13. Kapitel Das Mädchen „Das könnt ihr gleich wieder vergessen!“, motzte ich meine besten Freunde auf dem Nachhauseweg an. „Außerdem ist Saskia immer noch krank, und ohne sie wäre das unfair!“ „Warum?“, fragte Elias. „Weil sie nicht auf den Dachboden muss, und nicht an Lissy Doll vorbei muss“, kreischte ich. „Weiß sie überhaupt von Lissy Doll?“ „Noch nicht, keiner konnte sie erreichen“, Mandy wirkte bedrückt. „Ich hatte aber auch nicht vor, es ihr zu sagen.“ „Warum?“, fragte ich sauer, „glaubst du,
sie würde es weiter sagen?“ „Vielleicht! Ich meine, Jill haben wir ja auch vertraut“, sie traute sich nicht, mir in die Augen zu sehen. „Wir sind nur eine kleine Gruppe, und wenn wir auch noch anfangen, uns irgendwas zu unterstellen, dann sind wir schon verloren“, Elias hatte immer solche Sprüche auf Lager. „Ich glaube, dann geht Elias für mich auf den Dachboden, du meintest ja, dass mehr als zwei auffallen würden!“, ich versuchte, zwischen ihren Strähnen ihre Augen zu erkennen. „Spinnst du, wenn ich einen Jungen zum Übernachten anschleppe, schmeißen die mich noch raus! Und das war kein
Scherz!“, klagte Mandy lachend über unsere Gesichtsausdrücke. „Wir machen es so wie beim letzen Mal, ihr übernachtet und ich schleich mich rein!“, schlug Elias vor. „Du hast leicht reden! Mein Opa ist zwar alt, hört aber einiges mehr, als die Katzen. Oma meint, dass die Wände ihr manchmal zuflüstern.“ „Dann schmuggeln wir ihn schon am Nachmittag in dein Zimmer. Und ihr geht dann alleine hoch!“, schlug ich vor. „Ja, das wäre wohl das Einfachste“, meinte Mandy und rieb sich an der Wange. „Hast du immer noch Zahnschmerzen?“, fragte ich
vorsichtig. „Ja“, Mandy hatte gestern einen Zahn gezogen bekommen und hatte jetzt eine dicke Wange. „Dann treffen wir uns am Freitagnachmittag in der verlassenen Scheune, ja?“, fragte Mandy und klopfte meine Schulter. „Na gut.“ Als ich später an der Ecke ankam, stand Ellys Auto schon da. Gutgelaunt sprang ich in den Wagen, und der Motor startete. „Leo! Na, wie war´s?“, fragte die kleine Frau aufgeregt. „Was?“, fragte ich beleidigt, schon war
meine gute Laune verflogen. „Die Übernachtung.“ „Als ob dir Marc nicht schon alles erzählt hat“, zickte ich. „Mach mal halb lang, okay, ich komme gerade von meiner Schwester. Ich war noch gar nicht Daheim.“ Entschuldigend schaute ich in ihre Richtung. „Ist schon okay, Leo.“ „Nein, tut mir leid“, ich zögerte, dann platzte es nur so aus mir heraus. „Familie Müller hat mir einen Kater geschenkt, er heißt Sammy. Er ist so süß. Du hast doch nichts dagegen, oder?“, fragte ich und schaute kurz zu ihr rüber. Ihr Kopf nickte kurz, dann
lächelte sie. „Was?“, fragte ich. „Sammy, wer hat sich denn den Namen ausgedacht?“ „Warum, gefällt er dir nicht?“, fragte ich schnell. „Doch, so wollte ich immer meine Katze nennen, Marc weiß das auch!“ „Nein, Marc hat ihn nicht benannt. Mandy hat sich den Namen ausgedacht!“ „Mandy ist wer?“ „Madleén Müller. Und wenn noch jemand danach fragt, ignorier ich ihn einfach.“ „Okay! Ist er denn …“ „Stubenrein? Ja! Er geht ganz fein auf sein Klöchen, das neben unserem steht.
Er schläft auch fein in seinem Bettchen neben meinem. Und er schlabbert beim Essen noch lange nicht so viel wie Lars!“, versicherte ich ihr stolz. „Hey!“ „Oh, Lars du bist ja auch hier!“, ich hatte ihn gar nicht bemerkt, er saß auf dem Rücksitz. „Ja, ich bin auch hier.“ Er schüttelte den Kopf und steckt sich sein Head - Set in die Ohren. Nach dem Mittagessen verschwand Lars wieder in seinem Zimmer. Ich wollte unbedingt wissen, was er darin machte, dass er für die Schule lernte oder Hausaufgaben machte, konnte ich ihm nicht
abnehmen. Ich überlegte kurz, wie ich zu ihm ins Zimmer kam. Nur vom Balkon aus! Dazu müsste ich die Trauerweide vor der Haustür hochklettern, und auf den Balkon schwingen. Und das mit einem gebrochenen Bein. Meiner Hand ging es schon seit Monaten wieder gut. – Zum Glück. Ich schlich nach unten, an Elly vorbei, die in der Küche Sammy schmuste. Der schaute nur zu mir auf und gab keinen Laut von sich. Elly bemerkte mich anscheinend gar nicht, obwohl ich ihr hätte auffallen müssen. Meine Jacke war orange, meine Hose weiß und meine Weste war schwarz. In dem hellen Raum
müsste ihr das doch, auch wenn nur in den Augenwinkel, auffallen. Die Tür ließ sich immer geräuschlos öffnen. Als ich sie hinter mir geschlossen hatte, huschte ich schnell hinter den dicken Stamm, damit Elly mich nicht vom Küchenfenster aus sehen konnte. Der Baumstamm war mit Moos bedeckt und ziemlich glitschig. „Igitt“, ich wischte mir die grünen Hände an der Weste ab. Mit einem Satz sprang ich auf die alte Bank, die unter dem Wohnzimmerfenster stand. Von da aus kam ich an den untersten Ast, der zu meinem Glück fast trocken
war. Unter dem Blätterdach war es fast trocken geblieben. Der Baum stand so schief, dass der Stamm links von dem Blätterdach war. Höchstens zehn Meter war der Baum hoch. Ein wenig Höhenangst hatte ich zwar, zwang mich aber, nicht nach unten zu sehen. Nachdem ich ein paar Mal abgerutscht war, hing ich vor Lars Balkon. Ruckartig griff ich das Geländer, bevor ich das Gleichgewicht verlieren konnte. Dann schwang ich das gebrochene Bein hinterher. Mit einem Hops war auch das andere Bein auf dem schmalen Geländer. Mit Mühe hatte ich mich über das nasse Geländer geschwungen. Hoffentlich hatte
mich noch keiner gesehen. Lars´ Fenster waren mit gelben Vorhängen zugehangen. So ein Mist, dann war alles umsonst. Sogar die Balkontür war zugestellt. Was machte er nur da drin? Enttäuscht setzte ich mich vor die Glastür. Worauf wartete ich eigentlich? Ich legte mein Ohr an die Scheibe und probierte etwas zu hören, was da drinnen geschah. Leise Musik war zu hören. Musik, die nicht zu Lars passte. Sonst hörte er immer Rock oder Michael Jackson, aber das, das passte nicht zu seinem Geschmack. Es war eine Komposition von Beethoven, ich erkannte das Lied
Pathétique sofort. Mein Vater hatte uns dieses Lied immer vorgespielt, wenn Weihnachten, Ostern oder sonst ein besonderes Fest war. Aber warum hörte Lars so etwas, und wie war er eigentlich an diese CD gekommen? Diese CD hatte er bestimmt nicht in unserem kleinen Musikladen hier bekommen! Sollte ich jetzt wieder hinunterklettern? Auf keinen Fall! Aber hier konnte ich ja auch nicht solange bleiben, bis ich vermisst würde. Noch einmal legte ich das Ohr an die Scheibe. Alles war still. Auf einmal ging der Vorhang hoch und Lars stand fußklopfend und mit
verschränkten Armen vor der Tür. Ich grinste verschämt und hoffte, dass er nicht zu sauer war. Als ich dann in seinem Zimmer stand, knallte er die Tür hinter mir zu. „Was willst du?“, fragte er sauer und knirschte mit den Zähnen. „Was willst du denn?“, fragte ich genauso aufgebracht wie er. „Das ist mein Zimmer, schon vergessen?“ „Nein, aber seit wann sperrst du dich selber ein? Und …“ „Das geht dich gar nichts an! Und jetzt raus!“, schrie er wütend. Ich hüpfte aus dem Zimmer, als auch schon wieder die Tür hinter mir zu
knallte. Aber er hatte nicht aufgepasst. Seinen Zimmerschlüssel hatte ich in der Hand. Schnell versteckte ich ihn unter meinem Kissen und rannte wieder in den Flur. Seine Tür flog auf und knallte gegen sein Regal. „Her damit!“, hauchte er. „Womit?“, fragte ich und setzte einen unschuldigen Gesichtsausdruck auf. „Womit?“, sein Gesicht sah gequält aus. Ein Lachen, das nicht beabsichtigt war, lag in seiner Stimme. Es klang bedrohlich, wie ein Vampir, der sein Opfer verführen will. Ich schaute vorsichtig zu ihm auf. Er konnte nicht böse auf mich
sein! „Lio, gib her, sonst hol ich ihn mir!“, das war die Stimme, die ich von ihm kannte. Meine Augenbrauen schienen sich zu verschmelzen. Ich traute mich nicht, zu antworten. Er schüttelte den Kopf und ging mit schnellen Schritten in mein Zimmer. Meine Schreibtischschublade durchwühlte er gerade, als ich ein Geräusch aus seinem Zimmer hörte. Ich stand immer noch im Flur, nur mein Kopf schob sich zwischen den Türrahmen. Das Zimmer war leer. Sammy war unten und sonst war hier kein Tier im Haus.
Doch plötzlich ging die Badezimmertür einen Spalt auf, dann wieder zu. Lars versteckte jemanden hier. Ronja? Ich schaute mich einmal um, sah aber nur, wie Lars mein Regal durchwühlte. Langsam und vor allem leise huschte ich übers Parkett. Kurz vor der Tür bleib ich stehen, ich dachte hinter mir stände jemand. Lars war, wenn er wütend wurde (so wie vorhin), echt unheimlich. Wenn er mich jetzt durchs Zimmer schleichen sehen würde, hätte er wahrscheinlich einen Anfall bekommen. Mit zitternden Händen ergriff ich die Klinke. Was oder wer erwartete mich hinter der Tür? Ein Mörder? Oder
Ronja? Bei dem Gedanken an den Mörder ließ ich den Griff kurz los, ergriff ihn aber nach einigen Sekunden wieder. Ich riss die Tür auf und in dem Moment, in dem Licht in das kleine Bad fiel riss ich die Augen auf. Ein braunhaariges, übertrieben geschminktes Mädchen stand vor mir. Ein T-Shirt hielt sie sich vor den nackten Körper. Erschrocken drehte ich mich um. Als sie loskreischte, rannte ich aus dem Zimmer. Aber Lars stand schon längst in der Tür und schupste mich in den Flur. Das Schloss knackte, dann war alles ruhig. „Alles Okay, da oben?“, fragte
Elly. „Ja, hab mich nur vor …“ Ich schaute mich um. „Einem Spinnenwebe geekelt“, beendete ich den Satz und hörte ein erleichtertes Stöhnen aus Lars Zimmer. „Na gut.“ Ellys Stimme wurde leiser. Sie briet Frühlingsrollen und das zischte. Sammy sprang die Treppe und dann an mir hoch. Ich hielt ihn fest und trommelte wütend an Lars´ Zimmertür. „Mach endlich auf, du Feigling!“ „Hau ab!“, Lars schien wirklich sauer zu sein. „Was ist mit Ronja? War sie nur ein Stück in deiner Sammlung?“, zischte ich aufgebracht. Aber natürlich kannte ich die Antwort schon. Die arme Ronja, sie
tat mir so leid. Aber ich hätte mich erst gar nicht auf diesen A…. eingelassen! Die Tür ging auf, ich sah das Mädchen, die ihre Hose anzog. Lars Nase lugte durch den Spalt. „Halt die Klappe, ja! Sonst hört Elly noch alles!“ „Ja, dann soll sie alles hören!“, schrie ich ihn an. „Was soll das du Schwein? Wer ist das?“ „Leo sei leise!“, er funkelte mich an. „Bitte!“, brachte er dann noch heraus. „Nein, wer ist sie. Und warum betrügst du ihretwegen Ronja?“, ich probierte die Tür aufzudrücken, aber anscheinend hielt er mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen. „Willst du die Tür
kaputtmachen?“ „Wenn´s sein muss!“, ich hörte nicht auf, an der Tür zu hämmern, oder zu schreien. Was dachte der sich eigentlich? Er quetschte sich durch die Tür und zerrte mich am Arm mit sich. Sammy sprang verwundert von meiner Schulter, auf der in den Geschichten von Piraten immer ein Papagei gesessen hätte, und schaute uns nach. „Lass mich los, du Schwei…“, er hielt mir den Mund zu. Ich versuchte mich zu wehren, aber sein fester Griff um meiner Handgelenke ließ mir keiner Wahl. „Willst du das Elly antun?“, fragte er schuldbewusst. Ich nickte. Ich wollte antworten, aber er
ließ es nicht zu. „Hör mir zu, Leo, halt dich aus meinen Angelegenheiten raus, ja? Und halt die Klappe, sonst erzähl ich, was ihr vorhabt. Ja, Leo, so schwer war es nicht, dein Tagebuch und deine Notizen zu lesen. Und wenn ich du wäre, dann würde ich meine Sachen beim nächsten Mal besser weglegen. Du weiß ja nie, wer hier alles im Haus ist!“ Wie meinte er das? Wer war hier im Haus? Außerdem konnte das, was er gesagt hatte, nicht stimmen, ich führte kein Tagebuch. – Nicht mehr. Er wartete, dass ich nickte oder mich entspannte. Ich stand stocksteif neben ihm an der Wand. Mein ganzer Körper
war erstarrt. Ich schaffte es nicht mal, zu blinzeln. Sein Griff wurde sanfter, und sein Gesichtsausdruck auch. Schließlich ließ er mich los. „Hältst du dich dran?“, fragte er steif. „Nein“, ich schüttelte vorsichtig den Kopf. „Sollen die doch wissen, was ich vorhabe.“ „Leonie, ich glaub, du weißt gar nicht, worum es hier geht!“ „Doch, weiß ich.“ Ach ja?“ „Ja.“ „Und worum geht es?“ „Ich weiß, dass …“ „Du weist gar
nichts!“ „Ich weiß, wer sie ist, vielleicht weiß Elly es auch!“, meine Stimme war laut, zu laut, dass es unten leiser wurde. Er drehte sich langsam zu mir um und schlug mir an die Wange. Sein Schlag war so fest, dass ich das Gleichgewicht verlor, und rückwärts nach hinten auf den Teppich in dem Büro fiel. Ich merkte nur noch, wie mein Kopf auf dem harten Boden aufkam. Nach ein paar Sekunden spürte ich den stechenden Schmerz in meinem Hinterkopf. Überstürzt setzte ich mich auf und knallte mit einem anderen Kopf
zusammen, der über meinem hing. Das Mädchen und Lars saßen um mich herum. Mit meiner rechten Hand fuhr ich mir an den Kopf, mit der anderen an die schmerzende Wange. „Wie geht es dir?“, fragte die zarte Stimme des Mädchens. Ich verdrehte die Augen. „Wie immer!“, scherzte ich, ohne zu lachen. Ich nahm meine linke Hand von der Wange, sie blutete. Mit riesigen Augen starrte ich auf die blutverschmierten Finger. „Hier!“, sie hielt mir ein Tempo hin. Ich riss es ihr aus der Hand, ohne mich zu bedanken.
Für mich war sie eine, die Ronja ihm wegnahm und Ronja war eine gute Freundin von mir. Das Blut von meiner Hand war schon wieder weg, als Neues auf mein T-Shirt tropfte. Angeekelt drehte ich den Kopf von der Stelle, wo sich das helle T-Shirt rot färbte. Na gut, vielleicht übertrieb ich etwas, ich konnte nur kein Blut sehen. Sie nahm noch ein Tempo raus und wischte an meiner linken Gesichtshälfte herum. Lars warf ihr einen kurzen, dankbaren Blick zu. Sie stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite und er fing an, vor sich her zu stammeln: „Tut, tut
mir leid …“ „Mann, war das jetzt so schwer?“, fragte sie sauer. „Nein“, antwortete er knirschend und sichtlich beschämt. „Wer bist du? Dass du nicht mal seinen Namen kennst?“, fragte ich empört. Sie schaute mir sauer in die Augen. Nachdem sie aufgesprungen war, warf sie mir das rote Tempo auf die Brust. Dann verschwand sie. Lars half mir hoch. Schnell vernichtete ich die Beweise, dass ich hier geblutet hatte und stieß Lars weg. Mein Kopf tat immer noch weh, als ich in der Küche saß und mich von Elly verarzten ließ. Eine einigermaßen gute Ausrede war mir
auch noch eingefallen. „Ich bin mit Sammy auf dem Arm gestolpert, seine Krallen sind zwar nicht richtig lang, aber scharf.“ Sie stelle weiter keine Fragen. War ihr das Mädchen nicht aufgefallen, das durch die Haustür raus gelaufen war? Später lag ich den Rest des Abends auf dem Zweisitzer-Sofa, denn mein Schädel brummte immer noch höllisch. Zum Glück durfte ich mir aussuchen, was wir guckten. Sonst hätte ich mir noch ein langweiliges Fußballspiel anschauen müssen. Ich geb ja zu, dass Top Model nichts für Marc und Lars waren, aber sonst
guckte ich ja auch immer ihren Mist. Elly und Sammy waren die Einzigen, die von dieser Serie richtig begeistert waren. Elly bewunderte diese dürren Puppen, die da über die Laufstege stolzierten, während Marc sich über die Magersüchtigkeit beschwerte. Lars fand das, was er getan hatte, schrecklich unfair und meinte jetzt, nicht mehr von meiner Seite weichen zu dürfen. Auch Sammy merkte, wie schlecht es mir ging. Den ganzen Abend hockte er brav auf meinem Oberschenkel und starrte in die Flimmerkiste. Am nächsten Tag lachte Lara mich wegen des weißen Pflasters auf meiner
Wange aus, wurde aber darauf so von Lars beschimpft wie schon lange nicht mehr. Mein großer Bruder wich die ganzen Pausen nicht mehr von meiner Seite. Ich glaube, jetzt nahm er es ein wenig zu ernst mit dieser „große Brüder haben ihre kleinen Schwestern zu beschützen“ - Rolle. Elias hingegen schien sich prächtig über meinen Gesichtsausdruck zu amüsieren. Denn immer wenn jemand auf dem Schulhof in meine Richtung schaute, schubste er das Kind aus dem Weg. Mandy hingegen war es genauso peinlich wie mir. Nur in Kunst hatte ich die Chance, mal mit ihr über das riesen Pflaster auf meinem Gesicht zu
reden. Nach der Schule gingen Mandy und ich zusammen an die Ecke, an der Lars mit diesem Mädchen stand und sie küsste. „Ist das die?“, fragte Mandy. „Ja!“, ich verdrehte die Augen. Das Mädchen hatte einen viel zu hohen Pferdeschwanz und die neusten Klamotten. Ihre Tasche war von einer teuren Marke. Sie sah mich kommen und küsste ihn noch verführerischer. Sauer legte ich den Kopf schräg und tippte Lars auf den Rücken. Als er sich umdrehte, fielen mir vor allem seine leuchtende Augen und die Knutschflecken in seinem Gesicht
auf. „Mach die lieber weg, bevor Elly kommt!“, stammelte ich. Mandy hatte der Anblick der anscheinend heißesten Tussi dieser Schule die Sprache verschlagen. Mit offenem Mund gaffte sie sie an. Das Mädchen legte ihren Finger auf die Lippen meines Bruders und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann wischte sie mit ihrem Ärmel die Flecken weg. „Könntest du uns mal vorstellen, wenn ihr fertig seid?“, fragte ich eingeschnappt, was dachten die sich eigentlich? „Meine Schwester Leo und ihre beste Freundin“, er schaute zu Mandy, die
nickte. Lars hatte aber erwartet, dass sie ihren Namen sagte. „Mandy!“, antwortete ich für sie. „Also Leo und Mandy-Iska!“, lächelte er seine Neue an. „Iska, was ist das denn für ein Name?“, fragte ich skeptisch. Lars stieß mir mit einer Seite in die Rippen. Iska lächelte und kniff in meine Wange: „Wie alt ist sie noch mal? Zwölf?“ „Fast vierzehn!“ Ich lächelte wieder, aber so, dass es mir Angst machte. Mandy fuhr mit zu uns. Als wir nach dem Essen in meinem Zimmer saßen, schoss es aus uns
heraus. „Die sieht aber gut aus!“, meinte Mandy eifersüchtig. „Sie ist anders!“ „Ja, das kannst du laut sagen!“; Mandy schaute in ihren Schoß. „Ich kenne sie von irgendwoher!“ „Echt, woher denn?“ „Früher war sie in meiner Grundschulklasse. Sie ist sitzen geblieben!“ „Wie alt ist sie denn?“, fragte ich erstaunt. „Fünfzehn!“ „Und du bist doch erst dreizehn!“ „Ich bin aber eine der jüngsten in unserer Klasse, sie ist ein Jahr zu spät
eingeschult worden, und dann noch sitzen geblieben.“ „Also sie wurde mit sieben eingeschult? Dann noch mal sitzen geblieben?“ „Ja, sie hat die erste Klasse wiederholen müssen!“ „Also waren alle sechs und sie acht!“ „Jab!“, das sagte sie immer, wenn sie das Thema fallen lassen wollte. Bei diesem Wort fiel mir Freitagabend ein. Lissy Doll. „Sie hat gefärbte Haare, oder?“, fragte Mandy, die sich mit so was gar nicht auskannte. „Ich denk schon und schminken tut sie sich ja auch ganz
schön!“ „Oh, ja. Glaubst du, dass dein Bruder deshalb so auf sie steht?“ „Ich glaub, sie fehlt bloß auf seiner Liste!“ „Warum denkst du so über ihn?“, fragte sie aufgebracht. „War doch nett von ihm heute.“ „Nett?“ Ich fing an zu lachen und sie stimmte in mein Lachen ein. Der Freitag rückte immer näher und näher und meine Angst stieg. Wie es schien, hatten Mandy und Elias nicht die geringsten Bedenken. Doch ich machte mir Sorgen, viel zu viele
Sorgen. Am Freitagmorgen in der Schule war es chaotisch. Denn der Photograph war endlich mal gekommen. Natürlich unangekündigt. Es wurde immer ein Foto vom ganzen Jahrgang, von denen ich gar keinen kannte, gemacht. Und natürlich noch Klassenfotos. Die Einzelfotos waren die Schlimmsten, denn alle anderen aus der Klasse mussten sich hinter dem Fotographen aufstellen. Als ich auf dem Stuhl saß und in die Kamera lächelte, brachen Lara, Jill und Judith in Lachen aus. Saskia, die endlich wieder da war, machte immer noch einen schlechten
Eindruck. Dementsprechend sah ihr Foto auch aus. Sie konnte nicht mit auf den Speicher, weil es ihr immer noch nicht so gut ging. Auch das noch, jetzt lief alles so nach Plan. Elias und Mandy würden rauf gehen und ich würde mit panischer Angst um die beiden in Mandys kleinem Krankenhauszimmer hoffen. Es war schon ein seltsames Gefühl, aber allein bleiben wollte ich mit der geheimnisvollsten und gruseligsten Puppe der ganzen Welt auch nicht. Viel zu schnell verging der Nachmittag. Elly rief eine halbe Stunde, bevor wir uns treffen wollten, an, dass ich meine
Sachen packen sollte. Sie war die Einzige, die sich freute, dass ich wieder bei den Müllers übernachtete. Marc war immer noch misstrauisch, und Lars hatte immer noch Schuldgefühle. Obwohl das mit der Wange die Schuld des Schreibtisches war. Ich ließ mir zum Abschied von Sammy die Hand ablecken. Und wie verabredet trafen wir uns in der verfallenen linken Scheune, des Müllerhofs. Sie war eigentlich noch gut erhalten, nur dass die hintere Wand fehlte. Einige Fester hatten zwar keine Scheiben mehr, aber das spielte keine Rolle. Wir setzten uns auf die Decken, die überall für die Katzen herumlagen
und gingen noch mal unseren Plan durch. Ich hatte beschlossen an der Tür, die zu der Treppe führte, die dann zu der Wohnung von Mandys Eltern führte, zu warten und Schmiere zu stehen. Nachdem wir Kriegsrat gehalten hatten, schlug Elias sein Lager auf. Er hatte vor, hinter der Scheune zu zelten. Seine Eltern glaubten, dass er bei Sebastian übernachtete. Als Mandys Großeltern uns ins Bett schickten, gab Mandy meinem Freund ein Taschenlampen - wir sind in einer Stunde so weit- Zeichen. Kurz nachdem wir so taten, als ob wir schliefen, schaute ihre Oma ins Zimmer, dann gingen auch sie
schlafen. Mandy sprang nach einer halben Stunde auf und blinkte wieder mit der Lampe aus dem Fenster. Um die Scheune richtig zu sehen, musste man sich halb aus dem Fenster lehnen. Wir schlichen nach unten in den Flur und öffneten ihm die Tür. „Dann mal los!“, er rieb sich die Hände. „Dann mal los“, wiederholte Mandy aufgeregt. Die Speichertür quietschte wieder, als meine Freunde hinter ihr verschwanden. Sammy war daheim geblieben, jetzt hätte ich ihn gern geschmust. Jetzt, wo ich allein im dunklen Flur stand und um meine Freunde
fürchtete. Ich hielt das nicht mehr lange aus, ich musste sehen, was los war. Auch ich machte die Tür auf, dieses Mal quietschte sie nicht ganz so laut wie vorher. Die kleine Wendeltreppe dahinter war verstaubt, als ich hinaufschlich. Endlich erschien die Wohnungstür, die einen Spalt offen stand. Ganz leise drückte ich sie noch weiter auf. Und da saß sie wieder, oder immer noch. Lissy Doll. Ihr feines Rüschen-Käppchen hing, genau wie beim letzten Mal, schief. Aber ihre Schuhe sahen anders aus. Irgendwie so alt, als ob sie gleich in Staub zerfallen würden. Sie lächelte wieder so, wie bei unserer ersten
Begegnung. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, bei dem Gedanken, an ihr vorbei gehen zu müssen. Ich tastete nach dem Lichtschalter, der auf der falschen Seite hing. Klick, das Licht ging an. Und sofort knipste ich es wieder aus. Ich hatte keine Lust auf Ärger. Ich hatte gesehen, was ich sehen wollte. Nämlich, dass Elias eine Taschenlampe neben seinem Rucksack liegen gelassen hatte, so wie er es mit mir verabredet hatte. Ich lief zu der kleinen Lampe hinüber und knipste sie an. Ihr Schein war bläulich und hüllte den Raum in ein unheimliches Licht. Wieder zitterte ich
am ganzen Körper. Ich war echt ein Angsthase. Aber lieber das, als tot. Ich erreichte den Flur, in dem immer noch alle Kartons herumlagen. Hinter einer verschlossenen Tür sah ich Licht. Schnell ging ich auf die Tür zu. Ich nahm den Türgriff in die Hand, der eiskalt war. Wieder schüttelte ich mich. „Mandy, Elias?“, aber niemand antwortete. Die Tür ging nur ganz langsam auf. Wer saß wohl dahinter? Die Tür war offen, mein Kopf schaute durch die Öffnung und meine Hand hielt die Taschenlampe in den Raum. Er war leer, nur eine Taschenlampe lag auf dem Boden. Ich machte die Tür wieder zu und ging
weiter. Wer hatte da seine Lampe vergessen? Ich hörte leises Gemurmel. Mandy schien Elias irgendwas von ihren Eltern zu erzählen. Ich klopfte leise an die Tür, als diese schon aufging. „Siehst du, du hast es doch geschafft an der Puppe vorbei zu gehen!“, meinte Elias stolz. Ich lachte, und schluckte die Angst, die mir das Reden verbot, runter. Meine Augen schlossen sich auch wieder ein bisschen und meine Knie wurden wieder standhafter. „Habt ihr was gefunden?“, fragte ich nach einiger
Zeit. „Nein, bis jetzt noch nicht!“, seufzte Elias enttäuscht. „Wir werden auch nichts mehr finden!“, jammerte Mandy. „Ja, mit der Einstellung schon gar nicht!“, ich liebte es, Elias und sie streiten zu hören. Sie stieß ihm in die Seite und lachte mich an. „Komm schon, Leo, find noch was!“ „Ich hab schon was gefunden!“, meinte ich verlegen. Weil ich mir nicht sicher war, ob sie es mit Absicht gemacht hatten. „Wer von euch hat denn seine Taschenlampe in dem ersten Raum auf der rechten Seite verloren?“ Sie schauten sich verwundert an. „Wir
haben beide unsere noch!“, versicherte Elias. „Sie war noch an!“ „Dann ist noch jemand anders hier!“, Mandy rutsche immer mehr von der Tür weg. Ich machte die Tür zu und drehte den Schlüssel rum. „Wenn es der Mörder ist, der uns auch aus dem Weg haben will!“ „Dann müssen wir ihn davon abhalten!“ Was hatte Elias jetzt vor? Wollte er dem Mörder direkt in die Arme laufen? Müsste ich dann zusehen, wie auch noch mein Freund stirbt? Nein, das würde ich nicht zulassen! Elias hatte das Schloss und die Tür schon geöffnet, während ich noch in
Gedanken versunken war. „Nein, bleib hier!“, kreischte ich, aber er warf mir nur einen aussagekräftigen Blick zu. Ich merkte schon, dass ich unsere ganze Operation versaute, konnte aber nicht anders. Ich meine, hier oben war noch jemand, der hier nicht hätte sein dürfen, außer Elias, Mandy und mir. Ich versuchte die Angst, die mir den Körper zittern ließ, abzuschütteln. Ich nahm seine Hand und schlich mit ihm in den Flur. Von dort aus sahen wir den gelben Streifen unter der Tür sofort wieder. Mir schien, er würde noch heller leuchten als vorher. Vor der Tür blieben wir stehen. Elias drückte kurz meine eiskalte Hand,
bevor er sie losließ. Er schob die Tür auf, die offen stand. Aber ich war mir sicher, dass ich sie vorhin geschlossen hatte. Wenn der Einbrecher, oder Mörder, hier herumlief. Grrr- es lief mir eiskalt den Rücken runter. Die Tür quietschte wieder ein bisschen, als er sie aufschob. Und die Lampe lag noch genau da, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Wieder ging ich einen Schritt von der Tür weg, um nicht noch vor Angst loszukreischen. Ich lehnte an der Wand, als Elias in dem nur schwach beleuchteten Raum verschwand. Lange Zeit hörte ich nichts.
Doch dann hörte ich etwas knacken. Erschrocken drehte ich mich in die Richtung, aus der das Knacken gekommen war. Doch es war nur Mandy, die nervös in den fast dunklen Raum starrte. Wieder war ein fast überhörbares Geräusch in der Stille zu erhaschen, dann flackerte das Licht in dem Raum. „Elias?“, fragte ich so leise, dass ich es selber kaum hörte. Doch sein Kopf erschien wieder in der Tür. „Hier ist niemand!“ „Und wieder spielt jemand mit uns!“, jammerte Mandy und rückte einen Schritt näher zu mir. Ich atmete ein paar Mal laut aus, um
mich zu beruhigen. Jemand war hier, das stand fest. Er oder sie versteckt sich und beobachtet uns wahrscheinlich gerade. Wir gingen wieder einige Schritte von der Tür weg, als ich einen Schatten sah. Er kam aus dem Raum mit der Lampe. Die anderen Beiden hatten ihn anscheinend nicht gesehen. Im Flur war es stockdunkel, als ich wieder auf den Raum mit der Lampe zuging. Jemand war da drinnen. Ich machte die Tür noch einmal auf und schob den Kopf hinein. Es war wieder nichts zu sehen. Bildete ich mir das nur ein? Oder war hier wirklich ein Schatten gewesen? Wieder hörte ich etwas rascheln. Es kam
von rechts. Rechts von mir war nur die Tür. Vorsichtig ging ich um die Tür herum, dann huschte ein Schatten an mir vorbei. „Hey!“, zischte ich, als er mich auf den Boden schupste. So schnell es ging, stand ich auf und folgte der Person, die probierte wegzurennen, in den schwarzen Flur. Ich sah kaum etwas, nur, dass der Strahl einer Taschenlampe im Wohnzimmer die flüchtende Person anleuchtete. „Hab ich dich!“, rief Mandy ängstlich. Meine Freundin lag auf dem Wohnzimmerfußboden und umklammerte den schwarz gekleideten Einbrecher. Elias stand plötzlich neben mir, schob
mich sanft zur Seite und ging ins Wohnzimmer. Ich stand immer noch im Flur und sah zu, wie Mandy mit der Person in Schwarz kämpfte. Ich hätte da nur im Weg gestanden, also ließ ich Elias lieber die Arbeit machen. Er griff der Person unsanft an die Schultern und zerrte sie von der immer noch strampelnden Mandy. Er riss die Arme der Peron auf deren Rücken und machte den Polizeigriff. „Mandy!“, Elias wollte von ihr, dass sie die Person anleuchtete, das verstand ich vor ihr. Ich richtete meine Lampe auf den Einbrecher, der nicht viel größer war als Elias. Ich hielt Mandy meine Hand hin,
während sie sich hochraffte. Sie nickte mir leicht zu, dann nahm sie mir die Lampe ab. Ich glaub, sie wusste, was in mir vorging. Vielleicht war diese Person der Mörder meiner Halbschwester und der Mörder ihrer Eltern. Ich stand nur da und starrte in die Dunkelheit, in der gleich das Gesicht des Einbrechers beleuchtet werden sollte. Der Strahl huschte über den Boden, an den Beinen von Elias und der Person hoch, bis zu ihren Bäuchen. Mandy atmete einmal kurz aus, dann fiel der Strahl direkt auf die Gesichter, die sich geblendet wegdrehten. Das Gesicht des
Einbrechers war schwarz bemalt. „Was willst du hier?“, fragte Mandy hysterisch, als wir die Schminke abgewischt hatten. „Was wollen die hier?“, fragte das Mädchen. Sie schaute zu mir und Elias. Mir hatte es schon lange die Sprache verschlagen. Auch Elias schien fassungslos. Nur Mandy zickte sie weiter an. Es war das Mädchen, das neue Mädchen meines Bruders, die, mit dem komischen Namen, den ich mir einfach nicht merken konnte. „Beantworte einfach unsere Fragen, oder wir holen meine Großeltern!“, drohte
Mandy. „Glaubt ihr, dass drei Dreizehnjährige mich aufhalten können?“, fragte sie lachend. „Ja!“, schallte Elias´ Stimme durch das jetzt vollbesetzte Wohnzimmer. „Haben wir dich nicht gerade eben aufgehalten?“ „Mich, aber nicht die anderen!“, in diesem Moment zersprang ein Fenster. Elias sprang auf und rannte zu dem zerbrochenen Fenster. Unten im Hof liefen drei Gestalten auf den Wald zu. „Scheiße, wir müssen hier runter!“, rief Elias. „Wie denn?“, fragte Mandy. „Von der Treppe kommen Oma und Opa!“ „Dann durchs Fenster!“, schlug ich
vor. „Hey, wir finden uns nicht mit einem gebrochenem Schienbein ab!“, meckerte Iska. „Was heißt hier wir?“, Mandy schrie schon fast. Elias riss Iska am Arm mit sich zum kaputten Fenster. „Wie sind die anderen da runter gekommen?“, fragte er drängend. Sie schaute kurz runter und schüttelte sich, es sah aus, als hätte sie Höhenangst. Fast hätte ich losgelacht. Sie war doch auf den Balkon geklettert, um mit Lars, was weiß ich, zu machen. Anscheinend hatte sie erraten, woran ich gedacht
hatte. „Nein, ich hab Höhenangst, deshalb hat er mir unten die Tür aufgemacht.“ „Wovon redet die?“, fragte Elias. „Schon gut, sag uns wie die da hinuntergekommen sind!“, fuhr ich sie an. „Sonst was?“, fragte sie sauer. „Sonst schubs ich dich darunter!“, drohte Elias sichtlich genervt. Ich hörte Schritte auf der Treppe. „Sie kommen.“ Elias stieß sie ein Stück näher zu dem Fenster, das bis zum Boden reichte. Es war komplett kaputt. Ihr entfuhr ein leiser Schrei, „Sie haben das Seil benutzt!“ Sie deutete auf ein
dickes Seil, das vom Fenster bis hinüber zu dem Baum hing. „So sind wir auch hereingekommen!“ „Dann müsstet ihr das Fenster doch vorher eingeschlagen haben!“, bemerkte Elias und stieß sie noch weiter in Richtung Fenster, trotzdem ließ er ihren Arm nicht los, als sie damit um Hilfe winselte. „Elias, hör auf, willst du sie noch umbringen?“, schrie ich fast und zog sie wieder herein. „Was ist denn, hast du Angst, dass ich sie los lasse?“, fragte er sauer. „Ja! Und außerdem sind Mandys Großeltern gleich da, also hauen wir ab.“ Ich riss mir meinen Gürtel vom
Körper und schwang ihn um das Seil. Mit beiden Händen umklammerte ich das Ding so fest, dass meine Gelenke schmerzten. Mandy klammerte sich um mich, als wir losschwangen. Das Seil ging immer weiter auf den Boden zu, desto näher wir zur Mitte kamen. Als wir nur noch einen Meter über den Boden hingen, ließ ich eine Hand los. Und wir landeten unsanft auf dem Steinboden des Hofes. Elias und Iska machten es genauso. Wir liefen, so schnell wie möglich in den dritten Schuppen. Iska verschwand sofort im Wald. Das war jetzt auch egal, wir könnten sie ja immer noch in der Schule zur Rede stellen. Aber jetzt
mussten Mandy und ich wieder herein, damit ihre Großeltern keinen Verdacht schöpften. Wir schlichen durch die Hintertür, für die der Schlüssel unter der Fußmatte lag. Als wir gerade auf den ersten Treppenstufen im Erdgeschoss standen, kam uns Mandys Opa entgegen. „Was habt ihr denn unten zu suchen? Habt ihr etwa das Fenster eingeschlagen?“, fragte er sauer. Und im schwachen Schein seiner Taschenlampe kamen die pochenden Adern auf seiner roten Stirn zum Vorschein. „Nein, wir haben eine Scheibe einschlagen gehört und sind sofort runter gelaufen und wollten dem
Einbrecher auflauern. Wir haben ihn aber nur weglaufen gesehen, er kam von oben!“, redete Mandy uns raus. „Deshalb wollten wir nachsehen, ob da oben etwas…“, stammelte ich. „Genauso war es bei uns auch!“, ich atmete leise auf, er nahm uns die Geschichte wirklich ab. Die Polizei traf nach einigen Minuten ein, Mandys Oma hatte sie angerufen. Mandy, ihre Familie und ich mussten Bericht erstatten. Dass wir auf dem Speicher waren, verrieten wir natürlich nicht. Auch von Iska sagten wir nichts. Mandys Großeltern beteuerten, dass nichts gestohlen wurde. Es war schon ziemlich spät, als die
Polizei wieder fuhr. Um halb vier lagen wir dann endlich in unseren Betten. Am nächsten Morgen sollten die Ermittlungen fortgesetzt werden. Ich überredete meine Freundin, mit zu uns nach Hause zu fahren. Am Frühstückstisch herrschte eine schreckliche Stimmung. Mandy durfte nicht mit zu mir, sie sollte helfen, die Scherben im Hof zu entfernen. Ich wurde früher abgeholt als erwartet. Herr Müller hatte mit Elly telefoniert, die sofort panisch hergefahren war. Genau deshalb liebte ich sie so, immer dann, wenn man sie am meisten brauchte, war sie da. Ich hatte nämlich keine Lust, den ganzen Tag auf dem
Speicher herumzulaufen. Auf der Fahrt fragte Elly mich alles, was man hätte fragen können. „Hattest du Angst?“ „Hast du jemanden gesehen?“ „Wart ihr die Einbrecher?“, nur bei dieser Frage hatte ich sie angeguckt und gelächelt. „Wir haben geschlafen, erst als die Scherben auf die Steine fielen, wurden wir wach. Genau wie Herr und Frau Müller!“ „Aber irgendwas müssen die Einbrecher doch mitgenommen haben! Sonst wären sie ja nicht eingebrochen!“ Darauf zuckte ich nur mit den Schultern. Was hätte ich sagen sollen? Dass die Einbrecher nur wegen uns abgehauen
sind?