Romane & Erzählungen
Zweites Leben - Teil 14

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"Zweites Leben - Teil 14"
Veröffentlicht am 28. Februar 2014, 50 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Zweites Leben - Teil 14

Zweites Leben - Teil 14

14. Kapitel Die Höhle Zuhause angekommen, schmuste ich erst eine Runde mit Sammy, der schläfrig auf der Treppe lag. Elly machte sich ans Mittagessen. Marc war arbeiten. „Na, du Kleiner!“, flüsterte ich dem fast schlafendem Kätzchen zu. „Hast du mich auch so vermisst?“ „Miau.“ Ich legte meinen Kopf an seinen warmen Bauch und schloss die Augen. Ich lauschte seinem langsamen Herzschlag und schließlich seinen Atemzügen. „Hi, Süßer!“, die Stimme kannte ich

doch. Was wollte Iska denn jetzt schon wieder hier? Ich legte den schlafenden Kater auf den Boden. „Hast du, was ich wollte?“, fragte Lars leise, doch gegen mein Ohr an seine Tür hatte seine Stimme keine Chance mehr. „Natürlich!“, ihre Stimme klang wackelig. „Warte, ich helf dir“, ich hörte einen Ruck und dann knallte die Balkontür zu. „Du mit deiner Höhenangst!“ Seine Stimme wurde immer schwächer, dann küsste er sie. „Hier.“ „Essen kommen!“, rief Elly von unten. „Ja, Mum, komme gleich!“, rief Lars

zurück. „Warte hier, bis ich wieder da bin, ja?“, flüsterte er. „Klar.“ Ich huschte rasch in mein Zimmer und machte das Radio an, bevor ich mich aufs Bett warf. Lars erschien im Zimmer: „Essen kommen.“ „Ja, danke.“ „Dann komm!“ „Ich komm gleich nach, ich will Sammy noch aufs Bett legen“, lächelte ich ihn an. „Okay, ich geh schon mal runter.“ „Tut das!“, ich glaubte, er wollte nur nicht, dass ich in sein Zimmer ging, was ich aber

vorhatte. Erst, als ich seine Schritte in der Küche schallen hörte, huschte ich in sein Zimmer. Die Tür ließ sich leise öffnen, wie immer. Der Raum war leer. Natürlich versteckte sie sich wieder im Badezimmer. „Was machst du denn hier?“, fuhr ich sie an. „Na, du bist aber keine gute Gastgeberin!“, kicherte sie. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet und mir gingen langsam die Sprüche bei ihr aus. „Ich darf hier sein! Dein Bruder hat nichts

dagegen!“ „Und Elly?“, fragte ich entsetzt. „Warum kletterst du über den Balkon hierauf, anstatt die Haustür zu nehmen?“ „Darum“, sie schaute hinter mich, anscheinend hoffte sie, dass mein Bruder unser Gespräch beendete. Wieder rief Elly von unten, dass ich essen kommen sollte. „Ich weiß nicht, wie Lars und du das siehst, aber ich will wissen, was da heute Nacht los war. Und wenn keiner bereit ist, mir etwas zu sagen, muss ich wohl Elly einweihen!“ Ich lief aus dem Zimmer und rannte die Treppe hinunter. In der Küche saßen Lars und Elly an dem kleinen

Küchentisch. „Elly, im Badezimmer in Lars Zimmer ist …“, ich wurde unterbrochen. „Ein riesiges Spinnengewebe!“, beendete Lars den Satz. Finster kniff ich die Augen zusammen, als sich unsere Blicke trafen. „Elly, fährst du mich bitte zur Polizeiwache? Ich muss denen noch etwas Wichtiges sagen, ich glaube, dass mir doch noch etwas aufgefallen ist. Ich meine von den Einbrechern!“, ich schaute zu Lars, der seinen Blick stur auf mich richtete. „Ja, was denn?“, fragte sie neugierig. Doch ich konnte meinen Blick nicht von Lars heben, der mich immer noch

anstarrte. Seine Methode funktionierte. Ich hielt den Mund. Ich aß noch einen Löffel Tomatensuppe, bevor ich nach oben stürmte. Als ich oben auf der letzten Treppenstufe angekommen war, hörte ich, dass auch Lars sich von seinem Stuhl erhoben hatte, doch Elly rief ihn zurück in die Küche. Wieder war sie Goldwert! In seinem Zimmer und Badezimmer war niemand mehr. Iska war bestimmt schon wieder aus dem Fenster verschwunden. Im Elternschlafzimmer war sie bestimmt nicht, weder Lars noch ich waren da je schon mal drin gewesen! Und im Büro hatte ich auch schon

nachgeschaut. Also ging ich mit hängenden Schultern in mein eigenes Zimmer. Die Tür fiel hinter mir zu, als ich merkte, dass mein Tagebuch offen auf dem Bett lag. Sie war hier gewesen, oder sie war immer noch hier. Leise öffnete ich die Schranktüren, danach die Badezimmertür, alles war leer. „Du bist so süß, wenn du Angst hast!“, kicherte Iska. „Was willst du noch hier?“, fragte ich aufgebracht. „Nun ja, du hast was gesehen, was du nicht hättest sehen

sollen!“ „Und was, bitte?“, fragte ich unschuldig. „Was wohl?“, fragte sie lachend. Ich grübelte einmal kurz nach, auf dem Dachboden hatten die andern sie doch auch gesehen! Sonst war da nichts, was ich hätte sehen können. Was mit ihr zu tun hatte. „Du weißt schon was über Nuni, stimmst?“ „Nein.“ „Ach komm schon!“ „Was willst du von mir?“ „Kommst du mal mit, dann kann ich es dir zeigen!“ „Was willst du mir denn zeigen?“, fragte

ich misstrauisch. „Etwas Wichtiges!“ „Und was?“ „Kommst du mit oder nicht?“, fragte sie, ohne auf meine Frage einzugehen. „Was ist das denn für eine Frage? Natürlich kommst du mit!“ Plötzlich spürte ich einen Luftzug und jemand hinter mir hielt mir den Mund zu. Wie wild wehrte ich mich gegen die starken Arme, die auf jeden Fall Lars gehörten. Ich wurde von den beiden in Marcs Büro gezerrt, wo es eine weitere Terrasse gab, die auch mit einer Treppe, welche zum Garten führte, verbunden war. Iska war bestimmt immer hier hoch und runter gegangen, wegen ihrer

Höhenangst. Ich hatte diese Treppe noch nie benutzt. Sie war sehr steil und aus Eisen. Eine gefährliche Angelegenheit für jemanden wie mich! Als wir im Garten standen, hupte ein Auto vor dem Haus. Einige Sekunden später stieg jemand aus. „Du lenkst Elly ab! Ich schaff sie ins Auto!”, Iska nahm meinen Arm und zerrte mich durch den Gemüsegarten über die kleine Hecke hinaus auf die Straße. Ein höchstens Fünfzehnjähriger hielt uns die Tür auf. Ob der überhaupt schon fahren durfte? Er drehte sich ein paar Mal um, bevor er die Tür schloss. Iska hatte mich auf den Rücksitz

geschubst, dann war sie neben mir eingestiegen. Lars kam durch die Haustür und rief Elly nach, dass ich mit ihm fahren würde. So ehrlich hatte ich ihn nicht erwartet. Ich wollte gar nicht daran denken, was jetzt kam. Die ganze Autofahrt schaute Lars aus dem Fenster, während ich schweigend neben Iska hockte, die meine Hände festhielt, damit ich sie nicht schlug. Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte zu protestieren, aber auf einmal platzte alles aus mir heraus. „Was soll das? Hallo? Lass mich los du behinderte …“ „Halt einfach die Klappe, Leo!“, Lars

hielt sich den schmerzenden Kopf. „Nein, setzt mich sofort hier ab!“, drohte ich, „sonst sag ich alles Marc.“ „Leonie, richtig?“, fragte der Fahrer. „Ja.“ „Halt die Klappe, wir halten nicht an. Wir sind fast da, und du hast keine Ahnung, wo wir sind! Wir werden dich auch wieder zurückbringen! Aber nur, wenn du das tust, was wir sagen!“, sagte der Fahrer ruhig. „Warum sagt ihr mir nicht einfach, was ihr wollt. Dann wäre ich vielleicht auch so mitgekommen!“, protestierte ich. „Das hat doch Spaß gemacht!“, kicherte Iska. „Dir vielleicht und jetzt nimm deine

widerlichen Hände weg!“ „Spar dir diesen Unterton!“, Lars drehte sich nicht mal zu mir um, er starrte immer noch aus dem Fenster. Er war anders, seitdem er mit dieser Iska zusammen war. Als ob er Drogen nahm oder Alkohol trank. Dieser Iska hätte ich das wirklich zugetraut. „Ihr ward noch auf dem Dachboden, oder?“, fragte ich vorsichtig und schüttelte an den langen Finger mit rosa Nägeln, die sich um meine Unterarme legten. Ich bekam keine Antwort. Irgendwas musste ich machen. Etwas herausfinden. „Iska, hilf mir, bitte, ich hab dir auch

geholfen!“, ich dachte zwar nicht, dass ich damit etwas erreicht hätte, aber einen Versuch war es wert. Sie schaute mich verdutzt an. „Ich meine das mit dem Speicher!“, flüsterte ich und schaute mich in dem dunklen Auto um, ob vielleicht Lars oder der Fahrer es gehört hatten. Aber niemand rührte sich, als ob sie lauschten. Auf etwas, was leiser war, als mein Flüstern. Auch ich spitze jetzt die Ohren, hörte aber nichts. „Hallo? Iska? Bist du taub?“, schrie ich. Ich spuckte auf ihre Hand, die meine umklammerte. „Igitt!“, sie ließ die Hand los und schmierte meine Spucke an dem Sitz ab.

Das war meine Chance, ich riss mich los und zerrte and er Autotür, die sofort aufging. Wir fuhren so schnell, dass der Fahrtwind mich herauszog. Doch Iskas Arme waren schneller. Sie umklammerte meinen Oberkörper so fest, dass ich keine Luft mehr bekam. Auch Lars hatte sich umgedreht und abgeschnallt, er versuchte meine Jacke zu greifen. Schließlich riss er mich an meinem Reißverschluss zurück in die Mitte des Wagens. Er lehnte sich so weit zurück zu uns, dass er mit seiner Hand an den Anschnallgurt kam. Es klickte einmal und ich war festgeschnallt. Die Autotür war immer noch

offen. Iska lehnte ebenfalls über mir und reckte sich verzweifelt nach dem Türgriff. Sie bekam ihn kurz darauf zu fassen und riss die Tür wieder zu. Erst als sie wieder auf ihrem ursprünglichen Platz saß, fing sie an zu lachen. „Was sollte das denn werden?“ „Sie wollte sich umbringen!“, schrie Lars wütend. Sein Blick hielt an meinem Gesicht fest und taxierte meine Augen. Ruckartig drehte er sich wieder nach vorne und starrte wieder aus dem Fenster. „Nein, mal im Ernst, was sollte das da gerade eben?“, fragte sie jetzt empört. Ich verschränkte die Arme vor der Brust

und versank im Schweigen. Ich machte es meinem Bruder, der mal vor langer Zeit mein Vorbild war und starrte aus dem Fenster. Iskas Hand war auf einmal auf meinem Oberarm und streichelte ihn sanft. Mit großen Augen und tiefen Falten auf der Stirn starrte ich jetzt auf ihre Hand. Was war denn jetzt los? „Ist schon gut, keine Angst, wir wollen dir nur was zeigen!“, flüsterte sie mir geheimnisvoll ins Ohr, dabei strich sie mein Haar vorsichtig von meinem Ohr weg. Wütend schüttelte ich ihre Hand weg. Sie machte mit mir dasselbe, wie mit meinem Bruder. Sie wollte mich dazu

überreden, nicht noch mehr Schwierigkeiten zu machen, aber darin war ich doch so gut. „Hört auf mit dieser Geheimnistuerei!“, dachte ich mir wütend. „Wie alt seid ihr denn?“, fragte ich mich wieder. Ich erinnerte mich daran, wie Iska damals auf dem Schulhof über mein Alter gelacht hatte. Iska war wirklich eine …, was weiß ich. Sie half mir, als ich damals von Lars Schlag auf die Tischkante geknallt war. Dann half ich ihr auf dem Speicher aus der Patsche und jetzt, war das alles wieder vergessen? Die Landstraße, über die wir seit mindestens zwanzig Minuten fuhren,

schien kein Ende zu haben. Ich zählte schon seit einigen Kilometern die Bäume, die alle paar Meter ab uns vorbei sausten. Ich war schon bei achtundfünfzig, als der letzte Baum kam und der Wagen hielt. Wir stiegen mitten im Feld, am Ende der Landstraße, aus. Ringsherum waren nichts als Felder. Verwundert drehte ich mich um, doch hier war nichts. „Komm.“ Lars, der Junge und Iska gingen zwischen zwei verschiedenen Feldern durch. Das eine war mit grünem Gras bepflanzt, das andere schien noch frei zu

sein. Nach einigen Schritten merkte ich, dass es bergauf ging. Das hatte man von der Landstraße gar nicht gesehen. Am Ende des Hügels ging es ganz plötzlich, wie bei einer kleinen Schlucht hinab. Iska fasste schnell nach meiner Hand, bevor ich hinunterfallen konnte. „Danke!“, murmelte ich etwas eingeschnappt. Konnte ich nicht ein bisschen besser aufpassen? Die „Schlucht“ war höchstens drei Meter hoch. Aber trotzdem gefährlich für jemanden, der nicht Bescheid wusste, wie ich. Der Junge kletterte voraus, danach Lars, der Iska mit einer Hand stürzte.

Jetzt war ich dran. Ich wollte auf jeden Fall wissen, was am anderen Ende der Schlucht war. Meine Neugier siegte über meine Angst. Ich meine, hätte ich probiert wegzulaufen, hätte mich Iska, die bestimmt am langsamsten war locker eingeholt. Also tastete ich nach einigen Wurzeln eines gefällten Baumes und wurde auch direkt von Lars runter gehoben. Das Feld ging ganz genauso weiter wie oben. Wir gingen aber weiter an der Schluchtwand entlang. Irgendwann blieben sie plötzlich stehen und ich lief in Iska hinein, die fast geschrien vor Schreck

hätte. Erst als Lars und sein Kumpel auf Seite gingen, sah ich, was sie mir zeigen wollten. Da war eine Höhle in der Fels-Erdschicht. Im Innern der Höhle war es stockdunkel. Lars leuchtete mit der Taschenlampe hinein. „Ladys first!“, befahl er streng. So kannte ich ihn gar nicht. Aber so war er ja jetzt schon seit Wochen. Nachdem ich zaghaft eingetreten war, ging auch Iska hinein. Sie hatte Lars die Lampe aus der Hand genommen und leuchtete den Raum ab. Der Raum war ganz schön groß für eine Höhle.

„Wir stehen dann mal Schmiere!“, meinte Lars. „Schisser!“, flüsterte Iska darauf. „Was ist das hier?“, fragte ich einige Sekunden nach dem unheimlichen Schweigen. „Wonach sieht´s denn aus?“, fragte sie genervt. „Warum schleppt ihr mich denn hier mitten ins Feld, in irgendeine leere Höhle?“, fragte ich genauso zurück. „Schau dir mal alles genau an!“, forderte sie mich auf. Diesmal fiel mir nur eine Nische in der Felswand auf. Langsam ging ich auf sie zu. Zögernd streckte ich die Hand hinein. Hoffentlich

waren da keine Spinnen! Meine Finger ertasteten eine raue Ledertasche, die ich schnell herausholte, damit keine Spinne an meiner Hand nagen konnte. Iska stand urplötzlich hinter mir und leuchtete auf die Mappe. „Lies es dir genau durch!“, flüsterte sie gespenstisch. Warum musste sie immer alles so unheimlich erscheinen lassen? Ich klappte die alte Mappe vorsichtig auf. Es waren nur ein paar gelbliche Blätter darin. Das erste Blatt war ein Zeitungsausschnitt von neunzehnhundertsiebenundachtzig.

Mord an Kleinkind immer noch nicht aufgeklärt. Am 17. Mai 1987 wurde Nuni S. (2) tot im Wald, zwischen Kleinhooven und Weiler mitten in der Ebene, aufgefunden. Das Mädchen wurde um ca. 18 Uhr vom Elternhaus verschleppt und gegen 21 Uhr im Wald aufgefunden. Die Polizei bittet um Mithilfe. „Ja, das ist der Mordbericht aus unserer Zeitung, überall in diesen Ausschnitten geht es um Nuni!“, sie deutete auf den Stapel Blätter. „Und was ist mit Mandys Eltern?“ „Hier“, sie reichte mir einen anderen

Zeitungsausschnitt. Nachdem ich ihn gelesen hatte, wurde ich neugierig. „Woher habt ihr die alle?“ „Keine Ahnung, jemand hat wohl versucht die Fälle aufzuklären. Ich meine, es gab ja auch eine saftige Belohnung. Die Mappe lag schon hier, als wir sechs Jahre alt waren.“ „Wisst ihr denn, wem diese Höhle ist?“ „Nein, aber wir vermuten, dass sie von Herrn Müller Junior ist!“ „Aha! Aber sicher seid ihr euch nicht?“ „Nein, aber es könnte auch jemand anders sein, der meinte, dass es in der Stadt zu unsicher sein!“ „Und auf wen spielst du an?“ „Herr Kessel wohnt auch nicht in der

Stadt!“ „Du meinst, dass sie von ihm ist?“ „Vielleicht“ Ich stöberte noch ein wenig in der dicken Mappe herum, bevor sie mich wieder herausschob. „Versprich mir, dass du niemandem was davon sagst!“, zischte Lars. „Und dafür habt ihr jetzt dieses ganze Theater gemacht?“, fragte ich entsetzt. „Versprich es!“ „Ist gut!“ Kopfschüttelnd stieg ich wieder in den Wagen. Es folgte minutenlanges Schweigen. Vor unserem Haus hielt der Wagen endlich

wieder. „Warum nimmst du beim nächsten Mal nicht die Tür?“, kicherte ich, als Iska kopfschüttelnd auf die Treppe vom Büro zuging. „Hör auf, Leo!“, Lars gab mir einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. „Was ist eigentlich los mit dir, Lars?“, fragte ich sauer. „Was soll denn sein?“, fragte Elly, die gerade die Tür öffnete. „Nichts!“, redete er sich heraus und verschwand für den Rest des Nachmittags in seinem Zimmer. Wieder spielte er meine CD ab, Klavierstücke von Beethoven. Ich wusste genau, was das

bedeutete! Per SMS erkundigte ich mich, wie es Saskia ging. Aber sie rief sofort zurück. „Leo?!“, schoss es aus ihr heraus. „Du musst mir alles erzählen!“ „Ja, dann frag mal …“, sagte ich gelangweilt. Ich hatte eigentlich keine Lust, dieses Kapitel noch einmal durchzugehen. Es war so voller Rätsel. Voller Fragen. Wir waren nicht mal einen Schritt weiter gekommen. Außer der Höhle. Ich musste dort noch mal hin! Aber wie sollte ich die Höhle finden, ohne mich zu verlaufen oder aus Versehen die Schlucht hinunter zu fallen. Am Abend kam Elly in mein Zimmer und

legte eine DVD in meinen Laptop, die wir dann zusammen auf meinem Bett schauten. Die wilden Hühner und das Leben hieß der Film. Die Bücher der wilden Küken hatte ich vor zwei Jahren gelesen. Mona und ich haben mit Julia, unser drittes Huhn, Bob, Lily und Verena nachgespielt. Das Wochenende war viel zu schnell vorbei, auch Iska hatte sich zum Glück nicht mehr blicken lassen. Zumindest hatte ich sie nicht mehr gesehen. „Hallo“, grüßte Saskia mich niedergeschlagen, als wir vor der Schule standen. „Na, wie geht´s dir?“, fragte ich besorgt, denn sie sah nicht so gut aus.

Ihr Gesicht war bleich, ihre Haare fettig und die Locken lagen fast glatt auf ihren Schultern. „Schlecht. Dad wollte, dass ich wieder zur Schule gehe. Und außerdem wollte ich mehr über eure …“, sie machte Gänsefüßchen in die Luft. „„Einbrecher“ wissen!“ „Ach ja, die Einbrecher. Da waren wirklich welche auf dem Speicher. Iska und Lars´ neue Freundin auch.“ „Und ihr habt sie nicht verpetzt?“ „Nein, Lars hätte mich umgebracht. Außerdem …“ „Außerdem was?“ „Hi!“, Mandy kam gutgelaunt auf uns zu. „Wie siehst du denn aus? Bist du

immer noch krank?“ „Morgen und danke“, ich wusste nicht, ob Saskia mit dem Danke meinte, dass Mandy unsere Unterhaltung unterbrochen hatte, oder dass Mandy keine Witze über ihr Aussehen machen sollte. Wir trotteten wie zu unserer Hinrichtung über den Schulhof, ins Gebäude, auf unsere Klasse zu. Geschichte hatten wir jetzt. Langeweile! Das stand uns jetzt eine Stunde, fünfundvierzig Minuten bevor. Als die Klasse aufgeschlossen wurde und ich feststellte, dass Elias fehlte, langweilte ich mich jetzt schon. Saskia schmiss sich gelangweilt auf

unser Klassensofa, dass die Jungs beim Sperrmüll hatten mitgehen lassen. Mandy setzte sich kurz neben mich, legte ihre Hand auf meine und flüsterte mir zu: „Das von Samstag ist vergessen, okay?“ „Du meinst, dass wir da oben waren?“ „Ja.“ Ich nickte stumm. „Was ist los? Ist irgendwas passiert? Hast du was herausgefunden?“, fragte sie mich gespannt. „Ja, aber es ist nicht so wichtig.“ „Wenn es nicht wichtig ist, kannst du es mir ja sagen!“ „Ich hab ein paar Zeitungsartikel

gefunden.“ „Toll, und was stand drin?“, fragte sie enttäuscht. „Nur etwas, über die Morde von Nuni und deinen Eltern!“ „Was?“, schrie sie sauer. „Und das sagst du mir erst jetzt?“ Entschuldigend schaute ich zu ihr auf. Ihre Augen funkelten mich böse an. „Was hätte sie dir vorher sagen sollen?“, fragte eine Mädchenstimme, die ich am liebsten noch nie gehört hätte. „Hau ab, Lara, das geht dich nichts an!“, zischte Mandy. „Von einem Bauernmädchen wie dir lass ich mir doch nichts sagen!“, zickte sie

zurück. „Mädchen, bitte. Setzt euch bitte wieder auf eure Plätze!“, die Stimme unseres mindestens sechzigjährigen Geschichtslehrers erfüllte den Raum mit einer ungewöhnlichen Stille. Als alle saßen, hob er seine schwere Ledertasche auf das Pult, das von dem Gewicht zu knacken begann. „So“, er kämpfte mit einem Papierstapel. „Wir schreiben heute einen Test!“ Sofort fingen alle an zu reden und zu protestieren. „Ruhe, meine Damen und Herren. Das Thema des heutigen Tests lautet:

Napoleon.“ „Den haben wir doch gar nicht durchgenommen!“, protestierte Max. „Tom und Phillip haben doch letzte Woche einen Vortrag über ihn vorgetragen! Und hättest du da mal aufgepasst, Max, dann hättest du heute keine Schwierigkeiten!“ Beleidigt legte Max das Kinn auf seine Handflächen. „Äh, Herr Zilleken?“, fragte Saskia vorsichtig. „Ja, Saskia.“ „Ich war letzte Woche krank, ich habe den Vortrag nicht mitbekommen!“ „Dann schreib so viel hin, wie du weißt, das bewerte ich dann

nur!“ „Danke!“, zufrieden kramte Saskia in ihrem Mäppchen nach einer neuen Patrone. Mein Test ging voll in die Hose! Aber was lief schon in letzter Zeit gut in meinem Leben? Mein Leben war wie eine Achterbahn, manchmal ging es hoch und manchmal richtig steil hinunter. „Dann treffen wir uns beim Kunstraum?“, fragten Mandy und Saskia, als ich ihnen erklärt hatte, dass ich mit Lars reden wollte. Eigentlich suchte ich ja Ronja, die ich aber auf den beiden Innenhöfen nicht fand, wo sie sonst immer

war. Auf dem Fußballplatz fand ich sie dann endlich. „Ronja? Kann ich mal kurz mit dir sprechen?“, fragte ich vorsichtig und zupfte an ihrem Trikot. „Was willst du?“, fragte sie genervt. „Was ist denn mit dir los?“, fragte ich entsetzt. „Was mit mir los ist?“ „Ja, was mit dir los ist!“ „Lars und diese Iska, oder was?“ „Ja und?“ „Ach so, du bist also auch auf ihrer Seite!“ „Ronja ich mag dich viel mehr! Aber warum bist du auf mich sauer? Ich hab

doch gar nichts damit zu tun!“ Verlegen schaute sie auf ihre goldenen Turnschuhe. Überdachte sie jetzt über meine Argumente? Anscheinend schon: „Du hast recht, tut mir leid“, sie seufzte leise. „Weißt du eigentlich mehr über diese Iska?“, fragte ich nach einer Weile. „Nee, nur, dass sie eigentlich Franziska heißt.“ „Willst du mehr herausfinden?“, fragte ich wieder. „Auf jeden Fall, sie hat mir meinen Lars weggeschnappt!“, jammerte sie traurig. Ich verdrehte auffällig die Augen. „Dass er dich nach einer Woche oder höchstens zwei wieder abserviert, hätte

dir aber eigentlich klar sein müssen!“ Sie lächelte schwach. „Was hast du denn vor?“, fragte sie schließlich. „Keine Ahnung, herausfinden, wo sie wohnt. Was sie so treibt, und mit wem sie sonst noch rumhängt.“ „Klingt gut!“ Ich wusste, dass ich Ronja so für mich gewinnen konnte, um Lars wieder zu bekommen würde sie sicher über Leichen gehen. Apropos Leichen, morgen wollten Elias, Mandy, Saskia und ich eigentlich zum Förster sowie zu der Frau aus dem Hotel. „Äh, Leonie, es hat schon vor einer Viertelstunde

geklingelt!“ „Echt? Dann geh ich mal lieber.“ „Okay, dann ruf ich dich einfach an, wenn ich Zeit habe!“ „Ja, bestell Elias viele Grüße!“ Sie lächelte, wie ich über den Hof raste. Ich konnte seit einigen Tagen wieder richtig laufen. Das Bein knicken und sogar wieder spüren. Ich klopfte zweimal an der Tür unseres kleinen Kunstraumes. „Herein!“, rief die strenge Lehrerin, Frau Gärtner. Nachdem ich die Tür aufgerissen hatte, denn sie klemmte ein wenig, ging ich auf die Kunstlehrerin zu, um mir die Strafpredigt anzuhören.

Sie schaute von ihrem Buch auf. Ihre blaue Brille hing ihr nur noch knapp an der Nasenspitze. „Dann lass deine Ausrede mal hören, Leonie!“, forderte sie mich streng auf. Auch wenn es sich freundlich anhörte, zum Lachen meinte sie es mit keinem ihrer Sprüche. „Ich hab das Klingeln nicht gehört!“, ich sagte wirklich die Wahrheit! „Ach und die Schüler, die alle um dich herum fehlten, hast du nicht bemerkt?“ „Nein“, auch das war nicht gelogen. „Leonie, Leonie, setzt dich bitte sofort auf deinen Platz. Das gibt natürlich einen Klassenbucheintrag.“ „Wie heißt du denn mit Nachnamen?“,

fragte sie, als ich mein Mäppchen auf meinen Tisch stellte. „Riemke!“, antwortete ich. Riemke? So hieß ich schon lange nicht mehr. „Äh, Schmitz!“ „Leonie Riemke, oder Schmitz?“, fragte sie ungeduldig und schob ihre Brille weiter nach oben. Jetzt wirkte sie noch strenger. „Schmitz!“, sagte ich, und probierte sie nicht anzuschreien, schade- mir war gerade so danach. „Wo hast du gesteckt?“, fragte Saskia beunruhigt. „Bei Ro .., äh Lars!“, log ich. „Bei wem?“, sie glaubte mir nicht. „Bei meinem

Bruder.“ „Ruhe!“, zischte Frau Gärtner. Sofort war die Klasse still. Wenn man bei ihr auffiel, landete man direkt beim Schulpsychologen oder beim Streitschlichter. Wenn man Pech hatte, informierte sie direkt die Eltern, den Schulleiter oder den Klassenlehrer. „Wann treffen wir uns morgen?“, fragte Saskia nervös. „Warum fragst du das die ganze Zeit? Hundert mal haben wir dir schon gesagt, dass wir uns um vier bei Leo treffen!“, Mandy wurde langsam wütend. „Ich hab nur ein bisschen Schiss, weil

…“ „Ein bisschen?“, fragte Mandy skeptisch. Saskia warf Mandy einen finsteren Blick zu. „Weil der Mann vielleicht deine Eltern umgebracht hat!“, beendete sie ihren Satz. „Dann hätte ich doch eigentlich allen Grund zur Panik!“, zickte sie Saskia an. „Leute, hört doch mal auf damit!“, ging ich zwischen die beiden Streithähne. „Wir müssen zusammenhalten. Saskia hat recht, vielleicht haben wir es hier wirklich mit einem Mörder zu tun!“ „Du spinnst doch.“ „Was glaubst du denn?“, fragte ich zurück. „Ich denke, dass es jemand von

außerhalb war!“, meinte Mandy. „Jemand von außerhalb?“ „Völlig ausgeschossen!“, mischte sich Saskia ein. „Deine Eltern, Mandy, wurden ein paar Wochen nach dem Mord an Nuni getötet. Und nirgendwo hier in der Stadt wurden Fremde gesehen!“ „Dann hat dieser Jemand halt im Wald gewohnt!“ „Du meinst Herr Kessel?“, fragte ich. „Vielleicht.“ „Morgen wissen wir mehr!“, meinte ich wieder. Auch ich war furchtbar nervös. Hoffentlich war Elias wieder fit, falls er überhaupt krank war. Vielleicht schwänzte er ja

nur. Dann hätte Ronja aber etwas gesagt! „Was hast du heute bei Ronja gemacht?“, fragte Lars beim Mittagessen. „Das geht dich gar nichts an!“, fauchte ich. „Was ist mit Ronja?“, wollte Elly wissen. „Nichts!“, meinten wir beide. Darauf hob Elly die Hände. „Tut mir leid, ich hab nichts gesagt!“ Sie stand auf und verschwand. Sie wollten den Zwillingen Wintersachen stricken. Zwar waren es zum Winter noch knapp sechs Monate, aber Elly meinte, sie müsse früh beginnen, um fertig zu

werden. „Misch dich nicht in mein Leben ein!“, sagte er drohend und zeigte auf das Pflaster auf meiner Stirn. Darauf fiel mir nichts mehr ein. Wollte er mir drohen? Und was war aus dem Lars geworden, der doch mein bester Kumpel und Bruder war?

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Stephi96

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Martin
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lG Stephi
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