Titel
Mein lieber Sohn,
ich war dir nie ein guter Vater gewesen. Glaub nicht, ich hätte es nie gewollt. Und glaub nicht, ich hätte es nie versucht. Aber es wurde mir auch nicht leicht gemacht. Zum Teil durfte ich dich nur selten sehen und noch weniger durfte ich dich für mich alleine haben. Keiner traute mir zu, das ich mich mit dir beschäftigen kann. So, wie ich stets dabei beobachtet wurde, war ich ganz nervös gewesen. Frustriert. Angefressen. Weil, ganz egal was ich tat oder sagte, stets wurde ich ermahnt, oder
hinterfragt, oder... Wie soll man ungestört mit seinem Sohn spielen, wenn man andauernd gestört wird?
Selber hatte ich keine schön Kindheit gehabt. Abgesehen davon, das ich immer wieder darauf hingewiesen wurde, das ich ein totaler Verkehrsunfall war, bekam ich ständig nur Schelten. Ich kann mich nur an ganz wenige schöne Momente erinnern. Meist wurde ich nur ausgeschimpft. Angemeckert. Bekam einen Tritt in den Hintern. Natürlich ohne Ansage und ohne mir zu sagen, wofür. Auch Ohrfeigen bekam ich zu Hauf.
Wenn ich nicht im Elternhaus gepiesackt wurde, dann in der Schule. Freunde hatte
ich nur selten. Und auch nur für kurze Zeit. Musste wohl an mir liegen.
Als ich deine Mutter traf, dachte ich, endlich habe ich Glück. Schnell stellte sich heraus, das sie nicht so lieb und nett war, wie sie mir anfangs erschien. Häufig war sie betrunken. Zwar durfte ich dann mit ihr schlafen, aber wenn sie dann wieder nüchtern war, hielt sie mir vor, ich hätte die Situation ausgenutzt. Ich ließ sie reden.
Als Kind und Jugendlicher hatte ich oft gelogen. Ich weiß nicht warum. Irgendwann neigte ich immer mehr zur Wahrheit. Nur glaubte mir dann keiner mehr. Was ich seltsam finde. Wenn ich log, wurde mir geglaubt und wenn ich
die Wahrheit sagte, hörte mir keiner zu und mir glaubten auch nur die Wenigstens. Unverständlich. Ist aber so.
Ich wollte mich nicht nur für meine Unfähigkeiten, Vater zu sein, entschuldigen, sondern auch gleichzeitig abschied nehmen. Ich komme mit der verlogenen Welt nicht klar. Wie gern würde ich an den liebenden Gott glauben. Aber wie soll ich das? Immer wenn ich einen Lichtblick in meinem Leben sah, kam ein riesiger Vorschlaghammer und machte mir alles wieder kaputt. Fazit: Ich durfte von Vorn anfangen. Immer wieder aufs Neue. Eine Sisyphusarbeit.
Ich habe vor ein paar Jahren dein
Sparbuch von deiner Mutter geklaut. Während ich immer wieder was einzahlte, hob sie immer wieder was ab. Dabei war das Geld allein für dich gedacht. Nicht für sie. Nur weil sie keine Lust hatte arbeiten zu gehen, hatte sie nicht das Recht, dir dein Geld wegzunehmen. Sie schmiss doch schon das Meinige zum Fenster raus.
Du wirst mir wahrscheinlich nicht glauben. Aber ich habe jeden Tag an dich gedacht. Gerne wäre ich dich besuchen gekommen. Aber ich durfte nicht. Es wurde mir von deiner Mutter und diversen Ämtern verboten. Nun bist du erwachsen, wohnst nicht mehr bei ihr, sondern in deiner eigenen Wohnung.
Natürlich könnte ich dich jetzt fragen, ob ich dich besuchen darf. Aber du sollst nicht sehen, wie heruntergekommen ich bin. In den letzten Jahren habe ich mich sehr gehen lassen. Nach der Trennung mit deiner Mutter, die eigentlich mein Leben positiv verändert hätte, verfiel ich in eine tiefe Depression. Daraus kam ich nie wieder hervor.
Bevor ich aus diesem Leben scheide, wollte ich, das du die Wahrheit erfährst, warum ich ging und wir uns nie sehen konntest. Es tut mir leid. Aber ich bin schon über dem Abgrund hinaus und finde den Weg nicht zurück.
Ich hoffe, das dein Leben besser
verläuft, als meins. Das du glücklich wirst. Egal wie.
In Liebe
Dein Vater