Der erste Schlag traf Leeman mitten ins Gesicht. Er musste ein paar Schritte rückwärts gehen, um nicht zu stürzen. Mit so einer Wucht hatte er sicher nicht gerechnet. Vorsichtig tastete er nach seiner Nase, aus der nun unaufhörlich das Blut floss.
„Wollt ihr mich umbringen, verdammt?“ fragte er entrüstet.
Nathan sah es als Aufforderung, ihm noch eine zu verpassen, aber diesmal war Sarah schneller und stellte sich rechtzeitig in den Weg. Sie packte Nathans Oberarme und drückte ihn leicht zurück. Normalerweise hätte sie mit Gegenwehr gerechnet, doch überraschenderweise hielt
Nathan kurz inne.
„Halt dich bitte zurück, okay? Nicht aus der Ruhe bringen lassen, weißt du noch?“
Sarah redete beruhigend auf ihn ein und das zeigte zum Glück Wirkung. Nathan schien sich ein wenig zu entspannen. Sein Blick wanderte zu Leeman, der ein Taschentuch aus seiner Jacke gezogen hatte und nun gegen die Nase presste.
„Wir müssen ihn loswerden, Sarah!“ flüsterte Nathan leise seiner Kollegin zu.
Er wusste, dass Leeman die Füße nicht still halten würde. Andererseits konnte er viel behaupten. Es war nur ein Satz, den Nathan aus der Ruhe brachte und eigentlich sollte er auf so etwas nicht anspringen, aber in diesem Moment nagte
wohl das schlechte Gewissen an ihm. Dieses Geheimnis könnte sein Leben ruinieren und darauf wollte er es nicht anlegen. Und dass sich ausgerechnet Leeman so weit aus dem Fenster lehnte, gefiel ihm nicht. Er war einer der wenigen, die dazu fähig waren, Pläne durcheinander zu bringen.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Sarah und die schien zu überlegen.
Vielleicht war es das Beste, wenn Leeman erst einmal in ihrer Obhut blieb. Immerhin musste einer von beiden wieder zurück zur Schule und unter keinen Umständen wollte Nathan allein mit diesem Mann sein. Zu groß war die Gefahr einer Provokation, die zum
nächsten Eklat führen könnte.
„Geh du zurück zur Schule, ich werde Leeman mit zum Auto nehmen!“ sagte Sarah entschlossen.
„Was hast du vor?“ fragte Nathan nach.
Ganz geheuer war es ihm nicht.
„Wir müssen herausfinden, was er wirklich weiß. Und ich will es nicht darauf anlegen, ihn an Ort und Stelle zu erschießen, okay? Zu viele Menschen. Wenn er geflunkert hat, dann ist er sowieso fällig.“
Nathan nickte ihr zu. Wenn er jetzt dagegen reden würde, würde es nichts bringen. Sarah setzte gern ihren Kopf durch und im Moment wollte er einfach nicht mit ihr diskutieren. Das führte
vielleicht zu einem Streit, dem er gern aus dem Weg ging.
Sie lächelte ihm kurz zu, doch er merkte schnell, dass sie jetzt lieber an einem anderen Ort wäre.
Aus ihrem Halfter zog sie die Waffe. Heute schien wirklich nicht ihr Tag zu sein. Am liebsten hätte sie die Nachricht von Gordy McDavon gar nicht erst gelesen oder zumindest ignoriert, aber dafür war das alles viel zu verstrickt. Unter keinen Umständen ließ sie Nathan im Stich. Die beiden hatten schon viel zu lange zusammen gearbeitet und Vertrauen stand an erster Stelle.
Langsam drehte sie sich zu Leeman und der schaute überrascht, als Sarah seinen
Arm nahm und ihn unsanft mit sich zog. Er wehrte sich nicht, sondern ließ es einfach geschehen.
„Wohin gehen wir?“ fragte er dennoch.
„Zurück zu unserem Wagen. Und wenn ich sage, dass wir zum Wagen gehen, dann bitte ich Sie höflich darum, keine Mätzchen zu machen!“
„Es wird sowieso raus kommen, Sarah. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich der Einzige bin, der darüber Bescheid weiß. Wenn Mason erfährt, dass du seinen Sohn hast, dann macht er dich kalt!“ schrie Leeman über seine Schulter.
Das versetzte Nathan einen unangenehmen Stich in der Magengegend. Leeman wusste es also. So gern er es auch abgestritten
hätte, aber in diesem Fall blieb ihm keine Wahl, als festzustellen, dass er in Schwierigkeiten steckte.
Seine einzige Möglichkeit war, endlich eine Entscheidung zu treffen. Entweder verlor er damit alles oder er bekam eine neue Chance.
Nathan zog das Handy aus seiner Hosentasche. Zum ersten Mal in seinem Leben zitterten seine Hände, als er die Nummer seines Vaters wählte.