Hier sind Kapitel 3 und 4 untergebracht. Das 1 und 2 Kapitl findet ihr im ersten Teil, schaut einfach mal in meinem Profil vorbei und lest nach :)
Ich hatte mich angezogen. Meine Lieblingsbluse und eine kurze Hose. Es war heiß und schwül und ich hatte mich davor noch schnell kalt geduscht. Es war noch etwas früh um zu gehen aber ich konnte es nicht mehr erwarten. Also nahm ich meine Tasche, packte rasch Handy und Schlüssel ein und ging. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Da erschrak ich und schaute rasch in meine Tasche ob ich nicht vergessen hatte es ein zu stecken, in meiner Schusseligkeit. Doch es war drin und ich ging die Treppen runter, da der Lift wieder ausgefallen war. Draußen begrüßte mich
ein strahlend blauer Sommerhimmel, wolkenlos und so klar wie die Luft. Die Sonne brannte auf mich nieder und der Gehweg unter mir leuchtete grell. Doch der Wind kam von dem Berg runter und blies mir kühl und erfrischend um die Ohren. Es war tatsächlich ein perfekter Tag, ein perfekter Tag für einen Geburtstag. Ich freute mich schon auf Peter, der wohl schon mit einem breiten Grinsen am Gartentor stand und mich lachend begrüßte. Vielleicht waren Tante Diana und Onkel Steven schon da. Ich fragte mich auch ob Sara es geschafft hatte sich frei zu nehmen. Peter wäre sicher enttäuscht wenn sie nicht kommen würde. Er mochte sie sehr
obwohl sie sich kaum kannten. Auch ich kannte meine Halbschwester Sara kaum. Sie arbeitete für ein Modemagazin und war davon ständig eingenommen dass sie oft nicht mal zu wichtigen Anlässen erscheinen konnte, so sehr sie ihre Chefin auch anbettelte. Niemand war böse auf sie. Jeder verstand dass es oft nicht anders ging, so war das eben wenn man einen aufwendigen Job hatte. Als ich in der U-Bahn saß wollte ich sie anrufen und nachfragen aber sie nahm nicht ab, was meinen Verdacht sie können nicht kommen, bestätigte. In der U-Bahn war es zwar laut aber angenehm kühl und abgedunkelt. Denn natürlich hatte ich meine Sonnenbrille vergessen.
Zurück an der Oberfläche wartete ich an der Busstation. Irgendwie schienen heute die Verkehrsmittel extra schnell zu kommen und zu gehen um mir auch möglichst rasch das Lächeln meines Neffen sehen lassen zu können wenn er mich von seinem Wachposten am Gartenzaun aus sah. Ich war pünktlich, wie immer, genau auf die Minute und musste breit grinsen als ich den weißen Gartenzaun des Hauses meiner Schwester sah und Peter mir zu rief. Er riss das Gartentor auf und stürmte auf mich zu. Lachend warf er sich um mich und ich drückte ihn zurück. „ Hey!“ rief ich und lachte. Peter sah zu mir rauf und seine blauen Augen leuchteten voll
Freude. Ich wuschelte ihm die kurzen dunkelbraunen Haare und fragte ob Tante Diana und Onkel Steven schon da waren. Peter führte mich ins kleine Sommerhaus und bot mir wie ein feiner Gentleman ein Glas Zitronensaft an. Die Beiden waren noch nicht da, ich war die erste. Ich setzte mich auf die kleine, schnuckelige Holzbank im Wohnzimmer mit den karierten Pölstern und trank gierig ein paar Schlucke. Meine Schwester Christine hatte zwei große Sonnenschirme in den Garten gestellt und die Klimaanlage aufgedreht, dass es drinnen überraschend kühl war. Erleichtert ließ ich mich in die Pölster sinken und genoss das Glücksgefühl des
Sommers, der durch die Fenster herein leuchtete. Im Hintergrund hörte ich Christine in der Werkstatt fluchen. Kurz darauf fiel etwas laut um und polterte heftig. Peter und ich grinsten uns an. „ Hast du mein Geschenk auch nicht vergessen, Tante Jasmin?“ fragte er und begann aufgeregt hin und her zu hoppsen. Ich kicherte und legte schützend eine Hand auf meine Tasche: „ Keine Sorge, habe ich nicht.“ Kurz darauf quietschte die Tür und Christine und ihr Mann Walter kamen herein. Ich umarmte jeden kurz und fragte wie es ihnen ging, wir hatten uns seid Ostern nicht mehr gesehen. Christine erzählte davon wie der Wagen letzte Woche den
Geist auf gegeben hatte und wie Walter ihn wieder zum Laufen gebracht hatte, wobei er stolz die Brust schwellte. Wenig später kamen auch Tante Diana und Onkel Steven. Jetzt war die Runde komplett und Walter stellte die Geburtstagstorte auf den Tisch. Eine Kalorienbombe aus Schokolade und ich konnte nicht widerstehen ein großes Stück mit viel Sahne zu nehmen, nachdem Peter seine 8 Kerzen ausgeblasen hatte. Gerade als ich die Gabel ansetzen wollte rief Peter: „ Tante Sara!“ und sprang von seinem Platz um Sara überschwänglich zu begrüßen. „ Hallo, mein Süßer!“ sang sie mit ihrer hohen Stimme und drückte jeden kurz
und gesellte sich zu uns. „ Tut mir leid dass ich es nicht früher geschafft habe! Mrs. Willoson hat mich erst gehen lassen nachdem ich den Artikel zu Ende geschrieben habe. Hier, mein Süßer.“ Sagte sie und holte eine große Box aus ihrer Tasche worauf hin Peters Augen wieder zu funkeln begannen. In dem Moment fiel mir auf das etwas anders an Peter war. Es waren seine Augen, die plötzlich nicht mehr blau waren und jung strahlten sondern einen violetten Ton angenommen hatten und mir schien als würden sie boshaft, wenn nicht sadistisch blitzten als er mich fragte ob er jetzt auch mein Geschenk bekommen könnte. Etwas perplex holte ich das
Geschenk aus meiner Tasche und reichte es ihm. Alle schienen mich an zu sehen und zu lächeln. Doch ihr Lächeln, die vor her noch Freude ausgestrahlt hatten waren plötzlich nicht mehr ein ehrlicher Ausdruck des Glücks. Sie waren zu falschen Masken geworden die mich so kalt angrinsten wie Steinstatuen und ihre Augen waren alle wie die eines ausgehungerten Löwenrudels auf mich gerichtet. Mit schmalen Pupillen und geblähten Nasenflügeln starrten sie mich an und ich fühlte mich plötzlich nicht mehr wie in dem heimischen, kleinen, schnuckeligen Wohnzimmer im Sommerhaus meiner Schwester, sondern wie in einem Gefängnis eingesperrt,
zusammen mit den Raubtieren die mich verschlingen wollten. Niemand rührte sich, auch Peter hatte in der Bewegung Inne gehalten und glotzte mich mit violett leuchtenden Augen an die tief in den Höhlen saßen und ihm noch mehr das Aussehen eines ausgehungerten Löwen verliehen. Ich verspürte Panik, das Gefühl als würden die Holzwände immer weiter auf mich zu kommen und plötzlich erkannte ich wo ich tatsächlich war, in meinem Raum aus Metall, Rost und Einsamkeit. Nur war dieser viel kleiner und ich saß in meiner Ecke, um mich herum gescharrt meine Familie die immer noch mit ihren Blicken nach meinem Fleisch lechzten. Ein
Angstschrei war mir in der Kehle stecken geblieben und auf einmal erhaschte ich einen Seitenblick auf Peter, dessen Gesicht sich gewandelt hatte. Er hatte auf einmal weiche, volle Backen und eine spitze, freche Nase mit großen Augen, die immer noch violett leuchteten aber von schwarzen Rändern umzogen waren. Seine Finger krallten sich in das Geschenkpapier und zerschmetterten den Inhalt das es laut knackte doch er gab keine Gemütsregung zurück und grinste nur noch breiter. Jetzt war es zu fiel. Ich fühlte mich als hätte man mir den Boden unter den Füßen weg gezogen, die plötzlich in einem Paar schmutziger
Socken steckten. Ich blickte an mir runter und erkannte den Rock und das T-Shirt die ich seit Tagen anhatte. Um das Loch in mir zu schließen, dass drohte mich wie ein schwarzes Loch zu zerfressen und mich in Dunkelheit zu stürzen, schlang ich die Arme um die Beine und begann mich wie ein kleines Kind hin und her zu schaukeln während nichts das schreckliche verzerrte Bild meiner Jäger zerstörte, die mich gierig anstarrten. Plötzlich begannen die Metallwände mit lautem Splittern und Krachen zu zerfallen, krümmten sich unter einer unsichtbaren Macht und zerbröselten zu feinem Staub während die Gesichter von Peter und Christine
von Oben zu zerrinnen, wie Butter in der Sommersonne. Ihre fahlen Gesichter zerflossen zu einem bunten Farbengewirr und tropften in den Abgrund der sich unter mir aufgetan hatte. Entsetzt sah ich mit an wie ihre Körper zerflossen und in den Abgrund fielen während mich das Beben der zerfallenden Wände erschütterte. Mein Kopf pochte und alles drehte sich. Wimmernd reiße ich die Augen auf und finde mich in einem weiteren Albtraum aus violettem Licht und tiefen Schatten wieder, die in den Ritzen und Ecken des Raumes liegen. Die Neonlampe ist wieder an und ihr Licht tröstet mich über die Dunkelheit hinweg, die mich
zerfressen wollte doch gleichzeitig erinnert sie mich daran wo ich bin. Ich liege in einem Wirrwarr aus Decken auf dem weichen Himmelbett, in dem ich vor wenigen Stunden das Mädchen dass mich verschleppt und hier eingesperrt hat, mit einem Messer bedroht habe. Alle Gefühle brodeln in mir hoch und drohen mich auseinander zu reißen bis ich beschließe aus diesem verfluchten Zimmer zu gehen. Mühsam raffe ich mich auf und schreite zur Tür, die sich öffnen lässt. Erleichtert schiebe ich sie auf und folge dem Gang den wir letztens gefolgt waren. Ich hatte mir den Weg gemerkt und da es keine weiteren Abzweigungen gab, finde ich mühelos in
den Raum zurück in dem ich das erste Mal auf meine Entführerin getroffen bin. Der Raum sieht noch genauso aus wie gestern. Nur das ein großes Büffet auf der Tafel steht. Große Schüsseln, gefüllt mit verschiedenstem Brot, Marmeladen- und Honiggläser, eine Schüssel mit dampfenden Eiern, Gläser gefüllt mit Orangensaft und einem Teller voll Waffeln. Bei dem Duft der mir entgegen weht fühle ich mich als sei es ein Samstagmorgen, ein ausgiebiges Frühstück mit einer Freundin. Doch Tatsache war, dass die Person, die am selben Platz sitzt wie gestern, nicht meine Freundin sondern meine Feindin ist. Sie hat noch nicht mit dem Frühstück
angefangen sondern scheint auf mich zu warten also trete ich näher und setze mich, so selbstverständlich wie ich in dieser Situation nur kann, auf meinen Platz und betrachte den Porzellanteller vor mir. Mit ziegelroter Farbe wurden hübsche kleine Muster auf den Rand gemalt. Es sind verschlungene Zweige mit Blättern, Blüten und Knospen, hier und da sitzt in kleiner Vogel. Es ist alles wieder sehr edel angerichtet. Alles hat eine bestimmte Ordnung, stelle ich fest. Das kleine Besteck ist aus Silber und hat schwungvoll geformte Griffe mit klitzekleinen, feinen Eingravierungen, die ich in dem schummrigen Licht nicht erkennen kann. Erst jetzt wandert mein
Blick zu meinem Gastgeber der mit reglosem Lächeln da sitzt, aufrecht und mit erhobenem Kinn. Ihre Augen lachen mich freundlich an. „ Guten Appetit.“ Sagt sie mit ihrer feien Stimme und ich nehme etwas ungeschickt das Besteck und nehme mir ein Ei und ein Stück Brot. Erst als ich alles beisammen habe, worauf ich Appetit habe und anfange die Schale meines Eis auf zu brechen beginnt sie sich ein Brot mit Marmelade zu bestreichen. Ich esse mein weiches Ei und tauche das Vollkornbrot in den zerronnenen Dotter. Ich esse eine Waffel und spüle den letzten Bissen mit einem Schluck Orangensaft hinunter. „ Sag mal.“ Hebe ich an und ziehe das große
Augenpaar an, dass mich in meinen Träumen verfolgt hat und auf einmal habe ich vergessen was ich sagen wollte. Ich sitze schweigsam da und schlucke schwer. Sie scheint über mich zu lächeln und grinst amüsiert. Sie streicht ihr Messer sorgsam an ihrem Brot ab und beißt ein kleines Stück ab. „ Das gestern, war sehr dumm von dir.“ Ich zucke bei ihren Worten zusammen und die Unbehaglichkeit setzt sich wieder in meinem Nacken fest. Sie lächelt noch aber ihre Augen sprechen Ernst. Beklommen und etwas Schuldbewusst senke ich den Blick und starre den Saum des Tischtuches an, der über die Tischkannte fällt. Sie lacht kurz auf und
legt ihr Brot wieder auf den Teller: „ Ich bin dir nicht böse.“ Ihre Worte überraschen mich aufs Neue und ich sehe auf. Ihre dunklen Augen erwidern meinen Blick und mir läuft es kurz kalt den Rücken runter. Ihre engelhaften Züge, die sie mit diesem Kindergesicht aussehen lässt wie 7, überraschen mich immer wieder wenn ich sie ansehe. Sie sah aus wie eine Puppe. Und ich war ihr kleiner Spielzeughund, in ihrem kleinen Puppenhaus dass aussah als stünde es in einem pinken, rosaroten Mädchenzimmer. Nur dass dieses Schloss mein Gefängnis war und sie keine Puppe sondern eine Sadistin. „ Ich möchte dir etwas zeigen.“ Fährt sie fort.
„ Aber ich weiß nicht ob dass heute schon geht.“ Sie scheint kurz zu überlegen. Irgendwann lockert sie sich wieder und sagt bedauerlich: „ Naja, vielleicht etwas später. Jetzt, zumindest, sage ich, genieße dein Frühstück, ich hoffe es schmeckt dir.“ Ich nicke knapp und beiße abweisend in mein Brot und versuche ihrem Blick aus zu weichen. Als ich fertig bin umschmeichelt ein Lächeln wieder ihre Lippen und sie sagt entzückt: „ Aber dafür will ich dir etwas anderes Gutes tun. Komm.“ Und steht auf. Ich springe so schnell auf dass der Stuhl laut über den Boden scharrt und folge ihr den Gang, aus dem ich gekommen war. Wir gehen an meinem
Zimmer vorbei zu einer anderen Tür, nicht weit weg. Sie öffnet sie, schaltet das Licht an und zeigt meinen Augen den Anblick eines Luxusbadezimmers. Es ist bis jetzt der einzige Raum ohne diese schrecklichen Neonlampen. Das Bad wird mit einer normalen Glühbirne beleuchtet, dessen Licht durch die weißen Fliesen zurück geworfen wird. Vor uns liegt eine große Wanne, die fast den ganzen Raum in Anspruch nimmt. In der Ecke steht eine kleine, weniger beindruckende Dusche. Zwei große Waschbecken unter einem großen Spiegel. Neben der Wanne liegen zwei Handtücher. „ Ich entschuldige mich dafür, dass du die ganzen Tage über nicht
duschen konntest. Sogar in den alten Sachen musstest du rum laufen.“ Klagt sie plötzlich mit diesem Bedauern in der Stimme, dass mir immer so ehrlich gemeint vorkommt aber irgendwie wieder so übertrieben ist dass es schonfast höhnisch ist. Sie geht mit ihren kleinen Puppenschritten auf die Wanne zu und beginnt warmes Wasser ein zu lassen. Als sie sich zu mir umdreht sieht sie mich noch einmal kurz an. Ihr liegt etwas auf der Zunge aber sie schluckt es runter und geht. Hinter ihr fällt die Tür ins Schloss. Mir ist als wäre ich in einer Zerrwelt in der ich nicht zwischen Traum und Realität unterscheiden kann oder in der es nicht
einmal eine Realität gibt. Je mehr ich sehe, je mehr sie sagt, umso mehr kommt mir alles wie eine Fantasie in meinem Kopf vor doch das warme Wasser und die kühlen, grellen Fliesen schreien gerade zu: Realität! Zuerst war ich nicht sicher ob ich in die Wanne steigen sollte doch die Sehnsucht all die Albträume und Ängste irgendwie von meinem Körperschrubben zu können, gewinnt die Oberhand und ich schlüpfe aus meinen alten Sachen raus. Das Wasser ist schön warm und ich warte bis die Wanne Randvoll ist. Am Rand stehen allerhand Flaschen und Gefäße aber ich gehe so in dem vertrauten Gefühl auf, dass ich sie außer Acht lasse und die
Augen schließe. Dieser Raum passt rein gar nicht in das Bild. In das Bild meines Albtraums, gefangen in dem schmutzigen Raum der Kälte und Bedrohlichkeit ausstrahlt, umringt von meinen Vertrauten, in denen ich das Gesicht meiner Feindin wieder sehe. Ich schüttle übertrieben den Kopf um nicht wieder in Tränen aus zu brechen und versuche an anderes zu denken aber seid ich hier bin kann ich an nichts anderes denken und langsam quellen mir die Tränen aus den Augen und tropfen ins Badewasser. Ich hatte von Peters vergangenem Geburtstag geträumt. So war es tatsächlich abgelaufen, ich erinnerte mich im Schlaf daran als
wünsche ich mir so sehr ich könnte wieder sein Lächeln sehen. Oder wenigstens die Gesichter meiner Schwestern Christine und Sara. Peter ist tot. Er ist letzten Herbst von einem Auto überfahren worden. Ich denke dies, als wollte ich mich damit selbst dafür strafen zu denken ich könnte hier raus kommen. Eine Stimme in meinem Hinterkopf redete mir ein, ich könne hier nicht raus. Ich sei vielleicht irgendwo unter der Erde, im Haus einer verrückten Sadistin die so aussah wie eine puppe und mich zu ihrem Spielzeug gemacht hat, dass sie jetzt von einem Albtraum zum nächsten schickte. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und
kralle meine Nägel in meine Haut. Verzweifelt klammere ich mich an mein Gesicht als könne es mir Halt geben bevor ich vor Schmerz und Panik in Ohnmacht falle. Leise schluchze ich vor mich hin bis meine Haut ganz runzelig ist, das Wasser kalt und meine Finger von der Krümmung schmerzen. Ich schniefe noch etwas und steige langsam aus der Wanne. Mit zittrigen Fingern hebe ich eines der Handtücher auf und trockne mir zuerst das Gesicht, mitsamt den Tränen. Da fällt mein Blick auf etwas dass unter dem Handtuch liegt. Es ist schwarzer Stoff und als ich es aufhebe merke ich dass es ein Kleid ist. Nachdem ich mich abgetrocknet habe und
Peter, Sara und Christine in den hintersten, mir möglichen, Winkel meines Kopfes geschoben habe, ziehe ich es an. Es ist nicht wie ihr Kleid, nach unten hin immer weiter auseinander gehend, dass der Saum weit absteht und das Kleid puffig und flauschig macht. Ohne Schleifen und liebliche Muster. Es ist ein normales schwarzes Kleid, das schlaff an mir runter hängt und bis knapp unter die Knie geht. Es hat einen V-Ausschnitt und dünne Träger. Es fühlt sich sehr leicht an, als trüge ich gar nichts. Dazu gibt es eine schwarze Strumpfhose. Ich schlüpfe hinein und betrachte mich kurz im Spiegel. Ich sehe aus wie eine kleine
Puppe, so wie sie, nur nicht schön sondern erbärmlich traurig, ein Bild des Leidens und der Pein.
Ich öffne die Tür und wieder weckt das violette Neonlicht ein seltsames Gefühl in mir. Ein Gefühl der Unausweichlichkeit, des Akzeptanz´ der eigenen Gefangennahme und des anerkennenden Schicksals. Mit diesem Kleid am Leib fühle ich mich wie Teil dieses Puppenhauses und noch mehr als Spielzeug dieses Mädchens. Als wäre hier mein Platz, der Ort an dem ich leben oder sterben würde, für mich fühlt sich auf einmal leben und sterben gleich an als ich dem Flur zurück folge und wieder im Speisesaal stehe. Sie sitzt tatsächlich auf ihrem Platz. Sie steht
lächelnd auf, als sie mich hört und begutachtet mich eingehend. Ihr Lächeln ist warmherzig und ihre Stimme klingt entzückt: „ Du siehst wunderschön aus. Aber warte, da fehlt noch etwas!“ Sie hüpft wie ein kleines Kind zurück zum Tisch und nimmt etwas. Es ist ein etwas eigenartiges Accessoir. Eine Spange an der ein kleiner glitzernder Zylinderhut befestigt ist mit einem kleinen blassrosanem Schleier. Behutsam klemmt sie die Spange in mein Haar, wobei mir der Geruch auffällt den sie verbreitet. Er war mir schon letztens aufgefallen, als sie meinen Messerangriff abwehrte und sie nur wenige Zentimeter über meinem Gesicht
war. Es war ein sehr betörender, süßer, leicht würziger Duft, der sich auch jetzt nicht geändert hatte. Ich atme ihn kurz ein, dann lässt sie auch wieder die Arme sinken und betrachtet zufrieden ihr Werk. „ Perfekt!“ ruft sie und bewundert mich mit glitzernden Augen. Obwohl ich gerade aus dem Bad gekommen bin, fühle ich mich plötzlich so schmutzig. Der eigene Geruch meines Kleides, die Strumpfhose die die Kälte nicht davon abhält auf meine Füße über zu gehen und die Art wie sie die Spange in mein Haar gesteckt hat…..Ich komme mir vor wie eine Ankleidepuppe, wie ihr persönliches Spielzeug. Sie foltert es nicht aber sie steckt es in Kleider und
Dinge die sie vergessen lässt wer sie wirklich ist, ein Mensch mit einer Seele und eigenem Willen. Es ist als würde sie bloß durch die neuen Klamotten meinen Willen brechen und mich zu ihrer Sklavin machen. Widerwillig zwinge ich mir ein Lächeln auf als sie mich darum betet. Es scheint sie zufrieden zu stellen und sie lässt von meinem Äußeren ab. Es braucht nur mehr einen Tropfen, der das Fass der Tränen zum Überlaufen bringen kann und ich versuchte mich so gut es geht zusammen zu reißen. Ein Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Sie hatte die Hände zusammen geschlagen und rief vergnügt: „ Oh ja! Warte kurz!“ Mit ihren
schlanken Beinen tanzt sie durch den Raum zu einem kleinen altmodischen Tischchen, das mir vorher noch gar nicht aufgefallen war. Ich glaube es kaum als ich erkenne was darauf steht. Es ist ein Plattenspieler! Er ist schwarz und sieht weder neu noch alt aus, kein Staub bedeckt ihn und er sieht nicht aus wie einer der bei jeder Berührung zusammen brechen würde, wie man es von solch alten Dingen erwarten würde. Eine Platte liegt bereits darauf und sie legt die Nadel auf. Urplötzlich ertönt eine laute, von Rauschen und Knacken durchzogene, Musik. Mindestens so alt wie der Plattenspieler und sie passt perfekt in den Raum. Es ist altmodischer
Jazz wie man ihn in schwarzweißen Mafia- oder Agentenfilmen hört. Alles nimmt plötzlich makabre Züge an, ich komme mir vor wie in einer schlechten Horrorgeschichte. Ein unschuldiges Mädchen wird zur Größe einer Puppe geschrumpft, gekleidet wie eine und in ein mädchenhaftes Puppenhaus gesteckt, dass eine unheimliche, wenn nicht abstoßende Aura ausstrahlt, mit seiner altmodischen, kalten, dunklen Einrichtung. Das Schwarz und das schummrige violette Licht lassen die Musik in meinen Ohren nicht angenehm und einladend klingen, wie sie eigentlich gemeint ist. Es ist ein Jazz der Wohlgefühl ausstrahlt, der einen
beruhigt aber noch im Hintergrund einen Tackt hat zudem man den Drang verspürt zu tanzten. Doch ich empfinde nur den Drang zu weinen und irgendwo hin zu laufen, irgendwo hin wo weder sie noch dieses unerträgliche Neonlicht ist. Doch stattdessen bleibe ich starr stehen, die Arme eng an den Körper gepresst. Vor mir beginnt sie plötzlich sich zu drehen, mit hoher, Glockenstimme zu lachen und um mich herum zu schweben als tanze sie nicht zur Musik sondern als spiele die Musik nur zu ihrem Tanz. Gebannt sehe ich zu wie sie gekonnt um mich herum tänzelt, leicht die Hüften hin und her bewegt und in den richtigen Momenten langsamer und wieder
schneller und anmutiger wird. Sie kichert und dieser Klang wird Teil der Melodie, verschmilzt mit ihr und wird neben ihrem Tanz zu einem Hintergrundgeräusch. Irgendwann nimmt sie zärtlich meine Hand. Sanft zieht sie mich zu ihr doch ihre Finger verraten eine gewisse Dringlichkeit, fasst wie ein Befehl. Und ich gehorche. Sie nimmt meine Hand und mit der anderen umfasst sie eine Hüfte. Jetzt nicht mehr so flott und anmutig, tanzen wir im Rhythmus zur Musik. Es ist klar dass sie führt. Sie führt meinen Körper dort hin wo ihrer ist und schafft es dass sich mein Körper automatisch im Rhythmus hin und her wiegt. Sie lacht nicht mehr, sie sieht
mich an und ihre Lippen sind zu einem leichten Lächeln geformt. Ich starre in ihre dunklen Augen, die mir jetzt bei genauerer Betrachtung nicht mehr natürlich vorkommen, vielleicht trägt sie Kontaktlinsen. Wie lange wir uns wohl so in Einklang wogen. Irgendwann war das Stück zu Ende und sie erstarrte. Der Tanz ist somit beendet aber sie lässt ihre Hände noch an meinem Körper. Zum ersten Mal frage ich mich nicht was sie mit mir vor hat, wann oder ob ich hier wieder raus kommen würde und was morgen anstünde sondern was für Gedanken sie verfolgen. Was erhofft sie sich durch mich? Was will sie damit erreichen oder ist sie tatsächlich nur eine
Sadistin die mich seelisch quälen will bis ich so ausgelaugt bin dass ich keine Sätze mehr formulieren kann? Ja, dass ist sie. Ich kann in ihren Augen lesen dass sie noch mehr mit mir vor hat. Plötzlich läuft es mir wieder kalt den Rücken runter, als hätte sie mir ihr wahres, grässliches Gesicht offenbart. „ Wie fühlst du dich?“ fragt sie auf einmal und ich bin gedanklich wieder an Ort und Stelle. „ I-Ich weiß nicht genau.“ Stammle ich etwas befangen. Sie schmunzelt. „ Du tanzt gut.“ Ich erwidere nichts, es ist offensichtlich dass das eine Anspielung auf ihre Führung ist. Ihre Hand hat sich immer noch nicht von meiner gelöst und
langsam wird mir ihr Griff im Rücken unbehaglich. „ Es ist eins meiner Lieblingsstücke, weißt du?“ fährt sie fort. „ Wo hast du den Plattenspieler her?“ mir fällt erst spät auf dass ich diese Frage gestellt habe und wider schmunzelt sie. „ Von einem alten Freund. Ich bin auch immer wieder erstaunt, dass er noch anspringt.“ Sie lacht kurz auf. „ Ich drehe ihn nur für besondere Personen auf.“ Und auf einmal ist ihre Hand weg von meinem Rücken und ihre Finger umklammern nicht mehr meine Hand. Sie entfernt sich einen Schritt von mir und grinst mich immer noch an. „ Ich habe jetzt etwas zu tun. Du kannst dich derweil hier
umsehen oder noch was essen.“ Ihr Lächeln schien etwas spöttisch zu werden. Sie ist wahrlich eine Sadistin. „Ganz wie du willst.“ Und sie dreht sich um und ist plötzlich verschwunden. Mein Herz pocht laut und protestierend. Ich warte bis ihre Schritte auf dem Metall verklungen sind und sie weit genug weg ist, dann beginne ich zu rennen. Meine Füße gehorchen mir endlich, wo ich jetzt so oft das Bedürfnis verspürt hatte einfach weg zu laufen und zu fliehen. Ich spüre das Adrenalin durch meinen Körper fahren als ich den Weg einschlage, den ich gekommen bin als die Tür zu meinem Gefängnis aufgesperrt worden
war. Während ich laufe fühlt es sich so an als würde mir jemand im Nacken sitzen und mich verfolgen doch ich weiß genau dass sie weg ist. Ich versuche den Gedanken daran zu verdrängen was passieren würde wenn sie merken würde dass ich nach einem Fluchtweg suchte. Der Flur macht einen Knick und ich bin wieder in dem Gang den ich beschritten habe als ich aufgewacht bin. Zu meiner rechten sehe ich die Metalltür, immer noch sperrangel weit offen, nichts hat sie verändert. Meine Beine tragen mich immer weiter bis ich an dem Ende des Ganges ankomme, den ich noch nicht kenne. Vor Angst keuchend, renne ich solange bis er einen Knicks macht. Ich
folge ihm einfach immer weiter, in der Hoffnung auf eine Tür zu treffen die mir den Ausgang zeigen würde. Es dauert etwas bis eine weitere Tür in Sicht kommt, sie sieht genauso aus wie die anderen die ich bis jetzt gesehen habe. Noch etwas was ich an diesem Puppenhaus hasse. Es sieht alles so gleich aus, dass man meinen könnte ich währe immer noch vor der verschlossenen Tür meines ersten Raumes. Ich fürchte plötzlich mich verlaufen zu können und irgendwann ihr in die Arme zu laufen. Ich beiße mir auf die Lippen um nicht auf zu schreien vor Panik. Was wenn ich hier nie wieder rauskomme? Was wenn der Ausgang so
versteckt liegt, dass ich ihn nicht finde oder wenn sie mich erwischt und bestraft? Ohne weiter zu denken, packe ich den Griff der Metalltür und ziehe kräftig daran. Mit Mühen und viel Kraftaufwand gelingt es mir sie zu öffnen. Doch dahinter verbirgt sich nur ein leerer, verfallener Raum indem allerhand Rohre kreuz und quer liegen und hängen und sich Elektrokabel türmen. Verärgert stoße ich die Tür wieder zu und laufe weiter. Die Gänge sehen alle gleich aus und ich weiß nicht wo ich schon einmal vorbei gekommen bin und welche Teile des Labyrinths neu für mich sind. Ob sie sich hier überhaupt zurecht findet? Die Panik
droht mich zu übermannen als ich eine Tür nach der anderen aufreiße oder feststellen muss dass manche verschlossen sind oder gar keinen Griff besitzen. Ich bin auf weitere Kontrollräume mit allerhand Kabeln und Bildschirmen gestoßen, auf weitere unbenutzte Schlafzimmer, die aber nicht so aussehen als habe man sich darum bemüht sie auf zu räumen oder zu putzen. Zwei Lagerräume, einer mit alten verstaubten Möbeln und anderem Zeug vollgestopft und einer bis zur Decke mit Aktenschränken. Keuchend bleibe ich stehen und ringe nach Luft. Es gibt keinen Ausgang! Langsam sinke ich auf die Knie, dass mir der kalte
Boden eine Gänsehaut durch den Körper jagt. Natürlich muss es einen Ausgang geben aber er bleibt mir verborgen und wer weiß wie lange ich hier schon rum irre und an wie vielen Türen ich schon mehrmals vorbei gekommen bin? Ich bleibe einige Zeit da sitzen, ohne dass sich der metallene Boden unter mir erwärmt und muss unwillkürlich an Peter denken. Seid ich hier bin muss ich erstaunlich oft an ihn denken. Komisch. Dabei dachte ich, ich sei schon lange über die Trauerfase hinweg, kurz nachdem er gestoben war. Doch immer wenn ich in ihre großen, strahlenden Augen sehe, sehe ich ihn vor mir. Oder seine entstellte Fratze in meinen
Träumen, durch das sich meine Angst verkörpert und Gestalt annimmt. Als ich noch in meinem kleinen kahlen Raum eingesperrt war hatte ich Träume von meiner besten Freundin Jane, wie sie mir mit einem Messer gegenüber steht. Doch auch der Traum war bald verschwunden und wich verschwommenen Traumgebilden die ich bereits vergessen habe. Nur dunkel flackern noch Bilder daraus aus aber ich kann nichts mehr erkennen. Die Tage sind eine Qual. Jeden Tag erwache ich, ohne zu wissen wo ich bin, wie ich hier her komme und ob es Tag oder Nacht ist. Ich sehe nur dieses schreckliche violette Licht und überall wo es nicht hinreicht
sitzen tiefe Schatten, so bedrohlich und nah wie die kalten Metallwände die mich einschließen. Jede Nacht ist eine Qual. Ich fürchte mich vor dem Schlaf obwohl ich vom Tag immer zu erschöpft bin um mich vom Schlaf davon zu reißen. Die Träume, die zu Beginn noch sanft und reizvoll beginnen, verwandeln sich in Albträume, in denen nie sie leibhaftig, sondern in Form meiner Freunde und Familie, steht. Ich bin es leid mich zu fürchten und leid immer ihres und sein Gesicht zu sehen und mich in den Schlaf zu weinen wo mich dann die Albträume zum weinen bringen. Doch genauso bin ich die Tränen leid, die ewig über meine Wangen
fließen und mich würgen lassen, wenn ich bereits zu lange meinem Leben nachgetrauert habe. Aber sie lassen sich nicht zurück halten. Sie kommen immer wenn ich mir meiner Schwäche und Gefangenschaft Bewusst werde und immer wenn mir die grinsenden Fratzen, Peters, Christine´ und Sara´ nicht aus dem Kopf gehen wollen. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und versuche mich davon ab zu halten die Tränen fließen zu lassen. Vergeblich.