Beschreibung
In einer apokalyptischen Welt nach dem Klimagau, haben die Militärs die Führung der Welt unter sich
aufgeteilt. Freiheit, Bürgerrechte sind Vergangenheit. Querulanten werden interniert. Um ihre Zahl zu verringern haben die Mächtigen das Match etabliert. Ein Rennen auf Leben und Tod.
Sascha startet in Hellskitchen, einem dunklen Bezirk in seiner Stadt. Wird er gewinnen?
Das Rennen
Fünf Stunden. Fünf verdammte Stunden! Solange hatte niemand vor ihm durchgehalten. Fünf. Sascha könnte es vielleicht sogar schaffen. Nach fast fünf Jahren würde ein Läufer das Match mal wieder gewinnen. Er hatte vier Jäger erledigt und ihre Waffen kassiert. Blieben noch fünf. Die magische Zahl fünf. Vielleicht hatte er Glück. Primzahlen lagen ihm, schon damals in der alten Zeit in der Schule. In der fünften Klasse, für ihn die letzte Schulklasse vor der Klimakatastrophe und der Machtergreifung der Militärs. Deutschland hatte wieder einen Führer. Die ganze Welt hatte Führer, aber in diesem Land, so hatte er von seinem Vater gelernt, sollte es nie wieder Führer geben.
Sein Vater war tot, genau wie seine Mutter. Er kam ins Umerziehungslager, danach ins Internierungslager, die nur bessere KZ s waren. Der Führer Mitteleuropas hatte das Match eingeführt, um die Internierungslager zuleeren. Damit sie wieder neue internieren konnten. Sascha war noch in der Freiheit aufgewachsen, jetzt war Freiheit ein Wort, das aus dem Duden gestrichen wurde. Das Ziel. Am Ziel würde er Absolution erhalten und er könnte am Leben hier, oder an einem Leben auf den Weiten des Meeres teilnehmen, wo die Ausgestoßenen waren. Der Oberst des Rheinlandes würde ihm die Papiere aushändigen und er würde frei sein. Frei! Unschuldig. Ein neuer Mensch.
Die Salve aus einem MG brachte ihn zurück in die Realität. Sie wurde über seinen Kopf hinweg geführt. Sie war eine Warnung. Die nächste würde den Container, hinter dem er sich verkroch, zersieben. Die Soldaten griffen immer nur ein, wenn ein Läufer länger als fünfzehn Minuten verschnaufte. Er hob die Uzi über seinen Kopf und feuerte, dann sprang er auf und spurtete los. Seine Füße platschen in dem knöchelhohen Wasser.
Das Rheinland war überflutet, die Städte am Rhein standen mehr als einen Meter unter Wasser. Köln und Düsseldorf waren das neue Venedig, genau wie die anderen Rheinanlieger. Seine Stadt lag etwas höher, außer dem Vorort Ürdingen waren in seiner Stadt die Straßen nur leicht überflutet, nur bei Hochwasser musste man mit Booten fahren. Er hatte als Kind am Hülserberg gewohnt. Als er vom Internierungslager nach Hellskitchen gebracht wurde, sah er, dass sein Elternhaus trocken und trotzend da stand. So trotzend wie sein Vater.
Hellskitchen, der Bezirk im Süden war in seiner Stadt für das Match ausgesucht worden. Von da ging es nach Fischeln und dann hinter der Stadt würde er frei sein. Er verließ Hellskitchen gerade und sah die alte Brauerei die die imaginäre Grenze zwischen Hellskitchen und Fischeln darstellte. Dort war der tiefste Punkt seiner Stadt und das Wasser stand brusthoch.
Er drehte sich um. Da waren sie. Die Jäger. Sie wurden von der umher stehenden Menge bejubelt. Die vier Bürger, die Sascha mit der Uzi niedergemäht hatte, wurden gerade weggeschafft. Jedes Jahr starben hunderte Schaulustige. Das war das Risiko.
Der Jubel den Jägern gegenüber war lauter, als die Buhrufe gegen ihn. Sie waren ohrenbetäubend, als sie noch zwanzig waren, aber gegen eine Person hatte das Volk nicht soviel Luft. Für jeden Läufer kamen neun Jäger. Und nur diese Jäger durften ihr Opfer zur Strecke bringen. War ein Läufer ausgeschieden, machten seine Verfolger Feierabend. Zwanzig Läufer, hundertachtzig Jäger. Die meisten waren in Hellskitchen drauf gegangen. Sie versteckten sich in den Seitenstraßen der Gladbacher, in denen es viele Schlupflöcher gibt, aber sie wurden alle gefunden.
Sascha und drei andere schafften es auf den alten Friedhof. Sie versteckten sich hinter den alten Grabsteinen, von denen viele größer als ein Mann waren und warteten. Frank wurde von den Soldaten zur Strecke gebracht, als er zulange wartete. Die Kugel rissen faustgroße Löscher in seinen Oberkörper, seine zerrissenen Gedärme klatschten gegen die alten Steine und besudelten Sascha mit Blut.
Micha war der erste, der sich zur Wehr setzte. Er kauerte hinter einer Engelsfigur, die Soldaten sahen ihn, aber die Jäger waren genauso von der Dunkelheit betroffen, wie die Läufer. Chancengleichheit nannte das die Führung. Er sprang einen Verfolger an, schmetterte ihn mit dem Kopf gegen den Stein und raubte seine Waffen. Sieben seiner Jäger machte er den Gar aus, verteilte ihre Waffen an seine beiden Mitläufer, als die beiden Letzten ihn ins Kreuzfeuer nahmen. Micha starb mit erhoben Armen und schrie mit einen Röcheln: „Fickt euch! Bastarde!“
Dann brach er blutend zusammen.
Sascha und Georg schossen ins Dunkle und beide trafen einen ihrer Hascher. Sie liefen, duckten sich und schossen. Versteckten sich. Einmal dachten sie ihre Jäger wären hinter ihnen, doch es waren Soldaten, die sie im Auge hielten. Sie schossen die Männer nieder, die sofort von anderen mit erleuchteten Helmen ersetzt worden. Einer zischte ihnen zu: „Totes Fleisch!“
Sie kletterten über den alten Eisenzaun und waren bei der Eisenbahnstrecke.
„Wo lang?“ fragte Sascha.
„Da, nach Süden!“
Die beiden joggten locker nebeneinander her. Jeder ein Sturmgewehr, drei Pistolen, zwei Messer und eine Uzi.
„Das gab es lange nicht!“ Sascha lachte und versuchte seine Geschwindigkeit zuhalten.
„Ja! Die meisten wurden in den letzten Jahren direkt vor der Haustüre meiner Eltern erschossen. Wenn du den Start überlebst, hast du eine Chance.“ Georg rieb sich über seinen kahlen Kopf.
Wasser und Mott wollten sie aufhalten. Die Bäume gaben ihnen Schutz. Die Soldaten liefen mit ihren Lichtern neben ihnen. Ihnen schien es nichts auszumachen, die Stiefel voll Wasser zuhaben. Sascha hasste das Gefühl in seinen Nikes. Vor dem großen Gau war es warm und trocken, dann kam das Wasser. Die Schulen wurden geschlossen und die Regierungen gestürzt. Die Armeen hatten in den vergangen Jahren immer öfter zusammen gearbeitet. UN- Einsätze nannten sie das, doch die Armeen verbrüderten sich und nach Irak-, Iran- und Afghanistankrieg erhoben sie sich immer häufiger. Sie übernahmen die Macht und ihre Führer setzten sich zusammen.
Einer für Europa, einer für Asien, einer für die arabischen Länder, einer für China, einer für Indien, einer für Süd-, einer für Nordamerika. Nur der Pazifik war frei von ihnen. Sie schienen sich auch nicht dafür zu interessieren. Australien war nur noch eine kleine Insel, auf der wegen dem Ozonloch alle Überlebenden starben, die Philippinen und ihre Nachbarstaaten waren von Erdbeben und dem Meer verschluckt.
Georg lief voraus.
„Stopp!“ rief Sascha. „Ein Grenzpfahl!“
Grenzpfähle standen überall da, wo die Läufer nicht hin durften. Sie wurden im Abstand von zwölf Metern aufgestellt und ihre Peilsender blinkten zart rosa und piepten. Sie waren mit den Implantaten in ihren Gehirnen verbunden. Überschritt ein Läufer die Pfähle, kochten Mikrowellen sein Hirn weich. Georg war dran vorbei. Trotz der Dunkelheit sah Sascha die Panik in seinen Augen. Dann platzten diese und der junge Mann sackte auf die Knie. Blut lief aus den Augenhöhlen. Sein Gesicht klatschte in das modrige Wasser. Tot!
Sascha hatte überlebt.
Da war die Brauerei. Das Wasser glitzerte im Morgengrauen. Hinter ihm platschte es. Ein Jäger. Der Schuss knallte und die Kugel durchschlug seine Schulter. Er taumelte. Die Menge schrie. Im fallen hob er die Uzi, drückte ab. Die letzten Kugeln im Magazin erledigten drei seiner Verfolger und vier Zuschauer, die ihnen hinterher liefen. Er rappelte sich auf, schmiss die Maschinenpistole weg, zog die Beretta und feuerte wild hinter sich. Ein Soldat brach getroffen zusammen. Sascha hechtete ins Wasser und tauchte. Sofort setzten sich Schlauchboote mit Motoren in Bewegung, auf denen die Soldaten saßen. Er tauchte auf, schwamm mit nur einem Arm paddelnd in Richtung Fischeln. Nach einer halben Stunde war die Tiefe überwunden und er konnte wieder laufen. Auf der Straße standen die Schaulustigen. Sie buhten ihn aus, schmissen Bierdosen nach ihm. Er feuerte in die Menge, einige brachen zusammen. Ein Soldat richtete sein Gewehr auf ihn und schrie: „Weiter! Das ist verboten! Beim nächsten Mal gibt s den Kanickelfangschuss, Wichser!“
Der Blutverlust vernebelte Sascha die Sicht. Er wollte es schaffen. Er ließ die Pistole sinken und lief in Richtung Marienplatz. Hier war, als er ein Kind war, immer die kleine Kirmes. Drei Fahrgeschäfte, sieben Buden fürs Essen, ein Schießstand und eine Lostrommel. Sein Vater ging jedes Mal mit ihm dahin. Sie fuhren Autoskooter, aßen Pommes mit Fisch und schossen für Mama Rosen.
„Genieße dein Leben, Junge!“
Sein Vater wollte sein Leben immer genießen. Er trat für seine Freiheit ein, er und Mutter wurden abgeführt. Sascha hatte sein Leben nie genossen. Es gab nur Wasser und Brot, abends Suppe mit alter Wurst.
„Lernt euer Land zu lieben!“ sagte der Oberst des Rheinlandes immer im TV.
„Ich hasse mein Land!“ schrie Sascha nun und taumelte im Brackwasser der Straße.
Wieder ein Schuss. Die Kugel streifte seine rechte Wange, auch die Jäger, die beiden, die noch da waren, gingen auf dem Zahnfleisch.
Freiheit! Wenn du durch hältst, bist du frei!
„Frei sein ist alles mein Sohn!“ hörte er die Stimme seines Vaters, als dieser sich mit seinen Freunden auf den Weg machte, den Anschlag auszuführen. „Freiheit Junge!“
Er gab Mutter einen Kuss auf die Stirn.
Sie holten ihn und sie. Sascha kam ins Lager, er war noch jung, Heidi, seine große Schwester, gerade sechzehn, kam in den Armeepuff. Ob sie noch lebte, wusste er nicht.
Beim Start hatte er Simone gesehen. Sie stand bei den anderen weiblichen Läufern, die starben, als der Startschuss fiel. Simone hatte er im Lager geliebt. Mit ihr fühlte er sich frei. Sie war zu hässlich für den Puff, so sagte der Oberst. Für Sascha war das große, dicke Mädchen eine Göttin, die ihn hin und wieder in die Arme schloss. Er liebte sie, wenn es so etwas wie Liebe gab.
Liebe und Freiheit. Mehr braucht ein Mann nicht!
Auch ein Spruch seines Vaters.
Sascha rannte, seine Beinmuskeln brannten, Blut quoll immer noch aus der Schulter. Der gesunde Arm wurde taub und er ließ die Pistole, seine letzte Waffe fallen. Der Aufschlag hatte zur Folge, dass sich ein Schuss löste und die Kugel in den Unterschenkel Jägers Nummer zwei schlug, der Mann schrie auf und brach brüllend auf den Boden zusammen. Sascha hörte dessen Gewehr hart aufschlagen.
Er selbst trudelte, da war ein Grenzpfahl, er taumelte weg und blickte hinter sich. Der letzte Jäger humpelte hinter ihm her, er war keine zwei Meter von ihm entfernt, hob die Hand mit einer Pistole und drückte ab.
Das war s! Ich werde kurz vorm Ziel erschossen.
Klick!
Die Waffe war leer. Leer verdammt. Der Mann stolperte mit verdutztem Gesicht auf Sascha zu. Der griff die ausgestreckte Hand und stieß seinen Kopf auf die Nase des Angreifers. Blut spritzte ihm aus der Nase, besudelte das Gesicht des Läufers und der Jäger ging auf die Knie. Sascha trat mit letzter Kraft in den Kerl und er fiel zu Boden.
Taumelnd drehte er sich weg und schaute nach vorn. ZIEL! Da vorne, knappe zehn Meter hing die Fahne mit dem Wort Z I E L. Er war da. Frei, er wurde frei sein wie sein Vater. Er würde in den Pazifik reisen. Vielleicht würde er in einer Flossstadt Unterschlupf finden.
Fünf Meter bis zum Ende. Vier, drei zwei.
Der Jäger sprang ihn von hinten an. Sascha sah das Blitzen des Messers in der aufgehenden Sonne. Dann spürte er den Schmerz und er war frei.