7. Kapitel Stille Es war wohl keine gute Idee, beleidigt zu sein. Aber ich war es, ich konnte nichts daran ändern. Alle schauten mich an. Und ich, ich hatte diesen Blick, der einem Angsteinjagen konnte. Ich starrte ihn an. Meine Stirn war mit der eines Elefanten zu verwechseln. Meine Brauen wuchsen schon zu einer zusammen. Die Arme hatte ich vor der Brust verschränkt. Das Bein, das in den Gips geschweißt war, tippte nervös auf dem Boden herum. „Wann hattest du mir eigentlich vor, dass
zu sagen?“, fragte ich schließlich. Meine Worte waren eher ein Zischen, als ein Vorwurf. „Äh.. ich wollte auf den richtigen Augenblick warten!“, zögerte er. „Und wann sollte der sein?“, ich starrte immer noch in seine Augen. Auf seinem Gesicht lagen Angst, Unschuld und dieser Blick. „Wenn du mich danach gefragt hättest!?“, flüsterte er. Oh, das war die falsche Antwort. „Was? Wolltet ihr mich eigentlich im Dunkeln tappen lassen?“, ich machte eine kurze Pause und schluckte. Ich wusste, dass ich kurz vor einem Schreikrampf stand. „Falls es dir noch
nicht aufgefallen ist, ich gehöre inzwischen auch zu dieser Familie!“, bei diesen Worten brach meine Stimme ab. Lars stand direkt vor mir in meinem Zimmer. Um halb elf. Es war der 30. Dezember. Ich stand auf den Zehenspitzen, um mit seinen Augen in einer Höhe zu sein. Er schluckte, dann zog er die Mundwinkel noch weiter runter. „Ich weiß“, er flüsterte wieder nur und hoffte, dass ich nicht wieder durchdrehen würde. Er wollte auf keinen Fall, dass Elly und Marc sich an diesem Gespräch beteiligten! Ich auch nicht. Ich wollte wissen, was passiert war, und warum. Ich wollte jedes
kleinste Detail hören. „Dann sage mir endlich.“ „Nuni.“ „Ich weiß!“ „Nuni … sie war“ „Ich weiß, wer sie war und ich weiß, was sie war, aber was ist passiert?“ „Sie wurde ermordet“, ein Schluchzer kam von der Tür. Nein. Hatte ich mit meinem Geschrei doch Elly hoch gelockt? Sonst stritten wir, also Lars und ich uns nur beim Essen, beim Fernsehen oder im Flur. Aber nicht um diese Uhrzeit. Und nicht in meinem Zimmer, in dem er sonst nie was zu suchen hatte. Und
nicht, wenn ich ein paar Bücher unterm Arm hatte, nicht, wenn es um ein paar bestimmte Bücher ging. Es waren ein Fotoalbum, eine Akte und mein Buch. Alles handelte von einem gewissen Mädchen namens Nuni. Nuni Schmitz. Am 28. war ich auf den Speicher geklettert und hatte nach Hinweisen auf eine Tochter gesucht. Und war schließlich auch fündig geworden. Eigentlich hatte ich eher nach Babysachen oder einem Kinderbett gesucht, aber es standen nur ein Regal und ein Schrank auf dem Dachboden. In dem Regal waren nur alte Sachen,
also Akten von Marcs Arbeit (er arbeitet bei einer Versicherung). Der Schrank war schon interessanter. Kuscheltiere und Photos fand ich in der dunklen Kammer. Ich schob die Tierchen auf Seite, um zu dem dicken Album zu kommen. Verstaubt war es ja, als ich den Staub wegpustete, wurde mir schwindelig. Ich legte das Album noch mal in den Schrank und hielt mich an den Türen fest. Als ich mich wieder gefasst hatte, schniefte ich ein paar Mal, bevor ich es mir wieder griff. Es waren nur Fotos von einem kleinen Kind und zwei sehr jungen Erwachsenen darin. Auf der
letzten Seite fiel mir eine Mappe entgegen. Akte 39- Mordfall, stand darauf. Ich traute mich nicht, sie hier zu öffnen. Wieder schlich ich durchs Haus und machte die Speichertür so leise wieder zu, dass mich nicht einmal ein Tier hätte hören können. Auch wenn es direkt neben mir gesessen hätte. Als ich dann die Tür meines eigenen Zimmers hinter mir zugeschlagen hatte, warf ich die Mappen aufs Bett und betrachtete jedes Foto genau. Die Bilder waren nicht mal beschriftet. Bei meiner Mutter wäre das ganze Album auch ohne Bilder voll gekritzelt
gewesen! Die andere Mappe war wahrscheinlich von der Polizei. Akte 39- ungeklärter Mordfall stand auf der ersten Seite. Ort, Datum und Verdächtige standen auf der zweiten Seite. Aber nirgends stand etwas über einen Förster. So etwas passte gar nicht zu mir. Dass ich bei den Leuten, die mir das Leben erleichtern wollten, im Haus rumschnüffelte und mich in Sachen einmischte die mich gar nichts angingen. Aber gegen meine Neugier hatte ich keine Chance. Schuldbewusst schaute ich zu Elly. Sie
lehnte im Türrahmen und starrte auf die Mappen unter meinem Arm. „Sie war erste zwei, zwei Jahre alt“, es war mehr ein Schluchzen, als eine Aussage. „Ich weiß“, ich flüsterte es so leise, dass es nur Lars hören sollte. Er guckte mich unter seinen dichten Wimpern heraus an. Als wollte er mir sagen, dass ich jetzt die Klappe halten sollte. Und das tat ich auch. Langsam kam Elly auf mich zu und streckte die Hand nach den Büchern aus. Vorsichtig legte ich das Album und die schwere Mappe in ihre zierliche Hand. Als sie mit der Hand über eines der Fotos gestrichen hatte, knallte sie das
Buch zu. Und verschwand aus dem Zimmer. Lars schaute ihr lange nach, auch wenn da nicht mehr als der Flur zu sehen war. Ich hatte alles kaputtgemacht! Ich saß immer noch auf meinem Bett und ließ die Schultern hängen. Ein leiser Seufzer entfuhr mir. Meine Mundwinkel wurden immer schwerer und schienen aus meinem Gesicht zu hängen. „Es ist nicht deine Schuld“, sagte er, ohne den Blick von dem leeren Flur abzunehmen. „Klar“, ich starrte immer noch auf meine
Hände. „Nein.“ „Doch.“ „Hör auf, so war es bei mir auch! Irgendwann musstest du es ja mal erfahren“, er redete etwas leiser, „aber ich glaube, du hattest etwas mehr Hilfe als ich!“ „Glaub schon.“ „Du solltest nach „Beweisen“ suchen, stimmt´s?“ „Ja.“ „Lass dich nicht ver…, die nutzen dich nur aus.“ „Warum sollten sie?“ „Der Mord ist zwanzig Jahre her. Der Mörder läuft bis heute auf freiem Fuß
herum. Die Belohnung steht aber immer noch.“ „Der Mörder“, bei dem Wort, musste ich hüsteln, „Ist längst über alle Berge!“ „Vielleicht, aber es wäre doch aufgefallen, wenn jemand wegzieht. In dieser Kleinstadt kennt jeder jeden! Niemand ist den letzten zwanzig Jahren weggezogen.“ „Nein?“ „Nein!“ „Das bedeutet, der Täter“; ich hatte das passende Wort gefunden, „Ist immer noch hier?“ „Wahrscheinlich ja.“ „Es könnte aber sein, dass jemand in die Stadt kam, um sie zu
…“ „Genau, das ist ja das Seltsame. In unserem Gasthof hatte sich niemand einquartiert!“ „Er hätte ja auch zu Besuch bei jemandem gewesen sein können!“ „Aber wer macht sich Mühe, ein kleines Mädchen zu verfolgen. In eine andere Stadt und dann bringt er sie um. Also ich meine was hatte sie gemacht?“ Jetzt drehte ich den Kopf in seine Richtung und bemerkte, dass er mich die ganze Zeit angestarrt hatte. „Marc und Elly hatten auch keine Feinde!“, fügte er hinzu. „Die Polizei sagte, dass ein Betrunkener das einzige Motiv hatte. Vielleicht aber auch ein
…“ „Ein was?“, fragte ich scharf. „Ein Tier.“ „Ein Tier?“ „Das Mädchen wurde erstochen. Vielleicht hat ein, ach vergiss es!“ Ich entschloss es wirklich zu vergessen, denn es machte für mich keinen Sinn. Alles, jedes Wort, was er zu mir gesagt hatte, würde ich Nina, Saskia, Jill und Madleén berichten. Ich wollte den Mörder finden. Nicht wegen der Belohnung, sondern wegen Ellys Blick, der einem das Herz zerstach. Am nächsten Tag traf ich mich mit
Saskia. Sie hatte angerufen und mich zum Übernachten bei sich eingeladen. Sie meinte, dass sie nichts den anderen erzählt hat. Wir waren endlich mal für uns. Ich mochte die anderen zwar, aber manchmal fühlt man sich unwohl, wenn man seine Geheimnisse vor vier Leuten gesteht. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob Jill alles für sich behielt. Bei Saskia hingegen konnte ich mir wirklich sicher sein. Marc hatte mich zu ihr gefahren. Ich glaube, dass Elly sauer auf mich ist. Ich kann sie aber auch gut verstehen. Ich versuchte, ihr ein wenig aus dem Weg zu
gehen. Aber auch Marc war sehr aufgewühlt. Zwar verriet seine ruhige Art ihn nicht, doch sein Gesichtsausdruck … war unbeschreiblich. Marc hatte schon immer etwas Seltsames an sich, er machte nie Fehler, er konnte alles und er war mein neuer Vater. Saskia stand schon in der Tür und winkte mir zu. Als Marcs teures Auto zum Stehen kam, riss ich die Tür auf und stürmte zu ihr. Unsere Umarmung war zwar nur kurz, reichte aber, um ein Gespräch mit Marc zu verhindern. Er schaute uns kurz an, verdrehte die Augen und holte dann meine Tasche aus dem
Kofferraum. Erst verstand Saskia nicht, was ich vorhatte, dann aber spürte sie meine kalten Tränen auf ihrer Wange und wusste sofort, dass ich gefragt hatte. Genau das liebte ich so an ihr, meiner besten Freundin, wir verstanden uns auch ohne Worte. „Tschüss, bis morgen dann“, sagte Marc. Er sah zum Glück nicht, dass ich weinte. „Tschüss Herr Schmitz.“ „Ach“, fiel ihm noch ein und stieg wieder aus dem Auto, „wann soll ich sie denn wieder abholen?“ „So um sechs.“ „Na gut, bis
dann!“ „Ja, tschüss.“ Als das Auto um die Ecke gefahren war, schaute ich ihr in die Augen. „Du hast gefragt, stimmts?“ „Ja.“ „Hoffentlich hast du es probiert schonend zu tun!“ „Ich glaub, dass hab ich nicht ganz hinbekommen!“; schluchzte ich. „Ist schon okay, sie werden dir vergeben!“ Wie sie es sagte, so sicher. Woher wollte sie das wissen. „Seid ihr noch unten?“, fragte eine tiefe Männerstimme. „Oh, das ist mein Dad“, flüsterte sie, „wir
kommen.“ Ich wischte mir schnell die Tränen vom Gesicht, als ich ihren Vater die Treppe herunter laufen hörte. Sie nahm ihre Arme von meiner Taille und lächelte mir zu. In ihrem Blick sah ich, dass sie wollte, dass ich auf keinen Fall vor ihrem Vater traurig sein sollte. Ich setzte ein freundliches Gesicht auf. „Warum kommt ihr denn nicht hoch?“, fragte er launisch, „es wird kalt hier ober! Oh, Hallo.. äh.“ „Hallo, ich bin Leonie.“ „Ich bin ihr Vater“, er lächelte stolz zu seiner Tochter hinüber, dann streckte er mir seine Hand hin, „aber nenn mich
einfach Fin.“ Was hatte er gedacht, was ich dachte? – Dass er nicht ihr Vater war? Okay, egal. Ich lächelte höflich und ließ mir nichts von meinem lächerlichem Tränenausbruch anmerken. Er nahm meine Tasche und ging die Treppe hoch. Saskia wohnte nämlich in einem Zweifamilienhaus. Leider wohnten sie oben über ihren Vermietern. Saskia hatte mir erzählt, dass es alte Leute waren, die den Lärm, den ihre kleinen Brüder manchmal machten, einfach aushielten. Es war ein weiß verputztes Haus mit grauen Fenstern. Es sah eigentlich ziemlich langweilig aus. Sie nahm meine Hand und führte mich
die Treppe hoch. Wir standen in einem kleinen Flur, von dem man geradeaus in die offen stehende Küche kam. Das Wohnzimmer war durch einen Rundbogen von der Küche getrennt. Sechs weiße Türen waren noch im Flur. Jede Tür war beschriftet. Auf den drei Türen auf der rechten Seite standen: Bad, Paula, Saskia. Die anderen Türen auf der rechten Seite standen offen. Ich sah sofort, dass das erste Zimmer das Babyzimmer der Zwillinge war. Das nächste war offensichtlich das Zimmer von Fin. Daneben war ein kleines Büro. „Kommt, ich hab schon die Pizza in den Ofen geschoben“, rief Fin über die
Schulter. „Ich zeig dir erst mal mein Zimmer“, Saskia riss meine Hand mit sich. Ihr Zimmer war schlicht und einfach. Es hatte weiße Wände, ein Bett und einen Schrank, der sich in eine Ecke quetschte. Überall lagen Bücher herum. Genau wie bei mir. Sie bemerkte mein Lächeln, deshalb entschuldigte sie sich für die Unordnung. „Ich dachte mir, dass du noch vor unserem Treffen morgen nach ihr … danach fragen würdest. Deshalb hab ich angerufen. Frau Schmitz weinte, glaub ich, als sie ans Telefon ging.“ Ich atmete laut aus und starrte auf ein
Buch, das mir besonders auffiel. Sie schmiss sich auf das kleine Bett und zog mich mit sich. Das schreckliche Wetter verdunkelte ihr Zimmer. Es regnete schon wieder. Und der Himmel war schon fast schwarz. An manchen Stellen war er auch grau, nur da, wo sie Sonne durchkam. Das Wetter passte zu meiner Stimmung. „Tut mir leid.“ „Was tut dir leid?“, fragte sie und tat unwissend. Ich starrte immer noch in den immer dichter werdenden Regen. „Dass ich dir den Abend verderbe.“ Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich
das sagen würde. „Hey, ich hab dich eingeladen, dazu überredet. Mir war das klar. Aber wir werden dich schon wieder aufmuntern. Ich meine, Celin, Maxi und Moritz, können lange Gesichter nicht leiden. Und die.. na ja, sie halten einen auf Trapp.“ Passend zu: Sie halten einen auf Trapp, schrie ein kleines Kind und Saskia sprang auf. „Warte mal kurz, ja!“, es war mehr eine Aussage, als eine Frage. Während sie aufsprang, flogen ihre leuchtenden Haare durch die Luft und landeten locker wieder auf ihren Schultern. Ihr Vater rief ungeduldig nach
ihr. Ich hörte noch ein anderes Mädchen, sie musste Paula sein. Ich hatte sie noch nie gesehen und wusste auch bis heute noch gar nichts über sie. Neugierig stand ich auf und wunderte mich, warum das Geschrei gerade aufgehört hatte. Im Flur saßen Saskia und einer der Zwillinge auf dem Boden. Das Mädchen hockte neben ihnen und starrte mich verwundert an. Das Kleinkind hatte eine dicke Beule am Kopf, wahrscheinlich war es hingefallen. Jetzt lag es ruhig und lächelnd in Saskias langen Locken. Der Kleine hatte ebenfalls rote Haare, nur
viel blasser als Saskia und das andere Mädchen. Meine Freundin drehte sich zu mir um und lächelte. „Willst du ihn auch mal halten?“ Ich schüttelte langsam den Kopf. Immer noch starrte das mindestens vierzehnjährige Mädchen mich an. Saskia stieß ihr mit dem Ellbogen, auf dem der Kleine lag, in die Rippen und warf ihr einen funkelden Blick zu. Dann standen die Beiden auf. „Hallo, ich bin Paula“, sagte sie schroff. „Hallo, ich bin Leonie“, sagte ich freundlich und lächelte verlegen. „Du bist also neu hier?“ „Ja“, jetzt antwortete ich genauso
unhöflich, wie sie gefragt hatte. Saskia schaute immer noch wütend in ihre Richtung. „Essen kommen“, diese fröhliche Stimme von Fin machte mir wieder einen klaren Kopf. Paula drehte sich um und verschwand in der Küche. Saskia verdrehte die Augen, es sah so aus, als hätte sie bevor ich kam gesagt, dass sie nett sein sollte. Aber sie hat es nicht geschafft. Es war mir eigentlich auch egal, ob die Schwester meiner besten Freundin mich mag, oder nicht. An dem kleinen Tisch in der Küche fanden wir alle reichlich Platz. Die Kleinen saßen in ihren Hochstühlen und
quengelten. „Na, was wollt ihr denn morgen unternehmen?“, fragte Fin, er sah irgendwie wie bedrückt ich war. „Wir treffen uns um halb zwei mit den Schwänen“, nuschelte Saskia. „Und was macht ihr dann? Wieder die Jungs nerven?“ „Das geht dich gar nichts an, Paula. Außerdem nervt das langsam. Kannst du nicht mal aufhören, auf uns herumzuhacken? Du bist ja nur neidisch, weil …“ „Weil was?“, fragte sie und funkelte ihre Schwester an. „Weil er Schluss gemacht hat!“ Bei diesen Worten drehten sich alle zu mir.
Was war, hatte ich was verpasst? Ich hatte nämlich nur mit einem Ohr zugehört. „Jetzt ist es aber, ach beachte die Beiden nicht, sie sind immer so“, gluckste Fin mit vollem Mund. Mein Bruder, also mein richtiger Bruder und ich hatten uns auch immer so gehänselt. Jetzt wo ich wieder sah, wie gut man sich dabei fühlte, musste ich wieder an Lars denken. Lars, der jetzt allein mit Marc und Elly war. Wie konnte ich ihm das nur antun? „Kommst du?“, fragte Saskia, erst da schaute ich wieder von meinem Teller auf. Und mir fiel auf, dass wir allein in der Küche waren. Man hörte den
Fernseher aus dem Nebenzimmer und laute Musik hinter Paulas Zimmertür. Ich stand auf und stellte meinen Teller zu den anderen in die Spüle. „Ich muss dir was sagen“, flüsterte sie. „Warum gehen wir nicht in dein Zimmer?“, fragte ich schnell, aber genauso leise wie sie. „Weil meine Schwester uns hören würde. Das, was ich dir jetzt sage, ist streng geheim.“ Nachdem sie das gesagt hatte, wurde die Musik in dem Nebenzimmer ein wenig leiser. Saskia setzte sich wieder und nahm einen Zettel und einen Bleistift. Dann begann sie zu
schreiben. Was weißt du über diesen Mann im Wald? Sie schob mir den Zettel rüber. Nur, dass mein Bruder für ihn einkaufen geht. Und dass er mich nicht mag. Und woher weißt du das? Ich war schon mal bei ihm. Mit Lars und Micky, dass weißt du doch!? Schon klar, aber hat dir oder deinen Brüdern niemand etwas über diesen Typ erzählt? Doch, sie haben mir gesagt, dass er nicht in die Stadt geht, weil ihn keiner mag. Und alle mit ausgestrecktem Finger auf ihn
zeigen. Das war’s? Das war’s! Du weißt also nicht, dass er der Hauptverdächtige war? Doch Woher? Ich hab die Mappe der Polizei von Nuni auf dem Speicher gefunden. Du hast was? Du warst echt allein auf dem Speicher und hast eine Mordakte durchgeblättert? Ja O Gott. Hoffentlich hat dich niemand erwischt. Du weißt doch, ich habe zwei linke Beine und zwei linke
Hände!!! Wer hat dich erwischt? Lars Und? Hat er direkt nach Mami und Papi gebrüllt? Wie kommst du denn da drauf? Lars ist voll cool, der würde nie petzen! Ach echt? Da kenn ich ihn aber anders! Und wie? Wir schleichen uns kurz raus, dann zeig ich dir was! Und was? Aber in diesem Moment kam Paula um die Ecke und holte sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Mal wieder wurde ich im Dunklen gelassen, ich
hasste es nicht zu wissen, was los war. Und jetzt noch raus, ohne zu wissen wohin. - grrr „Ich weiß, dass ihr weg wollt, aber ich beobachte euch!“, flüsterte sie bedrohlich und machte folgende Bewegung: Sie zeigte auf ihre Augen, drehte die Hand um und zeigte auf uns. Diese Art hatte Saskia also von ihrer Schwester. Was hatte sie bloß gegen mich? Oder was hatte ich ihr getan? „Komm, ich muss mal auf Klo, kommst du mit?“, es war eine Frage, doch ihre Augen befahlen mir, mitzukommen. Ich nickte und ging ihr nach. Sie machte die Tür hinter uns zu und schloss ab. Leise Fußschritte hörte ich aus dem
Flur. „Paula geht mir manchmal echt auf die Nerven!“, versicherte sie mir. „Glaub ich dir gern, aber was hat sie gegen mich?“ „Sie kann uns noch hören, warte, bis wir draußen sind.“ „Das hat sie jetzt aber gehört.“ „Ja und, soll sie doch. Papa lässt sich nie bei einem Fußballspiel stören. Der würde nicht mal merken, wenn ich die ganze Nacht wegbliebe.“ „Schleichst du oft weg?“ „Ja.“ „Und wohin?“ „Warte.“ Sie schob die Handtücher und Zahnbürsten von der Fensterbank und
riss an dem Haken. Mit einem lauten Ruck ging das Fenster dann schließlich auf und enthüllte den dunklen Himmel. Wir hatten bestimmt nach acht. Der kugelrunde Mond leuchtete hell über uns, als wir aus dem Fenster auf das Garagendach sprangen. Sie sprang vor, um mir zu zeigen, wo ich einbrechen würde und wo nicht. Es war mal wieder klar, dass bei meinem Absprung alle Nachbarn gewarnt waren. Wahrscheinlich würden sie mich, den tollpatschigen Einbrecher auslachen. Saskia kicherte, als ein verwundertes Gesicht am Fenster erschien. „Sehr komisch, tut mir leid.“ „Egal, wir hätten die Haustür nehmen
können, mein Vater hat uns längst gesehen.“ Sie zeigte zum Fenster, grinste und winkte freundlich. Die Person winkte mit genau demselben Ausdruck zurück. „Jetzt komm schon, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit“, drängte sie. „Also ich hab es nicht eilig, nach Hause zu kommen.“ „Kann ich mir vorstellen.“ „Raus mit der Sprache!“ Sie warf mir einen wütenden Blick zu, dann schaute sie zurück zu ihrem Haus. „Paula war mit Lars zusammen.“ Das war zwar nicht, was ich hören wollte, aber es war auch interessant. „Nichts Neues also! Mit wem war er
denn noch nicht zusammen?“ „Mit mir“, sie grinste. „Haha.“ „Du weißt aber, dass ich gar nicht diese Antwort hören wollte!“, stichelte ich im Laufen. „Ich weiß, ich hab aber keine Lust jetzt darüber zu sprechen.“ „Was?“ Sie hielt an. „Wenn ich laufe, kann ich nicht reden.“ „Das ist die schlimmste Ausrede, die ich je gehört habe!“ „Nicht sehr originell, was?“ „Nein.“ „Ist ja gut, wir gehen zu dem Mann.“ „Was?“; schrie ich. „Bist du
lebensmüde?“, fragte ich etwas leiser und etwas hysterischer. „Wir müssen das rausfinden“, sie schaute konzentriert, offensichtlich meinte sie das ernst. „Du weiß doch, dass es zwanzig Jahre her ist, oder? Außerdem hat auch schon vor zwanzig Jahren niemand etwas herausfinden können. Und die hatten damals noch frischere Beweise als jetzt.“ „Bist du immer so ein Angsthase?“, fragte sie erstaunt, „was hast du zu verlieren? Außer, dass du Frau Schmitz glücklich machen würdest, wenn er … gefasst wird.“ „Ja, aber nachher bringt er uns auch noch um“, hauchte
ich. „Würdest du mitgehen, wenn Elias dabei wäre?“ „Was?“, wie kam sie denn jetzt darauf? „Leo, mir kannst du nichts vormachen, ich sehe doch, wie du ihn ansiehst. Du magst ihn, oder?“ „Ja, ich mag ihn, aber nur als Freu ...“ „Nur als Freund, schon klar!“ „Saskia. Du lenkst schon wieder vom Thema ab“, stichelte ich. „Ja ja, ist ja gut.“ Den Rest der Strecke humpelte ich stumm hinter ihr her. Hoffentlich würde sie das lassen, vor allem wenn Jill dabei war. Sie würde nicht aufhören können, das Gerücht zu verbreiten.
Saskias Gabe konnte man manchmal wirklich hilfreich sein, aber viel öfter war sie lästig. Ich konnte gar nichts gut, außer tollpatschig sein. Wenn ich mich recht erinnere, verging kein Sommer, an dem ich keinen Sonnenbrand hatte. Oder keinen Winter, in dem ich keine Knochenbrüche wegen des Eises hatte. Wahrscheinlich war das meine besondere Fähigkeit, genau wie Saskia, die Menschen schnell durchschauen konnte. Oder Judith einen mit ihren Augen zu etwas zwingen konnte. Oder wie Ninas Lächeln jemanden verzauberte, wenn sie es wollte. Oder Lars, der Mädchen wie ein Magnet
anzog. Naja, ich war ja nicht nur tollpatschig, ich war auch gut in Englisch, ich habe fast ein photographisches Gedächtnis. Würde mir heute jemand eine Nummer sagen, wusste ich sie in zehn Jahren immer noch. So konnte ich immer gut Vokabeln lernen. „Wo ging es jetzt noch mal rein?“, ich war froh, dass sie das Schweigen brach. „Noch eine Tanne weiter“, hüstelte ich. Es war schon wieder am regnen. Und der Himmel wurde immer grauer. Sie schob die Äste einer mächtigen Tanne beiseite, um mir den Weg freizumachen. Leise, so leise ich konnte, knackten die Äste unter meinen
durchnässten Füßen. Auf den fünf Metern, die wir bis zu der dichten Hecke gingen, um die Hütte aus sicherer Entfernung zu beobachten, hörte ich sie mindestens zehn Mal über meinen langsamen Schritt oder über meine Lautstärke fluchen. Als ich stehen blieb, lief sie fast in mich hinein. „Siehst du was?“ „Nein, nur schwarz. Aber du wolltest ja unbedingt nachts gehen.“ „Ja und.“ Diese Stimmen kannte ich. Elias und Phillip aus meiner Klasse. „Was wollen die denn hier?“ „Dasselbe wie wir, schätze ich
mal.“ „Was?“, ich schrie schon fast wieder. „Warum machst du das?“ „Ich will dir nur ein wenig helfen!“ „Helfen nennst du das?“ „Jooa.“ „Leo?“, Elias Stimme kam immer näher und die Schritte wurden immer lauter. Es hörte ein wenig auf, zu regnen. Im Schatten des Mondes sah ich zwei Personen über die Lichtung laufen. „Unauffälliger geht´s mal wieder nicht, was?“ „´Tschuldigung.“ sagte Phillip, quetschte sich durch die Äste und hockte sich neben Saskia auf den Boden. Elias kam von einer anderen Seite
zwischen den Ästen her, die mir die Sicht zum Mond versperrten. „Was willst du denn, äh, was wollt ihr denn hier?“, fragte ich schnell, um von meinem kleinen Manöver abzulenken. „Dasselbe könnte ich dich, äh, euch fragen“, antwortete er, genauso zickig wie ich. Er machte mir genauso klar, wie ich ihm, dass es hier nur um uns beide ging. Wir blendeten die Anderen aus und schauten uns scharf in die Augen. In der Dunkelheit waren seine fast schwarz. Einen Moment kam es mir vor, als ob er meine Gedanken las, dann wendete er den Kopf ab und starrte durch die letzten Tropfen zur Hütte. Ich stand steif da, und warf ihm tödliche
Blicke zu. Plötzlich stand Phillip neben mir und flüsterte mir ins Ohr: „Saskia und ich haben das abgemacht, sei ihm nicht böse!“ Ein schadenfreudiges Lachen lag in seiner Stimme. „Also, wollt ihr noch weiter streiten, oder können wir rein gehen?“, fragte sie neben mir. „Wir wollen rein gehen?“, fragte ich schnell und viel ängstlicher als beabsichtigt. „Was denkst du denn? Wir sind hier nur zum Spaß oder was?“, Elias´ Stimme lag voller Frustration und Verachtung. „Ja“, antwortete ich frech. Warum war er wieder so? So, wie in der Schule, da ignorierte er mich immer. Selbst wenn
wir Partnerarbeit machen mussten, denn er war immer noch mein Sitznachbar, war ich nur Luft für ihn. „Leute, wenn er rauskommt, dann … lassen wir euch hier alleine stehen!“, flüsterte Phillip sauer. „Warum?“, fragten Elias und ich gleichzeitig und schauten uns wieder an. „Wir können viel schneller laufen als ihr!“, er schmunzelte und schaute auf meine Schiene. „Haha, Elias wäre aber dann schon wieder in der Stadt“, kicherte ich wütend. „Ich rühr mich nicht vom Fleck, keine Panik!“ „Also würdest du sie nicht allein lassen,
oder was?“, fragte Saskia, die sich während des Streites zwischen Elias und mir im Hintergrund gehalten hatte, plötzlich. „Nein.“ Wieder war es dieses überdeutliche NEIN, dass ich von ihm kannte. Plötzlich hörte ich etwas zuschlagen, wahrscheinlich eine Autotür. Dann heulte ein Hund auf. Wie ein Wolf erfüllte sein Jaulen die Neumondnacht. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. „Angst?“, fragte Elias. Ich guckte wieder stur geradeaus und probierte, nicht in seine Richtung zu
blicken. „Kommt, er ist weg. Einer bleibt hier, um Wache zu halten“, befahl Phillip mit seiner Anführerstimme. „Warum muss ein Er hier bleiben?“, fragte ich launisch. „Dann bleib du mit Elias da.“ „Auf keinen Fall!“, zischte ich ihm zu. „Okay, dann geh du mit ihm.“ „Nein“, stur zickte ich ihm meine Antwort zu. „Komm jetzt Phil“, Saskia nahm seine Hand und zog ihn gebückt hinter sich her. Kurz vor der Hütte blieben sie stehen und horchten, ob noch jemand da war. Irgendwann waren sie so weit weg, dass ich nichts mehr erkennen
konnte. Trotz der Dunkelheit sah ich aus den Augenwinkeln, dass Elias´ Blick auf mir ruhte. Er hatte wieder die Frisur, die ihm so gut stand. Meine Haare sahen bestimmt schrecklich aus, aber das war jetzt egal. Nein, war es nicht, ich strich mir vorsichtig den nassen Pony aus der Stirn und zog meine Strähnen zurück hinter die Ohren. Ich sah ihn lächeln. Machte er sich etwa lustig über mich. Wütend drehte ich den Kopf zu ihm. Als er dann meine Augen zu lesen schien, kicherte er noch lauter. „Was ist?“, fragte ich immer noch sauer. „Du siehst lustig aus, wenn du rot
wirst.“ Ich zog die Braune zusammen und schüttelte leicht den Kopf. Wie konnte er das sehen? Mein Blick suchte die Lichtung nach meiner Freundin und ihrem heimlichen Verehrer ab. Aber da war nur schwarz. Ich sah nur Elias. Er war das Einzige, was ich sah, oder sehen wollte. „Du bist wunder …“ „Glaubst du, dass die beiden zusammenpassen?“, unterbrach ich ihn. „Nein“, er klang sauer darüber, dass ich unterbrochen hatte. „Warum nicht, ich finde sie süß zusammen.“ Ich dachte einmal kurz, dass er mich auch unterbrechen wollte,
aber er schloss den Mund wieder. „Saskia ist viel zu ... aufgeweckt!“ „Find ich nicht.“ Minuten des Schweigens folgten. Wo blieben nur Saskia und Phillip? Machten sie extra langsam, um uns zu ärgern? Elias schien sich genauso unwohl zu fühlen, denn er hüpfte immer wieder vom linken auf den rechten Fuß. „Wunderschön“, erst begriff ich nicht, was er meinte, aber dann begriff ich, dass er seinen Satz von vorhin beendete. Ich schaute ihm in die Augen, die jetzt fast geschlossen waren. Er kaute nervös auf seiner Lippe herum und wartete auf meine
Reaktion. Mein Mund klappte nach einigen Momenten wieder zu. Schließlich spürte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Nicht schon wieder, dachte ich. Schnell schaute ich auf meine Schuhe, dass ihm meine Gesichtsfarbe nicht gleich wieder auffiel. Irgendwann schaute ich dann wieder zu ihm auf. Und er stand immer noch so da wie vor einigen Minuten. Doch jetzt spielte er mit einer seiner Haarsträhnen. Als sich unsere Blicke trafen, lächelten wir beide. „Du wirst schon wieder rot.“ „Echt?“, ich setzt eine Unschuldsmiene
auf. „Tut mir leid.“ „Warum?“ „Weils mir peinlich ist.“ „Warum entschuldigst du dich dann?“ „Warum nicht?“, wieder wurde mein Gesicht heißer. Warum? Verschämt schaute ich wieder auf meine Füße und wartete, bis mir langsam das Blut ausging. Er lächelte immer noch und amüsierte sich prächtig. Und ich, ich wäre schon längst im Erdboden versunken, freute mich aber über meinen und seinen Stimmungswandel. Ich dachte darüber nach, ob es vielleicht nicht so peinlich gewesen wäre, wenn ich mich weiter mit
ihm gestritten hätte. Aber das, das war es wirklich wert. Elias war so, wie man immer von Jungs in Büchern liest: Er war nett, witzig, genügsam, ein bisschen bescheiden und richtig hübsch. Und das nicht nur, weil er immer die neuste Mode trug, sondern, weil er einfach natürlich war. Alle anderen Jungs aus unserer Klasse hatten gefärbte Haare. Sogar Phillips Strähnen waren nicht echt. Und weil er nicht mit dem neusten Handy oder den angesagtesten Dingen prahlte. Er wuschelte sich durch die nassen Haare. „Du denkst über mich nach, was?“ „Ja“, ich wunderte mich über meine
Ehrlichkeit, aber gegen ihn hatte ich keine Chance. „Und?“ „Und was?“ „Über was an mir denkst du nach?“ Ich zuckte nur die Schultern und durchstreifte meine Gedanken. Ich suchte nach einer Antwort, die ich ihm geben könnte. Seine Haare, oder wie sehr ich ihn mochte? Nein, dass sollte ich erst einmal für mich behalten. „Na?“ „Keine Ahnung, ich hab über einiges nachgedacht, zum Beispiel ...“ „Zu Beispiel?“ „Zum Beispiel, wann Saskia und Phillip
wieder kommen, und dieser schreckliche Tag endlich endet“, mir war eine gute Gegenantwort eingefallen. Er grinste, dann schüttelte er den Kopf: „Ich glaube an das Letzte, hättest du nicht gedacht! Oder?“ „Kannst du Gedanken lesen, oder was?“ „Nein, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass dieser Tag, mit Saskia Phillip und … mir … so schlimm gewesen sein konnte.“ „Oh, du bist aber schlecht informiert.“ Wenn er wüsste, was heute Morgen, Mittag und Nachmittag los war, dann … Aber er hatte recht, der Abend war schön gewesen. „Du wirkst in letzter Zeit so anders in
der Schule. Du denkst über irgendwas nach, das dich total ablenkt.“ „Du kannst Gedanken lesen“, kreischte ich fast, so laut, dass der Hund an der Kette bellte. „Nein, immer wenn du dran genommen wirst, bist du in einer Art Traum, bis du dann mal mitbekommst, dass du angeschrien wirst, vergehen Stunden, glaub es mir. Frau Mielke dachte in Mathe, du wärst mit offenen Augen eingeschlafen. Und außerdem beobachtest du mich gar nicht mehr. In den Pausen bist du gar nicht mehr beim Sportplatz und bewunderst mich. Wenn du an Lars vorbei gehst, verdrehst du gar nicht mehr die
Augen.“ Wie konnte ihm so viel auffallen. Mit riesigen Augen starrte ich ihn an. Er musste Gedanken lesen können. „Hast du Spione auf mich angesetzt, oder was? Oder du kannst Gedanken lesen!“, jetzt bin ich völlig verrückt geworden! Ein breites Grinsen ging von einen bis zum anderen Ohr, seines schönen Gesichts. Es schien in der Dunkelheit richtig zu leuchten. Mein Mund klappte wieder auf, als mir etwas auffiel. Er war leichenblass, konnte anscheinend meine Gedanken lesen und konnte alles Perfekt. Wunderschön war er auch noch. Sein Grinsen wurde noch breiter, konnte
es überhaupt noch breiter werden? „Nein, hab ich nicht, und ich kann auch nichts Außergewöhnliches.“ „Was hast du nicht?“, fragte ich gedankenverloren und suchte nach einem Fehler, der ihm unterfahren war. „Ich hab keine Spione auf dich angesetzt“, wunderte sich kein bisschen über meine geistige Abwesenheit. „Gut zu wissen, aber woher, wie hast du?“ „Ich sitze sechs Stunden am Tag neben dir. Das sind immerhin dreißig Stunden in der Woche und hundertzwanzig in einem Monat und das wären dann…“, er bemerkte wie mich Mathe nervte und hörte sofort damit auf. „Naja, du weißt
schon.“ „Nein, weiß ich nicht. Woher weißt du von Lars, ich hab ihn nie erwähnt.“ „Lars ist der Freund meiner Schwester. Ronja Siebke ist meine Schwester. Lars und ich verstehen uns super, wir sind auch zusammen im Fußballclub …“ „Und das konnte mir wohl keiner sagen, oder?“, jetzt stieg wieder Wut in mir auf. „Reg dich ab, die Beiden sind echt harmlos, außer Knutschen passiert da nichts!“, versicherte er mir. „Darum geht es nicht, du …, deine Schwester wird bald eine von Lars Sammelstücken sein, das ist ihr schon klar, oder?“ „Nein! Sie lieben sich wirklich!“
„Das haben die ersten zwanzig auch gesagt.“ „Woher willst du das denn wissen?“ „Er ist mein Bruder!“ „Sie ist meine Schwester!“ Dann schauten wir wieder in den Regen. Ein Auto fuhr durch den Wald. Nein. Dadurch, dass wir so laut gestritten hatten, hatten wir das Auto nicht gehört, was war jetzt mit Saskia und