Romane & Erzählungen
Susanna

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"Eine wichtige phase für jeden menschen"
Veröffentlicht am 19. Februar 2014, 300 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Eine wichtige phase für jeden menschen

Susanna

Kapitel 1

In dem Moment wusste ich nicht, was ich da tat. Ich hatte auch seltsame Träume gehabt. Viele Mädchen kamen darin vor. Bis gestern hatten ich und meine Freunde sie immer geärgert. Auf dem Schulhof liefen wir ihnen hinterher und traten ihnen in den Hintern. Nicht kräftig. Aber es störte sie ungemein und sie tobten herum. In meinem Traum ging ich auf sie zu und machte etwas ganz seltsames. Ich redete mit ihnen. Ganz normal. Wie mit meinen Freunden. Meine Hände spielten an mir herum, während ich an die Mädchen in meinem Traum dachte. Was ich da tat, wusste ich

nicht so genau. Auch wusste ich nicht, ob es normal ist. Taten das alle Jungs in meinem Alter? Bis zu diesem Tag hatte ich mich auch nie gefragt, ob das Ding da unten, noch für was anderes gut ist, außer zum Wasser lassen. Plötzlich dachte ich an meine Mutter. Sah sie nackt vor mir. Sie hatte sich nie etwas daraus gemacht, wenn ich sie ohne Kleidung sah. Nur meinem Vater störte es. Manchmal glaube ich, das sie es mit Absicht machte, um ihn zu ärgern. Denn sie lächelte stets, wenn sie etwas tat, was ihm missfiel. Besonders machte ihr Spaß, ihm wehzutun. Kneifen, beißen, kratzen. Was Mädchen eben gerne tun. Manchmal tat er so, als würde es ihm gar

nicht interessieren. Aber ich sah es ihm im Gesicht an, das er sehr angespannt war und am liebsten gleich losgeschrieen hätte. Seine Hände zitterten leicht und ich hatte dann immer das Gefühl, das er gleich ausholen würde. Einmal hatte er es getan. Verdammt großer Fehler. Denn meine Mutter erzählte es überall herum. Sie sagte aber nicht, das sie angefangen und er sie vorgewarnt hatte. Auch vergaß sie zu erwähnen, das er ihr nur eine Ohrfeige gab. Denn sie behauptete, das er sie richtig geschlagen habe. Niemanden interessierte es, das man nichts davon sah. Und keiner fragte meinem Vater, was er dazu zu sagen

hatte. Er wurde beschimpft, ermahnt und belehrt. Mein Vater ließ es über sich ergehen. Machte keine Anstalten, den Vorfall aufzuklären, da er eh nicht zu Wort kam. Geduldig wartete er darauf, das Gras über die Sache wuchs. Ich spielte weiter an mir herum, ohne zu wissen, was ich da eigentlich tat. Dennoch gefiel es mir. War ein schönes Gefühl. Plötzlich erschrak ich mich. Ließ von mir los und schaute unter meiner Decke hervor. Da stand meine Mutter, um mich zu wecken. Oben war sie frei und ich musste mich beherrschen, weil ich den Drang verspürte ihre Brust zu betasten. Mich interessierte plötzlich, was an ihr hing.

In ihrem Gesicht spiegelte sich ihr Morgen wieder. Sie hatte meinen Vater gereizt. Bestimmt war er schon gegangen. Dabei hätte ich ihn gern gefragt, ob ich normal bin und warum ich plötzlich nur noch an Mädchen denken musste. „Aufstehen. Du hast fünf Minuten.“ Zum Glück hatte sie meine Decke nicht weggezogen. Denn ich hatte keine Unterhose an und ich schämte mich vor ihr. Vor allem jetzt, wo alles anders war. Peinlich, wenn sie es gesehen hätte. Anstatt aufzustehen, machte ich da weiter, wo ich unterbrochen wurde. Dabei dachte ich die ganze Zeit, an die Brust meiner Mutter. Diesen Tag werde

ich wohl mein ganzes Leben nicht vergessen. Denn ich hatte meinen ersten Erguss. Es war ein ungewohntes, merkwürdiges und dennoch ein sehr angenehmes Gefühl gewesen. Auch wenn ich zuerst dachte, ich hätte ins Bett gemacht. Einen Moment lang hatte es sich so angefühlt, bis ich es mir genauer angesehen hatte. Vielleicht wäre mir schon vorher alles bewusst gewesen. Aber meine Eltern hatten es nicht so mit Aufklärung. Sie dachten, ich würde es in der Schule lernen. Das tat ich zwar dann auch, aber erst einige Zeit später, nachdem ich mich selbst kundig gemacht hatte. Denn ich wollte ja unbedingt wissen, ob ich

normal war, oder nicht. Und was da mit mir geschieht. Was dies zu bedeuten hatte. Welchen Entwicklungsschritt ich gerade durchmachte. Was ich da erfuhr erschreckte mich und dann erlebte ich es auch noch. In den unmöglichsten Situationen bekam ich eine Erektion. Wie im Sportunterricht. Wir sollten Liegestütze machen. Da passierte es. Ich versuchte mich auf den Sportunterricht zu konzentrieren und hoffte, das es schnell wieder verschwinden würde. Aber es dauerte. Mir schien, es dauerte ewig lang. Zum Glück hatte es niemand bemerkt. In Biologie redete meine Lehrerin über

die Fortpflanzung bei den Fischen. Wieder geschah es. Mir fiel auch auf, das unsere Lehrerin ein hübsche Frau war. Das war mir vorher noch nie aufgefallen. Die ganze Zeit über musste ich sie anstarren und bekam nichts mehr vom Unterricht mit. So weit ich es mitbekommen hatte, war ich der einzige, in unserer Klasse, der gerade in dieser Phase steckte. Meine Freunde ärgerten immer noch die Mädchen. Nur ich nicht. Ich hatte plötzlich Interesse daran, sie näher kennen zu lernen. Sie zu küssen. Meine Lippen auf ihre zu legen. Aber ich war schüchtern und ich glaubte nicht, das sie schon so weit waren. Sie wollten lieber

unter sich sein. Doch da irrte ich mich gewaltig. Es waren schon ein paar Wochen vergangen. Immer noch war es mir peinlich, wenn ich eine Erektion bekam. Manchmal kam es sogar vor, das jemand sie sah und darauf zeigte. Dann wurde ich knallrot im Gesicht und wusste nicht, wie ich am besten reagieren sollte. Weglaufen war feige. Zuhauen brachte mir nur Ärger ein. Nicht darauf reagieren? Hinterher, wenn alles schon zu spät war, fielen mir einige Sprüche ein, die gepasst hätten. Aber da war es ja schon zu spät. Ich stand beim Bäcker und bestellte mir einen Kaffee. Die Verkäuferin musterte

mich. Sie fand, das ich zu jung war, um Kaffee zu trinken. Doch dann gab sie mir eine große Tasse. Denn nirgends stand was von einem Mindestalter. Dann setzte ich mich an einen Tisch und schaute in die Tasse rein. Sie war nur bis zu Hälfte gefüllt. Ich trank einen Schluck und verzog mein Gesicht. Es war bitter. Wie konnten Erwachsene nur so was trinken? Meine Eltern tranken bis zu zwei ganzen Kannen am Tag. Ich würde noch nicht einmal schaffen diese eine Tasse auszutrinken. Milch. Meine Mutter machte immer viel Milch dran. Und tatsächlich. Mir schmeckte der Kaffee zwar noch immer nicht. Aber er war besser, als zuvor.

Während ich versuchte den Kaffee auszutrinken, kam sie herein. Susanna. Zu der Zeit war sie das schönste Mädchen, das ich kannte. Wie oft stellte ich mir vor sie zu küssen. Sie war meine erste, richtige, große Liebe. Susanna hatte sich einen Kakao bestellt. Den mochte ich hier nicht, das sie die kleinen Tüten verwendeten, deren Inhalt man mit heißen Wasser aufgießen musste, anstatt mit Milch. Da war mir sogar der Kaffee lieber. So langsam hatte ich mich an den Geschmack gewöhnt. Sie setzte sich zu mir an den Tisch. Ich sah sie an und träumte schon wieder

davon, meine Lippen auf ihre zu legen. Es war geradezu zwanghaft von mir. Aber ich konnte es nicht abstellen. „Du hast dich verändert. Das habe ich gemerkt, als du uns nicht mehr geärgert hast. Befindest du dich auch gerade in dieser Phase, mit den ganzen Veränderungen?“, fragte sie mich. „Ich wünschte, es wäre schon vorbei. Obwohl es schon irgendwie spannend ist, zuzusehen, wie sich mein Körper verändert. Wie ich immer mehr das kindliche Verhalten verliere.“ „Ja, nicht wahr? Aber irgendwie schon komisch. Es geht so schnell. Gestern noch ward ihr Uninteressant. Und dann? Plötzlich, über Nacht, denke ich nur noch

an dich. - Ich meine, ich sehe euch ganz anders. Naja. Zumindest die, die auch gerade anfangen erwachsen zu werden.“ „Jeder Mensch ist einzigartig. Und jeder Körper entscheidet für sich selbst, wann er bereit ist, den nächsten Schritt zu machen.“ Wir redeten noch lange darüber. Was auf uns zukommt und was schon eingetreten war. Es war schon seltsam. Zum ersten Mal redete ich offen mit einem Mädchen. Und es gefiel mir. Über alles konnte ich mich mit ihr unterhalten, ohne das es mir peinlich sein musste. Ihr schien es genauso zu gehen. Denn sie beichtete mir, das sie seit gestern ihre Periode hatte und sich nicht

getraute, es ihrer Mutter zu sagen. Geschweige denn, ihrem Vater. Irgendwann würden sie es erfahren, da sie die Binden ihrer Mutter benutzte. Ich begleitete sie nach Hause. Am liebsten hätte ich ihre Hand genommen. Aber denn hätte jeder geglaubt, das wir ein Pärchen sind und das waren wir nicht. Ab wann war man eigentlich mit jemanden zusammen? Wir standen vor ihrer Haustür und sahen uns an. Es war unheimlich, und peinlich zugleich, gewesen. Keiner sagte ein Wort. Wir wussten nicht, was wir jetzt sagen sollten. Am einfachsten wäre gewesen, Tschüss zu sagen und zu gehen. Das war das Normalste auf der

Welt. Jeder machte es. Warum konnten wir es nicht tun? Plötzlich bewegte sich, ganz langsam, ihr Kopf auf mich zu. Oder kam es mir nur so vor? Sie schloss ihre Augen und ich meine. Das hätte ich wohl sein lassen sollen. Ich bin mir nicht sicher. Aber ich glaube, hätte ich hingesehen, wir hätten uns auf den Mund geküsst. So trafen wir nur unsere Wangen. „Bis Morgen.“, sagte sie dann und verschwand im Haus. Ich ging glücklich nach Hause und dachte die ganze Zeit über nur an den Kuss. Morgen wollte ich dann ihren Mund treffen. Ihre Lippen auf meinen Lippen spüren. Der Gedanke daran

erregte mich. Eine Beule entstand. Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, damit es nicht auffiel. Man war mir das peinlich. Fühlte ich mich beobachtet. Schnellen Schrittes lief ich nach Hause und schloss mich in mein Zimmer ein. Legte mich in mein Bett und dachte an sie. Stellte mir vor, wie sich unsere Lippen treffen. Susanna. Sie zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Ließ mich an nichts anderes denken, als an sie. Eines Tages würde ich sie heiraten und mit ihr Kinder haben. Da war ich mir sicher. Hundert prozentig. Mein Vater riss mich aus meinen Gedanken. Das Abendessen war fertig

und stand auf dem Tisch. Alle warteten nur auf mich. Er und meine Mutter. Wobei es meinem Vater so ziemlich egal war, ob ich mit am Tisch saß, oder nicht. Des öfteren hatte er mir, im Vertrauen, gesagt, das er mich zwar liebe und mich nicht missen wollen würde, aber es vor mir eine Zeit gab, da er mehr Aufmerksamkeit von meiner Mutter bekam. Nähe... Ich verstand erst viel später, was er damit ausdrücken wollte. Viel später. Als ich erwachsen war und selber Kinder hatte. Meine Frau mich nicht mehr beachtete, da unsere Kinder ihre ganze Aufmerksamkeit erforderten. Aber ich schweife

ab. Ich sah meinen Vater an und ich war nahe dran ihn zu fragen, wie es für ihn war, Teenager zu sein. Aber ich getraute mich nicht. Fand, es war nicht der richtige Zeitpunkt. Der richtige Ansprechpartner. Was für ein Wunder. Ich, sein Sohn. Er, mein Vater. Ich, Teenager. Er, Gruftie. Das Leben, als Teenager, ist wirklich nicht leicht. So vieles ist neu. Die eigenen Eltern, so lieb sie auch sind, gehen einem tierischst auf den Sack. Stimmungswechsel am laufenden Band. Oh Gott, bin ich froh, das ich kein Teeny mehr bin. Lang genug war ich es gewesen. Länger, als alle anderen, die

ich kenne und kannte. Es war einer dieser Abende, an dem meine Mutter sich mit ihren Freundinnen traf und einen drauf machte, bis Ultimo. Mein Vater und ich saßen in der Küche und aßen eine bestellte Pizza. Schweigend. Denn mein Vater wusste ganz genau, was meine Mutter tat, wenn sie mit ihren Freundinnen unterwegs war. Saufen, flirten, über ihn herziehen. Oft genug hatte er mir sein Leid geklagt. Mir gesagt, das ich der Grund sei, warum er noch bei ihr bliebe. Aber es war nicht die ganze Wahrheit. Das wusste ich. „Wie habt ihr euch eigentlich

kennengelernt, du und Mom?“, fragte ich frei heraus. „Besoffen.“, antworte er emotionslos. Ich starrte ihn an. Beobachtete, wie er lustlos seine Pizza in sich reinstopfte. Anscheinend war er doch nicht der Richtige gewesen, mit dem ich über dieses Thema reden sollte. „Tut mir leid. Du kannst ja nichts dafür. - Wie alt bist du eigentlich?“ „Dreizehn.“ „Sag Bescheid, wenn du ausziehst.“ Dann ging er zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier. „Dad?“, fragte ich leise. „Was?“ „Wie ist

das?“ „Was meinst du?“ „Ein Mann zu werden.“ „Beschissen. Als Mann bist du heutzutage das allerletzte. Die Frauen haben das Sagen. Früher hatte ich das Zepter in der Hand. Dann kamst du und ich hatte nichts mehr zu sagen. Nur zu gehorchen.“ Seine Worte erschreckten mich. Ich hatte Fotos von ihm gesehen. Da hatte er gelächelt. Meine Mom im Arm gehabt und gelacht. „'tschuldigung.“, hauchte ich. „Du kannst doch nichts dafür. Es liegt an deiner Mutter und ihrem Umgang. Seit Jahr und Tag reden sie bei uns rein.

Ziehen über ich her und machen mich schlecht. - Ich gebe dir einen guten Rat: Achte auf den Umgang deiner Freundin. Wenn ich dir einen Tipp geben darf, nimm die Schlaueste. Scheiß aufs Aussehen. Intelligenz ist wichtiger.“ „Wann ist man bereit für das erste mal?“, platzte ich heraus. „Das kann ich dir nicht sagen. Jeder ist anders. Ich habe lange gebraucht. Als ich mein erstes mal hatte, war ich achtzehn. Und selbst da war ich noch nicht wirklich bereit dazu. Hab mich nur überreden lassen, es zu tun. - Hör auf dein Körper. Er wird dir sagen, wann du so weit bist. Lass dich zu nichts

zwingen.“ Damit beendete ich das Gespräch. Ging in mein Zimmer und hing meinen Gedanken nach.Und die drehten sich um sie. Für mich war sie das schönste Mädchen, auf der ganzen weiten Welt. Das wurde mir in dem Moment klar, als ich versuchte, an etwas anderes zu denken. Nämlich die Hausaufgaben für den kommenden Schultag. Ich sah nur ihr Gesicht. Und dann fing ich auch noch an zu dichten. Susanna, an dich kommt keine ran, dich will jeder Mann, Susanna. Klingt grauenhaft, ich weiß. Aber damals, als ich diese Zeilen aufschrieb, klangen sie für mich, wie eine Ode an Susanna. Mittendrin polterte

dann mein Vater in mein Zimmer. „´tschuldige. Störe ich?“, fragte er, und ich hörte raus, das er nicht mehr ganz nüchtern war. „Ich wollt – Wolltest du was wichtiges?“, stotterte ich? „Das, was ich vorhin – also in der Küche – ähm – ja -“ „Schon gut.“, unterbrach ich ihn,“ Du und Mom...“ „Komm her, mein Junge. Oder sollte ich Mann sagen? - In der Vergangenheit lief nicht alles so, wie es hätte sein können. Deine Mutter hat sich sehr zum Negativen geändert. Sicherlich hast du mitbekommen, wie sie ist, wenn sie bei ihren Freundinnen

war.“ „Laut. Extrem laut.“ „Und am nächsten Tag ist sie einfach nur scheiße drauf, weil sie verkatert ist und arbeiten gehen muss. Auf die Idee zu kommen, den Abend aufs Wochenende zu verlegen, wo sie den nächsten Tag ausschlafen kann, kommt sie nicht. Frauen und denken – Es ist ja nicht jede Frau so, wie deine Mutter. Und ich wünsche mir von Herzen, das du nicht so eine bekommst. Wir haben dir nicht die Beste Kindheit geschenkt. Deine Jugend wird wahrscheinlich auch nicht besser werden. - Ich bin ein Versager. Sieh dir meine Ehe an. Ist das überhaupt noch eine Ehe. Wer weiß, ob

die Frau mir überhaupt treu ist. Die macht doch alles, was ihre Freundinnen sagen. Lässt sich von denen zu jedem scheiß überreden.“ „Du bist kein Versager.“ „Oh doch. Weder schaffte ich es, das Familienoberhaupt zu werden, noch dir ein guter Vater zu sein. Ich schaff es nicht, mal auf den Tisch zu hauen und meine Meinung zu sagen. Weder hier, noch auf Arbeit...“ „Sie heißt Susanna.“, unterbrach ich ihn. Ich wollte mir nicht weiter anhören, wie er sich selbst erniedrigt. Und was besseres fiel mir auf die Schnelle nicht

ein. „Wer?“ „Das Mädchen, in das ich verliebt bin.“ „Weiß deine Mutter davon.“ „Nein. Ich möchte auch nicht, das sie es erfährt. Susanna weiß ja auch noch nichts davon. Wir hatten uns heute gesehen und uns unterhalten. Vor allem über die Veränderungen, die gerade in uns stattfinden.“ „Es ist also unser kleines Geheimnis? Erzähl mir von der Kleinen. Wie ist sie so? Hat sie was im Kopf? Benutzt sie ihn mehr, als nur zum Haare frisieren?“ „Sie ist Klassenbeste. Gibt aber nicht damit an. Sportlich. Wunderschön. Ein Gesicht, wie ein

Engel...“ „Ich unterbreche dich nur sehr ungern. Aber das Bier will dringend an die frische Luft. - Pass gut auf dich auf und lass nicht mit dir spielen. Du hast ein gutes Herz. Lerne deine Susanne richtig kennen. Wenn du dir sicher bist, das sie die Richtige für dich ist, und sie auch Interesse an dir hat, dann erst frage sie, ob sie deine Freundin sein möchte. Worte können manchmal mehr wehtun, als herabfallende Felsbrocken,“ Den Vergleich verstand ich nicht so ganz. Wenn ich mir vorstellte, wie ein Felsbrocken auf mich fällt und meine Knochen zertrümmert. Das muss höllisch wehtun. Aber wie konnten Worte

wehtun? Dies verstand ich erst viel später. Auch wenn der Vergleich von meinem Vater nicht der Beste war, so hatte er dennoch nicht ganz unrecht damit.

Kapitel 2

Ich konnte mich kaum konzentrieren. Meiner Mutter war wieder hackevoll nach Hause gekommen. Irgendwann nach zwei Uhr nachts. Ich weiß es, weil ich mich bis um zwei hatte noch wachhalten können. Mein Vater hatte Mühe gehabt sie zu beruhigen. Sie schrie durch die ganze Wohnung. So, wie immer, wenn sie von ihrem Ausflug zurückkam. Er war war auch der Einzige, der an mich dachte. Der wusste, das ich meinen Schlaf brauchte. Am nächsten Tag wieder in die Schule musste. Wie er es genau schaffte, das meine Mutter aufhörte Terror zu machen, weiß

ich nicht. Aber ich kann es mir vorstellen. Die Geräusche, die meine Mutter damals gemacht hatte, klangen ähnlich, wie die, die meine Frau macht, wenn wir uns lieben. Ich wünschte, ich würde mich nicht daran erinnern. Die Bilder nicht sehen, wie er und sie... Zumindest hatte es geholfen, das meine Mutter Ruhe gab. Ich schlafen konnte. Auch wenn es nicht mehr all zu viele Stunden waren, die mir noch blieben. Aber besser, als nichts. Susanna hatte mitbekommen, das ich nicht ganz da war. In der Pause erzählte ich ihr, was die Nacht zuvor gewesen war. Sie legte einen Arm um mich und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die

Wange. Dann war die Pause auch schon wieder vorbei. Wir mussten zurück in die Klasse. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn sie ihren Arm länger um mich gehabt hätte. Der Tag zog sich in die Länge. Ich dachte die ganze Zeit über Susanna, meine Mutter und meinen Vater nach. Wie würde es weitergehen? Würde Susanna meine Freundin werden? Verstanden sich meine Eltern wieder? Nach Schulschluss überredete mich Susanna, das wir ein Eis essen gehen. Das heißt, überreden brauchte sie mich gar nicht. Sie hatte mich gefragt und ich hatte Ja gesagt. Was wollte ich zu Hause? Ich befand mich gerade in der

Phase, wo mir meine Eltern auf den Sack gingen. Einen Tag zuvor hatte ich mich noch mit meinem Vater unterhalten. Ziemlich Kumpelhaft. Heute konnte ich ihn nicht ertragen. Ebenso wenig meine Mutter. Einen Grund hatte ich nicht. Nicht direkt. Jedenfalls nicht wegen meinem Vater. Trotzdem wollte ich sie beide weder sehen, noch hören. Ich genoss den Nachmittag. Susanna bezahlte das Eis und wir unterhielten uns angeregt über uns und unsere Gedanken. Ihr Eltern schienen eine harmonische Beziehung zu führen. Ganz im Gegensatz zu meinen Eltern. Da machte jeder sein eigenes Ding. Führte

jeder sein eigenes Leben. So kam es mir jedenfalls vor. Und irgendwie hatte ich da Gefühl, als würde ich auch mein eigenes Leben führen. Ohne sie. Es war schon lange her, das sie nach mir gefragt hatten. Wie es in der schule lief und so. Ich kann mich auch nicht erinnern, das ich Ausgangssperre hatte. Konnte ich bis Ultimo draußen sein? „Ich weiß, meine Eltern lieben mich und wollen nur das Beste für mich. Aber manchmal nerven sie wirklich. Abends um acht muss ich zu Hause sein. Keine Minute später. Sonst gibt es Hausarrest. Ich finde, das um acht zu früh ist. Schließlich bin ich kein Kind mehr.“, berichtete sie mir. „Wann musst du

spätestens zu Hause sein?“ Darauf hatte ich keine Antwort. Hatte nie danach gefragt. Mir wurde auch nie was gesagt. „Mancheiner würde dich wahrscheinlich beneiden. Aber für mich klingt es so, als seist du deinen Eltern egal.“, sagte sie. „So ganz stimmt es nicht. Ich hatte gestern eine kleine Unterredung mit meinem Vater. Er sagte, das er mich liebt. Das alles seine Schuld sei.“ „Was meint er damit, das alles seine Schuld sei?“ „So, wie die derzeitige Situation ist. Er hat alles zugelassen. Nie reagiert. Was gesagt. Und er sagte, das es ihm alles sehr leid

tue.“ „Wie ist eigentlich dein Verhältnis zu deinem Vater?“ „Ich weiß nicht. Mein Vater und ich reden nur selten miteinander. Meist gehen wir uns aus dem Weg. Er trinkt oft. Wirkt depressiv. - Irgendwie tut er mir leid.“ Ich betete, das ich niemals so enden würde, wie er. Das meine Frau anders sein würde, als meine Mutter. Susanna schien diejenige zu sein. Bei ihr hatte ich Herzklopfen. Fühlte mich einfach wunderbar. „Wollen wir zu mir gehen und Hausaufgaben machen?“, fragte sie mich. Ich atmete ganz tief ein und langsam

wieder aus. Sie sollte nicht merken, wie sehr ich mich freute. „Gute Idee. Ich habe so ein paar Kleinigkeiten nicht verstanden.“, antwortete ich. Eigentlich hatte ich gar nichts verstanden. Null. Nada. Und ich glaubte nicht daran, das ich heute noch irgendwas verstehen würde. Vor allem nicht, wenn sie es mir beibringen will. Bestimmt würde ich an anderes denken, als an das, was ich soll. Aber vielleicht wollte sie gar keine Hausaufgaben machen. Wollte nur, das ich mit zu ihr komme. In ihr Zimmer. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir lernten nur und unterhielten uns.

Kein anfassen. Nichts. Und als sie mich am Abend zur Tür brachte, bekam ich auch den erhofften Abschiedskuss nicht. Zu Hause erwartete mich Nichts. Meine Eltern waren ausgegangen. Sie hatten weder vorher etwas gesagt, noch eine Notiz hinterlassen. Ob sie gemeinsam aus waren, oder getrennt, habe ich nie erfahren. Zumindest kamen sie leise nach Hause. Alle beide. Denn ich habe nicht mitbekommen, das sie zurück kamen. Am Frühstückstisch hatte ich sie dann gefragt, bis wie lange ich draußen bleiben darf. Sie waren sich uneinig. Meine Mutter fand, das ich alt genug war, um selbst zu entscheiden. Und mein

Vater wollte, das ich spätestens um neun zurück sein sollte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Zu wem ich halten sollte. Mir ging es nicht gut, weil sie sich deswegen in die Haare bekamen. Meine Frage hatte einen langanhaltenden Streit entfacht. Meine Mutter ging jeden Abend aus und mein Vater trank. Schlimm wurde es, wenn meine Mutter spätabends nach Hause kam. Stets kam sie betrunken zurück. War laut. Weckte dadurch mich und meinen Vater. Sie lieferten sich dann ein lautstarkes und heftiges Wortgefecht. Nach ungefähr einer Woche ging ich zum Jugendamt. Erzählte ihnen von den

nächtlichen Auseinandersetzungen. Ich hoffte, das sie mir helfen würden. Aber nichts geschah. Keiner kam kontrollieren, oder kam, um mit meinem Eltern zu reden. Ich war enttäuscht. Fühlte mich allein. Verlassen. Susanna war die Einzigste, die zu mir hielt. Mir zuhörte. Mich verstand. Ich war fast jeden Tag bei ihr. Wir lernten und aßen dann, gemeinsam mit ihren Eltern, zu Abend. Kurz danach musste ich gehen.

Kapitel 3

„Sohn, ich habe heute mit deiner Großmutter telefoniert. - Es ist deine Entscheidung, ob du für eine Weile zu ihr gehst. Sie hat nichts dagegen, wenn du ein paar Tage bei ihr verbringst. - Ich dachte dabei an dich, als ich sie anrief. Jede Nacht das selbe Theater. Und du mittendrin. Du kannst ja nichts dafür. Es liegt an deiner Mutter. - Natürlich vertraue ich dir. Aber es ist nun mal so, das die Eltern bestimmen, wann ihr Kind zu Hause sein soll. Es ist doch ein Zeichen dafür, das den Eltern was an ihrem Kind liegt. Oder sehe ich das

falsch?“ „Susanna muss spätestens um acht zu Hause sein. Ihr passt es nicht. Aber sie ist lieber schon um acht zu Hause und weiß, das ihren Eltern was an ihr liegt. Das sie ihnen nicht egal ist. - Bin ich Mama egal?“ „Das kann ich dir nicht sagen. - Du hättest sie damals sehen sollen, als wir dich erwarteten. Als sie dich das erste mal in Armen hielt. - Sie hat sich seit dem sehr verändert. Hat Freunde gefunden. Naja. Du erlebst es selbst. Für mich sind es keine Freunde. Nur männerhassende, versoffene, faule, dumme Zicken. Ich wollte, das deine Mutter Freunde hat. Aber nicht solche.

Richtige, wollte ich. Mit denen wir uns beide verstehen. Denen wir vertrauen können. Und was schleppt sie an...? - Ich hatte so gehofft, das wir gute Elten werden.“ Mein Vater war kurz vorm Heulen. Das sah ich ihm an. Er war fertig. Traurig, wie alles kam. Beinahe hätte ich gleich losgeheult. Doch ich stellte ihm eine bestimmte Frage. „Lasst ihr euch scheiden?“ „Ich weiß es nicht. Irgendwie rechne ich jeden Tag damit, das deine Mutter damit kommt. Aber ich kann mich nicht von ihr scheiden lassen. Ich kann nicht zulassen, das du bei ihr bleibst. Das hast du nicht verdient. Nichts gegen deine

Mutter. Aber derzeit...Du kriegst es ja selber mit. Mir liegt zu viel an dir. Ja, derzeit trinke ich zu viel. Das gebe ich ja zu. Dennoch denke ich die ganze Zeit an dich. Sonst wäre ich bestimmt schon weg und hätte euch beide in Stich gelassen.“ Meinetwegen blieb er bei meiner Mutter. Es war schon schön zu hören, das ich ihm nicht egal war. Das er an mich dachte. Aber ich sah, wie sehr er litt. Wie sehr ihm alles zu schaffen machte. Er flüchtete in den Rausch. Welcher es nicht besser machte. Für mich stellte sich die Frage, was konnte ich tun, damit es ihm besser ging. Er aufhörte zu trinken.

Als er aus meinem Zimmer war, liefen bei mir die Tränen. Er tat mir richtig leid. Wie gern hätte ich ihm geholfen. Aber ich wusste nicht wie. Meine Mutter sah ich kaum. Tagsüber war sie arbeiten und abends aus. Frühs wollte ich sie nicht ansprechen. Ihr Gesicht sprach Bände. Ich überlegte lange, ob ich zu meiner Oma fahren sollte. Entschied mich aber dagegen. Seinetwegen. Und Susanna. Denn meine Oma wohnte nicht gerade in ihrer Nähe. Ich wollte nicht so weit weg von ihr sein. Doch ein paar Tage später fuhr ich doch zu meiner Oma. Mein Vater machte

Entzug. - Sagen wir lieber, er versuchte, nicht zu trinken. Es fiel ihm sehr schwer. Spätestens wenn meine Mutter nach Hause kam und ihn anging, griff er zur Flasche. Der Hauptgrund, warum ich mich entschloss zu meiner Oma zu gehen, war, das Susanna mir ihren Freund vorstellte. Es tat so weh. Dabei hatte ich gedacht, das wir ein Liebespaar werden würden. Ich ließ es mir natürlich nicht anmerken, das es mich fertig machte. Das es mich fast umbrachte. Ich gratulierte ihnen und wünschte ihnen alles Glück der Erde. An meinem letzten Abend erlebte ich auch etwas, was ich gern nicht erlebt

hätte. Meine Mutter kam wieder laut nach Hause und weckte mich dadurch. Ich spürte einen starken Harndrang. Am liebsten wäre ich lieber in meinem Bett liegen geblieben. Da war es warm und... Aber ich musste zu sehr. Auf dem Weg ins Bad sah ich sie beide. Hörte, wie meine Mutter stolz verkündete, das sie gerade Sex mit einem anderen hatte. Dann sah ich, wie die Faust meines Vaters ihr Gesicht traf. Nüchtern war er dabei nicht gewesen. Ich hatte ihn gesehen, wie er heimlich trank. Mit Tränen in den Augen. Der Schock war groß. Das hätte ich meinem Vater niemals zugetraut, das er so was tat. Wie oft waren wir

weggerannt, wenn Gefahr im Anzug war. Jeder Schlägerei war er aus dem Weg gegangen. Gab lieber klein bei, als zuzuschlagen. Ich stand nur da und spürte nicht, wie es lief. Sah nur meine Mutter, wie sie am Boden lag. Meinen Vater, der erschrocken auf sie hinabsah. Starr. Es herrschte Totenstille. Keiner von uns bewegte sich auch nur einen Attometer. Wie lange dieser Moment andauerte, weiß ich nicht mehr. Es schien mir, wie eine Ewigkeit. Als wäre die Zeit stehengeblieben. Ich habe meinem Vater verziehen. Er hatte es nicht gewollt. Schließlich hatte er meine Mutter geliebt. Aber als sie ihm

gestand, das sie mit einem anderen im Bett war, hatte sich sein Hirn ausgeschaltet. Er wollte sie nicht schlagen. Ihr nicht wehtun. Bis zu seinem Tode hatte er diese Tat bereut. Aufrichtig bereut. Aus heutiger Sicht verstehe ich ihn. Wenn mir meine Frau ins Gesicht sagen würde, das sie mit einem anderen im Bett war und auch noch stolz drauf wäre...Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde. Eine Welt würde für mich zusammenbrechen. Vielleicht würde ich sogar so reagieren, wie mein Vater. Zumindest unbewusst. Ich weiß es nicht. Erfreut wäre ich auf keinen Fall. Was nach dem schlag war, weiß ich nicht

mehr. Wahrscheinlich will mich mein Hirn schützen. Das nächste, an das ich ich erinnern kann, ist, das ich bei meiner Oma bin. Wir aßen zu Abend und schwiegen. Sie mochte es nicht, wenn jemand mit vollem Mund sprach. Konnte ich verstehen. War voll dafür. Die Zeit genoss ich nicht. Auch wenn sich meine Großeltern Mühe gaben, mich abzulenken. Immer wieder dachte ich an meinen Vater. Fragte mich, wie es ihm ging. Was er tat. Seltsamerweise dachte ich kaum an meine Mutter. Es waren nur flüchtige Augenblicke, die sie in meinen Gedanken verbringen durfte. An Susanna dachte ich oft. Sie hatte mir das Herz gebrochen. Mein erster

Liebeskummer von vielen. Wir waren nie zusammen gewesen. Aber ich hatte so sehr gehofft, das sie die Mutter meiner Kinder sein würde. Aus der Traum.

Kapitel 4

Meine Großeltern waren, wie immer, sehr nett zu mir. Abends spielten wir oft Karten und Brettspiele. Opa versuchte mir das Schachspiel beizubringen. Ich gab mir ja Mühe. Dennoch hatte ich Schwierigkeiten, mit dem Spiel. Zum Glück hatte mein Großvater sehr viel Geduld. Ganz ruhig wies er mich auf meine Fehler hin. Gab mir Tipps, welche Figur ich wohin ziehen sollte. Es machte mir großen Spaß und es lenkte mich von Susanna und ihrem Freund ab. „Merke dir eins, Junge; Schach lernst du nicht von heute auf morgen. Es ist ein Strategiespiel. Man muss es häufig

spielen, um es richtig zu lernen. Wie skaten. Fast drei Jahre hast du gebraucht, um mit uns Alten spielen zu können. - Du hast deinem Vater was voraus. Denn er kann bis heute nicht richtig Skat spielen. Aber das macht nichts. Ich liebe ihn trotzdem und bin stolz auf ihn.“ Das sagte er fast jedes mal, nach der dritten Partie. Wenn er sagte, das er seinen Sohn liebte und stolz auf ihn ist, dann lächelte er dabei. Das zeigte mir, das er es ernst meinte und nicht nur so daherredete. Obwohl Susanna einen festen Freund hatte, mit dem sie ging und Dinge machte, die ich gern mit ihr getan hätte,

blieben wir in regem Kontakt. Sahen uns regelmäßig. Nicht nur im Unterricht. Auch in den Pausen und nach Schulschluss. Manchmal fragte ich mich, ob sie wirklich ein Liebespaar waren, oder nur Freunde. Ich meine, so viel Zeit, wie wir beide miteinander verbrachten. Er war nur selten dabei. Hielt sich im Hintergrund. Und ein einzelner Kuss, hatte nichts zu bedeuten. Auch wenn ich jetzt abschweife; ich sehe wieder vor mir, wie es damals war. Wir hatten weder Telefon, noch Handy. Das Klo war eine halbe Etage tiefer. Heutzutage unvorstellbar. Aber damals Gang und Gebe. Als die Wende kam, war

ich etwa zehn. Mein erstes Handy hatte ich mit achtzehn. Irgendwie vermisse ich die Zeit, da man sich da häufiger sah. Persönlich miteinander kommunizierte. Ich sehe meinen Sohn, wie er an seinem Tablet – PC hängt und sich mit seinen virtuellen Kontakten unterhält. Nichts für mich. Susanna war meine beste Freundin. Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, das es wahrscheinlich das Beste war, das wir kein Paar wurden. Ich konnte mich mit ihr über alles unterhalten. Auch über intime Dinge. Wie die Länge des Johannes. PMS – Beschwerden. Mit meiner Mutter könnte ich niemals über Liebe und Koitus reden. Auch nicht mit

meinem Vater und meinen Großeltern. Mit Susanna konnte ich es wunderbar. Auch wenn es schmerzte, wenn ich mir vorstellte, das sie in den Armen eines anderen lag. Susanna hatte bemerkt, das ich mehr Interesse an ihr hatte. Unter vier Augen hatte sie mir gesagt: „Du bist mein allerbester Freund. Ich möchte unsere Freundschaft nicht verlieren.“ Ich war also ihr allerbester Freund. Wenn es so war, dann... Es änderte natürlich nichts an meinen Gefühlen, für sie. Aber es machte mich glücklich zu wissen, das ich ihr nicht egal war. Das ich wichtig für sie war. Sie mich nicht missen

wollte. Jeden Abend rief mich mein Vater an und redeten jedes mal etwa eine Viertelstunde lang. Ich fragte nie, warum mich meine Mutter nie anrief. Irgendwie wollte ich es nie wissen. Aus Angst zu erfahren, das ich ihr scheißegal war. Meinem Vater ging es nicht gut. Ich war nicht da und meine Mutter auch nicht. Er war ganz allein. Bis sie mitten in der Nacht angetrunken nach Hause kam und ihm Vorwürfe machte, was für ein mieser Ehemann er doch sei. Und schlechter Liebhaber. Damals wusste ich noch nicht, was ein Liebhaber ist. Meine Großeltern hielten sich da raus.

Ich sah es ihnen an, das sie mit meinem Vater litten. Dennoch mischten sie sich nicht ein. Es war sein Leben. Er konnte jederzeit zu ihnen kommen. Aber er musste den ersten Schritt tun. Es war nicht leicht für mich. Da war ich gerade in einer schwierigen Phase. Ausgerechnet da mussten meine Eltern auch eine schwierige Phase durchmachen. Da, wo ich sie am Nötigsten brauchte. Das Leben ist hart, aber ungerecht. Ich muss gestehen, das ich nicht immer nett zu meinen Großeltern gewesen war. Sie gaben sich so viel Mühe mit mir. Scheiß Teenager. Die Phase hätte ich gern übersprungen. Denn viel zu oft

hatte ich grundlos schlechte Laune. Maulte herum. Zum Glück waren meine Großeltern nicht nachtragend. Kannten es von ihrem Sohn. Ob mein Vater genauso schlimm war? Es tut mir leid, das ich manchmal unausstehlich war. Und ich danke gleichzeitig meinen Großeltern, das sie trotz allem so lieb zu mir waren. Auch wenn sie nicht mehr am Leben sind. In meinem Herzen leben sie weiter. Sind sie immer noch lebendig.

Kapitel 5

Susanna war am Boden. Ihre erste große Liebe hatte sie verlassen. Er wollte etwas, wozu sie noch nicht bereit war. Noch lange nicht bereit war. Deshalb schoss er sie in den Wind. „In Amerika gehen sie dreimal aus und landen im Bett, hatte er zu mir gesagt. Ich habe ihm gesagt, das wir hier nicht in Amerika sind. - Schon seltsam. Irgendwie hasse ich ihn. Aber andererseits liebe ich ihn.Habe Gefühle für ihn. - Es tut schrecklich weh. Nicht körperlich. Innerlich. Ich kann es dir nicht beschreiben.“ „Ich kann es dir nachfühlen.“, antwortete

ich. „Du bist mein allerbester Freund. Ich möchte einfach nicht riskieren, das das, was zwischen uns ist, durch eine kurze Affäre endet.“ „Ich verstehe dich. Aber andererseits, wer weiß schon, was morgen ist? Vielleicht würde es zwischen uns funktionieren? Möglicherweise aber auch nicht. Dennoch besteht eine reelle Chance, das wir hinterher noch Freunde sein können.“ Ich weiß nicht, warum ich es gesagt habe. Sie war meine beste Freundin. Meine Seelenverwandte, sozusagen. Klar hatte ich Gefühle für sie. Aber sie waren nicht mehr so ausgeprägt, seit dem sie

mir gesagt hatte, das ich ihr allerbester Freund sei und sie mich nicht verlieren möchte. Meine Gefühle, zu ihr, hatten sich geändert. Waren freundschaftlich geworden. Mir ging es im Grunde, wie ihr. Ich wollte unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Sie bedeutete mir auch zu viel. „Mir bedeutet unsere Freundschaft auch alles. Deswegen werde ich nicht um deine Liebe kämpfen. Ich deutete lediglich an, das die Möglichkeit besteht, das es mit uns funktionieren kann. Als Paar, beziehungsweise, als getrenntes Paar. Wir wissen es beide nicht. Und du hast recht, wenn du sagst, das das Risiko zu groß sei, das unsere

Freundschaft in die Brüche gehen würde.“ „Da bin ich aber froh. Ich wüsste nicht, mit wem ich sonst darüber reden könnte. Mit meinen Eltern bestimmt nicht. Von denen würde ich nur zu hören bekommen, das andere Mütter auch schöne Söhne haben. Darauf kann ich wirklich verzichten. Als ob das helfen würde.“ „Aber recht haben sie dennoch. Oder bin ich so hässlich?“ Ein kleines, winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie wusste genau, wie ich es meine. Das ich es nur aus Spaß sagte, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Ich hatte mein Ziel erreicht.

Wenn nur alles so einfach wäre. Wir schlenderten durch die Stadt. Immer wieder sah ich kleine Kinder, mit Mobiltelefonen, die ich mir nie leisten könnte. Meine Eltern hatten einfache Geräte und waren damit sehr zufrieden. Meinem Vater fiel öfter mal sein Handy aus der Hand, auf den Boden. Es hält. Ein kleiner, unscheinbarer Kratzer. Ansonsten nahm es keinen weiteren Schaden. Qualität, trotz günstigen Preises. Mein Vater war stolz darauf, weil es noch richtige Tasten hatte. Nicht nur virtuelle. Bis ich mein erstes Handy hatte, das dauerte noch ein Weilchen. Ich hatte es auch nicht gebraucht. Meine Freunde traf ich in der Schule. Meine

Eltern zu Hause. Außerdem hatten wir noch Festnetz. Wie und wann dies passierte, weiß ich nicht. Plötzlich liefen wir Hand in Hand. Wie ein Liebespaar. Schauten uns die Schaufenster an. Und die Zeit verging, wie im Flug. Gentleman, wie ich war, brachte ich sie nach Haus. Wir schauten uns in die Augen und standen einfach nur da. Keiner von uns regte sich auch nur einen Attometer. Dann bewegten sich unsere Köpfe aufeinander zu. In Zeitlupe. Sie kamen sich immer näher. Wir schlossen unsere Augen. Spitzten unsere Lippen. Es kam mir so ewig vor, bis unsere Lippen sich

berührten. Meinen ersten Kuss hatte ich mir anders vorgestellt. Ch weiß nicht wie. Jedenfalls anders, als diesen Kuss. Ich hatte nicht wirklich was gespürt. Also liebte ich sie nicht. Fortan küssten wir uns, wenn wir uns trafen und wenn wir uns verabschiedeten. Es war nur eine kurze Begegnung unserer Lippen. Aber auch ein Zeichen unserer innigen Freundschaft. Leider lief nicht alles so gut, wie mit Susanna. Denn meine Eltern wollten getrennte Wege gehen. Das heißt, meine Mutter wollte gehen und mich mitnehmen. Aber wollte sie mich

wirklich. Der Einzigste, der mich angerufen hatte, war mein Vater. Er war auch der Einzigste, der mit mir redete. Mich darüber aufklärte, was gerade Phase war. Bei dem ich das Gefühl hatte, das ich ihm wirklich etwas bedeutete. Deshalb wollte ich auch bei ihm bleiben. Schließlich war er immer bei mir geblieben. Meine Mutter war stets ausgegangen. Nachts kam sie nach Hause und machte Lärm. Morgens war sie dann übel gelaunt, weil sie einen Kater hatte. Mein Vater hatte entweder nie einen Kater, oder zeigte es mir nie. Zumindest machte er eindeutige Anzeichen, das ihm was an mir lag. Im Gegensatz zu meiner Mutter. Bei ihr

hatte ich das Gefühl, das sie mich nur aus Bosheit haben wollte. Ihm gegenüber. Und da wollte ich nicht mitspielen. Ich zog zurück zu meinen Eltern. Meinem Vater zu Liebe. Auch wenn er es nicht sagte, hatte ich bei jedem Telefonat, welches wir geführt haben, seine unterdrückten Tränen mitbekommen. Ich war mir sicher, das es ihm gut tat, wenn ich wieder bei ihm war. Vor allem, nachdem sie sich trennten. Meine Mutter war äußerst nett zu mir. Das gefiel mir gar nicht. Mein Gefühl sagte mir, das sie mich nur auf ihre Seite ziehen wollte. Das ich glauben soll,

das sie mich mehr liebt, als mein Vater. Aber ich war nicht auf den Kopf gefallen. Eine Scheidung ist scheiße. Vor allem, wenn man Kind ist. Es wird bestimmt zu wem man geht und wie oft man den anderen sieht. Als Kind wird man übergangen. Die Erwachsenen bestimmen, bei wem man am Besten aufgehoben ist. Ich sage nichts weiter dazu. Außer; die haben alle keine Ahnung. Alle haben vergessen, wie es ist, Kind zu sein. Und keinem interessierte es, wie sich mein Vater dabei fühlte. Keiner sah seine Träne. Mit einem Schlag verlor er seine Frau und sein Kind. Beide liebte er sehr. Und

beides wurde ihm genommen.Ich weinte mit ihm. Mir war Elend zu Mute. Was hatte der Mann getan, das ihm so viel Leid widerfuhr? Obwohl mein Vater gegen die Scheidung war, ging alles sehr schnell. Das war ja auch kein Wunder. Schließlich war der Neue, meiner Mutter, Scheidungsanwalt. Und er war gut. Verdrehte die Tatsachen. Stellte meinen Vater als brutalen Alkoholiker hin. Verschwieg, das er nur einmal zugehauen hatte, weil meine Mutter ihm brühwarm erzählt hatte, das sie mit einem anderem im Bett gewesen war. Er erwähnte auch nicht, das meine Mutter auch gern trank und das sie gern fort ging. Aber das bereute

er später noch.

Kapiel 6

Susanna war echt spitze. Denn sie half mir dabei, meine Mutter zu belügen. Wir erzählten ihr, das ich bei Susanna bin, zum Lernen. Stattdessen fahre ich aber zu meinem Vater. Manchmal kam Susanna mit und wir lernten bei ihm. Mein Vater freute sich, wenn er mich, beziehungsweise uns, sah. In der Zeit trank er auch nichts. Rührte keinen Tropfen an. Bediente uns nach Strich und Faden. Ließ uns aber auch unseren Freiraum. Ich bemerkte die positive Veränderung. Mein Vater sah von mal zu mal besser aus. Bekam sich wieder in den Griff.

Machte etwas aus sich. Es war eine wahre Freude, dabei zuzusehen, wie er begann, positiv zu denken und in die Zukunft zu sehen. Lange würde es wohl nicht mehr dauern, bis er auch eine neue Frau findet. Eine, die ihn zu schätzen wusste. Meine Mutter und ihr Anwalt beachteten mich kaum. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Waren kaum zu Hause. Ich beschwerte mich nicht, weil ich so zu meinem Vater gehen konnte, den ich offiziell nur zweimal im Monat besuchen gehen durfte. Zwischendurch dachte ich auch daran, nochmals zum Jugendamt zu gehen, um ihnen zu erzählen, wie rührend sich meine Mutter

um mich kümmerte. Aber ich ließ es bleiben. Das letzte mal hatten sie ja auch nichts unternommen. Nachts war es am Schlimmsten. Das meine Mutter immer krietschen musste, wenn sie mit ihm im Bett lag, regte mich auf. Sie nahm einfach keine Rücksicht auf mich. Dachte nicht daran, das es mich auch noch gab. Das ich gleich in der Nähe mein Zimmer hatte. Ich hatte es satt gehabt, jede Nacht aufzuwachen und sie ewig lang stöhnen und kreischen zu hören. Deshalb fasste ich den Entschluss, ohne großartig darüber nachzudenken, das ich vorübergehend bei meinem Vater einzog. Sofern er nichts dagegen hatte. Meiner

Mutter wollte ich einen Zettel hinterlassen, das ich einige Zeit bei Susanna verbringen würde, weil sie mich jede Nacht erschreckt. Gesagt. Getan. Susanna hatte ich als erstes eingeweiht. Sie würde mich decken, wenn sich meine Mutter mal bei ihr melden sollte, würde sie lügen. Behaupten, das ich schon schlafe, auf dem Klo bin, … Dann fragte ich meinen Vater, ob er es erlauben würde, das ich bei ihm schlief. Wenigstens für ein paar Tage. Er war völlig aus dem Häuschen. Stellte schnell ein provisorisches Bett für mich hin. Sorgte dafür, das es mir an nichts fehlte. Eine ganze Woche verbrachte ich bei

ihm. Dann ging ich wieder zurück zu meiner Mutter, weil ich nicht wollte, das sie herausfand, wo ich wirklich gewesen war. Am Ende hätte nicht ich, sondern mein Vater die Hucke vollgekriegt. Und das wollte ich nicht. Zu meiner Überraschung lag der Zettel immer noch unberührt auf dem Küchentisch. In der ganzen Zeit hatte sie auch nicht bei Susanna angerufen. Nun wusste ich Bescheid, wie viel ich ihr bedeutete. Das sie mich nur wollte, um meinem Vater richtig wehzutun. Ich begann sie zu hassen. War ihr überhaupt aufgefallen, das ich eine ganze Woche lang nicht zu Hause gewesen war? Wahrscheinlich nicht. Ich freute mich

richtig, am Leben zu sein. Ein Teil dieser Familie sein zu dürfen. Ich rief meinen Vater an. An seinem Tonfall konnte ich hören, das es ihm nahe ging, das ich meiner Mutter anscheinend egal war. Ein Vorteil hatte es ja. Ich konnte machen, was ich wollte. Wegbleiben, ohne das es jemanden auffiel oder gar interessierte. Konnte viel Zeit bei und mit meinem Vater verbringen. Und das tat ich auch. Mit seiner Hilfe fand ich auch einen kleinen Nebenjob. Der Verdienst war nicht die Welt. Aber als ersten Arbeitslohn kann man auch nicht viel verlangen. Und schließlich trug ich nur einmal die Woche Zeitungen aus. Ich

schien es gut zu machen, denn die Leute grüßten mich freundlich, wenn sie mich sahen. Lächelten mich an. Es drang sogar bis zu meinem Chef durch. Jener steckte mir ab und an einen kleinen Bonus zu. Manchmal half mir Susanna dabei. Es machte riesigen Spaß, weil wir nicht einfach nur die Zeitungen austrugen, sondern nebenbei ein paar Denkspiele spielten, wie Kopfrechnen. Es half ungemein, nicht an meine Mutter zu denken. Daran, wie egal ich ihr war. Wenigstens hatte ich noch meinen Vater,der zu mir stand und immer für mich da war.

Kapitel 7

Ich hatte eine offizielle Einladung von meinem Vater erhalten. Er lud mich und Susanne zum Vesper bei sich ein. Ich fragte mich, was der Grund dafür sei? Denn er wollte, das wir schnieke zu ihm kommen sollten. Also keine Freizeitkleidung. Irgendeinen besonderen Anlass musste es geben. Aber was für einen? Ich war so aufgeregt, das sich die Woche endlos lange hinzog. Während es meinem Vater immer besser ging, schien es bei meiner Mutter und ihrem Anwalt gegenteilig zu sein. Ich hörte, wie sie sich stritten. Dafür hörte

ich die anderen Laute nicht mehr. Sie kamen auch nur noch selten gemeinsam nach Hause. Bald würde also der Anwalt Geschichte sein. Mir hatte er eh nie gepasst. Er hatte irgendwas fieses in seinem Gesicht. Und nachdem, was er meiner Mutter angetan hatte, hatte er es geschafft, auch noch den letzten Sympathiepunkt bei mir zu verlieren. Aber zuvor kam noch das Vesper bei meinem Vater. An dem Tag war das Klo allein meine. So aufgeregt war ich gewesen. Susanna und ich kamen überpünktlich an. Mein Vater war gerade noch dabei den Tisch zu decken. Wir halfen ihm dabei. Versuchten nebenbei

herauszufinden, was der Anlass war, weswegen wir hier waren. Doch er verriet nichts. Er war schon immer gut darin gewesen, Geheimnisse für sich zu behalten. Ungefähr eine halbe Stunde, nachdem Susanna und ich bei ihm angekommen waren, klingelte es an seiner Wohnungstür. Betont langsam ging er zur Tür. Er spürte, das wir bald platzten vor Neugier. Wer stand wohl vor der Tür? Mein Unterkiefer klappte nach unten. Das Atmen vergaß ich völlig. Deswegen also der ganze Aufriss. Die Überraschung war ihm gelungen. Und es war eine schöne Überraschung.

Atemberaubend attraktiv. Ihr Lächeln bezauberte mich. War sie die Neue in seinem Leben? „Elke, darf ich dir meinen Sohn vorstellen? Und seine allerbeste Freundin Susanna.“ In seiner Stimme klang stolz. „Du darfst deinen Mund wieder schließen. Ich freue mich, euch kennenzulernen. Auch wenn ich nicht darauf vorbereitet war. Eigentlich dachte ich, das dein Vater und ich einen gemütlichen Nachmittag verbringen.“ Sie sagte es nicht so, als wäre sie enttäuscht darüber, das sie nicht allein mit meinem Vater sein würde. Die Frau war wirklich erfreut darüber, uns

kennenzulernen. Ihr Lächeln war echt. „Dein Vater hat mir schon viel über dich erzählt. Und über dich auch, Susanna. Es ist mir eine wahre Freude, euch endlich kennenzulernen. Aber wie es aussieht, hat dir dein Vater nichts über mich erzählt.“ „Keine Silbe.“, antwortete ich knapp. „Ich schlage vor, wir stoßen gemeinsam an. Nicht nur der Kinder wegen, auch wegen mir, habe ich Kindersekt besorgt. Elke weiß, das ich eine lange Zeit lang zu viel getrunken habe. Es ist also kein Geheimnis.“, berichtete mein Vater. „Er sagte auch, das er es dir zu verdanken hat, das er damit aufhörte.“ Ich war peinlich berührt. Freute mich,

das ich der Grund war, das er nicht mehr trank. Es fiel mir schwer, nicht zu weinen. Zum Glück wechselte Susanna schnell das Thema. „Wie haben sie sich eigentlich kennengelernt, wenn ich fragen darf.“ „Bitte, sag Du zu mir. Denn schließlich gehörst du schon quasi zu dieser Familie und ich möchte dazu gehören.“ „Also gut. Wir habt ihr beiden euch kennengelernt, Elke?“ „Beim Joggen im Park. Wir waren beide in Gedanken gewesen. Kamen aus entgegengesetzten Richtungen. Da war es passiert. Wir prallten zusammen. Ich stürzte zu Boden und tat mir dabei weh. Es war nicht schlimm. Aber er machte er

Drama daraus. Entschuldigte sich mehrfach. Fragte immer wieder, ob es mir auch wirklich gut ging. Auf die Idee, mir aufzuhelfen, kam er nicht. Darauf musste ich ihn bringen. Naja, wir setzten uns dann auf eine Bank und kamen ins plaudern. Wir verstanden uns einfach. Und ich war diejenige, die ihn fragte, wann wir uns wiedersehen. Das war vor etwa drei Monaten.“ „Wie romantisch.“, bemerkte Susanna, „Sie sind...Ich meine, du bist eine wunderschöne Frau. Wenn ich das als Mädchen sagen darf. Wie alt bist du? Fünfundzwanzig?“ „Oh mein Gott. Nein. Die Zeiten sind schon längst vorbei. Ich bin schon über

dreißig. Aber danke für das Kompliment.“ „Und Elke braucht keine Schminke, um jung und hübsch zu sein. Was ihr seht, ist ihre natürliche Schönheit. Wie du sehen kannst. Susanna. Braucht Frau keine Schminke, um schön zu sein.“ Der Nachmittag verging viel zu schnell. Ehe es wir uns versahen, war es Zeit zum Gehen. Elke war so nett, uns beide nach Hause zu fahren. Sie fuhr einen kleinen Stadtwagen. So weit ich herausgehört habe, war sie allgemein genügsam. Ihr störte es nicht, das mein Vater nichts hatte. Sich nichts leisten konnte. Als Susanna ausstieg, begleitete Elke

sie. Es war schon nach acht gewesen. Elke wollte sich bei Susannas Eltern dafür entschuldigen, das es später geworden war. Wie nett von ihr. Ich hoffte, das es nicht nur Fassade war. „Tut mir leid, das es etwas länger gedauert hat. Es ist alles in Ordnung. Ihre Eltern hatten sich ein wenig gesorgt um sie. Ich habe ihnen gesagt, das wir alle nicht auf die Zeit geachtet haben. Und sie haben sich bei mir bedankt, das ich ihre Tochter persönlich zu ihnen brachte. Wohin nun? Ich hätte Hunger.“ „Bei mir ist es egal, wann und ob ich nach Hause komme. Meinetwegen können wir durchmachen.“ „Wir fahren zu mir und ich koche für

euch. Was haltet ihr davon?“, fragte sie. Wir stimmten begeistert zu.

Kapitel 8

Ich weiß, man sollte niemanden belauschen. Aber ich konnte es, in dem Moment, nicht lassen. Schließlich hörte ich meinen Namen. Das heißt, es ging um mich. Und da musste ich zuhören. Was mir da zu Ohren kam, war die reinste Freude. Ich musste mich beherrschen, das ich nicht gleich einen Freudenschrei losließ. Elke musste mich in ihr Herz geschlossen haben, sonst hätte sie zu meinem Vater nicht gesagt, das ich eine Weile bei ihr bleiben sollte. Mit Tränen in den Augen, ging ich ins Gästezimmer. Legte mich aufs Bett und dachte nach. Dachte an meine Mutter, der

es bestimmt nicht auffiel, das ich nicht zu Hause war. Dann dachte ich an ihren Anwalt, der dafür sorgte, das ich meinen Vater nicht jede Woche sehen durfte. Und dann sah ich Susanna vor mir. Meine allerbeste Freundin. Sie gab mir Halt. Ohne sie...es war mir unmöglich, mir vorzustellen, sie nicht in meinem Leben zu haben. Sie war ein Teil von mir. Wahrscheinlich der wichtigste Teil. Ich hörte Elke und meinen Vater, wie sie an meiner Tür vorbeigingen und sich darüber unterhielten, das heute nichts laufen wird. Was sie damit gemeint hatte, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Heute schon. Kein Sex. Sie verzichten mir zu liebe darauf. Denn ihre

Wände waren dünn. Dennoch konnte ich nicht schlafen. Die ganze Nacht wälzte ich mich hin und her. Und obwohl ich müde war, konnte ich nicht einschlafen. Am Morgen war ich völlig übermüdet und fühlte mich auch dementsprechend. Elke weckte mich mit einem fröhlichen Lächeln und einem Kuss. Voll auf meine Lippen. Ich war froh, das sie mir nicht die Decke weggezogen hatte. Denn ihr Kuss hatte bewirkt, das ich eine Erektion bekam. Peinlich. „Frühstück ist gleich fertig. Dein Vater ist gerade im Bad. Wie hast du geschlafen?“ Elke haute mich um. Sie war

so...umwerfend fröhlich. Sie interessierte sich für mich. Mein Vater hatte echt Glück, sie zu haben. „Ich konnte nicht schlafen.“, antwortete ich ehrlich. „Naja. Es war auch alles zu aufregend gewesen, gestern. Dein Vater und ich lagen auch die halbe Nacht wach. Wir haben uns überlegt, ob...“ Sie setzte sich auf mein Bett und streichelte mir das Haar. Elke verhüllte ihre Reize. Nicht so, wie meine Mutter. Und ihr Blick... „Ich schlug ihm vor, das du bei uns bleibst. Natürlich nur, wenn du es willst. Dein Vater hat mir einiges über deine Mutter erzählt. Ausschlaggebend

für mich war vor allem, was du mir gestern im Auto gesagt hattest. Das es deiner Mutter egal ist wann und ob du nach Hause kommst. Für mich unverständlich. Dein Vater liebt dich. Er würde sich sehr freuen, wenn du bei ihm bleiben würdest. Und ich würde mich auch freuen. Wir wollen dich zu nichts überreden, was du nicht willst. Dein Vater und ich wollen nur, das du glücklich wirst. Lass dir Zeit. Wenn du dich entschieden hast, gib uns Bescheid. - Dein Vater ist im Bad fertig. Wir sehen uns in der Küche.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und

ging in die Küche. Ich blieb liegen und dachte darüber nach, wie es meiner Mutter und ihrem Anwalt ging. Ob sie schon bemerkt hatten, das ich nicht da war? Nach einer kurzen Katzenwäsche, lief ich in die Küche und setzte mich an den reich gedeckten Tisch. Lange war es her, das wir nicht jeder für sich aßen. Es war ungewohnt für mich. Aber doch angenehm. Wir waren eine Familie. Ich hatte Elke fest in mein Herz geschlossen und war jetzt schon bereit, sie Mama zu nennen. „Nach dem Frühstück sollten wir deine Mutter anrufen. Das heißt, du rufst sie an und gibst ihr Bescheid wo du bist. Ich

habe keine Lust, das ihr Anwalt mich verklagt.“, sagte mein Vater. „Und wenn sie nicht ans Telefon geht?“, fragte ich. „Dann sprich auf den Anrufbeantworter. Wenn du willst, rufst danach Susanna an. Elke und ich haben uns überlegt, in den Park zu gehen. Ein bisschen Frisbee, Federball, Handball, Fußball. Such dir was aus. Vielleicht haben Susannas Eltern auch Lust mitzukommen. Je mehr wir sind, desto größer der Spaß. Wir wollten auch Picknick machen.“ „Ja, das gefällt mir. Darf ich sie gleich anrufen?“ „Meinetwegen. Ruf aber erst deine

Mutter an.“ Ich hatte Glück. Meine Mutter ging nicht ans Telefon. Andererseits hätte es mich schon interessiert, wie sie reagierte, wenn sie erfuhr, wo ich war. Gleichgültig? Geschockt? Erbost? Susanna konnte ihre Eltern dazu überreden, den Tag mit uns zu verbringen. Es wurde ein Tag, an den ich mich immer wieder gern erinnere. Elke und mein Vater passten zusammen, wie Deckel auf Topf. Für mich waren sie ein Traumpaar. Ich freute mich für sie beide und hoffte, das ich eines Tages auch die Richtige finden würde. Am liebsten ohne die Hindernisse, die mein Vater hatte.

Susannas Eltern waren Top. Sehr sportlich. Tolerant. Und offen für Neues. Elke schrieb ihnen nicht vor, wie sie ihre Tochter zu erziehen hatten. Sie machte nur Vorschläge. Zum Beispiel Sperrstunde. Susanna war ein Teenager und die Zeiten hatten sich geändert. Das Leben begann nicht schon spätnachmittags und endete spätestens gegen Mitternacht. Da Susanna noch keine achtzehn war, durfte sie nach zweiundzwanzig Uhr eh nicht mehr in der Discothek sein. Das setzte natürlich voraus, das sie ihrer Tochter vertrauten. Und wenn sie nur Angst hätten, das ihr was zustöße, dann müssten sie

vierundzwanzig Stunden angst haben. Denn heutzutage ist man selbst am Tag nicht sicher. Zu jeder Zeit könnte ein Triebtäter über sie herfallen. Man muss ihr eben beibringen, richtig zu handeln. Sie auf jede Situation vorbereiten. Und, vor allem, ihr vertrauen. Abends war ich völlig fertig. Müde fiel ich ins Bett und schlief schnell ein. Was dann noch alles passierte, bekam ich nicht mit.

Kapitel 9

Tagelang hörten wir nichts von meiner Mutter. Plötzlich dieser Anruf von ihrem Anwalt, das sie in der Klinik lag. Ich erfuhr davon erst am Abendbrottisch. Mein Vater war bei meiner Mutter im Krankenhaus. Elke und ich saßen in der Küche. Behutsam erklärte sie mir, was sie wusste. „Deine Mutter liegt im Krankenhaus, weil sie brutal zusammengeschlagen wurde...“ „Ihr Anwalt?“, unterbrach ich Elke. „Ja. - Er tat es in einer Art Anfall. Ich weiß nichts Genaues. Nur so viel, das der Anwalt in einer Nervenheilanstalt ist.

Dein Vater wird voraussichtlich die ganze Nacht bei deiner Mutter bleiben. Sobald die Ärzte es zulassen, darfst du sie auch sehen, wenn du es möchtest.“ „Wie sehr hat er sie geschlagen?“ „Ich weiß es nicht. Es muss heftig gewesen sein. Denn sie liegt schon ein paar Tage im Krankenhaus. - Dein Vater hat mir davon berichtet, das er ihr einmal mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Er erzählte mir auch, wie es dazu kam. Wie sehr er es bereut. - Ich kann ihn schon verstehen, warum er es getan hat. Das bedeutet aber nicht, das ich es für gut heiße. - Irgendwann passiert es eben. Da geht nichts mehr rein

und...“ Elke hielt sich die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Heftig zu weinen. Was hatte sie auf einmal? Hatte mein Vater auch schon gegen sie die Hand erhoben? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Nicht nachdem, wie ich die beiden erlebt habe. „Elke?“, hauchte ich. „Es tut mir leid. Ich wollte es nicht. Aber sie hatte nicht aufgehört zu schreien...“ Plötzlich stand sie auf und sperrte sich im Bad ein. Ich fühlte ich wieder mal allein. Mein Vater war im Krankenhaus bei meiner Mutter. Elke heulte im Bad. Und saß hier am Tisch. Wusste nicht,

was ich machen sollte. Nach einiger Zeit stand ich auf und rief Susanna an. Zum Glück war sie wenigstens für mich da. Ich teilte ihr die Ereignisse mit und wartete gespannt, was sie dazu zu sagen hatte. Doch sie konnte mir auch nicht helfen. Wenigstens hatte sie Zeit, um mit mir zu telefonieren. Es lenkte mich ein wenig ab. Brachte mich für kurze Zeit auf andere Gedanken. Bis Elke aus dem Badezimmer kam. Das sie geweint hatte, sah man ihr nicht mehr an. Außer man sah ganz genau hin. „Kannst du Ginrommé?“, fragte sie mich. „Ich kann nur normales Rommé.“, antwortete

ich. „Wenn du willst, bringe ich es dir bei. Es ist ganz einfach. Und wenn du schon Rommé kannst, dann begreifst du sofort, wie es geht.“ Ich war einverstanden. Jede Ablenkung war mir recht. Und ich muss gestehen, das mir das Spielen sehr viel Spaß machte. Elke lächelte wieder und steckte mich damit an. Die Zeit verging, wie im Flug. Ehe wir es uns versahen, war es Nacht. Auch wenn ich eigentlich schon zu alt dafür war, gefiel es mir, das mich Elke ins Bett brachte. Sie deckte mich zu, setzte sich auf meine Bettkante und las mir eine kleine Geschichte vor. Dann

legte sie sich neben mich, legte meinen Kopf auf ihre Schulter, gab mir einen Kuss auf die Stirn und summte leise vor sich hin. Mein Herz raste. Sie behandelte mich, wie ein kleines Kind und es gefiel mir. Wenige Minuten später schlief ich ein. Als ich aufwachte, schlief Elke immer noch neben mir. Ihr Atem ging ruhig. Am liebsten wäre ich neben ihr liegengeblieben. Denn es fühlte sich schön an, ihre weichen Hände auf meiner Haut zu spüren. Sie war eine wunderschöne Frau. Ich beneidete meinen Vater, das er sie hatte und nicht ich. Lange blieb ich unter der kalten Dusche.

Frierend stieg ich dann aus der Dusche, trocknete mich ab, zog mich an und ging in die Küche das Frühstück machen. Mein Vater kam, als der Kaffee gerade fertig war. Sein Gesicht sprach Bände. Ich fragte ihn nicht, wie es meiner Mutter ging, oder ihm. So, wie er aussah, ging es ihr unverändert. Ihrem Anwalt mussten anscheinend sämtliche Sicherungen durchgeknallt sein, wenn er meine Mutter so sehr geschlagen hatte. Was wohl der Auslöser gewesen war? Er setzte sich an den Tisch und nippte an den Kaffee, dem ich ihn eben eingegossen hatte. Traurig sah er aus. Fertig. Am Ende. „Wo ist Elke?“, fragte er kaum

hörbar. „Sie schläft noch.“ Mir war der Appetit vergangen. Ihn so zu sehen, stimmte mich depressiv. Irgendetwas schlimmes muss passiert sein, dachte ich. „Deine Mutter – Sie ist diese Nacht gestorben.“ Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Meine Mutter tot? Tränen stiegen in mir auf. Doch ich unterdrückte sie. Ich wollte stark sein. Falscher stolz, ich weiß. Aber damals... Mein Vater war nicht besser. „Ich glaube, Elke ist wach.“ In Wirklichkeit hatte ich nichts gehört. Ich wollte nur das Thema wechseln.

Verdrängen, was ich eben erfahren hatte. Dachte daran, wie ich in ihrem Arm eingeschlafen war. Ein schöner Gedanke. Im selben Augenblick sehnte ich mich nach einer festen Freundin, in deren armen ich einschlafen konnte. Jeden Abend. Ich sah Susanna vor mir. Immer noch hatte ich Gefühle für sie. Dann kam Elke. Sie lächelte uns an und gab jedem einen Kuss. „Guten Morgen, meine Lieblingsmänner.“ Plötzlich verschwand ihr Lächeln. Sie sah meinen Vater an und fragte: „Schlechte Nachrichten?“ „Sie ist tot. Details erspare ich euch. Kommende Woche werde ich wahrscheinlich erfahren, wie es dazu

kommen konnte. Wie er so ausrasten und sie brutal zusammenschlagen konnte. Er wird es wohl kaum aus Langeweile getan haben. Meine Vermutung ist, das sie jeden Abend allein ausging und spätnachts erst wieder kam. Hackevoll und lautstark. Es liegt auch sehr nahe, das sie viele Männer glücklich gemacht hat. Ob es so war, weiß ich nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, das es so war. Und irgendwann brannte dann seine Sicherung durch.“ „Er macht sich bestimmt vorwürfe. Ich meine, normalerweise kommen Schläger ins Gefängnis. Er hat sich in ein Krankenhaus einliefern lassen. Freiwillig. Jedenfalls habe ich es so

verstanden.“ „Ich auch, Schatz. Da fragt man sich, ob man Mitleid oder Verachtung für den Mann haben sollte. Wie du weißt, habe ich – hoffentlich passiert mir das nie wieder.“ Ich sagte nichts. Am liebsten hätte ich von Elkes gestrigen Anfall erzählt. Aber ich hielt es für das Beste, ihm nichts davon zu sagen. Er sollte kein falsches Bild von ihr bekommen. Und außerdem wusste ich nicht genau, was sie gestern gemeint hatte. Zumindest war der Tag gelaufen. Die Stimmung am Boden. Der Appetit im Nirgendwo. Mit hängenden Köpfen machten wir einen langen Spaziergang. Abends spielten wir

irgendwelche Familienspiele. Wobei keiner so rechte Lust dazu fand. Wenigstens lenkte es ein wenig ab. Nicht viel. Aber besser, als gar nicht.

Kapitel 10

Am Tag ihrer Beerdigung konnten wir sie nicht mehr zurückhalten. Unsere Tränen flossen in Strömen. Wir verbrachten den Tag dann bei ihm. Allein. Nur wir zwei. Elke ließ uns, auf unseren Wunsch hin, allein. Dies war auch der Tag, wo ich mein erstes Bier trank. Wir redeten nicht viel. Die meiste Zeit heulten wir uns die Augen aus und tranken Bier. Wie viel ich trank, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch ganz genau, wie der Morgen danach war. Wie ich mich da fühlte. Elendig. Meine Mutter war vielleicht nicht die

Beste gewesen. Aber dennoch haben wir sie geliebt. Sie fehlte uns sehr. Mein Vater gestand mir, das er immer noch Gefühle für sie hätte. Wie sehr es ihm leid tat, das er sie geschlagen hatte. Gemeinsam erinnerten wir uns an meine Mutter. Je mehr wir tranken, desto gesprächiger wurden wir. Aber die meiste Zeit gedenkten wir ihr für uns allein. „Weißt du was ich glaube? Deine Mutter hatte in ihrer Kindheit ein schreckliches Erlebnis gehabt. Mindestens eines. Wenn nicht gar mehr. Ich habe mich kundig gemacht. Wenn es wirklich so war, kann ich ihr nicht böse sein. Sondern nur verzeihen. Sie konnte ja

nichts dafür. Sie war die Liebe meines Lebens und wird es immer sein. Ganz egal, was war. - Ja, Elke liebe ich auch. Aber es wird mit ihr nie so werden, wie mit deiner Mutter. Sie war alles für mich. Ganz egal, was sie tat, ich verzieh ihr immer wieder. Genoss es, wenn ich sie in meinen Armen halten durfte. Weinte, wenn jemand anders sie berührte...“ Was er mit berührte meinte, war mir in dem Moment nicht klar. Heute weiß ich, was er damit meinte. Wenn sie mit einem Anderen sich vergnügte. Er weinte immer wieder. Wie sehr musste er sie geliebt haben, das er so viele Tränen ihretwegen vergoss.

Mindestens so sehr, wie ich meine Frau liebe. Mehr, als ich damals Susanna liebte. Von dem Bier wurde mir schlecht. Ich übergab mich mitten im Wohnzimmer. Kurz danach schlief ich da auch ein. Mir tat alles weh, als ich wieder aufwachte und mir war übel. Die Kopfschmerzen hielten sich in Grenzen.

Kapitel 11

Elke hatten wir nichts von unserem Besäufnis erzählt. Sie wäre aus allen Wolken gefallen, wenn sie davon erfahren hätte. Wenn mein Vater allein getrunken hätte, dann hätte sie wahrscheinlich noch Verständnis gezeigt. Aber nicht bei mir, der noch heranwachsend war. Die folgenden Ereignisse kann ich heute nicht mehr genau zusammen fassen. Es geschah Mehreres, zu fast der selben Zeit. Wir drei zogen zu Elke. Die Wohnungen meiner Eltern wurden aufgelöst. Zu Elke sagte ich nur noch Mom. Gemeinsam fuhren wir, in den

Ferien, in Urlaub. Ganze zwei Wochen. Wohin wir fuhren, hatten wir zu dritt entschieden. Keiner wurde überrumpelt. Schließlich waren wir eine Familie. Und im Urlaub fand ich meine erste Freundin. Zumindest glaube ich, das wir zusammen waren. Sicher bin ich mir nicht. Bis heute weiß ich nicht, was das überhaupt heißt, mit jemanden zusammen zu sein. Wie viele Jungs gehen mit Mädchen ins Kino und zahlen für sie. Manche haben Sex mit ein und dem Selben Partner, sind aber nicht mit ihm zusammen. Andere wohnen zusammen in einem Haushalt, schlafen im selben Bett und miteinander. Führen äußerlich eine Beziehung, sind aber

dennoch nicht zusammen. Ich habe alles gesehen. Deswegen bin ich mir unsicher, mit der Bezeichnung: Zusammensein. Juliana war bezaubernd. Zeigte, was sie hatte. Und das war reichlich. Mir war es gar nicht recht, das sie so viel Haut zeigte. Jedes mal guckten uns Heerscharen von Jungs hinterher. Sie schauten aber nicht meinetwegen. Pfiffen auch nicht mir nach. Eines abends bewegten sich ihre Lippen auf meine zu. Ihr Mund öffnete sich leicht und ehe ich es mich versah, hatte ich ihre Zunge in meinem Mund. Ich hatte keine Ahnung was ich machen sollte. Versuchte zu erspüren, was sie tat und machte dies nach. Es schien auch

ganz gut zu klappen. Zumindest blieben wir eine ganze Weile so stehen. Für mich war es ein schönes Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Mein erster Zungenkuss und ich war besser, als ich mir je erträumt hatte. In meinen Träumen war ich natürlich Profi. Legte die Weiber reihenweise flach. Aber in der Wirklichkeit sah alles anders aus. Dennoch schlug ich mich wacker. Als sie ihre Lippen von mir nahm, sah sie ich an. Ihre Augen glitzerten und ihr Mund lächelte mich an. Dann war sie plötzlich weg und ich stand da. Wusste nicht, ob es eben nur ein Traum war, oder es wirklich passierte. Wie lange ich dastand und darüber

nachdachte, weiß ich nicht mehr. Irgendwann stand mein Vater neben mir und holte ich in die Realität zurück. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Bis wir dich mit diesem Mädchen gesehen haben. Dein erster Kuss?“, fragte er. „Ihr habt uns beobachtet?“, fragte ich empört. „Natürlich nicht. Als wir gesehen haben, was ihr macht, haben wir uns dezent abgewendet. Gerade eben haben wir wieder zu euch geschaut und gesehen, das du alleine dastehst. - So sind die Frauen eben. Wenn sie haben, was sie wollten, sind sie verschwunden.“ „Glaubst du, ich sehe sie

wieder?“ Mein Vater antwortete nicht darauf. Er legte seinen Arm um meine Schulter und wir gingen zu Elke. Im Schein der Straßenlaterne, sah ich, das ihr Lippenstift verschmiert war. „Müsst ihr mir alles nachmachen?“, platzte ich trocken heraus. Da fingen wir alle drei zu lachen an. Ein unvergesslicher Abend. Bis heute. Als ich in meinem Bett lag, dachte ich noch lange an den Kuss. Julianas bezauberndes Gesicht, hatte sich in mein Hirn gebrannt. Ich sah es vor mir, als ich einschlief und sah es vor mir, als ich wieder aufwachte. Im Traum sah ich sie natürlich auch. Da küssten wir uns

leidenschaftlich. Dort konnte ich es. War ich kein blutiger Anfänger. Leider blieb es bei diesem einen Kuss. Ich sah Juliana nur noch ein einzigstes mal. Und da lag sie in den Armen eines anderen. Hatte ihre Zunge bei einem anderen Jungen im Mund. Dennoch werde ich sie stets in guter Erinnerung behalten. Schließlich hatte sie mir das Küssen beigebracht. Fühlte mich dadurch männlicher. Mein Vater war auch ein wenig stolz auf mich. Er hatte mir auch gesagt, das Urlaubsflirts nie gut enden. Oder hatte er gesagt, das sie nie lange halten? Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber in einem Punkt bin ich mir ganz sicher. Auch

wenn es nur ein paar Tage gedauert hatte, es nur bei diesem einen Kuss blieb und ich gesehen hatte, wie sie kurz darauf einen anderen küsste, würde ich diese Erfahrung nicht missen wollen. Dieses Kribbeln, was ich dabei empfand, spürte ich nie wieder so. Es war etwas ganz besonderes. Ich werde es stets in meinem Herzen und meiner Erinnerung behalten. Traurigkeit überkam uns allen dreien, als wir die Rückreise antraten. Mir wurde richtig bewusst, das ich Juliana nie wieder sehen würde. Weder hatte ich ein Foto von ihr, noch hatten wir Telefonnummern, so wie Adressen ausgetauscht. Am liebsten wäre ich zu

ihr gerannt, um es nachzuholen. Aber andererseits hatte sie ja schon wieder einen anderen gehabt. Ich war für sie schon wieder Geschichte gewesen. Wer weiß, ob sie jemals wieder an mich gedacht hat. Meine Eltern hatten sich mit einem anderen Pärchen angefreundet. Da ich viel mit Juliana unterwegs gewesen war, hatte ich sie nicht näher kennengelernt. Aber meine Eltern verstanden sich prächtig mit ihnen. Nach dem Urlaub haben wir sie nicht wieder gesehen. Ab und zu telefonierten sie miteinander. Schrieben sich Ansichtskarten. Ansonsten lebte jeder sein eigenes

Leben. Neulich hatte ich mein Wäscheschrank aufgeräumt. Da fiel mir das Shirt in Händen, welches ich damals anhatte, als mich Juliana küsste. In dem Moment fiel mir auch wieder dieser Urlaub ein, wo ich sie kennengelernt hatte. Was sonst noch in dem Urlaub gewesen war, ist mir nicht mehr in bewusster Erinnerung. Das einzigste, was mir in bewusster Erinnerung blieb, ist Juliana. Was würde ich nicht alles drum geben, um sie noch einmal wieder zu sehen. Dieses Kribbeln zu spüren, welches ich hatte, als wir uns küssten. Dieses Shirt hat nun einen Ehrenplatz. Hinter Glas. Meine Frau hat nichts

dagegen, das ich es so in Ehren halte. Sie kennt die Geschichte dahinter. Und es ist so ziemlich das Einzigste Erinnerungsstück an jenen unvergesslichen Urlaub. Denn niemand hatte Fotos gemacht oder Filme gedreht. Was bleibt, ist einzig und allein die Erinnerung.

Kapitel 12

Es war kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag. Bis dato hatte ich keine weitere Freundin gehabt. Irgendwie wollte es mit der Liebe nicht so klappen. Mein Vater versuchte mich zu trösten, in dem er mir von sich berichtete. Das er auch erst spät seine erste Freundin fand. Mit zwanzig etwa. So lange wollte ich aber nicht warten. Die meisten, meiner Mitschüler, waren alle in festen Händen. Nur ich und Susanna nicht. Auch wenn jeder behauptete, das wir seit langem schon ein Paar wären, nur wir zu blöd wären und es nicht mitbekämen. Vielleicht

hatten sie recht. Schließlich machten wir alles, was auch Liebespaare taten. Manchmal hielten wir sogar Händchen. Nur küssten wir uns nicht mit offenen Mündern und hatten auch keinen Geschlechtsverkehr. Jedenfalls keinen gemeinsam. Nur jeder für sich allein. Ich schätzte, das auch sie... Ich hasste diejenigen, die damit angaben, das sie schon Sex hatten. Manche waren so prahlerisch und zählten auf, mit wie vielen sie schon geschlafen hätte. Ich empfand kein Neid. Mir war es egal, mit wie vielen Mädchen sie es trieben. Und mit welchem Mädchen. Ich fragte mich nur, in wie weit es stimmte und wer mit

denen freiwillig Körpersäfte austauschte. Der größte Angeber war Benjamin. Bis ich ihn eines Tages zufällig sah. Er war gerade dabei Ostereier zu suchen. In einer fremden Hose. Musste er es ausgerechnet dort machen, wo ich langlief? Mir war es egal gewesen, das er auf Jungs stand. Das er gerade dabei war, einen jungen zu küssen. Ich wäre auch einfach vorbeigegangen. Aber sie versperrten mir den Weg. Sie standen mitten in der Toreinfahrt, wo ich wohnte. Um vorbeizukommen, musste ich sie bitten Pause zu machen. Ben glaubte, mich einschüchtern zu können, in dem er mich böse ansah und mir drohte. Aber da hatte er nicht die

Rechnung mit meinem Vater und meiner Mutter gemacht. Denn sie kamen kurz nach mir, Arm in Arm, in die Toreinfahrt und sahen, wie Ben mich am Kragen fassen wollte. Er schritt aber nicht ein. Stattdessen holte er sein neues Handy aus der Tasche und machte ein Foto. Darauf war deutlich zu sehen, wie Ben mich bedrängte. „Junger Mann. Wenn sie nicht wollen, das ich dieses Beweisfoto der Polizei übergebe, dann lassen sie sofort meinen Sohn los.“, sagte mein Vater lässig. „Foto?“, stammelte Ben, während er mich immer noch in der Mangel hatte. „Aber Schatz. Der Polizei ist es doch egal, wenn zwei junge hübsche Männer

sich nahe kommen. Veröffentlichen wir es lieber im Internet, damit es alle sehen können. Seine Freunde, Familie, Mitschüler, Lehrer,...“ Meine Mutter war der absolute Hammer. Ich weiß nicht, ob sie wirklich gesehen hatte, wie Ben mit dem anderen geknutscht hatte. Aber wen interessiert das schon. Wichtig war, wie sie es sagte. So glaubhaft. Ich biss mir auf die Zunge, damit ich nicht lachte. Es war so herrlich. Ben in Panik. Der Schweiß glänzte in seinem Gesicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er meine Eltern an. Dann mich. Wieder zu meinen Eltern. „Wir könnten die Beiden auch zu uns

einladen. Nächste Woche ist dein Geburtstag. Bis dahin kriegen wir sie schon gut abgehangen.“ Jetzt spann mein Vater. Zugegeben. Aber das gab Benjamin den Rest. Er ließ mich los und rannte schreiend davon. Sein Freund stand wie angewurzelt da. Unfähig sich zu bewegen. „Bitte fressen sie mich nicht.“, stammelte er. Dann schaffte er es endlich auch davonzulaufen. „Das hätte nicht sein müssen, Schatz. Naja. Zumindest können wir jetzt nach oben gehen. Was haltet ihr von Steaks?“ Mein Vater und ich prusteten los. Mom brauchte noch eine Weile, um zu verstehen, über was wir lachten. Doch

dann konnte sie sich nicht mehr halten. Zum Abendessen gab es nur Gemüse. Irgendwie hatten wir keinen Appetit mehr auf Fleisch. Benjamin wich mir aus, wo er konnte. Es schien, als hätte er Angst vor mir. Aber warum? Glaubte er ernsthaft, wir würden Fotos von ihm ins Netz stellen. Oder gar Menschen essen? Ich erzählte keinem davon, was ich gesehen hatte. Wenn jemand verraten soll, das Ben schwul ist, dann er selbst. Aber ich wusste, das er es von sich aus nie machen würde. Das er zu große Angst davor hatte, nicht mehr als der akzeptiert zu werden, der er bisher immer war. Daher schrieb ich ihm einen

kleinen Brief, den ich ihm heimlich zusteckte. Ben, schwul zu sein, ist heute keine Schande mehr, sondern ganz normal. Heutzutage dürfen Homosexuelle sogar den Bund der Ehe eingehen und sogar heiraten. Deinen wahren Freunden ist es egal, ob du hetero oder homo bist. Ich weiß nicht, ob es an meinem Brief lag. Wenige Wochen darauf, war allen bekannt, welche Neigung Ben hatte. Niemanden interessierte es. Bis auf wenige Ausnahmen. Aber die gibt es

überall. Ben stand drüber und das bewunderte ich. Hatte er doch solche Angst davor, das jemand erfuhr, das er schwul ist.

Kapitel 13

Ab wann ist man mit jemandem zusammen? Ich frage ernsthaft. Wie ich schon erwähnte, weiß ich keine Antwort auf diese frage. Das ich – heute - mit meiner Frau zusammen bin, weiß ich. Schließlich sind wir miteinander verheiratet. Sogar glücklich. Unsere Mitschüler behaupteten ja, das Susanna und ich schon lange ein Paar seien. Ich glaubte nicht daran. Um so mehr überraschte mich folgendes: Wir saßen in meinem Zimmer und machten Hausaufgaben. Viel war es nicht gewesen. Deswegen waren wir ziemlich schnell fertig damit. Wir

machten es uns auf meinem Bett gemütlich, da platzte es aus ihr heraus. „Ich glaube, ich bin bereit. Und ich möchte es mit dir.“ Häh? Ich verstand kein Wort. Was wollte sie jetzt? Hab ich das richtig verstanden, oder war es nur Einbildung gewesen? „Bitte entschuldige. Aber ich konnte dir grad nicht ganz folgen. Wofür bist du bereit?“ Sie druckste herum. Konnte es mir nicht sagen? Wollte sie Sex mit mir, fragte ich mich. Sollte ich sie fragen, ob sie das meinte? Wenn sie doch was anderes meinte, wäre es mir sehr peinlich. Aber was sollte sie sonst meinen. Mir fiel

nichts anderes logisches ein. „Meinst du Sex?“, fragte ich und hoffte, das sie jetzt nicht an die Decke ging. „Naja – Ja -Also – Ja. - Was sagst du?“, stotterte sie. Ich sah sie an und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ja. Nein. Vielleicht. Alles klang blöd. Ich spürte, wie ich rot wurde. Hörte mein Herz schlagen. Meine Hände wurden ganz nass. „Wow. - Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es kommt so überraschend. Du hast doch immer gesagt, das wir nur Freunde sind.“ „Ich weiß. Aber in letzter Zeit fühle ich mich dir hingezogen. Vielleicht liegt es nur an dem Gerede der anderen. Ich weiß

auch nicht.“ Wir stammelten herum. Wussten beide nicht recht, in wie weit wir wirklich dazu bereit waren und ob wir es gemeinsam tun sollten, oder lieber mit anderen Partnern. Schließlich stand unsere Freundschaft auf dem Spiel. Die wollten wir beide nicht verlieren. Als Susanna nach Hause musste, waren wir genauso weit, wie am Anfang. Wir beschlossen, eine Nacht darüber zu schlafen und dann weiter zu reden. Nur war an Schlafen nicht wirklich zu denken. Die ganze Zeit dachte ich über das erste Mal nach. Ich hatte Panik. Mitten in der Nacht klopfte ich ans Elternschlafzimmer. Zum Glück kam kurz

darauf mein Vater heraus. Wobei es mir in dem Moment egal war, mit wem ich darüber redete. Ob mit ihm, oder mit ihr. Hauptsache, ich bekam einen Rat, mit dem ich was anfangen konnte. Kaum hatte ich den Gedanken zu ende gedacht, stand auch schon Mom hinter ihm. Zuerst wollte ich mich entschuldigen und wieder ins Bett gehen. Aber dann nahm ich all meinen Mut zusammen. Eigentlich war es doch ganz gut, mit beiden gleichzeitig zu reden. Die Sichtweise der Männer und der Frauen zu hören. Beide hatten unterschiedliche und gleiche Erfahrungen gesammelt. „Susanna will mit mir schlafen.“,

sprudelte es aus mir raus. Ich stieß damit meinen Eltern vor den Kopf. Klar. Aber nun war es raus und ich war ein wenig erleichtert. Jetzt kam es nur noch auf die Reaktion meiner Eltern drauf an. „Wird das jetzt ein Männergespräch?“, fragte mein Vater verwirrt. „Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wer dafür besser geeignet wäre. Du. Mom. Ihr beide.“ „Ich schätze, du willst alles wissen. Gib uns eine Minute zum Munter werden. Machst du uns in der Zwischenzeit einen Kaffee? Den werden wir brauchen.“ „Klar, Mom.“ Meine Eltern waren schon cool. Sie

wussten, das am nächsten Tag Schule war. Dennoch verschoben sie das Gespräch nicht. Stattdessen zogen sie sich an und hielten sich die ganze Nacht mit Kaffee wach, während sie mich aufklärten. Ohne, das es für irgendwen peinlich war. Wir redeten ganz offen über die Praktiken. Die Vorsichtsmaßnahmen, die man dabei beachten sollte. Mein Vater reichte mir ein paar Kondome. Mom zeigte mir an einer Salatgurke, wie man sich ein Kondom überzieht. „Wie gut, das wir die heute Abend nicht gegessen haben.“, scherzte sie dabei. Ich hatte mir gewünscht, das Susanna dabei gewesen wäre. In wie weit sie

aufgeklärt war, wusste ich nicht. Aber bestimmt wurde sie nicht so unterhaltsam aufgeklärt. „...und dennoch ist es, wie mit allen Verhütungsmitteln. Nichts ist einhundert prozentig. Ein Kondom kann platzen, wenn es heiß hergeht. Aber das ist äußerst selten. Und auch wenn ihr es vielleicht als lästig empfindet. Benutzt zur Sicherheit stet ein Kondom. Es schützt nicht nur vorm schwanger werden, sondern auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Wenn ihr eine längere Beziehung habt und ihr euch sicher sein könnt, das ihr beide treu sauber seid und sie ein Verhütungsmittel nimmt, könnt ihr auch

ohne Überzug Sex haben. Sollte der Fall eintreten, das ihr, trotz Vorsichtsmaßnahmen, Eltern werdet, oder was eingefangen habt...Wendet euch jederzeit vertrauensvoll an uns. Gemeinsam finden wir eine Lösung für das Problem.“ Und das sagte sie nicht nur so, sondern meinte es auch wirklich. Dafür liebte ich sie. Ich bereute nicht, mit allen beiden darüber gesprochen zu haben. Auch wenn es mitten in der Nacht gewesen war und ich in deswegen in der Schule öfters einnickte. Ich wusste nun über alles Bescheid. Meine Biologielehrerin war ja nicht gerade offen. Als sie über PMS sprach, sah man

ihr an, das ihr das Thema peinlich war. Dabei war es etwas ganz natürliches. Elke, also meine Mutter, hatte keine Problem gehabt, mit mir darüber zu reden und mich darüber aufzuklären.

Kapitel 14

Fast ein ganzer Monat verging, bis Susanna die Erlaubnis von ihren Eltern bekam, bei mir zu übernachten. Meine Mom hatte mehrere Gespräche mit ihnen geführt und war fast am Verzweifeln. Sie fand, das Susanna überfürsorglich waren. Trotzdem bewahrte sie die Ruhe. Rastete nicht aus. Bis auf das eine Mal. Da hatte sie eine Tasse gegen die Wand geschmissen. Gleich darauf hatte sie sich bei uns entschuldigt und die Scherben weggekehrt. Am Abend, als Mom es endlich geschafft hatte, das Susanna bei uns übernachten durfte, setzten wir uns

gemeinsam an den Küchentisch und redeten offen miteinander. „Wir wissen, was ihr heute vorhabt. In wie weit bist du, Susanna, von deinen Eltern aufgeklärt worden?“, begann Mom das Gespräch. „Um ehrlich zu sein, haben wir zu Hause nie darüber gesprochen. Du weißt ja, wie meine Eltern sind.“ „Wir haben drüber gesprochen.“, mischte ich mich ein, „Ich habe es ihr so erklärt, wie ihr mir. Nur ohne die Gurke.“ plötzlich drängte mich die Frage auf, wohin die Gurke verschwunden war. Denn am folgenden Tag war sie im Kühlschrank gewesen. Am Abend nicht

auf dem Tisch. Aber am darauffolgenden Morgen nicht mehr im Kühlschrank. Auch nicht in meiner Lunchbox, oder im Müll. Plötzlich war mir für einige Zeit der Appetit auf Gurke vergangen, als mir der Gedanke kam, wozu sie benutzt wurden könnte. „Falls ihr noch Fragen zu diesem, oder aber auch zu irgendeinem anderen Thema, habt, fragt. Es braucht euch nichts Peinlich zu sein. Alles was hier besprochen wird, verlässt nicht diesen Raum. - Bist du schon bei einem Frauenarzt?“ „Meine Mutter will das nicht. Sie findet, ich sei noch zu jung dafür.“ „Oh mein Gott. Ich mache dir gleich

Montag einen Termin bei meiner Ärztin. Du brauchst keine Angst davor zu haben. Wenn du willst, begleite ich dich natürlich.“ „Wie gut das du Kondome dabei hast. Die hast du doch noch, oder?“, fragte mein Vater. „Liegen in meinem Nachtschrank. Noch originalverpackt. Und wie man es über eine Gurke zieht, weiß ich ja.“ Susanna guckte verdutzt. Meine Eltern schmunzelten. Diese Nacht sollte ich also zum Mann werden. Man war ich aufgeregt und nervös. „Ihr seid viel zu verkrampft. Werdet locker. Wenn ihr noch nicht so weit seid, überstürzt nichts. Jeder Mensch ist

anders. Mein Mann war auch erst mit zwanzig bereit. Und ich war auch schon achtzehn, bevor ich das erste mal mit jemandem schlief. Ich bereue nicht, so lange gewartet zu haben. Denn während ich mich auf die Schule konzentrierte, schoben einige Kinderwagen. Und glaubt mir. Glücklich sahen die nicht aus. Wie wäre es, wenn wir ein paar alte Spiele rausholen und uns auf andere Gedanken bringen?“ Wir waren wirklich verkrampft. Und ich war mir unsicher, ob ich wirklich schon bereit dazu war, mit einem Mädchen zu schlafen. Wobei ich schon gern gewusst hätte, wie es sich anfühlt. Aber auf

Krampf wollte ich es nicht. Und in dem Moment wäre es auf Krampf gewesen. Die Zeit verging wie im Fluge. Ehe wir es uns versahen, war es schon weit nach Mitternacht. Aber wir hatten jede Menge Spaß gehabt. „Also, ich weiß nicht, wie es euch geht. Aber ich bin hundemüde. Wo willst du schlafen, Susanna? Auf dem Sofa, oder wollt ihr es euch in einem Bett gemütlich machen?“, fragte Mom. „Ich möchte lieber in einem Bett schlafen. Auf Sofas kann ich nicht schlafen. Ganz egal, wie müde ich bin.“ „Dann schlaft schön, ihr beiden. Wenn ihr vor uns wach sein solltet, macht bitte leise. Wir haben beide eine harte

Woche hinter uns.“ Und dann lagen wir in meinem Bett. Stocksteif. Angezogen. Keiner wagte es, sich auch nur einen Attometer zu rühren. „Ich mache am besten mal das Licht aus.“, sagte ich und schaltete meine Nachttischlampe aus. Nun lagen wir im Dunkeln. Immer noch angezogen und bewegungslos. Wenn keiner von uns den ersten schritt wagte, würde es nie was werden, dachte ich. Aber so sehr ich mich auch dazu zwang, nach ihrer Hand zu suchen, ich schaffte es nicht, mich in Bewegung zu setzen. Plötzlich berührte mich etwas. Zu erst dachte ich, es wäre eine Mücke, oder so was, und wollte schon zuschlagen. Dann

bemerkte ich aber ihre samtweiche Haut. Ihre Hand griff nach meiner. Und so lagen wir dann da. Stocksteif. Angezogen. Händchen haltend. Wenn wir in dem Tempo so weitermachten, würden wir nie dazu kommen, intim zu werden. „Wollen wir uns küssen?“, fragte sie. „Ja.“ Es gestaltete sich ein wenig schwierig. Erstens: Es war dunkel. Zweitens: Wir waren nervös. Drittens: Wir hatten uns nicht ausgemacht, wie wir uns küssen wollen. Ob sie auf mich kommt, oder ich auf sie, oder wir nebeneinander liegen bleiben. Unsere Köpfe stießen daher erst einmal ein paar mal aneinander, bevor

wir mit dem Küssen beginnen konnten. Ich bemerkte schnell, das sie keine rechte Ahnung davon hatte. Ihr Mund blieb geschlossen. „Hast du schon mal geküsst?“, fragte sie dann. „Einmal. Damals, im Urlaub. Und du? Ich meine, du warst doch mal mit dem einen zusammen.“ „Naja. Wann kamen wir denn mal dazu? Eigentlich nie. Abends musste ich beizeiten zu Hause sein und tagsüber waren wir nie allein. Außer ein Kuss zum Abschied, oder wenn wir uns sahen, war nichts gewesen. Deshalb hatte er auch Schluss gemacht. Weil wir nie allein

waren.“ „Ich dachte, er wollte mit dir...“ „Und ich dachte, wir wollten uns küssen.“ Stimmt. Das wollten wir. Und das machten wir auch. Mit der Zeit klappte es auch ganz gut. Ich zeigte ihr, was ich gelernt hatte und sie machte es mir einfach nach. In wie weit wir es richtig machten, wusste ich nicht. Aber es gefiel mir. Und Susanna schien es nicht minder zu gefallen. Sie schwang langsam ihren Körper auf meinen. Stöhnte leise. Rieb sich an mir. Und da passierte es. Noch ehe wir dazu kamen, war ich auch schon gekommen. Susanna ließ sich davon nicht beirren. Hatte

davon wahrscheinlich auch nichts mitbekommen. „Ich glaube, wir sollten jetzt schlafen.“, hauchte sie. „Du hast recht.“, stimmte ich ihr zu.

Kapitel 15

Ich war als erster wach geworden. Die ganze Nacht lang hatte ich kaum geschlafen. Susanna hatte in meinem Arm gelegen. Die ganze Zeit. Als sie sich irgendwann umgedreht hatte, stieg ich aus dem Bett. Zuerst ging ich in die Küche Kaffee machen. Und während der Kaffee in die Kanne lief, sperrte ich mich im Bad ein. Duschte lange und ausgiebig. Frisch geduscht und neu eingekleidet, setzte ich mich an den Küchentisch und nippte an meinem Milchkaffee. Dachte an die vergangene Nacht. Susanna. Wie es wohl mit ihr und mir weiterging?

Waren wir jetzt ein Paar? Ich setzte mich ins Wohnzimmer und schaute mir Zeichentrickfilme an. Folgen, konnte ich keinen einzigen. Meine Gedanken waren bei Susanna. Wie sehr hoffte ich, das wir nicht nur die eine Nacht verbringen würden. Sondern das mehr daraus wird. Mir hatte es gefallen, neben ihr einzuschlafen und aufzuwachen. Konnte es mir, in dem Moment, nicht mit einem anderen Mädchen vorstellen. Wollte es auch gar nicht. Seit über drei Jahren war ich in Susanna verliebt. Konnte nicht aufhören, sie zu lieben. Sie einfach nur als Kumpel zu sehen. Ein Kuss, auf meiner Wange, riss mich

aus meinen Gedanken. Susanna war aufgestanden und hatte sich zu mir gesetzt. Ihre Arme um mich gelegt. Mein Herz schlug Purzelbäume. Und wieder fragte ich mich, ob wir nun ein Paar waren, oder nicht. „Was trinkst du?“, wollte sie wissen. „Milchkaffee. Bedien dich. Ich bring dir auch gern eine frische Tasse, wenn du es möchtest.“, gab ich zurück und reichte ihr meine Tasse. „Ist noch richtiger Kaffee da? Für meinen Geschmack ist es zu viel Milch und zu wenig Kaffee.“ Ich gab ihr die Fernbedienung und holte dann den Kaffee aus der Küche. Dazu stellte ich eine Kleinigkeit zu Essen

zusammen. Wir saßen eng aneinander auf dem Sofa, sahen in die Glotze und redeten kein Wort miteinander. Am liebsten hätte ich sie gefragt, wie das Verhältnis zwischen uns ist. Aber ich getraute mich nicht. Die letzte Nacht wollte ich auch nicht erwähnen, weil es mir irgendwie zu peinlich war. Mein Vater kam kurz rein. Er fragte: „Und?“ ich antwortete: „Nein.“ Dann war er auch schon wieder verschwunden. Anscheinend wollte er uns nicht stören. Susanna sah mich fragend an. „Er wollte wissen, ob du und ich es getan haben. Ich habe ihm gesagt, das nichts

lief.“ „Ach so. Naja, ihr Männer habt ja eh eure eigene Art der Kommunikation. Wir Frauen sind da anders. Manchmal beneide ich euch. Weil ihr mit wenigen Worten oft mehr sagt, als wir Frauen mit über hundert Worten. Und das ist jetzt ehrlich gemeint. Kati, eine Freundin von mir, braucht immer ewig, bis sie auf den Punkt kommt. Sie redet aber auch gern um den heißen Brei herum. Vielleicht hört sie sich selbst gern reden. Aber auch bei anderen Mädchen und Frauen habe ich es festgestellt, das sie viel reden und wenig sagen. Und um noch etwas beneide ich euch manchmal. Du könntest jetzt auf den Balkon gehen und

in die Dachrinne machen. Ich muss warten, bis dein Vater fertig ist. Wie lange braucht er durchschnittlich im Bad?“ „Nicht lang. In spätestens zwei Minuten sitzt er am Küchentisch. Solange du nicht an plätschernde Bäche denkst, oder reißende Flüsse. Regentropfen, die...“ „Bitte hör auf. Ich wollte ja vorhin schon gehen. Aber da war ich zu faul dazu. - Übrigens wollte ich mich bei dir noch bedanken, das du mich nicht bedrängt hast. Ich weiß, das ich dich gefragt hatte, ob du mit mir schlafen würdest.“, sprach sie und betonte dabei stets das Wort

Ich. „Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Dabei habe ich dich kennengelernt. Eigentlich wollte ich dich nur als Freund. Als meinen allerbesten Freund. Aber das kann ich nicht mehr. - Schon lange nicht mehr. Ich musste mir vor einiger Zeit schon eingestehen, das ich mehr für dich empfinde. - Letzte Nacht, als wir uns küssten, spürte ich ein Kribbeln. Ein angenehmes Kribbeln. Da war ich mir dann hundert Prozent sicher, das ich mit dir zusammen sein will. Das ich dich nicht als Kumpel, sondern als festen Freund möchte.“ „Das kommt gerade plötzlich und

unerwartet. Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich bin nur überrascht, weil du doch stets gesagt hattest, das es zwischen uns nichts wird, weil unsere Freundschaft auf dem Spiel steht...“ „Wer nichts wagt, kann nichts verlieren.“, unterbrach sie mich. „Heißt das jetzt, das wir zusammen sind? Tut mir leid, aber ich habe davon keine Ahnung.“ Anstatt mir eine Antwort darauf zu geben, presste sie ihre Lippen auf die meinigen. Dabei vergaßen wir alles um uns herum. Wir küssten uns, als ob wir für immer Abschied nehmen müssten. Leidenschaft. Liebe. Alles war dabei. Bis Mom ins Wohnzimmer

kam. „Entschuldigt bitte. Ich wollte euch nicht stören.“ „Och, du störst nicht. Wir wollten uns nur von meinem Blasendruck ablenken.“ „Das Bad ist frei, Susanna.“ Mom setzte sich zu mich, während Susanna im Bad verschwand. Wie schön sie doch war. Selbst kurz nach dem Aufstehen. „Erzähl mal. Wie war euer erstes Mal.“, wollte sie wissen. „Da war nichts. Wir küssten uns nur. Susanna und ich waren zu müde dazu. Außerdem fühlten wir uns zu sehr gedrängt. Ich meine...Wie soll ich sagen...Der Spieleabend war schön.

Löste Spannungen. Doch als wir dann alleine waren, kamen die Spannungen zurück.“ „Ihr ward eben noch nicht so weit. Ich freue mich jedenfalls, das ihr es nicht auf Krampf hinter euch bringen wollt. Lasst euch so lange Zeit, wie ihr braucht. Das erste mal bleibt euch für ewig in Erinnerung. Mein erstes mal war nicht so, wie ich es mir damals ausgemalt hatte. Irgendwie war es enttäuschend. Und das, obwohl ich mir Zeit dafür gelassen hatte. Damals dachte ich eben, das er der Richtige dafür sei. Aber da hatte ich mich geirrt. Sobald er es geschafft hatte, mich ins Bett zu kriegen, war er weg. Aber nicht, ohne

mir ein Abschiedsgeschenk zu hinterlassen. Ich war dumm gewesen. Habe nicht auf Verhütung geachtet. Keinen Gedanken daran verschwendet. Er sah gut aus und ich liebte ihn über alles. Gegen den Willen meiner Eltern, habe ich das Kind zur Welt gebracht. Doch eines Tages bekam ich einen Anfall. Ich weiß nicht mehr genau, wie es gewesen war. Warum ich es getan habe. Mein Hirn hatte sich in die hinterste Ecke verzogen. Meine Hände schlugen auf das Kind ein. Immer und immer wieder. So lange, bis es sich nicht mehr bewegte. Reglos lag es vor mir. Lange habe ich gebraucht, um zu registrieren, das das

Kind tot war und das ich diejenige war, die das Kind getötet hatte. Dein Vater weiß davon nichts. Bitte erwähne, ihm gegenüber, kein einziges Wort darüber. Ich weiß nicht, warum ich es ausgerechnet dir gebeichtet habe. Verzeih mir.“ Mein Vater und Susanna standen schon eine Weile an der Tür und hatten uns zugehört. Mom und ich hatten sie nicht mitbekommen. „Du hast ein Kind zu Tode geprügelt?“, fragte mein Vater. Seine Stimme war sehr leise gewesen. Voller Mitgefühl. „Du hast mitgehört? - Ja, ich habe mein Kind totgeschlagen und es tut mir sehr

leid.“ „Wenn du darüber reden willst...Jederzeit. Wann immer du willst.“ Mein Vater regte sich weder auf, noch schrie er das ganze Haus zusammen. Stattdessen hatte er tränen in den Augen. Ebenso Mom und Susanna. Wir spürten alle, das Mom es bereute, das sie es nicht mit Absicht getan hatte. Deswegen standen wir auch zu ihr und verurteilten sie nicht. „Mein erstes mal war auch nicht das Wahre. Sie wollte es und ich fand keine Argumente, die dagegen sprachen. Ich hatte mich nicht bereit dazu gefühlt. Gehen, konnte ich auch nicht. Denn

irgendwo wollte ich es endlich wissen, wie es sich anfühlt. - Kurz gesagt, sie hatte ich dazu gedrängt, das wir es taten. Und glaubt mir, das macht das ganze einfach nur...“ Mein Vater drehte sich um und ging in die Küche. Nach kurzer Zeit folgten wir ihm. Dann saßen wir zu viert am Küchentisch. „Ihr müsst eure Erfahrungen selbst machen. Was wir machen können, ist, euch an unseren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Als du mit Juliana was anfingst, waren wir dagegen, weil wir erkannt haben, wie sie ist. Wir haben dir nicht reingeredet, weil du deine Erfahrungen selber sammeln musst und

du eh nicht auf uns gehört hättest. Schließlich hatte ich damals auch nicht auf meine Eltern gehört, obwohl sie recht hatten. Teenager hören selten auf das, was ihre Eltern ihnen sagen. Ich weiß es, weil ich selbst einer war.“, erzählte Mom. „Wie war es eigentlich weitergegangen, nachdem du dein Kind...Ich mein, es geht ja nicht an einem spurlos vorbei. Außer, man ist emotionslos.“, wollte ich wissen. „Ich möchte nicht wirklich darüber reden. Denn ich schäme mich zutiefst, für dieses Kapitel. - Kurz nach der Tat fand ich mich in verschiedenen Betten wieder. Ich war völlig neben mir. Nicht

mehr ich selbst. Warum ich es tat, weiß ich nicht so genau. Die einen fangen an zu Trinken, andere nehmen Drogen. Und ich? Ich habe dafür gebüßt. Viele Therapiestunden gehabt. Ob es wirklich was gebracht hat, weiß ich nicht. Vorsichtshalber habe ich mich sterilisieren lassen. Auf gar keinen Fall wollte ich es zulassen, das sich jenes wiederholt.“ Es war deprimierend, was wir von ihr erfuhren. Eine Mutter erschlägt ihr Kind. Und bis heute weiß sie nicht, was damals in sie gefahren war. Warum sie es getan hatte. Wir verbrachten den Tag damit, das wir

ein paar Familienspiele spielte. Es lenkte uns alle ab. Und wir waren dankbar dafür. Am Abend beschlossen Susanna und ich, das wir gemeinsam in die Wanne gehen. Wir achteten nicht auf irgendwelche Zeiten. Susannas Eltern wussten, wo ihre Tochter war. Sie kannten meine Eltern und sie kannten mich. Hatten sie einen Grund, uns nicht zu vertrauen? Wir badeten bei Kerzenschein. Dennoch sahen wir alles voneinander. Meine Erregung war nicht zu übersehen. Schnell stieg ich in die Wanne, damit Susanna sie nicht sah. Sie stieg auch schnell rein und tauchte so weit unter, das nur noch ihr Kopf aus dem Wasser

ragte. Alles andere wurde vom Schaum bedeckt. Das fing ja gut an. Wir schämten uns voreinander. Wie sollen wir Sex zusammen haben, wenn wir uns nicht einmal bei Kerzenschein getrauten, uns nackt gegenüber zu stehen. Irgendeiner musste den Anfang machen. Also wandte ich ihr meinen Rücken zu und bat sie, ihn mir zu waschen. Was sie auch tat. Zärtlich verteilte sie das Duschgel auf meinem Rücken, meinem Hals und meinen Armen. „Das fühlt sich gut an. Würdest du auch den Rest meines Körpers waschen? Es ist nur eine Frage. Wenn net willst, willst net.“ Ich spürte, wie ihr Herz schneller schlug.

Meines raste auch. Und wie es raste. „Gerne.“, antwortete sie nach einer Weile. Ich stand aus. Mit meiner Rückfront zu ihr. Susannas Hände glitten sanft über meine Backen und an meinen Beinen hinunter. Nun war die Vorderfront dran. Ich nahm all meinen Mut zusammen und drehte mich langsam zu ihr um. Meine Erektion war deutlich zu erkennen, obwohl ich meine Hände davor hielt und versuchte, sie herunter zu drücken. Es war ein peinlicher Augenblick. Ein langer peinlicher Augenblick. Dann stand Susanna auf. Wir standen uns gegenüber. Mir war ganz anders. Meine Beine fühlten sich an, als würden sie

gleich nachgeben. „Wenn wir beide miteinander schlafen wollen, müssen wir eh nackt sein.“, bemerkte sie. „Nicht unbedingt. Wenn du einen Rock anhast...“ Weiter kam ich nicht. Sie schlang ihre Arme um mich und küsste mich. Ich nahm meine Hände von meiner Erektion und legte sie um ihren Körper. Mädchenhaut. So weich. Glatt. Zart. Minutenlang küssten wir uns. Es war unglaublich. Susanna hatte sinnliche Lippen. Weich und voll. Traumhaft. Beim Küssen war es geblieben. Aber es war schön gewesen. Der Abschied fiel uns beiden verdammt schwer. Aber ihre

Eltern hatten nur die eine Nacht erlaubt. Die war ja vorbei. Leider. Auch wenn nicht das geschehen war, was passieren sollte, war es schön gewesen. Auf dem Rückweg, von Susanna nach Hause, saß ich neben Mom im Auto. Sie lächelte zufrieden. „Seid ihr eigentlich nun ein Paar?“, fragte sie mich. „Ich weiß es nicht genau. Heute Morgen hatte ich sie danach gefragt. Direkt. Zuerst redete sie drumherum. Meinte, das sie sich eingestehen musste, das ich mehr für sie bin, als nur ein Kumpel. Dann küsste sie mich.“ „Ich glaube, ihr seid ein Paar. Freust du

dich?“ Und ob ich mich freute. Susanna war nicht nur atemberaubend schön, sondern auch ehrlich, intelligent und total lieb. Ich wollte keine andere haben.

Kapitel 16

Offiziell machten wir es erst reichlich spät. Wir wussten nicht, wie wir es ihren Eltern beichten sollten. Wie würden sie reagieren, wenn sie wüssten, das ihre Tochter einen festen Freund hat? Sie waren schon nicht begeistert gewesen, als sie erfuhren, das Mom mit Susanna beim Frauenarzt war. Mom hatte ihre Mühe, Susannas Eltern wieder zu beruhigen. Ihnen war irgendwie nicht klar, das ihre Tochter langsam eine Frau wurde. Das sie nicht mehr das kleine Mädchen war. Mom hätte sie am liebsten zu einem Therapeuten geschleppt. Konnte ich gut

verstehen. Irgendwann konnten wir es nicht mehr für uns behalten. Die ganze Schule wusste schon Bescheid. Und wir wollten nicht, das sie von Dritten erfuhren, das Susanna und ich ein Liebespaar waren. Mom war wieder diejenige gewesen, die das in die Hand nahm. Sie lud Susannas Eltern zum Abendessen ein. Arrangierte einen perfekten Abend. Fluchte, als Susannas Eltern wieder gegangen waren. Denn sie waren nicht erfreut gewesen, als sie von Mom erfuhren, das ich mit Susanna zusammen war. Ihrer Meinung nach, war ihre Tochter noch zu jung gewesen, um mit einem Jungen zu gehen. Anscheinend wussten sie nichts

von dem anderen, den sie vor mir hatte. Mom redete sich ihren Mund fusselig. Sie hatte sichtlich Mühe, die Ruhe zu bewahren. Trank ein Glas Wein nach dem anderen. War froh, als sie endlich wieder weg waren. Natürlich mit Susanna. Denn mir vertrauten sie nicht mehr. Obwohl wir es bis dato immer noch nicht geschafft hatten miteinander zu schlafen. Wenigstens hatten wir es geschafft, das wir uns voreinander nicht mehr schämten. Wobei sie absolut gar keinen Grund dazu hatte. Denn ihr Körper war makellos. In den folgenden Wochen sahen wir uns nur in der Schule. Sie durfte nicht mehr zu mir und ich nicht zu ihr. Es war

grauenhaft. Ich vermisste sie. Selbst unsere Familienabende machte ohne sie keinen Spaß. Eines Tages stand sie unerwartet vor meiner Tür. Sie war völlig fertig. Ihr Gesicht verweint. Mir war schon länger aufgefallen, das sie immer dünner wurde. Als sie vor mir stand und in meinen Armen lag, spürte ich, wie extrem sie abgenommen hatte. Wir gingen in die Küche. Moms erschrockenes Gesicht bestätigte, was ich dachte. Susanna hatte zu viel abgenommen. Sie musste seit Tagen nichts gegessen haben. Mom stellte schnell eine Kleinigkeit zusammen und stellte es vor Susanna hin, die es kaum

anrührte. „Du hattest Streit mit deinen Eltern und bist abgehauen. Das ist keine Lösung. Aber ich kann dich gut verstehen. Ich habe deine Eltern kennengelernt. Sie sind nicht einfach.“, fing Mom das Gespräch an. „Woher weißt du das alles?“ „Ich sehe es dir an. Natürlich darfst du hier bleiben. Und wenn ich dich so betrachte, wäre es sogar besser. Aber ich muss deine Eltern anrufen und ihnen Bescheid geben, wo du bist. Es muss sein. Ich habe keine Lust, das die Polizei vor meiner Tür steht.“ „Bitte lass nicht zu, das sie herkommen. Ich brauche Abstand. Sie wollen einfach

nicht verstehen, das ich kein kleines Kind mehr bin.“ „Das habe ich gemerkt. Iss erst mal was. In der Zwischenzeit lasse ich euch zwei ein Bad ein.“ Susanna zögerte, als wir im Bad waren. Sie wollte sich nicht vor mir ausziehen. Der Grund lag auf der Hand. Ich nahm sie in meine Arme und drückte sie sanft an mich. „Du schämst dich, weil du abgemagert bist. Aber das brauchst du nicht. - Ich liebe dich, Susanna.“ Leise Tränen. Susanna vergrub ihr Gesicht in meine Schulter. Ich hielt sie schweigend fest. Nach einiger Zeit fing ich an sie auszuziehen. Sie ließ es

geschehen. Der Anblick, der mir dann geboten wurde, war gruslig. Aber ich ließ es mir nicht ansehen, wie erschrocken ich darüber war. Ich machte mir Gedanken um ihre Gesundheit. Susanna entspannte sich. Ich sah es ihr im Gesicht an. Und nach einer Weile bekam sie sogar Hunger. „Mom? Susanna hat Hunger. Würdest du ihr was bringen?“, rief ich. Wenige Sekunden später klopfte sie an der Tür und Mom kam mit einem großen und gut gefülltem Teller herein. Überreichte ihn uns wortlos und ging wieder. Sauber und gesättigt saßen wir im Wohnzimmer und spielten. Mom war

nicht ganz bei der Sache. Als ich mit Susanna in der Wanne lag, hatte sie mit ihren Eltern telefoniert. Dies lag ihr immer noch schwer im Magen. Sie machte auch beizeiten Schluss. So früh lagen wir noch nie im Bett, wenn Spieleabend war. Susanna lag in meinen Armen. Ich hielt sie fest. Drückte sie sanft an mich. Wenige Minuten später war sie eingeschlafen. Und ich lag noch lange Zeit wach. Dachte über unsere gemeinsame Zukunft nach.

Kapitel 17

Eine Zeitlang lebte Susanna bei uns. Es war eine schöne Zeit. Ich genoss es neben ihr einzuschlafen, zu schlafen und wieder aufzuwachen. Auch wenn wir nie dazu kamen, miteinander zu schlafen. Entweder waren wir zu müde oder irgendwas anderes. Ich dachte schon nicht mehr daran, mit ihr mein erstes Mal zu erleben. Es kam auch nie dazu. Denn eines Tages hatten wir ein Gespräch mit der ganzen Familie. Ihre Eltern waren bei uns zu Gast und wir sprachen über das Erwachsenwerden. Die erste Liebe. Den ersten Sex. Ihre Eltern kamen damit nicht klar. Wollten

davon nichts wissen. Meine Mom gab sich sichtlich Mühe. Unterstützt wurde sie von meinem Vater. Aber es war alles sinnlos. Sie standen irgendwann auf und nahmen Susanna, gegen ihren Willen, mit zu sich nach Hause. Es war das letzte mal, das ich Susanna sehen durfte. Bis auf das eine mal... Es ging mir alles sehr Nahe. Nun fing ich an, nichts mehr zu essen. Ich hatte eine schwere Depression. Daher schickten mich meine Eltern in Behandlung. Aber das brachte nicht viel. Deswegen kam ich dann für mehrere Wochen in eine Klinik. Anfangs wurde ich noch verschlossener, als ich es eh schon war. Aber dann lernte ich Jennifer

kennen. Durch ihre Hilfe gelang es mir, aus der schweren Depression ins normale Leben zurück zu kehren. Wie sie es geschafft hatte, ist und bleibt mir ein Rätsel, denn sie war selbst depressiv und suizidgefährdet. Mehrere Versuche, sich selbst umzubringen, hatte sie hinter sich gehabt. Durch mich hatte sie damit aufgehört. Anscheinend taten wir uns gegenseitig gut. Zumindest hatte mir Jenny helfen können, was ich von den Ärzten nicht behaupten konnte. Vielleicht war es auch deren Absicht gewesen. Selbsthilfegruppe. Nach dem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt, ging es mir wieder gut. Bis ich erfuhr, das Susanna

sich erfolgreich das Leben genommen hatte. Meine erste große Liebe. Wieso hatte es nie geklappt, das wir miteinander schliefen? Oft genug hatte sie in meinem Bett geschlafen. Wieder verfiel ich in eine Depression. In eine Leichte. Jenny und meine Eltern gaben mir Halt. Halfen mir, das durchzustehen. Bei der Beerdigung durfte ich nicht dabei sein, weil Susannas Eltern es nicht wollten. Ihrer Meinung nach war ich der Grund für ihren Selbstmord. Ich versuchte erst gar nicht sie darüber aufzuklären, das es in Wirklichkeit den ihre Schuld war, weil sie Susanna daran hindern wollte, erwachsen zu

werden. Tage später ging ich allein an ihr Grab. Es fiel mir sehr schwer. Aber ich musste es tun. Sie war schließlich meine allerbeste Freundin gewesen. Und meine erste große Liebe. Meine Tränen fielen auf ihr Grab. Plötzlich sah ich sie vor mir. Möglich, das es nur Einbildung war. Aber in dem Moment war es für mich sehr realistisch. Susanna schwebte auf ihrem Grab und gab mir einen letzten Kuss.

Part 2

Part 2

Kapitel 1

Regelmäßig besuche ich Susannas Grab. Tief in meinem Herzen lebt sie weiter. Sie war nicht nur meiner allerbeste Freundin, sondern auch meine erste große Liebe. Noch heute frage ich mich, wie es wohl gekommen wäre, wenn ihre Eltern unsere Beziehung erlaubt hätte. Susanna war ein wunderschönes Mädchen gewesen. Selbst als sie ziemlich abgemagert war, fand ich sie noch schön. Und ich war nicht der einzigste gewesen, der sie attraktiv fand. Viele Jungs wollten mit ihr gehen. Aber sie hatte kein Interesse daran gehabt. Dafür verbrachte sie zu viel Zeit

mit mir. Ich bedaure immer noch, das sie so früh von uns ging. Aber ich kann sie verstehen. Ihre Eltern kamen nicht damit klar, das sie erwachsen wurde. Behandelten sie wie ein Kleinkind. Aber warum ging sie nicht in Behandlung, oder zeigte ihre Eltern beim Jugendamt an? Wieso musste sie sich umbringen und mir so sehr wehtun? Das ihre Eltern mir die schuld für ihren Tod geben, interessiert mich nicht. Ist mir vollkommen egal. Ich kenne die Wahrheit. Meine Eltern kennen die Wahrheit. Damals, als ich das erste mal ihr Grab besuchte, sah ich sie das letzte mal. Und

ich bin mir sicher, das es nicht nur Einbildung war. Ich spürte ihren Kuss ganz deutlich. Er war kalt gewesen und doch...Susanna.

Kapitel 2

Susannas Dahinscheiden traf mich hart. Sehr hart. Schleichend und knallhart. Anfangs wollte ich es nicht glauben. Doch mit der Zeit konnte ich es nicht weiter verdrängen. Die Gänge zum Friedhof machten es mir deutlich. Ich war schwerst deprimiert. In der Schule kam ich nicht mehr mit. Meine Gedanken waren nur bei Susanna. Sie fehlte mir zu sehr. Und mit ihrem Tod kam ich nicht klar. Also blieb mir nur eines. Professionelle Hilfe suchen. Meine Eltern halfen mir dabei. Kurze Zeit später war ich in der Klinik. Eine interessante Zeit für mich.

Weil... Die ersten Tage waren schlimm. Ich war verschlossen. In mich gekehrt. Wollte für mich allein sein und nichts mit den anderen zu tun haben. Keine Gruppentherapie, Gespräche und keine Annäherungen von anderen. Bis... Ich glaube zwei Wochen waren vergangen, als sie auf mich zukam. Weswegen sie mich angesprochen hatte, weiß ich nicht mehr. Aber sie war diejenige gewesen, die das Eis brach. Die mich dazu brachte, das ich mich einbrachte, in die Gruppe. Das ich aus mir herauskam. Über mich erzählte. Anschluss an die Gruppe fand. Jenny war mein Anlaufpunkt. Wenn sie nicht

gewesen wäre, hätte der ganze Klinikaufenthalt einen ganz anderen Verlauf genommen. Im Grunde war sie ein hübsches Mädchen. Leider hatte sie die Angewohnheit, sich aufzuschlitzen. Ihre ganzen Arme waren voller Narben und Wunden. Für immer würden sie zu sehen bleiben. Aber ihr Gesicht war wunderschön. Ihr langes, blondes Haar glänzte golden in der Sonne. Strahlend blaue Augen, die traurig schauten. Das war Jenny. Wenn ich der Psychologin, mit der ich am ersten Tag ein Gespräch hatte, nicht gesagt hätte, das ich mir wünschte tot zu sein, wäre ich nicht bei den Suiziden gelandet und hätte nie

Jenny kennengelernt. Es war mir damals einfach so rausgerutscht. Vielleicht hatte ich es zu dem Zeitpunkt auch wirklich so gemeint. Ich weiß es nicht. Oft hatte ich mir gewünscht, bei Susanna sein zu dürfen. Sie wieder zu spüren. In die Arme nehmen zu können. Susanna fehlte mir eben. Und meine Mutter. Auch wenn sie in den letzten Monaten kein wirkliches Interesse an mir gezeigt hat. Jenny stärkte mich und gab mir Halt. Sie brachte mich dazu, wieder zu lächeln. Obwohl ihr nicht dazu war. Auch wenn ich spürte, das ihr meine Anwesenheit, meine Nähe, gut taten. Ihr halfen, nicht aufzugeben, spürte ich, das etwas

tiefverwurzeltes sie daran hinderte, wieder positiv und aktiv am Leben teilzunehmen. Manchmal stand sie vor mir und ich überlegte, ob ich sie nicht einfach küssen sollte. Entweder hätte es ihr gefallen, oder sie hätte mir zwischen die Beine getreten. Ich wollte mir erst sicher sein, das sie es wollte, bevor ich es tat. Denn so ein Tritt tat nicht nur höllisch weh, es nahm auch einem die Luft. Der Schmerz breitet sich im ganzen Körper aus. Die schmerzliche Erfahrung durfte ich schon einmal erleben und ich wollte es kein zweites mal erleben. So weit ich erfahren hatte, wurde Jenny

von ihren Mitschülern gemobbt und ihren Eltern ging es am Arsch vorbei. Auch die Lehrer unterbanden es nicht. Machten teilweise mit. Es klang schon unglaublich. Aber ich sah ihr im Gesicht an, das sie die Wahrheit sagte. Sie sprach auch von Lehrern, die von ihren Schülern erpresst wurden. Genaueres erzählte sie aber nichts. Weder, mit was sie erpresst wurden, noch irgendetwas anderes darüber. Ich wollte es auch gar nicht so genau wissen. Die Tatsache, das es so etwas gibt und keiner was dagegen unternahm, machte mich fassungslos.

Kapitel 3

Jenny war manchmal geistesabwesend. Ich sprach sie an und sie reagierte nicht. Das machte mir irgendwie Angst. Ganz automatisch suchte ich ihren Körper nach neuen Verletzungen ab. Fand zum Glück keine. Meine Eltern kamen mich oft besuchen und brachten wir Hausaufgaben. Abends, vorm Schlafengehen, stürzte ich mich drauf. Ich wollte nicht den ganzen Stoff verpassen und durch das Abitur fallen. Auch wollte ich nicht ein ganzes Jahr wiederholen. Mit dem Einverständnis meiner Lehrer und Ärzte, durfte ich meine Klausuren via Internet schreiben.

Von einer Webcam beobachtet, saß ich vor dem Laptop und schrieb, als würde es um mein Leben gehen. Irgendwo tat es dies auch. Schließlich ging es um meine Zukunft. Ich wollte ein gutes Abitur und hinterher studieren. Chemie. Botanik wäre mir lieber gewesen. Aber durch meine Allergien... Dank der modernen Technik, konnte ich weiterhin meiner allgemeinen Schulpflicht nachgehen. Und dafür war ich äußerst dankbar. Sonst bin ich ja nicht wirklich dafür. Schon allein deswegen, weil ich viele sehe, die die ganze Zeit auf ihre Smartphones schauen, anstatt sich miteinander zu unterhalten. In der Schule. Auf der

Straße. Im Fernsehen... Meine Mutter erlaubte keine Mobiltelefone am Essenstisch. Auch nicht, wenn wir unseren Spieleabend haben, oder einfach nur gemütlich vor der Glotze hingen. Sie war für das gesprochene Wort von Angesicht zu Angesicht. Und ich war voll ihrer Meinung. Jenny verstand nicht, das ich mich neben den Therapiestunden intensiv um meine Schule kümmerte. Sie hatte nur einen Hauptschulabschluss. Einen ziemlich miserablen, fand ich eines Tages heraus. Schule war nicht ihr Ding. Eigentlich war gar nichts ihr Ding. Sie hatte zu gar nichts Lust. Weder auf Schule, noch arbeiten zu gehen.

Genaugenommen hatte sie keine Lust auf das Leben. Weswegen sie sich auch so oft geritzt hatte. Nachdem, was ich von ihr erfahren hatte, verstand ich sie auch. So, wie es aussah, war ich der einzigste Mensch, der sie mochte. Akzeptierte, wie sie war. Beachtete und nicht runter machte. Ihr zuhörte. Ein Freund. Mit der Zeit wurde auch mehr daraus. Ich begann, Gefühle für sie zu entwickeln. Doch getraute ich mir nicht, es ihr zu sagen. Meine zweite große Liebe. Sie war so anders, als Susanna. Und doch ihr so ähnlich. Meine Eltern hatten sie ein wenig kennengelernt. Sie fanden Jenny

merkwürdig. Redeten sie mir aber nicht aus. Rieten mir nicht, mich von ihr fernzuhalten. Eher das Gegenteil. Sie waren der Meinung, das jeder einen Freund brauchte und verdiente. Das es meine Entscheidung war, wen ich liebte. - Meinen Eltern hatte ich gestanden, das ich ich in Jenny verguckt hatte. - Ich kann mich nicht über meine Eltern beklagen. Sie waren aufgeschlossen, ehrlich und tolerant. Redeten mir nicht in mein Leben. Waren aber stets für mich da. Hatten immer ein offenes Ohr für mich. Schade, das Jennys Eltern nicht so waren.

Kapitel 4

Das Abitur hatte ich in meiner Tasche. Auch wenn ich es nur mit einem Dreierdurchschnitt absolviert hatte, waren meine Eltern stolz auf mich gewesen. Nach dem, was gewesen war, hätte keiner von uns gedacht, das ich es packe. Susanna spukte mir immer noch im Kopf rum. An Jenny dachte ich auch die ganze Zeit. Konnte ich mit einer leben, die Borderline hatte? Ich wusste es nicht. Hatte Angst, das ich mit ihr zusammenkam, was falsch machte, und sie sich deswegen ritzte. Unbemerkt. Tödlich. Schließlich hatte sie, für sich, mit dem Leben

abgeschlossen. Das Wochenende in den Bergen, welches ich als Geschenk zu meinem bestandenen Abitur geschenkt bekam, half mir auch nicht, auf andere Gedanken zu kommen. Immer wieder dachte ich an die beiden. Mit Susanna wäre ich gern wandern gegangen. Und Jenny? Die ganze Zeit über fragte ich mich, wie es ihr wohl ging. Ob sie an ich dachte. Und ganz plötzlich musste ich an meine richtige Mutter denken. Sie war ja auch psychisch krank gewesen. Trotz allem war sie meine Mom. Sie hatte mich neun Monate unter ihrem Herzen getragen. Die ersten Jahre hatte sie mir auch gezeigt, das sie mich liebte.

Ließ es mich auch spüren. Mein Vater war glücklich mit Elke. Dennoch merkte ich, das er Mom vermisste. Sie immer noch liebte. Dafür bewundere ich ihn. Obwohl sie ihn betrogen und verletzt hatte, stand er zu ihr. Liebte sie. Weil er wusste, das sie es nicht bewusst tat. Ein Stecker, in ihrem Hirn, war in die falsche Dose gesteckt worden. Er wusste es. Deshalb hatte er ihr verziehen. Jenny war im Grunde ein hübsches und liebes Mädel. Aber sie hatte Borderline. Schlimme Erfahrungen gemacht, die sie ein Leben lang begleiten werden. Würde ich damit klarkommen? Stark genug sein, um damit leben zu

können? Manchmal fragte ich mich, wie es wäre, mit Jenny eine Familie zu gründen. Wir beide waren geistig nicht hundertprozentig auf der Höhe. Ja, es klingt blöd. Aber ich wusste jetzt nicht, wie ich es ausdrücken sollte. Ich dachte damals häufig über den Tod nach. Was geschieht danach? Viele Quellen behaupten, das man wiedergeboren wird. Ich habe auch in Dokumentationen gesehen und in Büchern gelesen, das sich manche Menschen an ihr früheres Leben erinnern können. Andere ließen sich zurückführen. Es klang, für mich zu real, zu authentisch. Und ich bin sehr kritisch. Hinterfrage sehr gern und sehr

oft. Oder anders ausgedrückt: ich bin nicht leichtgläubig. Dafür wurden mir schon zu viele Bären aufgebunden. Ab und zu träumte ich von Susanna, wie wir beide im Bett Gymnastik treiben. Es war so real. Wenn ich morgens aufwachte, hatte ich das Gefühl, das es kein Traum war, sondern Realität. Umso enttäuschter war ich stets, wenn ich mich umdrehte und niemand lag neben mir. Wenn mir bewusst wurde, das Susanna nicht mehr am Leben war. Regelmäßig kamen mir dann die Tränen. Wir wollten gemeinsam das erste mal erleben. Es war ihr Wunsch gewesen. Und meiner.

Kapitel 5

Von Jenny kam nichts. Weder rief sie mich an, noch war sie auf ihrem Mobiltelefon erreichbar. War das ihre Art mit mir Schluss zu machen, noch bevor es begann? Es kam mir so vor. Ich konzentrierte mich auf die wichtigen Dinge im Leben. Versuchte, nicht mehr an Jenny denken. Dafür an mein Studium. Es war schwieriger, als ich anfangs dachte. Aber es machte Spaß. Lenkte mich ab. Morgens trug ich die Tageszeitung aus. Das frühe Aufstehen schlauchte. Ich brauchte lange, um mich daran zu gewöhnen. Aber nicht nur das frühe

Aufstehen war das Problem. Sondern auch die Arbeit zu vor. Zwei Stunden brauchte ich, um alle Tageszeitungen auszutragen. Vorausgesetzt, es war schönes Wetter. Dabei stelle ich auch jedes mal fest, das es früh um vier wärmer ist, als dann um fünf, oder um sechs. Mein Tag war gelaufen, sobald ich aus der Uni nach Hause kam. Noch eine Kleinigkeit gegessen, ein wenig in die Bücher geguckt und dann lag ich im Bett. Eigentlich war es ganz gut, das ich keine Beziehung hatte. Es hätte mich nur zu sehr abgelenkt. Wobei ich schon zugeben muss, das ich oft an Jenny

dachte und nachts von Susanna träumte. Wenn ich dann morgens aufwachte, brauchte ich dann eine Weile, um mir ins Gedächtnis zu rufen, das Susanna nicht mehr am Leben war. Denn kurz nach dem Aufwachen hing ihr Duft im Raum, der sich schnell verflüchtigte. Vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen. Jedenfalls sorgte es dafür, das meine Augen feucht und mein Herz schwer wurde.

Kapitel 6

Ein ganzes Jahr verging. Mittlerweile hatte ich mich an das frühe Aufstehen gewöhnt. Brauchte keinen Wecker mehr. Der morgendliche Spaziergang, an frischer Luft, stärkte meine Abwehrkräfte. Eines abends, als ich mich gerade ins Bett gelegt hatte, klingelte es an unserer Tür. Jenny. Sie sah gar nicht gut aus. Abgemagert. Frische Wunden. Dunkle Augenringe. Einstiche? Lange stand ich sprachlos an der Tür. Erschrocken über ihr Aussehen. „Lässt du mich rein?“, fragte sie dann. „Natürlich.“, antwortet ich

geistesabwesend. Wir gingen in mein Zimmer. Jenny legte sich sofort in mein Bett und wartete darauf, das ich mich zu ihr legte. Unentschlossen stand ich da und sah sie einfach nur an. Konnte nicht fassen, wie sie aussah. Das sie da war. In meinem Bett lag. Ob ich mich über ihr erscheinen freute? Teils, teils. „Warum legst du dich nicht zu mir? Ich brauch dich jetzt.“ Wortlos legte ich mich zu ihr. Sie drehte sich zu mir und schmiegte sich an mich. Ihr Geruch war beißend. Bereitete mir Übelkeit. Das sagte ich ihr auch. Nahm sie bei der Hand und ging mit ihr ins Badezimmer. Sie wehrte sich nicht, als

ich sie langsam auszog und in die Wanne half. Wie es aussah, war sie geistig ganz woanders. Mich ließ das Gefühl nicht los, das sie unter Drogen stand. Ich wusch sie mehrfach. Lange und ausgiebig. Berührte zärtlich jede Stelle ihres Körpers. Sie ließ es geschehen. Blickte dabei ins Leere. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Sie so zu sehen, stimmte mich traurig. Mom war so lieb und gab Jenny ein paar Sachen von sich. Die waren zwar ein wenig zu groß, aber wenigstens rochen sie angenehm und waren sauber. Ob Jennys Sachen wieder sauber werden würden, war ungewiss. Als ich sie gewaschen, abgetrocknet und

wieder angezogen hatte, gingen wir in mein Zimmer zurück und legten uns gleich ins Bett. Jenny kuschelte sich an mich. Nun konnte ich es ein wenig genießen. Denn der beißende Geruch war weg. Es dauerte nicht lange und sie schlief tief und fest. Ihr Atem war ruhig. Gleichmäßig. Ich hatte meine Arme um sie geschlungen und konnte nicht einschlafen. Hellwach lag ich auf dem Rücken und machte mir Gedanken um Jenny. Irgendwann musste ich dann doch eingeschlafen sein. Denn als ich meine Augen öffnete, war es nach neun Uhr. Ich schreckte hoch. Verschlafen. Die

Zeitungen kamen zu spät. Das würde Ärger geben. Hoffentlich verlor ich nicht meinen Job, dachte ich. Vorsichtig stand ich auf, um Jenny nicht zu wecken, zog mich schnell an und stürmte aus meinem Zimmer. In der Küche saß mein Vater. „Aufgewacht? - Elke und ich, haben für dich, die Zeitung ausgetragen. Ich habe heute früh das Klappern und Klirren von Geschirr vermisst.“ „Wieso hast du mich nicht geweckt?“ „Weil ich es für wichtig finde, das du bei Jenny bleibst. Ihr zustand ist miserabel. Sie braucht dich mehr denn je. Bleib heute zu Hause und kümmere dich um

sie.“ „Was kann ich schon für sie tun?“, fragte ich hilflos. „Einfach für sie da sein. Ihr zeigen, das du ihr Freund bist. Als ihr in der Klinik wart, hattest du ihr auch besser helfen können, als die Ärzte.“ „Erst Susanna und jetzt Jenny. Wer kommt als nächstes?“ Ich goss mir Kaffee ein. Starr blickte ich aus dem Fenster und kam mir hilflos vor. Was konnte ich schon für Jenny tun, um ihr zu helfen. So weit ich erfahren hatte, war Borderline nicht wirklich heilbar. Und wenn sie jetzt auch noch Drogen nahm... Mein Vater hatte recht, was das zu Hause

bleiben betraf. Ich hatte kein Nerv für die Uni. Konnte mich darauf nicht konzentrieren. Als Jenny wenigen Minuten später aufstand, sah sie ein bisschen besser aus, als am Abend zuvor. Aber nicht viel. Mein Vater ließ mich mit ihr allein. Stumm saßen wir da. Hörten unserem Atem. Keiner wagte es ein Wort zu sagen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, fing sie an zu reden. „Bitte schick mich nicht weg. Ich brauche dich.“, flehte sie. „Ich schick dich nicht fort. Versprochen...Warum hast du dich plötzlich nicht mehr gemeldet? Wieso

bist du nicht an dein Telefon gegangen, wenn ich dich anrief? - Ich hatte geglaubt, das du mit mir Schluss gemacht hast und du zu feige warst, es mir zu sagen.“ „Tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun. Zuerst hatte ich versucht, mich mit meinen Eltern auszusprechen. Ich hatte gehofft, das wir die Vergangenheit begraben und endlich eine richtige Familie sein könnten. So, wie ihr es seid. Aber das ging voll daneben. Da habe ich wieder angefangen mich zu ritzen. Ich wollte nicht, das du es siehst und mich wieder in die Klinik bringst. Ich hatte gedacht, das ich es unter Kontrolle hätte. Ein paar Tage wollte ich

auf der Straße leben, bis die frischen Wunden geheilt waren. Dann wollte ich mich wieder bei dir melden. Aber ich konnte nicht damit aufhören. Jeden Tag ritzte ich mich mindestens einmal. Eines Tages stieß ich auf diese Typen. Ich dachte, sie wären nett. Sie boten wir ein Dach über den Kopf. Gaben mir Essen. Gerade als ich dachte, das ich endlich einmal Glück habe, spürte ich einen Stich. Danach...“ Sie bekam einen Weinkrampf. Ich nahm sie behutsam in meine Arme und versuchte sie zu trösten. Es dauerte lange, ehe sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte und mir den grausamen Rest erzählen

konnte. „Sie haben mir mehrmals täglich eine Spritze gegeben. Jedes mal, wenn die Wirkung anfing nachzulassen. Ich war ihnen hilflos ausgeliefert. Bekam nur am Rande mit, das sie mich missbrauchten. Sie und ihre Freunde. Vor ein paar Tagen hatten sie vergessen mir eine Spritze zu geben. Ich war auf Turkey. Zitterte am ganzen Körper. Zuerst wollte ich schreien. Doch schnell besann ich mich. Mir war klar, das dies meine Chance war zu fliehen. Die Wohnung befand sich im zweiten Stock. Ich nahm all meinen Mut zusammen und hangelte mich am Fallrohr runter. Schnitt mich dabei. Aber

das war mir egal. Als ich unten ankam, rannte ich, so schnell ich konnte. Was nicht besonders schnell war. Immer wieder stolperte ich und fiel hin. Noch mehr Verletzungen. Ich versteckte mich im Gebüsch von einem nahegelegenen Park. Aß Abfall. Befand mich meistens im Dämmerzustand. Hatte Schmerzen. Wusste nicht wohin. Auf einmal sah ich dein Bild vor mir. Ich wusste nicht, ob du noch mit mir reden würdest. Aber ich habe sonst niemanden.“ „Ich mache uns Frühstück. Danach gehen wir zum Arzt. Ich finde, das es für dich das beste wäre, wenn du dich richtig untersuchen lässt. Reg dich bitte

nicht auf. Sieh dich lieber im Spiegel an, wie du aussiehst. Du bedeutest mir eine Menge. Deswegen möchte ich, das du dich untersuchen lässt. Ich werde auch die ganze Zeit bei dir bleiben. Versprochen.“ Jenny widersprach nicht. Zum Arzt zu gehen, war das Letzte, was sie wollte. Aber sie sah, wie wichtig es mir war.

Kapitel 7

Es ging nicht anders. Jenny musste in ein Krankenhaus. Als sie das hörte, wollte sie schon streiken. Keine weiteren Untersuchen zulassen. Aber als sie erfuhr, das wir uns ein Zimmer teilen durften, willigte sie ein, ins Krankenhaus zu gehen. Billig war das Zimmer nicht gewesen. Aber für Jenny nahm ich es auf mich. Meine Eltern unterstützten mich, in dem sie für mich die Zeitungen austrugen und mir nebenbei noch was zusteckten. Zu meinem bedauern, litt mein Studium drunter. Die ganze Zeit über dachte ich an Jenny. Konnte mich kaum auf die

Vorlesungen konzentrieren. Dachte schon daran, das ganze Studium hinzuschmeißen und mich nur noch um Jenny zu kümmern. Zwei Wochen später wurde sie aus der Klinik entlassen. Als nächstes musste sie zur Suchtberatung. Natürlich begleitete ich sie dahin. Ich war bei allen ihren Terminen anwesend. Stand ihr bei. Wie ich es ihr versprochen hatte. Mit Erlaubnis meiner Eltern, wohnte Jenny offiziell bei uns. Jenny zeigte ihre Dankbarkeit, indem sie tatkräftig im Haushalt half. Langsam nahm sie auch wieder zu. Wir sahen ihr an, das sie sich bei uns wohlfühlte. Sie lächelte oft und hatte nicht den Zwang

sich zu ritzen. Jenny ging es gut. Und damit auch mir. Das zeigte sich in der Uni. Es fiel mir wieder leicht, mich zu konzentrieren. Ich legte mich ins Zeug und versuchte schnell aufzuholen, was ich vernachlässigt hatte. In der Zwischenzeit hatte Jenny meine Zeitung übernommen, damit ich mich voll auf mein Studium konzentrieren konnte. Die ersten Tage war ich mitgelaufen. Zeigte ihr, wo sie austragen musste. Dann machte sie es allein und freute sich riesig auf ihr erstes Gehalt. Zum ersten mal hatte sie eigenes Geld verdient. Jenny war mächtig stolz auf sich. Weihnachten zeigte sie mir dann, wie

sehr sie mich liebte. Ganz spontan. Die ganze Zeit hatten wir nur nebeneinander in meinem Bett geschlafen. Gekuschelt. Geknutscht. Nichts mehr. Vielleicht ein bisschen Petting. Aber das war es auch schon wieder. Hinterher war ich glücklich und froh darüber, das wir es nicht geplant hatten, wie damals mit Susanna. Ich sah sie wieder vor mir. Wie oft hatten wir Anstalten gemacht uns gegenseitig zu entjungfern. Nie hatte es geklappt. Wie waren wohl nicht dafür bestimmt gewesen. Das Leben ist schon seltsam. Wenn man glaubt... „Es war dein erstes mal.“, holte mich Jenny in die Realität

zurück. „War das so deutlich?“ „Irgendwie schon. - Ich habe es dir noch nie gesagt. Aber ich liebe dich.“ Sie sagte es nicht nur. Ihre Augen verrieten mir, das sie es fühlte. „Und ich liebe dich.“, hauchte ich. „Zweiter Versuch?“ Ich war dabei. Es war großartig gewesen. Wir ließen uns nicht, vom Klopfen an der Tür, stören. Auch nicht davon, als die Tür einen Spalt aufging und kurz darauf wieder leise zugezogen wurde. Wir liebten uns und waren glücklich. Am folgenden Morgen stand ich mit einem Lächeln auf. Mein Vater kurz nach

mir. Wir trafen uns in der Küche und er lächelte mich an. „Ich habe gehört, du warst gestern Abend zu beschäftigt, um deiner Mutter gute Nacht zu sagen.“, feixte er. „Sie war das also.“ „Wie war es?“, fragte er neugierig. „Spontan. Ehe ich es mich versah, schliefen wir zusammen. - Genauso hätten wir es damals machen sollen. Susanna und ich. Nicht planen, sondern einfach machen. Jenny hat mitbekommen, das ich keine Erfahrung habe. Hat aber nichts weiter dazu gesagt. Nur gefragt, ob wir einen zweiten Versuch wagen sollten.“ „Wenn du sagst spontan, dann habt ihr

sicherlich vergessen...“ Mein Gott, er hatte recht. Daran hatte ich wirklich nicht gedacht. Kondome. Ich wusste nicht mehr, auf was alles Jenny untersucht wurde. Vielleicht hatte sie sich was eingefangen und nun hatte ich es auch. Was wäre, wenn sie schwanger war? „Du kannst nicht sagen, das wir dich nicht aufgeklärt haben. - Wollen wir mal hoffen, das ihr Spaß ohne Folgen hattet. Ich mache Frühstück.“ Wollen wir wirklich mal hoffen, das ich die Nacht nicht bereuen brauch.

Kapitel 8

Ich arbeitete in der Forschung. Es war mein Traumberuf. Jenny machte eine Umschulung, nachdem sie ihren Schulabschluss nachgeholt hatte. Es konnte nicht besser laufen. Wir wohnten immer noch bei meinen Eltern. Zahlten aber Miete für das Zimmer. Nicht viel. Es war eher symbolisch. Dann kam jener schicksalhafte Tag. Mein Vater war bei einer Routineuntersuchung gewesen. Dort stellten sie fest, das er Krebs im Endstadium hatte. Wir konnten es nicht fassen. Ausgerechnet er. In den letzten

Jahren hatte er sehr auf seine Gesundheit geachtet. Achtete auch ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung. Alkohol trank er nur selten und in Maßen. Rauchen tat er gar nicht. Dafür seine Kollegen. Dies war wahrscheinlich auch der Grund, weswegen er Krebs hatte. Tagtäglich wurde er zugequalmt. Von allen Seiten. Geraucht werden, durfte überall. Es sollte noch schlimmer kommen. Wenn ich daran denke, laufen mir gleich wieder die Tränen. Ich hätte es ihm zu gern gegönnt, da ich sein einziges Kind war. Aber das Schicksal wollte es anders. Wir versuchten, nicht an seinen Krebs und sein baldiges ableben zu denken.

Stattdessen machten wir vieles, was uns davon ablenkte. Was es uns leichter machte, ihn gehen zu lassen. Kurz vor seinem Ableben erfuhren wir, das Jenny ein Kind erwartete. Mein Vater freute sich sehr über diese Nachricht und kämpfte. Denn er wollte sein Enkel sehen. Aber er schaffte es nicht. Nur wenige Tage später verstarb er. Ohne ein Blick auf sein Enkel werfen zu können. Dies war der Augenblick, wo ich mich von Gott abwendete. Er hatte mir erst Susanna genommen, dann meine Mutter und nun meinen Vater. Wen würde er mir als nächstes nehmen? Ich irrte durch die Straßen. Zum zweiten mal, in meinem Leben, trank ich

Alkohol. Und das nicht zu knapp. Ich schüttete es in mich rein. Gesellte mich zu ein paar Obdachlosen, die auch Bier tranken. Wir stießen an. Tranken Brüderschaft. Bis ich ins Koma fiel. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, das ich in einem Krankenhaus aufwachte. Mit mörderischen Kopfschmerzen. Sechsunddreißig Stunden hatte ich durchgeschlafen. Wie viel hatte ich getrunken? Laut den Ärzten hatte nicht mehr viel gefehlt und ich wäre hops gegangen. Als erstes sah ich meine Mom. Sie hatte riesige Augenrinnen. War sie die ganze Zeit über an meinem Bett gewesen? Jenny durfte nicht zu mir. Konnte nicht

zu mir. Denn während ich im Saufkoma lag, hatte Jenny Wehen bekommen. Fehlgeburt. Wir hatten uns so sehr darauf gefreut. Am liebsten hätte ich ich gleich wieder ins Koma gesoffen. Aber das konnte ich Jenny nicht antun. Das Leben ist hart, aber ungerecht. Kaum glaubt man, das es gut läuft, kommt es anders, als man denkt. Ich erzählte niemanden von Susanna. Sie war mir im Koma erschienen. Mir war es vorgekommen, als wäre sie real. Noch am Leben. Wir lagen uns in den Armen. Scherten uns um nichts. Es gab nur uns zwei. Ich liebte Jenny. Dennoch sehnte ich mich nach Susanna. Sie war meine erste

Liebe gewesen. Die Frau, mit der ich meinen ersten Beischlaf haben wollte. Die ich heiraten wollte. Sie sollte die Mutter meiner Kinder sein. So sehr ich mich auch bemühte. Susanna blieb tief in meinem Herzen. Sie hatte sich für immer dort eingenistet.

kapitel 9

Schon ein Jahr später war Jenny wieder schwanger. Die Freude hielt sich in Grenzen, weil wir befürchteten, das es wieder eine Fehlgeburt werden würde. Doch es verlief alles gut. Wir bekamen ein gesundes Kind. Ein Mädchen. Zuerst dachten wir daran, es nach meiner Mutter zu benennen. Dann entschied ich mich für Susanna. Sie fehlte mir immer noch. Und unser Baby ähnelte ihr sehr. Die Haare. Das Gesicht. Als wäre sie Wiedergeboren worden. Mir standen Tränen in den Augen, als ich sie das erste mal sah. Wie sehr wünschte ich mir, das mein Vater noch am Leben

gewesen wäre. Ich weiß, er wäre stolz auf seine Enkelin. Jenny wusste, wer Susanna war und was sie mir bedeutet hatte. Das ich mindestens einmal im Jahr ihr Grab besuchte. Sie hatte nichts dagegen, das wir unser Kind nach ihr benannten. Elke hatte sich verändert. Sie wollte wieder gut machen, was sie ihrem Kind damals angetan hatte. Mir war nicht wohl dabei, wenn ich ihr mein Kind überließ. Weil ich eben wusste, was sie damals getan hatte. Aber ich brauchte keine Angst zu haben. Elke war einfach wunderbar. Sie ging sehr liebevoll mit Susanna um. Ich glaube fast, das sie auch erkannt hatte, das meine Tochter

wie Susanna aussah. Mein Leben hatte eine Wendung genommen. Das Glück stand zu mir. Jenny war glücklich und ritzte sich nicht mehr. Susanna bekam alles, was es sich wünschte. Elke fand einen neuen Mann. Alles schien perfekt zu laufen, bis ich eines morgens neben Jennys leblosen Körper aufwachte. Unbemerkt hatte sie sich selbst die Luft abgedrückt. Während ich schlief. Dabei dachte ich, das wir zusammen glücklich waren. Sie ihr Borderline unter Kontrolle hatte.

Kapitel 10

Elke und ich zogen in eine neue Wohnung. Weit weg von unserer alten. Wir wollten vor den Erinnerungen fliehen. Vor Susanna, Jenny, meinen Vater und ihrem letzten Partner, der sie eiskalt verließ, nachdem er mit ihr geschlafen hatte. Wir wollten beide keine neuen Partner. Nachdem erst Susanna und dann Jenny gestorben waren, wollte ich keine Neue kennenlernen. Nicht noch einmal den Schmerz spüren. Und Elke wollte nicht wieder ausgenutzt werden. Einmal Beine breit machen und dann verlassen werden. Lieber alleine

sein. Wir gaben Susanna alles, was sie wollte. Verwöhnten sie. Zu sehr. Das war uns bewusst. Aber sie war alles, was uns geblieben war. Wir wollten dafür sorgen, das es ihr gut ging und es ihr an nichts fehlte. Ende

Part 3

Part 3

Kapitel 1

Sag niemals nie. Ich hatte gesagt, das ich keine Neue haben will und fand dann doch Eine. Das heißt, sie fand mich. Sprach mich an, während ich mit Susanna in einer Eisdiele saß. Mom war zu Hause gewesen und kurierte ihre Erkältung aus. Susanna traf nur selten ihren Mund. Dementsprechend sah sie auch aus. Und in jenem Moment, als ich ihr den Mund abwischte, kam eben erwähnte Dame und sprach mich an. Ignorieren konnte ich sie nicht, da sie mir einen Blick zu warf, der... Ihr Name war Kimberly. Was für eine

atemberaubende Frau. Wer war Susanna? Und wer, zum Teufel, war Jenny? Kannte ich beide nicht. Kimberly war einfach heiß. Das sie auf mich stand, war mir ein Rätsel. Ich sah nicht besonders aus. Hatte nichts an mir, worauf Frauen flogen. Vielleicht lag es ja an meiner Tochter Susanna. Sie war ein süßes Kind. Niedlich. Zum Anbeißen. Mein größter Schatz. Nach einem kargen Wortwechsel, steckte Kimberly mir ihre Nummer zu. Zwinkerte lächelnd und war weg. Wie hatte ich das zu verstehen? Susanna weckte mich aus meinen Gedanken. Ein strenger Geruch stieg mir in die Nase. Leider hatte ich keine

Windeln dabei. Denn ich hatte nicht vorgehabt, so lange draußen zu sein. Eigentlich wollte ich nur kurz was einkaufen und wieder zurück. Aber das Wetter war zu schön gewesen. Deswegen fuhr ich mit Susanna in die Innenstadt. Wenigstens war gleich eine Drogerie in der Nähe. Dort kaufte ich Windeln und Feuchttücher. Die standen ja auf meinem Einkaufszettel. Wickeln tat ich Susanna in der Drogerie. Dort stand ein Wickeltisch. Darunter lagen Feuchttücher und Windeln. Darum ging ich gern in diese Drogerie. Sie war kinderfreundlich. Sogar eine Spielecke hatten sie. Danach ging es noch schnell in den

Supermarkt. Zu meinem Glück war nur eine Kasse besetzt. Die Schlange zog sich ins Endlose. Die Kassiererin war völlig überfordert. Tat ihr bestes, um alle Kunden schnell bedienen zu können. Musste sich nebenbei noch Beleidigungen gefallen lassen. Dabei konnte sie nichts dafür, das sie ganz alleine da war. Sie hatte ja die Einteilung nicht gemacht. Susanna bekam von all dem nichts mit. Sie war eingeschlafen. Und das kurz vorm heimkommen. Also war das Thema Mittagsschlaf abgehakt. Das bedeutete für mich, das ich nicht sofort nach Hause ging, sondern noch einen Spaziergang machen würde. Einen ganz

langen. So lang, bis sie von selbst aufwachte.

Kapitel 2

Ich hatte Kim angerufen. Mom hatte mich dazu überredet. Sie meinte, das es mir gut täte, mit einer Frau auszugehen. Recht hatte sie ja. Auch wenn wir zu dritt ganz glücklich waren, fehlte mir etwas. Natürlich hatte ich Susanna und Jenny nicht vergessen. Regelmäßig ging ich sie besuchen. Allein. Keiner sollte meine Tränen sehen. Die Beiden waren es auch, die mich daran hinderten, eine neue Frau zu suchen. Ich wollte nicht noch eine zu Grabe tragen. Zwei waren mehr als genug. Aber ich wollte auch nicht mehr allein in meinem Bett liegen. Fast jede

Nacht träumte ich von einer Frau, die neben mir liegt. Wenn ich dann aufwachte und feststellte, das es nur ein Traum war, wurde ich traurig. Mom war nicht auf dem Kopf gefallen. Sie hatte schon längst bemerkt, das ich wieder eine Freundin wollte. Deshalb hatte sie mich auch dazu überredet Kim anzurufen. Sie hielt das Gespräch kurz. Wollte sich lieber mit mir treffen. Mir war es sehr recht. Ich zog das persönliche Gespräch auch vor. Aber geredet hatten wir nicht viel. Als sie bei mir ankam, stellte ich ihr meine Mom vor und Susanna. Kurz darauf wollte sie mit mir in mein Zimmer gehen. Warum durfte meine

Tochter nicht mit dabei sein, wenn wir uns unterhielten? Das fragte ich mich, als wir in mein Zimmer gingen. Doch als sie die Tür hinter uns zumachte, sollte ich erfahren, was sie wirklich wollte. Ich weiß nicht, warum ich es zuließ. Auch wenn es mir gefallen hatte, wie und was sie mit mir tat, war es eigentlich nicht das, was ich wollte. Es war eine Erfahrung wert. Aber nicht das, was ich wirklich gewollt hatte. Mit ihr reden. Sie kennenlernen. Herausfinden, ob wir zusammen passten, oder nicht. Ob sie eine Mutter für meine Tochter sein könnte. Aber sie wollte nur ein Abenteuer mit mir. So was konnte ich meinem Kind nicht

vorsetzen. Zu meinem Bedauern muss ich gestehen, das ich Kimberly noch öfter getroffen habe, um mit ihr...Eigentlich war ich nicht so einer. Aber ich konnte ihr nicht widerstehen. Sie sah traumhaft aus. Hatte was drauf - Was mich nicht verwunderte. Schließlich war ich nicht ihr erster Stecher. So, wie sie drauf war, hatte sie mindestens zwanzig Typen vor mir gehabt. Schade, das sie so eine war. Sonst hätte ich sie gern als feste Freundin gehabt. Mom war nicht begeistert gewesen, wenn Kim mich besuchen kam. Sie wusste, weswegen sie nur kam. Immer wieder ermahnte sie mich, das ich mich

schützen soll, weil man bei ihr nicht weiß, ob sie sich schon was eingefangen hatte. Aber wenn es dann so weit war, vergaß ich es. Zum Glück achtete Kim darauf, mit wem sie es trieb. Sie hatte es mir einmal gesagt, nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie mit jedem ins Bett stieg. Ich hatte es höflich ausgedrückt. Kim war mir auch nicht böse gewesen, weil ich sie danach gefragt hatte. Mom dachte manchmal, das Kim und ich eines Tages eine Beziehung eingehen würden. Aber das wollten Kim und ich nicht. Kimberly wollte sich nicht binden. Liebte das Abenteuer. Die Vielfalt. Und ich wollte nicht, weil mir zu viele Typen auf und in ihr waren.

Kapitel 3

Ich hatte Kimberlys Nummer gelöscht. Ganz egal, wie viel Spaß wir gemeinsam hatten. Susanna wurde nicht jünger. Auch wenn Mom sich rührend um sie kümmerte, war sie nicht die Mutter der Kleinen. Ich wollte aber unbedingt, das Susanna eine liebevolle Mutter bekam. Außerdem wollte ich eine Frau an mir wissen, die mich liebte. Keine, die mich nur als Sexspielzeug sah und benutzte. Mom war überglücklich gewesen, als ich ihr sagte, das Kim nie wieder kommen würde. Sie fand, das sie kein Umgang für mich, und vor allem nicht für Susanna, war. Recht hatte sie. Dennoch

fehlte sie mir. Kim war schon was besonderes gewesen. Nur eben nicht das Richtige für uns. Ich versuchte nach vorn zu schauen. Gab die Hoffnung nicht auf, eine gute Mutter für Susanna zu finden. Die gab es. Das wusste ich. Nur wusste ich nicht wann und wo ich sie finden würde. Hoffte, das sie mir bald über den Weg lief. Damit ich mich nicht mehr so allein fühlte und Susanna eine richtige Mutter hatte. Mom warnte mich davor, auf Krampf zu suchen. Es würde mir nichts bringen. Dabei wusste ich noch nicht einmal, wo ich suchen sollte. Ich konnte nicht einfach jemanden ansprechen. Schon gar nicht eine Frau.

In der selben Nacht, als mich meine Mutter den Rat gab, das ich nicht auf Krampf nach einer Frau suchen soll, hatte ich einen Weinkrampf. Die Sehnsucht nach einem weiblichen Körper hatte mich übermannt. In der Nacht war ich mir sicher, das ich niemals eine Frau für mich fand. Warum ich einen derartigen Weinkrampf bekam, weiß ich nicht. Ist mir ein Rätsel. Meine Mom bekam es mit. Hörte es, als sie an meinem Zimmer vorbeilief. Sie kam zu mir herein und setzte sich auf mein Bett. Nahm meinen Kopf auf ihren Schoß und streichelte mich. Als sie merkte, das es nur wenig half, legte sie

sich neben mich. Ich roch ihre Haut, ihr Haar. Streichelte ihren Bauch. Mein Kopf lag auf ihrer Brust. Ungewollt küssten wir uns. Vergaßen, das wir Stiefmutter und Stiefsohn waren. Es geschah einfach und gefiel mir. Ich fand sie schon damals hübsch, als ich sie das erste mal gesehen hatte. War aber zu jung für sie gewesen. Außerdem war sie die Freundin meines Vaters. Jetzt war er tot und wir beide allein. Elke fand ich immer noch anziehend. Sah viel jünger aus, als sie in Wirklichkeit war. Das wir jemals miteinander schlafen würden, daran hätte ich nicht einmal im Traum gedacht. Aber es war wunderschön. Wir liebten uns zärtlich. Machten nur

langsame Bewegungen. Wollten es sanft und liebevoll. Es war ein so schönes und unvergessliches Gefühl. Elke hatte dabei die Augen geschlossen gehalten. Ich sah ihr an, das sie es genoss. Hinterher hielten wir uns fest. Sie blieb die ganze Nacht neben mir liegen. Ich spürte ihre nackte Haut an meiner und war glücklich. Ich dachte nicht daran, das sie meine Stiefmutter war. Auch nicht daran, das sie einst meinem Vater zusammen war. Mit ihm geschlafen hatte. Das einzigste, an das ich dachte, war, das es schön war. Zu schön, um wahr zu sein. Als sie am kommenden Morgen aufwachte, lächelte sie mich an. Es war

ein schönes Lächeln. Bezaubernd. Ansteckend. Wir hatten uns ineinander verliebt. Hundert Prozent.

Kapitel 4

Wir lebten unser Leben weiter, wie bisher. Einen kleinen Unterschied gab es da aber doch. Wenn wir uns in die Augen sahen, da...Es war nicht, wie immer. Mir kam es so vor, als hätte es zwischen uns gefunkt. Denn schnell wendeten wir den Blick von einander ab. Wir führten uns auf, als wären wir in einander verliebt und zu schüchtern, es dem anderen zu gestehen. Vielleicht war es auch so gewesen. Zumindest fühlte ich mich anders, wenn ich sie sah. Wenn sie mich berührte. Susanna und ich machten einen langen Spaziergang. Ich brauchte es, um mir

über meine Gefühle klar zu werden. Elke war meine Mutter. Die Witwe meines Vaters. Auch wenn sie nie verheiratet waren, hatten sie einst ein intimes Verhältnis gehabt. Hatte sie mich als ihr Sohn angenommen. Nach seinem Tod war ich immer noch ihr Sohn. Ich hatte auch nie anders gefühlt. Bis zu jener Nacht. Zählte es zu Inzest, wenn ich mit ihr intim wurde? Und wie wäre es, wenn sie und ich ein Paar werden würden? Ich hatte keinen Appetit. Dennoch teilte ich mir ein Eis mit Susanna. Indirekt wartete ich darauf, das wieder Eine zu mir kam und mir ihre Telefonnummer zusteckte. Aber es kam niemand.

Vielleicht war es auch ganz gut so. Wenn ich an Kim dachte...So ein hübsches und intelligentes Mädchen. Warum gab sie sich jedem her? Am Abend ging ich ins Kino. Mom passte so lange auf Susanna auf. Ich wollte unbedingt den Remake von A nightmare on Elmstreet sehen. Mir wäre es lieb gewesen, wenn Mom mitgekommen wäre. Aber wer hätte so lange ein Auge auf Susanna gehabt? Wir kannten nur noch uns. Kims Nummer hatte ich gelöscht. Aber zu ihr hätte Mom eh kein Vertrauen gehabt. Ansonsten kannte ich niemanden mehr. Hatte alle Kontakte abgebrochen. Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen. Nach

Jennys Tod wollte ich niemanden mehr sehen. Konnte keinen mehr ertragen. Ich erwartete nichts von dem Film. Deshalb war ich auch nicht so enttäuscht gewesen. Es traf nicht meinen persönlichen Geschmack. Dennoch wollte ich den zweiten Teil auch sehen, wenn er irgendwann einmal rauskommen täte. Interessehalber. Ich kannte alle Originalfilme auswendig. Hatte sie mir allein angesehen und später mit Susanna. Jenny wollte nicht. Hatte zu viel Angst gehabt. Verstand ich zwar nicht, aber ich akzeptierte es. Susanna hatte die selben Augen, wie Jenny. Und auch ihr Gesicht ähnelte immer mehr ihrer Mutter. Ihre

Haare...Susanna war Jenny. Als mir das richtig bewusst wurde, fiel es mir schwer, an andere Frauen zu denken. Dachte wieder intensiv an Jenny. Träumte wieder von ihr. Sie fehlte mir so sehr. Nach dem Kino ging ich nicht sofort nach Hause. Ich machte einen langen Spaziergang. Etwa eine Stunde war ich unterwegs gewesen. Aber es hatte mir gut getan. Einen angenehmen Nebeneffekt hatte es auch noch gehabt. Ich war herrlich müde. Sofort, als ich zu Hause ankam, zog ich mich aus und legte mich unter die Decke. Nur Sekunden später war ich im Land der Träume. Leider träumte ich intensiv von

Jenny. Es fühlte sich so real an. Als Jenny irgendwann verblasste, stand Susanna vor mir. Meine erste große Liebe. Sie hatte sich entwickelt. War zu einer wunderschönen Frau geworden. Doch sie verschwand schon nach wenigen Minuten. An ihrer Stelle trat Elke. Ihre Augen strahlten mich an. Sie nahm mich in die Arme und küsste mich. Herrlich samtweiche Lippen, die nach mehr schmeckten. Plötzlich sah ich meinen Vater. Im ersten Augenblick dachte ich, das er wütend wäre, weil sie doch schließlich einmal seine Freundin war. Stattdessen lächelte er mich und und sprach: „Wie ich sehe, haben wir den selben Geschmack.“ Dann wachte ich

auf. Es war kurz nach drei Uhr morgens.

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petjula007 Fand deine Geschichte total interessant. Ich habe selbst zwei Söhne, die mal in dem Alter waren, wo sie nicht mehr richtig was mit sich anfangen konnten. Mein Mann war Seemann und aus diesem Grund war ich auch viel mit meinen Kindern allein. Hatte noch zwei Töchter, also genug zu tun, in Punkto Aufklährung. Aber wir haben das ganz gut hin bekommen. Ich habe ja Augen im Kopf gehabt, um zu sehen, was so lief. Wenn natürlich, wie in deinem Fall die Eltern auch nicht so mit sich im reinen sind, ist das für einen Heranwachsenden unglaublich schwer. Aber ich finde, in der Kindererziehung sollte es möglichst keine Tabuthemen geben. Das hast du sehr gut geschrieben.

LG Petra
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