammen.“ , war alles was er sagte, bevor er aus dem Raum trat. Anshale sah ihm nur Ungläubig nach. ,, Ich weiß nicht, aber ich fange an diesen Mann zu hassen.“ Celcine blieb kurz stehen, bevor sie Grauer folgte. ,, Wir reden in ein paar Jahrhunderten ja ?“ ,, Erst einmal müssen wir diesen Tag überstehen.“ , erwiderte El. ,, Nun gut. Wenn ihr und Nevis es schafft, diesen zweiten Trupp aufzuhalten Anshale, werde ich den Kämpfern von Ebenwald befehlen sich auf die Hauptstreitmacht
zu konzentrieren. So gewinnt ihr Zeit und wir stiften zusätzliche Verwirrung wenn wir plötzlich an zwei Fronten kämpfen. Ich werde derweil alle Zivilisten in die Burg bringen. Und ihr Gwenth werdet mir dabei helfen. Wen die Armee der Numen durchbricht und das werden sie, will ich so viele Schützen wie möglich auf den Mauern. Wenn ihr schon nicht selbst kämpft, dann könnt ihr ihnen wenigstens Anweisungen geben.“ Der Priester nickte, bevor er sich an Lina wendete. ,, Du bleibst hier, was immer auch passiert, Verstanden
?“ Anshale zog den letzten Riemen der Panzerung fest. Die Waffenkammern von Ebenwald waren erstaunlich gut gefüllt. Vermutlich war das eher den Umstand zu verdanken, das ihnen schlicht hunderte von Kämpfern fehlten…. Er hatte den Schwertgurt mit dem Rabenemblem, das Grauer ich geschenkt hatte angelegt. Darunter trug er hellblaue und weiße Kleidung, wie der Rest von Nevis Sturmgarde. Ein Kettenhemd, Armschienen und mit Stahlstreifen verstärkte Stiefel und Beinschienen aus Leder rundeten seine Ausrüstung ab.
Trotz des zusätzlichen Gewichts der Rüstung fiel es ihm erstaunlich leicht, sich darin zu Bewegen. Er zog die Klinge und überprüfte kurz die Schneide. Der Stahl war immer noch so scharf wie an dem Tag, an dem er sie von einem aufgebrachten Inquisitor gestohlen hatte. Die Waffe nach wie vor in der Hand verließ er die Waffenkammer und trat nach draußen auf den Burghof. Der Regen hatte das Gelände in eine aufgewühlte Schlammwüste verwandelt, in der sich Alte, Frauen und Kinder zusammenkauerten. Manche saßen unter den schützenden Dächern der Wirtschaftsgebäude, andere starrten apathisch zum Himmel, als könnte ihnen
etwas dort eine Antwort geben. Und noch immer strömten mehr Menschen durch die offenen Tore hinein, angetrieben von El, die sie immer wieder zur Eile ermahnte. Der einzige ruhige Fleck in dem ganzen durcheinander waren Nevis und seine Reiter. Der Herr von Dralyn, den Luchs Winter neben sich, grüßte ihn flüchtig, sobald er ihn erkannte. Er führte zwei Pferde am Zügel, von denen eines für Anshale bestimmt wäre. Ohne weitere Worte schwangen sich beide in den Sattel. ,, Also dann meine Herren.“ , wendete Nevis sich an die versammelte Sturmgarde. ,, Willkommen zu eurem eigenen Begräbnis. Unsere Aufgabe für
die nächsten Stunden lautet, eine zweite Streitmacht des Feindes auswendig zu machen und dann aufzuhalten. Obwohl dieser Trupp deutlich kleiner sein dürfte, als ihre Hauptarmee im Wald können wir davon ausgehen, dass sie uns immer noch deutlich überlegen sind. Möchte mir also jetzt jemand mitteilen das er Angst vor dem Tod hat ist jetzt die letzte Gelegenheit dazu.“
Schweigen war die Antwort.
,, Nun in diesem Fall“ ,Nevis zog das Schwert und schwang es in einem Bogen demonstrativ über den Kopf, ,, geben wir unseren Feinden Gelegenheit ihre Furcht vor dem Tod neu zu entdecken.“