Romane & Erzählungen
Zweites Leben - Teil 12

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"Zweites Leben - Teil 12"
Veröffentlicht am 27. Februar 2014, 54 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Zweites Leben - Teil 12

Zweites Leben - Teil 12

12. Kapitel Freak oder Freund? Der Rest des Sonntags verging schleichend. Elly war nicht zu Hause und Marc saß die ganze Zeit vor seinem Laptop, nachdem er jemanden vom Bahnhof abgeholt hatte. Er wollte mir nicht sagen, wer es war. Erst dachte ich, es sei mein Therapeut oder irgendjemand vom Jugendamt gewesen, aber niemand sagte mir irgendwas. Auch Lars war beschäftigt. Er hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen, um irgendwas für die Schule zu machen. Er wollte ungestört bleiben. Ich suchte noch nach Hinweisen darauf, dass Sammy die Puppe gar nicht runter

gefallen war. Aber ich hatte es doch gesehen. Sammy hatte sich gut hier eingelebt. Sein Katzenklo stellten wir neben die Toilette im Gäste-WC. Sein Körbchen stand neben meinem Bett und seine Näpfe standen neben dem Mülleimer in der Küche. Den ganzen Nachmittag ging auch er mir aus dem Weg. An diesem Sonntag war keiner von uns zu irgendwas zu gebrauchen. Am Montag weckte Marc uns zu ersten Mal. Elly war gestern nicht nach Hause gekommen. Marc wusste aber, dass sie erst in einigen Tagen zurückkommen sollte. Warum hatte er das mir, - denn

anscheinend wusste auch Lars Bescheid, nichts davon gesagt? „Tut mir leid, ich hatte es vergessen“, meinte er auf dem Weg zur Schule, als ich ihn danach gefragt hatte. Elias wartete als Einziger an der Ecke. Mandy war bestimmt sauer auf mich oder sie war eingeschnappt. Saskia stand bestimmt irgendwo mit Phillip in einer dunklen Ecke und … „Na“, Elias merkte sofort, dass irgendwas nicht stimmte. „Wie geht´s?“ „Schlecht, und Dir?“ „Mir könnte es nicht besser gehen“, strahlte er, dann sah er wieder ernst aus. „Wie ist es bei Madleén

gelaufen?“ „Mandy.“ „Wer ist Mandy?“ „Madleén - Mandy. Sie heißt Mandy, okay?“, warum war ich so unhöflich? „Was war los?“, fragte er besorgt und achtete gar nicht auf das, was ich vorher gesagt hatte. Sauer schaute ich ihn an, seinen Augen entfuhr der Glanz bei meinem Blick. „Sie hat mir eine Katze geschenkt.“ „Super. Du weißt, worauf ich hinaus wollte!“ „Ich habe eine Notiz von ihrem Vater gefunden und …“ „Und was, was stand auf der Notiz?“ „Eine Puppe, die weinen und lachen

kann“, ich schaute wieder auf den Boden. „Eine Puppe, die was kann?“, fragte er verwirrt. „Frag doch Mandy.“ „Morgen“, grüßte sie gutgelaunt. Ich drehte mich ruckartig um und verschwand in der Menschenmenge. Was war das denn? Ich drehte mich noch einmal nach den Beiden um. Elias schaute mir verwirrt hinterher und Mandy starrte auf einen Zettel in ihrer Hand. „Geh doch aus dem Weg“, motzte eine Stimme mich an. Lara dachte ich und fuhr herum. Sie rammte mich mit der

Seite meiner Tasche und bog um die Ecke. Ich war sauer auf alle, mich, Elias, Lars, Marc, Mandy, Lara und am meisten auf Lissy Doll. Was war denn eigentlich los heute? Warum war ich so gemein zu Elias? –Weil auch er mir etwas verheimlichte. Seine Mutter war die Hauptverdächtige gewesen. Hatte Marc diese Puppe auf dem Speicher gemeint? Was war mit Elly? Ich glaubte Marc nicht, dass sie bei ihrer Schwester war. Dann hätte sie nicht ihr Handy da gelassen, dass keiner sie erreichen konnte. Und Lars, was war denn mit dem los? Seit wann sperrte er sich

sonntags in seinem Zimmer ein? Und hing nicht mit seiner großen Liebe Ronja rum? Was war eigentlich hier los? Mit mir und dieser Familie, meiner Familie? In der ersten Stunde hatten wir Deutsch. Natürlich saß ich auch hier neben Elias, wie in jedem Fach, das wir in der Klasse hatten. Er schaute mich die ganze Stunde an. Wirklich die ganze Stunde. Und ich, ich schaute an die Tafel, ich wollte seinem Blick auf keinen Fall begegnen. Solange ich nicht wusste, ob er wusste, dass seine Mutter die Hauptverdächtige war, konnte ich gar nicht mehr richtig denken. Mein bester

Freund hatte mir anscheinend das größte Geheimnis, das er hütete, verheimlicht, mir seiner Freundin. - Falls er es überhaupt gewusst hatte. In der Fünfminuten-Pause schaute er einmal kurz weg, dann wieder zu mir. „Ich weiß, was du gerade denkst!“, meinte er mitfühlend. „Ach ja?“, ich drehte den Kopf zu ihm und starrte in seine Augen. „Ja! Es ist aber nicht so, wie du denkst. Ich wusste nichts davon. Meine Mutter und eine Mörderin? Das wusste ich wirklich nicht, und wenn, dann hätte ich es dir gesagt!“ „Mandy hat nichts von der Puppe gesehen, aber ich schwöre dir, dass sie

den Gesichtsausdruck…“, stammelte ich. Über Nunis- und Mandys Eltern Tod wollte ich jetzt nicht wieder nachdenken. „Ja, ich glaube dir, aber versprich mir, dass Du das keinem weiter sagst!“, sein Blick war verschwörerisch. Ich nickte nur. „Glaubst Du, die würden mich für irre halten?“, fragte ich nach einer Weile. „Ich denke schon. Aber die Alten unter uns würden dir glauben.“ „Hä?“ „Der Mörder von Nuni hat einen Gegenstand bei der Leiche hinterlassen. Derselbe Gegenstand wurde bei Mandys Eltern gefunden“, flüsterte er

gespenstisch. „Was war das für ein Gegenstand?“, fragte ich leise. „Eine Puppe.“ Ich hatte schon damit gerechnet, dass er eine Rose oder etwas meint. „Eine Puppe, so eine, wie Lissy Doll?“, fragte ich noch leiser. Ich merkte, dass er ja eigentlich gar nichts von Lissy Doll wissen müsste. Aber er nickte. Dann hatte Mandy ihm also alles erzählt. Nach den ersten vier Stunden hatten wir Sport- eigentlich Schwimmen. Meine Sportlehrerin meinte, dass ich Heim gehen könnte, wenn ich dürfte, aber ich hatte völlig vergessen zu fragen. Stattdessen half ich ihr wieder beim

Stoppen der Zeit. „So jetzt bildet bitte zweier Gruppen“, rief unsere Lehrerin. Saskia fehlte, sie war also krank. Und ich machte auch nicht mit. Es ging nicht auf, Lara bleib übrig. Judith und Jill waren ab jetzt wohl die neuen besten Freunde. Mit den dreiundzwanzig Jungen in der Klasse und den nur noch sechs Mädchen, konnte es ja gar nicht mehr aufgehen. Wenn ich jetzt mitmachen könnte, müsste ich bestimmt mit Lara zusammen schwimmen. „Oh, Lara, dann mach bitte mit Leonie zusammen.“ „Was?“, kreischte Lara. „Die macht doch

gar nicht mit!“ „Lara, wie sprichst du denn über sie, ich dachte, ihr wärt befreundet.“ „Das geht Sie gar nichts an, und wenn Sie noch mal behaupten, dass die und ich …“, sie merkte, dass die ganze Klasse sie anstarrte und hielt inne. Sie zog die Nase hoch und warf ihre blonden Haare zurück. Ich wette, ihre Haare waren gefärbt. „Gehst du jetzt bitte zu Leonie. Du schwimmst, sie stoppt“, sagte sie. Es war ein Befehl, sagte ihr Blick. „Ihr anderen schwimmt immer abwechselnd zwei Bahnen. Bis Leonie irgendwann stopp ruft. Jeder zählt die Bahnen seines

Partners!“ Lara stolzierte zu mir rüber. „Glaub nicht, dass alle so hinter dir stehen!“, zischte sie mir zu. „Ich zum Beispiel nicht.“ Ihre Freundinnen schwammen auf der Bahn neben uns. Zu meinem Pech war unsere Bahn die Letzte, also war Judith und Jills Seite die Einzige, zu der ich gucken konnte. Die Blondine tänzelte auf den Bock und bei dem Pfiff glitt sie elegant ins Wasser. Jill hatte auch angefangen. Also saß Judith auf dem Bock und schaute zu mir. „Was habt ihr denn herausgefunden?“, fragte sie mich, als Jill eine Bahn geschwommen war. Lara

ließ sich Zeit, sie musste ja alles alleine schwimmen. „Was meinst du?“, fragte ich zurückhaltend. Natürlich wusste ich, was sie meinte. Sie verdrehte die Augen und sprang ins Wasser. Jills Kopf tauchte am Beckenrand auf. Jill hatte unsere Bande verraten. Genau wie Nina, die tolle Anführerin, die nicht mal Abschied nehmen konnte. Außerdem hatte sich unsere Bande aufgelöst, seit Nina weg war. Saskia, Mandy und ich waren nur noch Freunde. Beste Freunde. „Was hast du ihnen alles erzählt?“, fragte ich wütend, ohne sie anzuschauen. „Nichts“, das war die Stimme, die ich so

an ihr hasste. Diese Stimmer hatte sie immer dann, wenn sie eingeschnappt war. Jill konnte man so leicht durchschauen, sie war so einfach zu lesen wie ein aufgeschlagenes Buch. Ich konnte nicht verstehen, wie Judith und Lara sie ins Vertrauen ziehen konnten. „Nichts?“, fragte ich ungläubig. „Warum sollte ich es dir sagen?“, sie schaute auch nicht zu mir, das sah ich aus den Augenwinkeln. „Weil wir Freunde sind“, meinte ich, aber das waren wir noch nie gewesen. „Freunde? Wir? Nein!“, sie sprang ins Wasser. Jetzt kamen Lara und Judith gleichzeitig aus dem Wasser. Lara setzte sich links von mir auf die

Bank und Judith rechts von mir. Was wollten die? Ich schaute auf die Stoppuhr, vielleicht hatte ich Glück und konnte die Übung schon stoppen. Ich sollte die Übung aber leider erst nach zwanzig Minuten stoppen, und nicht nach drei. „Oh, keine Panik, du hast noch Zeit!“, meinte Lara sauer. Sie schüttelte ihre Haare und machte mich total nass. „Hey“, machte ich. „Oh, sorry“, sie frang ihre Haare über meinem Oberschenkel aus. Meine Stirn legte sich in Falten, als ich Elias besorgt zu mir herüberschauend sah. Er hockte frierend auf einem Bock am anderen Ende der

Schwimmhalle. „Was wollt ihr?“, fragte ich mit zitternder Stimme. Und erinnerte mich an das Gefühl, das ich hatte, als die Schwäne am Anfang so auf mich zugekommen waren. „Wir, wir wollen nur wissen, was los war!“, seufzte Judith. „Wie haben gesehen, wie besorgt du warst“, sie klang angriffslustig. Ich sah sie nicht an, sondern beobachtete Jill, die gerade aus dem Wasser stieg, aber sofort erkannte, dass Judith noch reden wollte. Sie drehte sich um, und verschwand wieder im Becken. „Woher wisst ihr?“, fragte ich, ohne

meinen Satz zu beenden. Ich wurde von Mandys Gesichtsausdruck abgelenkt. „Wir wissen viel mehr als du oder deine Freunde“, versicherte Judith, die anscheinend immer noch die Anführerin dieser Bande war. „Ach ja?“, fragte ich gedankenverloren. Mandys Blick beunruhigte mich. Judith folgte meinem Blick. „Sie denkt du gehörst wieder zu uns.“ „Tust du das?“, fragte Lara verführerisch. Ich schaute ins Wasser. „Du gehörst zu niemandem?“, Judiths Führerstimmer wurde immer lauter, wollte sie, dass Mandy an dem Gespräch

teilnahm? „Du ist Nimmerland?“, fragt Lara entsetzt. Das Wasser wurde immer dunkler in meinen Augen. Ich versuchte, die Beiden nicht zu beachten. „Willst du immer ein Außenseiter bleiben?“, fragte Lara nach einigen Augenblicken. Ein Außenseiter, ich? Das war ich wirklich. Ich gehörte nicht zu den Schwänen, sie waren wegen mir kaputt gegangen. Und zu Lara und ihrer Clique gehörte ich auch nicht. Ich gehörte zu Lissy Doll, dem Tod und Nuni. Lissy Doll wäre bei allen Toten aufgetaucht, meinte Marc. Der Mörder

hat sein bestimmtes Markenzeichen. Ich muss an einen Ort, an dem es viele Puppen gibt. Jemand in dieser Stadt sammelt vielleicht solche antiken Glaspuppen. Der, der diese Puppen hat, müsste mich auch zu dem Mörder bringen. „Leonie, du kannst es dir aussuchen, entweder bleibst du der Freak oder du gehörst dazu“, Laras Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Ich bleibe lieber der Freak“, dachte ich. „Freak, oder Mitglied?“, fragte Judith. Ich antwortete nicht, würdigte sie keines Blickes. Als ob diese Zicken zu bestimmen hätten, wer hier Freak war, und wer

nicht. „Also Freak!“, Lara stand auf und sprang zurück ins Wasser. Judith blieb noch einen Moment sitzen. Sie legte ihre nasse Hand auf meinen Arm und fragte: „Willst du wirklich nicht wissen, wer der Mörder, deiner Halbschwester ist?“ Ich stieß ihre Hand weg und schaute in ihre tiefen grünen Augen. „Nein, will ich nicht. Ich hab schon genug deshalb in Schwierigkeiten gebracht. Und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe.“ „Okay, aber komm bloß nicht an und glaub, du kannst noch was wissen.“ Sie sprang über Jill hinweg, die gerade hastig aus dem Becken kletterte. Ich schaute auf die Uhr, noch acht

Minuten. Nach dem Schwimmen ging ich zur Theater AG. Elias kam als Anfeuerer mit. Mandy hatte nach der Schule einen Zahnarzttermin und wurde pünktlich um halb zwei von ihrem Opa abgeholt. Das Theater machte Spaß, es lenkte mich von meinem eigenen Leben ab. Meinem Leben, voller Hass, Tod und Angst. Ich berichtete alles Elias, als er mich über den Schulhof, durch die Gebäude zu der Ecke führte, an der wir abgeholt werden sollten. An diesem Nachmittag küsste er mich zum ersten Mal. Es war ein erlösendes Gefühl. Und wieder vergaß ich alles um

mich herum. Wir meinten beide, dass wir uns lieber aus der Geschichte raushalten sollten. Aber ich hatte mir geschworen, das Rätsel zu lösen. Anscheinend war es ja schon gelöst wurden. Und zwar von den größten Tussis der Welt, Lara, Jill und Judith. Es tat so gut mit jemandem darüber zu reden, anstatt alles in sich hinein zu fressen. Er drückte noch einmal sanft meine Hand, bevor er mir einen Abschiedskuss gab. Dann verschwand er hinter einigen Häusern. Ich wartete an der Ecke darauf, dass mich jemand abholte. Aber

auch nach einer halben Stunde kam keiner. Ich entschied mich, Lars auf seinem Handy anzurufen. Aber natürlich war es wieder mal aus. Da Marc kein Handy hatte, konnte ich nicht mal ihn erreichen. Im Sekretariat in der Schule war auch keiner mehr, und das Geld für die Telefonzelle hatte ich auch nicht. Um nach Hause zu laufen, war es zu weit, außerdem ging dies schlecht mit der Tasche und der Schiene. Wo blieb denn Marc? Und wo war Lars? Er hatte heute lange Schule gehabt, das wusste ich genau. Wir hatten halb vier. Und um zwanzig nach drei hatte er Schluss. Vielleicht waren die beiden

schon ohne mich gefahren. Elly konnte ich auch nicht erreichen, da ihr Handy zu Hause, ausgeschaltet auf dem Küchentisch, lag. Ich sprach auf jede Mailbox, die ich erreichen konnte. Saskia wollte ich nicht anrufen, denn wer sollte mich abholen kommen, ihre Schwester? Saskias Vater musste noch bis sechs Uhr arbeiten. Mandys Großeltern waren ja mit ihr beim Zahnarzt. Und Elias, oder Phillip wollte ich nicht anrufen, das wäre zu peinlich gewesen. Jetzt fing es auch noch zu regnen an. Ich setzte mich auf die Bordsteinkante und wartete, dass jemand zurückrief.

Plötzlich piepte mein Handy. Blitzschnell schaute ich auf das Display. Kacke, mein Akku war leer. Na toll, jetzt konnte ich nicht mal mehr Hilfe rufen. Ich entschied, mich lieber unter das Dach der Bushaltestelle zu stellen, als hier im Regen zu hocken. Ich hörte ein Auto kommen und richtete mich auf. Hoffentlich war das Marc. Aber stattdessen bog ein roter Mercedes um die Ecke. Die Scheiben des Autos waren schwarz. Nur die Windschutzscheibe war normal. Vor mir hielt der Wagen und das Beifahrerfenster fuhr runter. In dem Auto saßen Lara und eine

mindestens vierzigjährige Frau. „Hallo, du musst Leonie sein. Dein Vater hat vorhin bei uns angerufen und gefragt, ob du bis um sieben bei uns bleiben könntest. Ich habe natürlich ja gesagt, ich wusste doch, dass du und Lara befreundet seid“, sie lächelte mich an und stieg aus. Nachdem sie um den Wagen herum gegangen war, hielt sie mir die Tür auf. „Steig ein, Kleines.“ Sie nahm mir die Tasche ab und schob mich in das Auto. Ich war mir nicht sicher, ob Marc wirklich diese Frau angerufen hatte, um mich abzuholen. Ich hatte doch seit Dezember keinen Kontakt mehr mit Lara und Judith und inzwischen war es

März. Als Lara und ich in ihrem Zimmer standen schaute sie mich böse an: „Du hast deinem Vater also nicht gesagt, dass wir …“ Sie beendete den Satz nicht, denn sie kannte die Antwort ja bereits. „Nein“, ich wusste, dass meine Antwort sie nur noch wütender machte. Sie warf sich auf ihr Bett, welches vollkommen rosa war. Ihre Wände, ihr Teppich, einfach alles war rosa. Nur ihre Schränke waren weiß mit rosa Vorhängen verziert. Ich stand immer noch da und schaute aus dem Fenster in den

Regen. „Na gut, dann muss ich das eben ertragen“, murmelte sie und pustete ihre fettigen Haare aus der Stirn. „Mum, ich bin hier oben!“, schrie ein Jugendlicher aus dem Flur. „Hast du Geschwister?“, fragte ich gelangweilt. „Ja, einen großen Bruder, der leider mit deinem befreundet ist.“ Wir hatten inzwischen halb sechs. Lara war inzwischen ein paar Mal im Bad oder in ihrem begehbaren Kleiderschrank verschwunden. Irgendwann kramte sie ihr Handy raus und telefonierte mit Jill und Judith. Es war der schrecklichste Nachmittag

meines Lebens. Wie Dreck behandelt zu werden war ja für mich nichts Neues, aber bei seinen Peinigern zu Hause zu sein war ja echt die Krönung. Sie lästerten am Telefon über mich, ich beachtete es gar nicht und machte stattdessen meine Hausaufgaben. „Bist du immer so ein Streber?“, fragte sie nach einer Weile. „Ja“, sagte ich kleinlaut. Sie zog die Augenbraue hoch und machte sich einen Pferdeschwanz. Sie tänzelte durch das Zimmer und schaltete den Computer an. „Komm, ich muss dir was zeigen.“ Ich atmete laut aus und ließ die Schultern hängen. Sie wollte mir

bestimmt, die - wir hassen Leonie E. R. Schmitz Seite-, zeigen. Sie gab bei You Tube: Vorstadtschule Gymnasium Weiler mitten in der Ebene ein. Die Adresse, gibt´s doch nicht, dachte ich, aber es gab sie wirklich. Einige Bilder unserer Schule erschienen. Sie klickte Jahrgang sieben an, und die Klassenfotos der 7a, 7b, 7c, 7d und unserer 7e erschienen. Ich war nicht auf dem Foto, dafür war Nina noch drauf. „Du ersetzt Nina“, knirschte sie zwischen den Zähnen hindurch. „Nein, mache ich nicht“, sie

unterdrückte mich, genau wie Jill und Judith, aber so schnell ließ ich mich nicht unterkriegen. Sie klickte auf einen Chatroom, unserer Klasse. Einige Jungs und ihre Clique waren da drin. „Guckt, die finden das auch.“ „Ja und?“ „Du kannst immer noch dazugehören.“ „Was wisst ihr denn, was so toll ist?“ „Das sagen wir dir natürlich nicht vorher! Also sag schon, bist du dabei, oder nicht?“ „Was, wenn ihr nicht mehr wisst, als ich? Sag mir was, was ich noch nicht weiß!“ „Na, du bist aber ein naives Rehlein,

Leo, wenn wir dir das jetzt sagen. Ach, es ist viel mehr als du wissen kannst. Den Mörder von Nuni kennen wir schon lange. Du würdest es nicht glauben, aber alle Spuren führen zu ihr!“, sie hielt sich die Hand vor den Mund. Sie hatte schon zu viel gesagt, der Mörder war also eine Sie. Wenn man Lara trauen konnte, aber vielleicht hatte sie das nur gesagt, um mich auf eine falsche Fährte zu locken. Sie schaute verlegen auf den flackernden Bildschirm. Sie klickte auf NEWS, das Schild blinkte. Jetzt kam eine rosa Seite mit lauter Herzen. Ich riss die Augen auf, Elias und ich

standen auf der Seite. Wir, wie wir heute auf dem verlassenen Schulhof gestanden hatten, und … „Ich hab keine Ahnung, wer das hier rein gesetzt hat, aber wer es auch war, hat die Seite überhaupt erstellt.“ „Das wart ihr!“, schrie ich. „Nein, Du kannst meine Mutter fragen. Ich war die ganze Zeit hier, genau wir Jill und Judith, wir haben die beiden davor nämlich nach Hause gefahren. „Warum zeigst du mir die Seite dann?“, fragte ich misstrauisch. „Ich dachte es interessiert dich, dass du im Internet stehst.“ Ich tat, als wäre das nichts Neues. „Vielleicht ist die Seite von

mir.“ „Als ob, du darfst doch gar nicht ins Internet.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte ich schnell, aber es stimmte. Seid ich Micky gesagt hatte, dass ich einen Mord aufklären will, hatte ich Internetverbot bekommen. „Willst du mal was nachsehen?“, fragte sie leise. Sie verschwand im Nebenzimmer. Ich atmete langsam aus, okay, ich schau nach. Ich kramte den Zettel von Herrn Müller aus der Tasche und tippte die Namen ein: Frau Siebke, Frau Rothalm, Frau Dornbrecht, Herr Kessel und Herr

Bergheim. Natürlich konnte keine Seite gefunden werden. Ich las den Zettel noch einmal: 17. März 1979 Georg Müller Heute fand ich etwas Entscheidendes heraus: Als ich Frau Siebke und ihre Kollegin Frau Rothalm nach dem Mord gefragte, kamen Frau Siebke die Tränen. Ich bin bei allen aus der Stadt gewesen, die jemand verdächtigt hatte, das waren fast alle. Im Hotel habe ich auch etwas Entscheidendes herausgefunden: Die Besitzerin, Frau Dornbrecht, hatte keine Besucher in den letzten Wochen. Aber dennoch meinten einige, dass sie einen

Mann öfters in der Pension gehen gesehen haben. Vielleicht lügen sie, vielleicht macht mir aber Frau Dornbrecht etwas vor. Die Hauptverdächtigen sind weiterhin Herr Kessel (der Förster), Frau Siebke (hat die Leiche gefunden) und ihre Kollegin Frau Rothalm (diese fällt aber aus, weil sie zur Tatzeit im Park gesehen wurde) und Herr Bergheim (Zeuge). Ich gab als erstes Hotel-Weiler mitten in der Ebene, Besitzerin Frau Dornbrecht Und es kam tatsächlich eine Seite. Ein Foto eines Hotels, das ich schon mal gesehen hatte. Die Frau erkannte ich auch sofort. Ihr markantes Gesicht fiel

unter den anderen, die in dem Hotel arbeiteten richtig auf. Frau Dornbrecht war kugelrund und trug einen blauen Sonnenhut. Ich schrieb mir die Adresse des Hotels und die Telefonnummer auf. Dann machte ich weiter: Frau Siebke und Frau Rothhalm. Von Nina wusste ich, dass Elias´ Mutter in einem Blumenladen arbeitete. Also tippte ich das auch noch dazu. Ein kleiner Blumenladen an einer befahrenen Straße tauchte plötzlich auf. Der Laden war grün gestrichen und passte nicht zu den anderen Häusern in seiner Umgebung. Auch seine Adresse schrie ich mir

auf. Von Herrn Kessel wusste ich ja eigentlich schon genug. Herr Bergheim fand ich gar nicht. Also es gab schon einige Adressen, aber es gab viele Bergheims. Ich entschloss mich, noch mal mit Mandy zu sprechen, vielleicht wusste sie mehr über diesen Herrn Bergheim. Ich löschte die Adressen, die ich eingegeben hatte, damit Lara später nichts nachlesen konnte. Und tippte noch eine andere ein, um sie auf eine falsche Fährte zu locken. Ich schaute mich ein paar mal in ihrem rosa Zimmer um, als sie dann wieder herein kam. „Hast du alles, was du

wolltest?“, fragte sie unhöflich. „Ja, ich glaube ich werde gleich abgeholt“, wer hätte gedacht, dass dieser Nachmittag noch schlimmer werden würde? Marc holte mich wie verabredet ab. Laras Mutter musste noch Stunden lang mit ihm quatschen, bis wir endlich fahren konnten. Solange die Erwachsenen sich unterhalten hatten, hatte ich im Auto gesessen und mich gelangweilt. Einige Mal hatte ich zu Laras Zimmerfenster hinauf geblickt, denn ich kam mir beobachtet vor, aber niemanden gesehen. „Und wie war´s?“, fragte Marc, als wir in unsere Straße einbogen. „Soll ich ehrlich sein?“, fragte ich

beleidigt. „Unbedingt!“, zog er das jetzt ins Lächerliche? „Es war der beschissenste Nachmittag meines Lebens. Weißt du eigentlich, dass Lara und ich so was wie Erzfeindinnen sind?“, ich schaute in den Regen, der nicht aufzuhören schien. Bei jedem Tropfen, der an der Scheibe hinab lief, erschrak ich aufs Neue. Hatte ich mir das mit der Puppe wirklich nicht nur eingebildet? Hundertprozentig nicht! Machte Mandy mir etwas vor? Sie hatte es doch auch gesehen! Außerdem musste ich etwas über diesen Bergheim

herausfinden. „Marc, kennst du einen Herrn Bergheim?“, fragte ich ganz unschuldig und hoffte, dass er keinen Verdacht schöpfte. „Ja, Markus Bergheim hat mal hier gewohnt. Er ist aber vor dem Mord an Nuni hier weggezogen. Er hat hier studiert, jetzt sitzt er in der Berliner Politik.“ So viel wollte ich zwar nicht wissen, aber na gut. „Studiert? Hier? Was gibt es denn hier zu studieren?“, fragte ich verwirrt. „Er hat nicht studiert, tut mir leid, er hat nur im Rathaus sein Praktikum gemacht. Mehr weiß ich auch nicht. Es stand aber schon von Anfang an fest,

dass er in die Politik geht!“, meinte er. „Ja, wieso?“ „Naja, er war sehr charismatisch und er hatte großes Talent, seine Meinung durchzusetzen!“ „Ist charismatisch denn nicht, wenn man seine Meinung durchsetzt“, fragte ich noch verwirrter und schaute in sein offenes Gesicht. Er schüttelte lachend den Kopf. „Auf jeden Fall ist er dann nach Köln, und später nach Berlin gezogen. Keiner hat mehr was von ihm gehört. Aber man sieht ihn ja oft in der Zeitung.“ Ich nickte, jetzt wo er es sagte, erkannte ich wirklich das Bild von Markus Bergheim in der Zeitung

wieder. „Was war mit Nuni, hat keiner Verdacht geschöpft?“, stachelte ich weiter. „Die Polizei hat ihm einen Besuch abgestattet, aber … er ist unschuldig.“ „Woher?“, er ließ mich nicht ausreden. „Er hatte eine Konferenz zu dem Zeitpunkt, und da gab es genug Zeugen“, Marc schaute kurz auf die Uhr, dann trat er aufs Gaspedal. „Einige seiner, ich nenne sie mal Fans, wählten ihn nicht mehr, weil sie glaubten, er hätte Nuni wirklich umgebracht.“ „Warum? Er war doch freigesprochen wurden, oder nicht?“ „Doch schon, Leo, aber du weiß ja, wie schnell sich Gerüchte verbreiten. Was

würdest du denn von dem Bürgermeisterkandidaten halten, wenn er mitten im Wahlkampf von Polizisten mitgenommen wird?“ „Dass er etwas verbrochen hat!“, gestand ich. „Siehst du, und wer will schon einen Verbrecher als Bürgermeister?“ „Niemand!“, ich kaute an meinen Fingernägeln. Diese Frage war unangenehm. „Du hast aber auch keinen Verdacht, wer Nuni umgebracht hat?“ Ich wollte unbedingt mit meinen Ermittlungen, so kindisch es sich auch anhörte, weiter kommen. „Leonie, hör jetzt auf, der Fall ist erledigt, und wenn du noch einmal damit

anfängst, dann…“ „Dann was? Setzt ihr mich dann auf die Straße?“, schrie ich weinend. Ich wollte das nicht, aber es war passiert. Der Wagen hielt und Marc stieg aus. Die Tür knallte hinter ihm. Er rannte auf die Veranda und schloss die Tür auf. Sonst half er mir immer, aber heute, jetzt, nachdem ich schon wieder angefangen hatte … Ich stolperte die nasse Einfahrt entlang auf die kleine Veranda. Die Tür stand noch offen, als ich hineinschlich. Marcs Mantel hing über dem Geländer und seine Schuhe, die er unter die Treppe geschleudert hatte. So machte es Lars immer, wenn wir aus der Schule

kamen. Die Männer des Hauses schauten Fernseher, als ich in mein Zimmer ging. Ich schmiss meine Tasche neben den Mülleimer und setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl. Ich kramte ein leeres Blatt aus meinem Block und schrieb die Namen drauf, die ich bis jetzt kannte. Herr Kessel (der Förster), Frau Siebke (hat die Leiche gefunden) (besitzt einen Blumenladen mit ihrer Kollegin Frau Rothalm) (die aber freigesprochen wurde) Frau Dornbrecht (die Besitzerin der

Pension) Herr Bergheim (Zeuge) Politiker in Berlin. Ich entschied mich, mit Lars zu Herrn Kessel, also zu dem Förster zu fahren. Er sollte mir die Geschichte dann mal aus seiner Sicht erzählen. Elias´ Mutter konnte ich dann ja ein anderes Mal mit ihm verhören. Frau Dornbrecht wollte ich erst mal nicht mit in die Sache reinziehen, obwohl sie ja eigentlich schon mit drin hing. Es würde sich schon irgendwie ein Weg finden, wie ich nach Berlin kommen würde, um Herr Bergheim zu befragen.

Allein konnte ich natürlich nicht gehen. Elias, Mandy und Saskia würde ich einweihen, sonst keinen. Ich steckte mein Handy ans Ladekabel und wartete, bis der Bildschirm kurz aufleuchtete. Am nächsten Tag in der Schule fragte ich sofort Elias und Mandy, ob sie mich zu dem Förster begleiten würden. Sie versprachen mir beide, mitzukommen. Danach wollten wir auch noch zu der Besitzerin der Pension. „Was wissen wir denn bis jetzt?“, fragte Mandy aufgeregt. „Ich meine, wir müssen uns aufschreiben, was jeder

einzelne zu der Geschichte sagt. Wenn wir dann alle befragt haben, sehen wir ja, wer aus der Reihe tanzt und lügt!“ „So einfach ist das nicht, Mandy“, zischte ich. „Außerdem wen wollen wir alles fragen?“, grübelte Elias. „Alle, die auf dem Zettel von Mandys Vater stehen!“, ich hielt ihnen den Zettel, und das, was ich gestern Abend geschrieben hatte hin. „Und was sollen wir ihnen sagen, wenn sie fragen, warum wir sie verdächtigen?“, fragte Elias. Er dachte immer einen Schritt weiter. Manchmal war es wirklich nervig, manchmal half es aber wirklich weiter, so wie

jetzt. „Die Wahrheit!“, meinte Mandy. „Spinnst du?“, fragte ich aufgebracht. „Willst du, dass noch andere demnächst auf euren Speicher einbrechen und nach weiteren Zetteln suchen?“ „Das sollten wir tun, Leute! Vielleicht hat ihr Vater noch mehr Hinweise zurückgelassen!“ „Elias, es war nur Zufall, dass ich den Zettel gefunden habe, wo sollte er denn noch was versteckt haben? Die Polizisten haben doch schon alles durchsucht!“ „Alles?“, fragte er spielerisch. „Wenn du etwas finden konntest, dann schaffe ich das

auch!“ „Ich wette, da ist nichts mehr“, flüsterte ich. Lara und ihre Freundinnen kamen an uns vorbei und blieben neben mir stehen. „Wo ist nichts mehr?“, fragte Lara. „In deinem Kopf!“, meinte Elias und nahm meine Hand, drehte sich um und riss mich mit. Mandy war eingeharkt bei mir und wurde hinter uns hergezogen. „Das war gut!“, kicherte Mandy. „Nein, nicht gut. Perfekt!“, lachten Sebastian und Phillip, die alles beobachtet

hatten.

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Stephi96

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