Anshale ist ein Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit. In einem Land, zerrissen von einem Religionskrieg zwischen der Numen-Kirche und den Geisterbeschwörern der Kal’ban bleibt ihm jedoch kaum Zeit, seine verlorenen Erinnerungen aufzuspüren. Lediglich Grauer ,der mysteriöse Anführer der Kal’ban, scheint etwas über ihn zu wissen. Als dieser ihn bittet , ihm dabei zu helfen , einige Gefangene zu befreien findet er sich plötzlich direkt zwischen den verfeindeten Fronten wieder. Und auf dem alles entscheidenden
Schlachtfeld von Ebenwald offenbart sich ihm schließlich eine Wahrheit, die ihn zur Entscheidung zwingt.
Nevis ließ sich einfach auf einen Stuhl fallen, sobald die kleine Gruppe, bestehend aus ihm, Winter, El, Ela und Grauer den Raum im oberen Geschoss der Burg betrat. Durch ein großes Fenster konnte er fast das ganze Tal überblicken. Wie lange war er nicht mehr hier gewesen….
Sein Körper fühlte sich nach der Tagelangen Reise wie zerschlagen, sein Geist jedoch war so klar wie sonst nur selten. Am liebsten hätte er darüber gelacht. Welche Wirkung dieser Ort doch haben konnte… Ein sicherer Hafen in
einer Welt, die nur noch aus Unwetter zu bestehen schien. Obwohl das Gebiet zwischen Dralyn und Ebenwald noch halbwegs sicher war, hatte seine Sturmgarde die Reise nicht ohne Verluste überstanden. Als sie die Pässe nach Lian herabgekommen waren, hatte ihnen dort eine Abteilung Inquisitoren aufgelauert. Die Kirche hielt die Wege ins Gebirge seit Monaten besetzt, aber er hatte Gedacht mit wenigen Leuten durchbrechen zu können. Offenbar hatte er sich verschätzt. Dafür zierten nun ein Dutzend weitere eingefrorene Ritter den schwierigen Pfad hinauf nach Dralyn. El musterte ihn skeptisch, er konnte die Last ihres Blickes spüren. Sollte sie nur.
Offenbar hatte sich ihre Laune seit ihrem letzten nur verschlechtert. ,, Ich hatte schon gedacht ihr habt es geschafft euch töten zu lassen.“ , sagte sie. Er antwortete mit einem süffisanten Lächeln. ,, Ich habe noch keine gute Gelegenheit gefunden.“ ,, Nu, es ist schön wenigstens euch hier zu wissen.“ , erwiderte Grauer. ,, Nun ich will die Feier ja nicht verpassen. Trotzdem bin ich gespannt, zu hören was ihr vorhabt. Es ist schon ein paar Jahre her, das wir einmal Boden gewonnen hätten.“ ,, Vielleicht. Aber vielleicht wird dieser ganze Krieg auch bald zu Ende sein. So
oder so.“ ,, Und mit dem einen so meint ihr, das wir dann alle tot sind.“ Nevis Sprang ohne Vorwarnung wieder von seinem Platz auf. , und das andere so bedeutet, ein Kräftemessen mit der Kirche. Nicht, das ich mich nicht darauf freuen würde, ein bisschen was zurück zu zahlen. Im Frühjahr hat sich wieder eine Expedition in die Berge gewagt. Die haben mein Haus abgefackelt, dafür bekommt der Hohepriester in Ekklesia von mir noch eine Rechnung.“ El schüttelte nur den Kopf. ,, Ihr ändert euch nie oder ?“ Vermutlich nicht.“ , antwortete Nevis lachend. ,, Ich hatte ein Jahrhundert
dazu Zeit. „ Wer war das vorhin auf dem Burghof?“ , wollte Winter Wissen. Der Luch hatte bisher geschwiegen, trat jetzt jedoch neben Nevis, der dem Tiergeist eine Hand auf den Rücken legte. ,,Das war Anshale.“ , antwortete Grauer. Nevis kam der Name entfernt vertraut vor. ,, Wer ist er ?“ ,,Ich glaube, das weiß er selber noch nicht.“ ,sagte Ela und landete auf dem Tisch in der Mitte des Raums. ,, Ist das eines eurer Rätsel ?“ , fragte Nevis und warf erneut einen Blick aus dem Fenster. Der Kal’ban antwortete nicht. Seltsam. Irgendjemand fehlte doch in der
Runde dachte er. Grauers Geist… Wie hieß der Fuchs noch gleich? Celcine. ,,Alter Geheimniskrämer.“ Nevis wendete sich von dem Fenster und der Aussicht ab. ,, Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, meine Leute brauchen noch ein Quartier.“ Grauer nickte nur. ,, Wir warten noch einen Tag auf die anderen. Wenn dann niemand mehr eintrifft…“ Er brachte den Satz nicht zu Ende und der in Weiß und Eisblau gewandete Nevis trat ohne ein weiteres Wort aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. ,, Ihr wisst, das niemand mehr kommt.“ , sagte El düster. Grauer wirkte auf einmal müder als
zuvor. ,, Einer lebt noch.“ , sagte er halblaut. ,, Kor ist wahnsinnig, das wisst ihr. Selbst wenn er eure Nachricht erhalten haben sollte…“ Der alte Kal’ban winkte ab. ,, Ich weiß. Aber ich werde seine Hilfe vor dem Ende noch einmal brauchen…“ Anshale wanderte zwischen den dunklen Bäumen Ebenwalds hindurch. Normalerweise standen diese weit auseinander, hier jedoch hatten sie einen kleinen Hein gebildet. Totes Hol und abgebrochene Äste, die unter seinen Schritten nachgaben, bedeckten den
Boden. Wenn ihn jemand Verfolgte, würde dieser jemand sich hier zwischen den Schatten und Wurzen sicher fühlen. Und sich hoffentlich zu nah wagen. Er hatte die Siedlung bereits vor einer ganzen Weile hinter sich gelassen. Die Sonne hatte bereits die Hälfte ihre Wanderung richtig Horizont hinter sich gebracht, als er schließlich die ersten der Baumriesen erreichte. Unter den Schatten der äste flossen vereinzelte Bäche hindurch, welche die vereinzelten Sonnenstrahlen, die ihren Weg zum Boden fanden brachen und reflektierten. Als er die Wiesen und Felder um die Burg durchquert hatte, war es fast vollkommen Windstill gewesen. Nur hier
in diesem Hein schein es rauschte ständig der Wind durch die Zweige. Ein seltsamer, lang gezogener Laut, der an den Nerven zerrte und die Luft unter Spannung zu setzen schien. Und manchmal glaubte er sogar Stimmen im Wind zu erkennen. Einzelne Worte, manchmal Satzfetzen… Anshale schüttelte den Kopf. Da war nichts, er bildete sich das ein… Aber da waren tatsächlich Worte im Rauschen der Zweige. ,, Du hört es oder ?“ Wieso überraschet es ihn so wenig, als zwischen den Wurzeln der umstehenden Bäume plötzlich Celcine erschien… ,, Also hast du mich verfolgt.“ , stellte
er ruhig fest. ,, Ein Auge auf dich gehabt.“ , korrigierte sie ihn. Er seufzte. ,, Hat es einen besonderen Grund, das du mir hinterherspionierst oder ist das nur eine schlechte Angewohnheit ? Du solltest übrigens wirklich daran arbeiten, ich habe dich zweimal gesehen.“ Celcine trat endgültig unter den Schatten der Bäume heraus. Wohl eine schlechte Angewohnheit.“ , Warum nur glaubte er ihr kein Wort? , dachte Anshale. Er ließ sich auf einem gestürzten Baumstamm nieder. Die Oberfläche war fast so schwarz wie der Nachthimmel. Und sobald er das Holz
berührte, spürte er etwas, das ihn an ersterbende Glut erinnerte. Dieser Baum war einst mehr als Holz gewesen und etwas davon brannte noch in seiner Tiefe, selbst jetzt wo er entwurzelt war. Plötzlich schien auch das Flüstern des Winds in den Zweigen eine völlig neue Qualität zu haben, es wurde verworrener und Vielschichtiger. ,, Die Bäume hören zu Anshale.“ , sagte Celcine, als würde sie wieder einmal seine Gedanken erraten. Er musste lachen. ,, Mit Bäumen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.“ ,, Was würdest du tun, wenn dir jemand Wildfremdes einfach die Haut abzieht ?“ ,, Ich hoffe, dass ich das nie
herausfinden muss. Aber vielleicht kannst du mir eine Frage beantworten? Was sind diese Bäume überhaupt?“ Celcine sah sich langsam zwischen den dunklen Baumstämmen um. ,, Die Schattenbäume“, sagte sie, ,, Halten die Seelen toter Geister.“ ,, Wie kann ein Geist sterben ?“ ,, Indem er einen Menschen erwählt.“ , antwortete Celcine. ,, Wenn der Mensch stirbt, vergeht auch der Geist, wenn er sich nicht an jemand Neues bindet. Manche fürchten das. In ihrer Angst binden sie sich an alles, was in Reichweite ist, wie Bäume. Aber…“ ,, Was geschieht mit ihnen ?“ ,, Das siehst du hier. Sie sind Gefangen,
für alle Ewigkeit. Einige werden darüber Wahnsinnig. Andere erlangen mit Zeit tiefe Weisheit. Darauf sollte man lauschen und wieder einige schützen uns auch durch die Jahrtausende hinweg noch. So bleibt dieser Ort überhaupt erst Verborgen. Kein einzelner Magier könnte einen solchen Tarnzauber erschaffen.“ Anshale sah sich in dem Hain um. Es waren mindestens ein Dutzend Schattenbäume allein hier. Und im Tal standen mehrere hundert davon. ,, Es sind also viele Erwählte hier gestorben ?“ ,, Ebenwald war vor vielen Jahren der Schauplatz der ersten großen Schlacht zwischen der Inquisition der Numen und
den Kal’ban. Siebenunddreißig Erwählte fielen hier, aber sie nahmen genug Inquisitoren mit, dass sich die Kirche bis heute nicht ganz von diesem Schlag erholt hat. Nur diesen Ort haben sie wohl über die Jahrzehnte wieder vergessen.“ Anshale hatte einen abgefallenen Ast aufgehoben und stocherte damit in der Erde. ,, Traditionell werden aus dem toten Holz der Schattenbäume auch Totemamulette hergestellt.“ ,, Und da sagst du mir, ich wäre gemein zu Bäumen.“ ,, Wir benutzen nur Äste und Zweige, die von selbst herunterfallen. Auch ein
Baum mit einem geist lebt nicht ewig.“ ,, Allerdings stehen hier auch viel mehr als siebenunddreißig Bäume.“ , stellte Anshale fest. ,, Einige dieser Bäume sind Gefängnisse. Wie der, den du bei deiner Ankunft hier berührt hast.“ Er sah auf. Ihm war klar, dass er die Frage bereuen würde. ,, Gefängnisse für was ?“ ,, Geister, was sonst ?“ ,, Wieso braucht ihr Gefängnisse für eure Art ?“ Celcine lachte bellend. ,, Wir sind nicht alle so nobel und freundlich, wie es den Anschein erweckt. Tatsächlich eher selten genau das. Aber es gab einige
unter uns, die… schlimmer waren. Weißt du, wie diese Welt ihren Anfang nahm?“ Anshale konnte nur den Kopf schütteln. ,, Da sind wir schon zwei. Die Geister sind alt, aber auch wir waren nicht schon immer da. Aber wir wandelten schon auf dieser Erde, als deine Art nicht einmal existierte. Ich werde nicht versuchen, dir den Zeitraum begreiflich zu machen de zwischen damals und heute liegt, und ich bezweifle, dass selbst Grauer es ganz erfassen könnte. Aber eines Tages erschient ihr auf der Bildfläche. Jahrhunderte, Jahrtausende lang und mehr gab es nur uns und die Tiere. Und diese sind… bestenfalls langweilig. Doch da waren plötzlich
Menschen. Intelligente, bewusste Menschen. Aber eure Leben sind so kurz verglichen mit dem Zeiträumen, die ein Geist überblicken kann, ihr seid wie Tau auf einer Wiese, ihr seht die Sonne vielleicht kurz, aber den Mittag erlebt ihr nie. Einige von uns hatten Mitleid mit euch, andere waren Neugierig. Die ersten Bündnisse konnten so nicht lange auf sich warten lassen, aber wie groß war der Schrecken anderer, als sie feststellten, welchen Preis sie dafür zahlten. Sterblichkeit. Die Geister waren plötzlich mit einem Problem konfrontiert. Zum ersten Mal erlebten wir… Angst. Und dadurch entstanden jene, die in
euch eine Potentielle Bedrohung sahen… oder gar Sklaven. Du weißt, zu was wir fähig sind, aber die Grausamkeit, die wir heute an den Tag legen können ist nichts mit dem was damals geschah, der Ahnenkrieg. Ein Krieg zwischen den Geistern, dem ersten Konflikt, den diese Welt je erlebte. Es war ein langer Kampf, aber einen Geist, der an niemanden gebunden ist kann man nicht töten oder auch nur lange aufhalten. Also wurden unsere Gefallenen Brüder und Schwestern in die Bäume gezwungen. “ Anshale schwieg einen Augenblick. Er konnte sich wirklich nicht vorstellen, von welchem Zeitraum Celcine sprechen musste. Zumindest aus seiner Sicht war
doch alles immer wie jetzt gewesen, oder? ,,Wieso bist du eigentlich ein Fuchs ?“ , fragte er schließlich. Das ist eins ziemlich seltsame Frage. Wieso ist deine Haut weiß und nicht so dunkel wie die der Menschen der Inseln? Ich bin mir allerdings recht sicher, dass ich meine Erscheinung ändern könnte.“ , antwortete sie. ,, Warum tust du es dann nicht ?“ ,, Vielleicht weil es mir so gefällt, vielleicht habe ich mich daran gewöhnt oder vielleicht weil ich normalerweise nicht einfach alles tue um das man mich bittet. Und möglicherweise solltest du lernen, weniger Fragen zu
stellen.“ ,, Fragen sind etwas Gutes.“ , beharrte Anshale. ,, ich habe genug davon und wenn ich sie einfach ignorieren würde, wie sollte ich je herausfinden, wer ich bin ?“ ,, Ich glaube du stellst die falsche Frage Anshale. Es geht nicht darum, wer du bist. Es geht darum, ob du noch immer derselbe bist, wenn du dich erinnerst. Oder wird es dich verändern? Könntest du ertragen am Ende jemand zu sein, der du nie werden wolltest? “ Er schüttelte den Kopf. ,, Es ist nicht wichtig, ob ich das kann. Ich werde mich dem stellen müssen und was immer meine Vergangenheit aus mir machen
würde, es wäre nach wie vor ich, der sich entscheidet es hinter sich zu lassen, oder einen alten Pfad wieder aufzunehmen. Wie immer dieser dann auch aussähe.“