Anshale ist ein Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit. In einem Land, zerrissen von einem Religionskrieg zwischen der Numen-Kirche und den Geisterbeschwörern der Kal’ban bleibt ihm jedoch kaum Zeit, seine verlorenen Erinnerungen aufzuspüren. Lediglich Grauer ,der mysteriöse Anführer der Kal’ban, scheint etwas über ihn zu wissen. Als dieser ihn bittet , ihm dabei zu helfen , einige Gefangene zu befreien findet er sich plötzlich direkt zwischen den verfeindeten Fronten wieder. Und
auf dem alles entscheidenden Schlachtfeld von Ebenwald offenbart sich ihm schließlich eine Wahrheit, die ihn zur Entscheidung zwingt.
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Der Fremde , der wenige Minuten später auf den Hof der Burg von Ebenwald galoppierte, brachte sein Pferd grade noch rechtzeitig zum Stehen, als er die ganzen Menschen bemerkte. Das Tier auf dem er saß war fast komplett schwarz. Lediglich an der linken Flanke wies es einen weißen Fleck auf.
Der Mann selbst trug einen weißen Mantel, dessen Ärmel eisblau gefärbt waren. Darunter konnte Anshale das funkeln eines Harnischs aus poliertem Stahl erkennen, in den einige Symbole eingekerbt waren. Ein Gürtel mit
dutzenden von mit drei Klingen bewährten Messern zog sich über die Brust des Neuankömmlings und an der rechten Seite trug er einen Degen. Linkshänder, dacht Anshale. Im Kampf war das nicht zu unterschätzen, da man sich erst an die neue Angriffsrichtung gewöhnen musste. Ein kleines, in Silber geschlagenes Buch hing von einer Kette im Waffengurt. Der Mann selbst hatte blonde Haare, die Wirr in alle Richtungen abstanden und einen Spitzbart, der angesichts der sonst ungepflegten Haare fehl am Platz wirkte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als würde er jeden Moment laut loslachen wollen. Blaue Augen, hinter denen sich ein
seltsames funkeln zu verbergen schein, suchten die umstehende Menge ab, die rasch eine Gasse für den Fremden bildete. An der Seite des Pferds, das der Mann ritt schritt langsam und anmutig ein schneeweißer Luchs mit roten Augen. Dem ersten Reiter folgten weitere Soldaten. Im Gegensatz zu diesem trug der Gardetrupp allerdings einfachere Ausrüstung, die mit weißem Pelz ausgepolstert wurde. Kettenpanzer und Hüte in Weiß vervollständigten die Uniformen. Eisblaue Umhänge wehten hinter der Truppe, als sie auf dem Platz Aufstellung nahmen. Insgesamt zählte
Anshale fünfzig Reiter. Mit einer eleganten Bewegung sprang der erste Reiter vom Pferd und verneigte sich einmal. Dabei konnte Anshale sehen, das das schwache Lächeln zu einem breiten Grinsen wurde. ,, Nevis Ordbrand von Dralyn.“ , sagte er schwungvoll. ,, Ihr habt gerufen?“ ,, Nevis, wenn ich eines nicht vermisst habe, dann euch.“ , rief El kalt, die mit Grauer aus den Reihen der Schaulustigen vortrat. Das Bogenduell von eben schien vergessen. ,, Charmant wie immer“ Immer noch lächelte Nevis verschmitzt, als gäbe es ein Geheimnis, das nur er kannte. Grauers Mine schien sich ebenfalls
aufzuhellen. ,, Willkommen alter Freund. Schön zu sehen, das es euch gut geht.“ Langsam sah er sich zwischen den Reitern um. ,, Wo ist Keltor ?“ Zum ersten Mal verlosch das Lächeln auf Nevis Gesicht. ,, Ihr wisst es noch nicht ?“ ,, Er ist tot oder ?“ , fragte der Kal’ban betrübt. ,, Er und Ires sind schon letzten Winter gefallen. Auch wir entrichten unseren Blutzoll an die Numen. Und wenn der irre Kor nicht wäre, wären es noch mehr. Seinen Zorn fürchten selbst die Hohen Herren in Ekklesia noch.“ Der Luchs trat langsam an Nevis Seite. Anshale konnte nur raten. Aber wenn
Grauer alle Erwählten nach Ebenwald berufen hatte, dann musste der Mann dort vor ihnen einer sein. Und die Namen der Gefallenen… Wie konnte man etwas so mächtiges, wie einen Geistrufer denn überhaupt töten? Grauer schein sich wieder zu fassen. ,, Es ist gut wenigstens euch und Winter hier zu wissen. Die anderen, die ich gerufen habe, hätten schon vor Tagen hier sein sollen….“ El sah ihn besorgt an. ,, Ihr fürchtet das schlimmste ?“ ,, Ich weiß es nicht, vielleicht wurden sie nur aufgehalten.“ , erwiderte er. ,, Und vielleicht bin ich nur zu Alt für all das… Kommt, wir haben einiges zu
besprechen.“ Er drehte sich zu Anshale. ,, Ich werde euch rufen, wenn es so weit ist. Ich möchte, das ihr dem Treffen der Erwählten beiwohnt.“ Anshale konnte nur nicken, während er selbst die sich langsam zerstreuende Menge nach Gwenth und Lina absuchte. Erneut fühlte er sich beobachtet und als er diesmal aufsah erhaschte er bei den Ställen einen Blick auf rotes Fell. Anshale hörte auf, nach Gwenth zu suchen. Jetzt galt es erst einmal herauszufinden, wer ihn verfolgte und warum. Und er wusste auch schon, wie. Anehlas Schritt vor den Reihen seiner
Inquisitoren auf und ab. Die Panzer der Männer glänzten in der Sonne. Sie würden nicht lange sauber bleiben, wenn es nach ihm ging. Er wartete jeden Tag auf Nachricht von den Madrekai. Vielleicht hatte er die Launen der wahnsinnigen Verehrer des toten Gottes ja unterschätzt. Ihr Wahnsinn machte sie unberechenbar, aber wenn man wusste wie, konnte man diesen Fanatismus in nützliche Bahnen lenken. Er wendete seine Aufmerksamkeit wieder den Soldaten zu, als er das Ende des Garnisonshofs erreichte. Noch immer zeichnete Asche den Boden an einigen Stellen schwarz. Der alte verfluchte Magier hatte gewaltigen Schaden
angerichtet. Fast hundert Inquisitoren und bestimmt nochmal so viele Söldner waren den Flammen zum Opfer gefallen. Letztere hatte er erst gar nicht gezählt. Aber ihre Reihen füllten sich schnell wieder. An der ihm gegenüberliegenden Seite des Hofs, dort wo Grauer ein Loch in die Mauer gerissen hatte, standen zwei große Metallsäulen in einem Gittergerüst. Aber dazu würde er später kommen. Der Hauptmann von Anehlas persönlicher Garde gab ein Kommando und in einer fließenden Bewegung drehten sich alle gepanzerten Gestalten nach rechts. Sie mussten lernen, sich in den Schweren Rüstungen zu bewegen. Zwar machten
diese sie ihren meist nur leicht Gerüsteten Gegnern überlegen, aber das nützte nichts wenn diese einfach weglaufen konnten, weil ungeübte Anfänger kaum drei Schritte unter der Last des Eisens machen konnten. Die Söldner waren Kanonenfutter, seine Inquisitoren nicht. Die schweren Panzer waren ihr einziger aber auch größter Vorteil. Die meisten Kämpfer der Kal’ban verließen sich auf Geschwindigkeit und pure Fechtkunst aber die nützte ihnen wenig, wenn ihre Gegner Wände aus Eisen waren. Lediglich gegen die Magie der Erwählten schützten auch die besten Panzer nicht. Er hatte oft genug gesehen, wie
Flammenpeitschen und Lanzen aus Eis den Stahl durchtrennten, als sei er nichts. Die einzige Möglichkeit hier war Zahlenmäßig weite Überlegenheit und genau dafür hatten sie ja die Söldner. Egal wie gut die Erwählten kämpften, gegen einen Angriff von allen Seiten konnte auch ein Magier nicht ewig bestehen. Die andere Möglichkeit, einen Erwählten zu bezwingen war, für ihn selber einzugreifen. Der Garde-Hauptmann drehte sich zu ihm um. Die kurzgeschorenen Haare wurden von einem Federhut bedeckt. Statt dem Vollpanzer der übrigen Ritter trug er zwar einen Stahlharnisch und
Handschuhe, ansonsten bestand seine Rüstung aber aus leichteren, ineinander verflochtenen Kettensegmenten. Die Insignien der Kirche und seine Rangabzeichen prangten auf zwei Schärpen, die er lose um die Schulter trug. Hauptmann Alexei war vielleicht einer der wenigen Menschen, mit denen Anehlas so etwas wie eine lose Freundschaft verband. Die meisten hielten seinen ernst als Kommandanten für pure Gehässigkeit, nur Alexei schien wie er die Notwendigkeit von Disziplin zu verstehen. Eine Armee war die Erweiterung für die Gedanken ihres Heerführers. Das galt aber nur, solange
sie als Einheit funktionierte. Für Einzelkämpfer gab es bei der Inquisition keinen Platz, davon fanden sich genug bei dem Haufen Söldner, der die Hauptstreitmacht der Numen-Kirche bildete. Grobe Haudegen, um die es wenig Schade war, den sie wucherten praktisch wie Pilze aus dem Boden. Glücksritter, denen egal war, für was sie kämpften. Vermutlich, überlegte Anehlas amüsiert, würden sie sogar für die Kal’ban kämpfen, wenn diese sich dazu herabließen, sie anzuwerben. ,, Ihr wirkt besorgt.“ , meinte Alexei. Anehlas wendete sich dem Hauptmann zu. ,, Ich sehe einen Haufen Anfänger.“ , erwiderte er. ,, Anfänger, welche die
letzte Festung unserer Feinde erstürmen sollen, sobald wir wissen wo sie liegt.“ ,, Haben wir den eine Ahnung was uns in Ebenwald erwarten könnte ?“ ,, Was immer es ist, ich habe nicht vor ein Risiko einzugehen.“ Er bedeutete einem Soldaten, der bei den großen Metallsäulen auf der anderen Hofseite stand, deren stützen wegzuschlagen. Wenige Augenblicke später schlugen die schweren Stahlrohre auf dem Boden auf. Eine weiteres Handzeichen und die Inquisitoren auf dem Platz wichen bis zu den Mauern und den Garnisonsgebäuden zurück. Zumindest die Grundregeln der Disziplin waren den neuen Rekruten in den letzten Tagen und Wochen
eingeprägt worden, stellte Anehlas zufrieden fest. Trotzdem mangelte es ihnen durch den unerwarteten Angriff des verdammten Wanderers an Veteranen. ,, Was ist das ?“, wollte der Hauptmann wissen, während der Großmeister zu den Rohren herüberging. ,,In den Archiven der Kirche verbergen sich viele Geheimnisse.“ , antwortete Anehlas ihm,. ,,Hohepriester Ovit hält die meisten unter Verschluss, das hier aber hat er mir ausgehändigt.“ Sie hatten die Röhren aus Stahl erreicht, aus der Nähe konnte Alexei jetzt auch erkennen, das an den Enden jeweils kleine Schnüre befestigt waren.
Irgendetwas kitzelte ihn in der Nase und es dauerte einen Moment, bis er es wiedererkannte. Schwefel. Der einzige Vulkan, von dem er wusste lag auf Madrea. Was bezweckte Anehlas damit ? So viele Jahre er den Mann jetzt kannte, schlau geworden war er aus ihm nie. Manchmal schien er von einer fanatischen Rücksichtslosigkeit ihren Feinden Nachzustellen, dann wieder ließ er lohnende Ziele außer Acht, fast wie aus einer Laune. Oder als würde er etwas suchen, von dem Alexei nichts wusste…. Doch was immer er tat, der Hauptmann konnte sich nicht erinnern, das Anehlas je eine Schlacht verloren hatte.
Manchmal war er versucht, nach der Vergangenheit seines Vorgesetzten zu fragen, aber diesen direkt darauf anzusprechen… Er hatte Geschichten und Gerüchte gehört, dass der Großmeister tatsächlich von den Göttern berührt worden war. Und das er leben mit einem Gedanken auslöschen könnte. Letzteres war definitiv kein Gerücht, wie der Hauptmann aus Erfahrung wusste. Der Großmeister besaß eine Macht, die viele nur als Unheimlich empfunden hätten. Alexei hingegen war geehrt unter einem Mann zu dienen, der nicht nur fähig war, sondern offenbar von den Numen selbst gesegnet. Manche murmelten auch von Zauberei, aber das
war Verrat. Selbst wenn er Anehlas Beweggründe nicht kannte, die Götter würden alles lenken. Anehlas rief einen Befehl und ein Mann in Kettenpanzer brachte eine Fackel heran. Bevor der Hauptmann richtig Verstand, was vor sich ging, wurden die Schnüre am Ende der Metallrohre entzündet. Einen Moment geschah nichts. Alexei wollte schon fragen, was nicht stimmte, als ein gewaltiger Donnerschlag ihm die Stimme versagen ließ. Flammenzungen jagten aus den Mündungen der Rohre und etwas, das zu schnell war, als das er es richtig sehen konnte, jagte an ihm vorbei. Aber die Luft konnte Alexei
hören, sie pfiff geradezu um das Geschoss, das mit unglaublicher Gewalt in den Wall auf der anderen Seite des Garnisonshofes aufschlug. Steintrümmer und Mörtel wurden Meterhoch geschleudert. Trümmer und kleinere Splitter regneten über den ganzen Platz. Anehlas sah zufrieden, wie die Reihen der gewappneten Inquisitoren zusammenzuckten. Selbst ihm dröhnte der Lärm der Kanone in den Ohren, aber zumindest war er darauf gefasst gewesen. Die Mauer lag in Trümmern. Auf einer Breite von zwei Dutzend Schritten stad kein Stein mehr auf dem anderen. Er
lächelte. ,, Das wird uns den Sieg schenken, egal wie viel die Kal’ban noch in Reserve haben mögen.“ Der Geruch von verbranntem Schießpulver stieg ihm in die Nase. Es hatte eine Weile gedauert, denn die Aufzeichnungen über die Waffe waren ungenau, schließlich aber hatte er die richtige Mischung gefunden. Der arme Tropf, der das Pulver zusammengemischt und ausprobiert hatte, war darüber wohl weniger Froh. Es hatte ihn getötet und fast die Kirchenarchive zum Einsturz gebracht. ,, Riecht wie das Portal zum Seelenschlund selbst.“ , bemerkte Alexei, der nach wie vor nicht die Augen von
der Zerstörung wenden konnte. Wenn man eine solche Waffe gegen eine geschlossene Schlachtformation einsetzte… der Schaden wäre unvorstellbar. ,, Es wird unsere Feinde endgültig zum selbigen schicken.“ , antwortete Anehlas kühl. ,, Ihr kennt den Kodex der Inquisition , wie er vom Propheten verfasst wurde ?“ Alexei nickte. ,,Das Schwert der Götter. Die Hand der Gerechtigkeit , der Schild für die Schwachen und das Urteil der Wahrheit.“ ,, Ab heute, sind wir das Urteil des Feuers.“ ,, Ist es das, was wir tun Großmeister ?
Die Schwachen schützen?“ Skeptisch musterte der Hauptmann die neuen Waffen. Die Gerüchte die man sich über Anehlas erzählte bekamen zum ersten Mal etwas Wahres für ihn. Was er grade gesehen hatte schien gradewegs den wirren Gedanken eines düsteren Geistes entsprungen.
Anehlas blickte einen Augenblick nachdenklich auf die neu entstandene Lücke in der Mauer.
,, Ja.“ , antwortete er schließlich.
Kapitel 20 Nevis.